Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Heilsbedeutung Mariens (Teil 16)

9. Juni 1996

Die kirchliche Verehrung Mariens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Muttergotteswürde, die Maria eigen ist, bietet die Grundlage dafür, daß sie von den Christgläubigen verehrt wird. Niemand, der Christus, ihren Sohn, als den gottgesandten Erlöser bekennt, kann an seiner Mutter vorübergehen. In der katholischen Kirche besteht nun eine genaue, sachgerechte Einteilung der Arten der Verehrung. Wir unterscheiden die Verehrung der Anbetung und die Verehrung der Hochschätzung. Die Verehrung der Anbetung wird nur Gott geschuldet; denn Gott ist der einzig Heilige, der Schöpfer und Erlöser und Heiliger. Er wird um seiner selbst willen verehrt. Ihm wird ein absoluter Kult geschuldet, d.h. ein Kult, der nicht wiederum von einem anderen abhängig ist. Und deswegen ist der Anbetungskult Gott vorbehalten. Die Sprache hat dafür das Wort des cultus latriae ausgebildet. Der cultus latriae, also der Anbetungskult, wird Gott allein um seiner selbst willen geschuldet; es gibt nichts außerhalb von Gott, was Veranlassung dafür wäre, daß er angebetet wird. Daraus ergibt sich aber, daß jeder andere Kult, jede andere Verehrung abgeleitet ist. Jede andere Verehrung ist relativer Kult, das heißt rückbezüglicher Kult. Die Verehrung der Hochschätzung geht, über den Verehrten hinaus, letztlich auf Gott. Der Grund dafür ist in zwei Wirklichkeiten gelegen; einmal, weil alle Geschöpfe auf den Schöpfer zurückweisen. Wer die Geschöpfe preist, der preist unweigerlich den Schöpfer. Denn was sie an Gutem haben, das haben sie von ihrem Schöpfer empfangen. Ebenso ist die Heiligkeit, die den Geschöpfen eigen ist, ihnen von Gott gnadenhaft geschenkt. Wer die Geschöpfe ob ihrer Heiligkeit lobt und preist, der zielt letztlich auf den Urheber ihrer Heiligkeit, und das ist Gott. Es gibt also außer Gott nur einen rückbezüglichen, einen relativen Kult, und den nennen wir den cultus duliae, den Kult der Hochschätzung. Aber unter denen, die mit diesem Kult der Hochschätzung verehrt werden, gibt es wiederum eine Aufgipfelung, und sie ist einer einzigen vorbehalten, nämlich der Jungfrau Maria. Ihr gebührt der cultus hyperduliae, also die Verehrung einer besonderen Hochschätzung; denn keines unter den Geschöpfen ist so hoch erhoben worden, keines unter den Geschöpfen hat eine solche Stellung in der Heilsgeschichte wie Maria. Deswegen gebührt ihr ein ausgezeichneter Kult der Hochschätzung, der den aller anderen Geschöpfe überragt. Aber – das sei deutlich gesagt – auch der cultus hyperduliae, den wir Maria erweisen, ist keine Anbetung. Maria ist ein Geschöpf und bleibt ein Geschöpf; sie ist nicht an die Seite Gottes zu rücken, sondern ist deutlich abzusetzen von der Anbetung. Es gehört zu den schlimmsten Mißverständnissen, die der katholischen Marienverehrung vorgeworfen werden, wenn man sagt, die Katholiken würden Maria anbeten. Nein, das tun sich nicht! Sie verehren Maria, sie verehren Maria mit dem Kult der Hochschätzung, aber die Anbetung behalten sie allein dem dreieinigen Gott vor.

Es sei zugegeben und eingeräumt, daß es manchmal Formulierungen gibt, die den Verdacht der Nichtkatholiken scheinbar begünstigen. Denken Sie etwa an ein Gebet wie jenes, wo wir Maria als „unser Leben“ und „unsere Hoffnung“ bezeichnen. Jeder Christgläubige wird sich fragen: Ja, ist denn nicht Christus unser Leben und unsere Hoffnung? Geht nicht die Sehnsucht nach Leben und die Hoffnung auf Heil zu Christus? Selbstverständlich. Christus ist unser Leben und unsere Hoffnung in einer ursprünglichen Weise. Maria kann unser Leben und unsere Hoffnung nur in einer abgeleiteten Weise sein, nur in einer sekundären Weise. Denn alles, was sie ist und was sie kann, verdankt sie Christus. Wenn wir uns an sie wenden als an unser Leben und unsere Hoffnung, dann meinen wir damit, daß sie, weil sie Christus geboren hat und die Gnaden vermittelt, die er verdient hat, an dem Leben und an der Hoffnung, die Christus ist, in einer ausgezeichneten Weise Anteil gewinnt.

Die Marienverehrung setzt nach unserer Kenntnis im 4. Jahrhundert ein. Da werden die ersten Marienkirchen errichtet, in Ephesus zum Beispiel, in Rom (Maria Antiqua, Maria im Viertel Trastevere, Santa Maria Maggiore). Im 4. Jahrhundert kommen uns auch die ersten Lobpreisungen auf Maria zur Kenntnis. Ephreim der Syrer, ein Theologe des 4. Jahrhunderts, hat die ersten Marienhymnen geschaffen. Und im 4. Jahrhundert haben wir auch zum erstenmal Zeugnisse dafür, daß Maria angerufen wird, nämlich in Predigten, die die heiligen Gregor von Nyssa und Gregor von Nazianz gehalten haben. Da macht die Religionsgeschichte einen Einwand. Sie sagt nämlich: Ja, im 4. Jahrhundert, da herrschte der Arianismus, er leugnete die Gottheit Jesu, und im Gegenschlag gegen diese Leugnung haben die Katholiken die Gottheit Christi so überbetont, daß seine Menschheit und der Heilswert und die Heilsbedeutung seiner Menschheit zurücktraten. Da ist ein Leerraum entstanden, und in den sind Maria und die Heiligen eingedrungen. So versucht die Religionsgeschichte – die ungläubige Religionsgeschichte – die Entstehung der Marienverehrung zu erklären. Meine lieben Freunde, diese versuchte Erklärung scheitert daran, daß die Marienverehrung ihre Wurzel in der heilsgeschichtlichen Stellung Marias hat. Diese heilsgeschichtliche Stellung ist völlig unabhängig von geschichtlichen Vorgängen. Es mag sein, daß der Rückschlag gegen den Arianismus die Marienverehrung besonders gefördert und begünstigt hat, ohne weiteres. Aber ihre Wurzel und ihre theologische Grundlage ist die heilsgeschichtliche Verbundenheit Mariens und der übrigen Heiligen mit Christus.

In den folgenden Jahrhunderten ist die Marienverehrung aufgeblüht. Das Konzil von Trient hat gegen die Glaubensneuerer erklärt, daß es nützlich und heilsam sei, die Heiligen zu verehren, natürlich an erster Stelle die Königin der Heiligen. In der neueren Zeit hat die Marienverehrung einen großen Aufschwung genommen; es wurden viele neue Marienfeste eingeführt. Der Samstag wurde Maria geweiht, die Päpste haben marianische Jahre ausgerufen, die Monate Mai und Oktober sind in besonderer Weise der Marienverehrung gewidmet. Viele Päpste haben Enzykliken über den Wert und den Nutzen des Rosenkranzgebetes erlassen. Viele Marienkirchen sind entstanden. In der jüngsten Zeit sind immer mehr Marienerscheinungen zu beobachten gewesen – wir werden gleich darüber zu sprechen haben. Die Marienverehrung hat also einen gewaltigen Aufschwung genommen. Die Kirche hat diese Verehrung ermutigt, wo immer sie sich in den Bahnen, die von der Heilsbedeutung Mariens vorgezeichnet sind, bewegt. Es kann gar nicht anders sein, als daß die Marienverehrung eine Hülle ist, welche die Christusanbetung umgibt.

Ich habe mich einst gefragt: Warum haben denn z.B. die Zisterzienser alle ihre Kirchen Maria geweiht? Die Antwort ist sehr einfach: weil Maria ihren Sohn in ihrem Schoße getragen hat, deswegen sollen die Gotteshäuser, die steinernen Tempel, die den eucharistischen Herrn in sich bergen, ebenfalls Maria geweiht sein. Das ist keine Verirrung, das ist lediglich ein Ausziehen der Linie, die begonnen hat, als Maria sprach: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe nach deinem Worte!“

Nun soll noch etwas gesagt werden zu den Marienerscheinungen. Wir haben die großen, von der Kirche anerkannten Marienerscheinungen in La Salette, in Lourdes, in Fatima. Die entscheidende Frage bei allen Marienerscheinungen ist die: Sind sie echt, oder sind sie nicht echt? Diese Entscheidung ist der Kirche vorbehalten, der kirchlichen Autorität übertragen. Denn die Kirche ist die Hüterin der Offenbarung, und in diese Hut der Offenbarung muß auch alles einbezogen werden, was zu der Offenbarung in irgendeine Beziehung tritt, und das tun die Marienerscheinungen. Deswegen muß die kirchliche Autorität die Macht haben, über Echtheit und Unechtheit zu entscheiden. Selbstverständlich ist nicht jedes Urteil über die Echtheit oder Unechtheit von Marienerscheinungen unfehlbar. Wenn ein Bischof eine Erscheinung anerkennt, dann kann er sich irren; und wenn ein Bischof eine Erscheinung verwirft, kann er sich ebenso irren. Es ist also hier keine absolute Garantie vorhanden, daß diese Marienerscheinungen echt bzw. unecht sind. Wenn freilich die Kirche über lange Zeit, und zwar das höchste kirchliche Lehramt, also das Papsttum, eine Marienerscheinung als echt anerkennt, dann würde es ein Mangel an Glaubenssinn sein, wenn man die Echtheit nicht annehmen würde. Gewiß, die Entscheidung des Lehramtes legt keine Glaubensverpflichtung auf; wir sind nicht im Glauben verpflichtet, Marienerscheinungen anzunehmen. Aber es wäre ein schwerer Mangel an kirchlichem Sinn, einer solchen Entscheidung auszuweichen oder sie gar zu verwerfen.

Wenn wir uns die Struktur der Marienerscheinungen ansehen, dann müssen wir zunächst einmal sagen: Maria erscheint nicht in ihrer verklärten Gestalt. Sie kann gar nicht in ihrer verklärten Gestalt erscheinen. Warum nicht? Weil uns dafür das Wahrnehmungsorgan fehlt. Im Pilgerstande sind wir nicht in der Lage, Wesen, die im verklärten Zustande leben, zu erkennen. Sie muß also eine andere Gestalt annehmen. Und dabei ist zu beachten, daß der Empfänger der Erscheinung in das Erscheinungsgeschehen einbezogen wird. Das heißt: Die Erscheinung hat ein objektives und ein subjektives Moment. Das objektive Moment ist die Macht Gottes, kraft derer Maria erscheinen darf. Denn jede Marienerscheinung, die echt ist, geht letztlich auf Gott zurück. Aber die Erscheinung, die Gott wirkt, muß vom Menschen erfahren und aufgenommen werden; und bei dieser Erfahrung und Aufnahme muß der Mensch zu verstehen suchen und die Erscheinung zu interpretieren unternehmen. Dabei geht aber ein subjektives Moment, eben die Veranlagung dessen, der die Erscheinung empfängt, in die Erscheinung ein. Er setzt das, was ihm da widerfahren soll, in plastische Bilder um. Für diese Aufgabe sind besonders geeignet Kinder. Sie denken nicht begrifflich-abstrakt, sondern in anschaulichen Bildern. Deswegen brauchen wir uns überhaupt nicht zu wundern, wenn so viele Marienerscheinungen an Kinder ergangen sind. Sie sind für diese Aufgabe in besonderer Weise geeignet.

Was den Inhalt der Marienerscheinungen angeht, so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die amtliche, öffentliche Offenbarung durch Christus mit dem Tode des letzten Apostels abgeschlossen ist. Es gibt keine neue Offenbarung, die uns Wahrheiten, die bisher verborgen waren, enthüllen würde. Die Erscheinungen knüpfen an das an, was von Christus gelehrt worden ist und was der Geist im Laufe der Jahrhunderte der Kirche aus der Christusoffenbarung enthüllt hat. Aber sie bringen keine neuen Offenbarungselemente. Der materiale Gehalt aller Marienerscheinungen geht dahin, die Menschheit zu Christus zu führen. Es ist geradezu eine Probe auf die Echtheit einer Marienerscheinung, ob sie die Menschen auffordert, sich zu Christus zu wenden oder nicht. Marienerscheinungen befriedigen keine Neugierde, auch keine edle und fromme Neugierde, sondern Marienerscheinungen wollen das Erbe Christi hüten, bewahren und lebendig machen.

Weil nun Maria in der Heilsgeschichte eine überragende Bedeutung besitzt, weil sie die Nächste am Throne Gottes ist, deswegen wendet sich das Vertrauen der Gläubigen ihr in besonderem Maße zu. Es gibt viele ergreifende und schöne Mariengebete, und wir sollen sie gern und freudig, wir sollen sie täglich sprechen, um der Hilfe Mariens teilhaftig zu werden. Auch hier muß man sich vor Übertreibungen hüten. Es ist nicht so, als ob wir durch unser Gebet zu Maria Gott gleichsam umstimmen könnten, als ob er zunächst etwas anderes beschlossen hätte, was aber dann aufgrund unseres Gebetes zu Maria abgeändert wird. Nein. Wenn wir Maria um ihre Fürbitte anflehen, dann hat das folgenden Sinn. Maria soll uns mit ihrer Liebe umfangen, sie soll uns ihrem Sohne vorstellen, sie soll uns geeignet machen, das zu empfangen, was Gott von Ewigkeit her uns zu geben beschlossen hat. Die Menschen wollen durch ihre Gebete zu erlangen verdienen, was Gott von Ewigkeit ihnen zu geben vorgesehen hat. Die Gebete wollen also nicht Gott umstimmen, sondern wollen unser Herz bereit machen, das zu empfangen, was Gott von Ewigkeit uns zugedacht hat. In dem Rahmen dieses Verständnisses hat das Bittgebet seine große, seine unersetzliche Aufgabe. Denn Gott hat eben beschlossen, uns bestimmte Dinge nur auf unser Gebet hin zu geben. Seit Ewigkeit her ist es sein Plan, dieses und jenes uns nur dann zu gewähren, wenn wir beten, wenn wir glühend, wenn wir anhaltend, wenn wir vertrauensvoll beten. Also das Gebet wird nicht überflüssig, weil Gott schon von Anfang an beschlossen hat, etwas zu geben, sondern es ist die Bedingung dafür, daß uns Gott das geben kann, was er von Ewigkeit her geben wollte.

So wollen wir also am Schluß unserer Predigtreihe über Maria unser gläubiges Vertrauen zur Königin des Himmels erheben. Wir wollen uns erinnern an die vielen ergreifenden Wallfahrtsorte, die wir schon besucht haben. Wir wollen unsere Liebe und unsere Hingabe zur Mutter des Heilandes erneuern. Täglich soll von unseren Lippen und in unserem Herzen der Ruf zu Maria erschallen, jener ergreifende Ruf, der immer wieder in Altötting gebetet wird:

O Maria, hilf, o Maria, hilf doch mir!

Ein armer Sünder kommt zu dir.

Im Leben und im Sterben

laß uns nicht verderben!

Laß uns in keiner Todsünd' sterben.

Steh uns bei im letzten Streit,

o Mutter der Barmherzigkeit.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt