Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Heilsbedeutung Mariens (Teil 2)

11. Februar 1996

Die historischen Zeugnisse des Lebens Mariens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor zwei Wochen hielt ich einen Vortrag vor Priestern aus dem Bistum Speyer. Nach dem Vortrag kam einer der Priester zu mir und berichtete mir folgendes Begebnis: Er habe in der Adventszeit des vorigen Jahres über die Jungfräulichkeit Mariens gepredigt. Nach der Messe sei eine Mutter zu ihm gekommen und habe ihm erklärt, wie könne er so etwas erzählen, ihre Kinder hätten in der Schule genau das Gegenteil gehört, daß nämlich Josef der biologische Vater Jesu sei. Aus diesem Begebnis mögen Sie erkennen, wie notwendig es ist, daß wir uns mit Maria, mit der kirchlichen Lehre über Maria beschäftigen.

Die wichtigste Quelle über Maria und das Marienleben ist die Heilige Schrift. Die Heilige Schrift berichtet uns Einzelheiten dieses Lebens, und zwar insofern sie in Beziehung stehen zu Jesus. Die Heilige Schrift bietet keine Biographie Mariens; sie schweigt darüber, was Maria getan hat, bevor sie vom Heiligen Geiste empfing. Sie berichtet nichts über das verborgene Leben Jesu, sie erzählt nicht, was Maria in dieser Zeit gearbeitet und gelitten hat. Sie schweigt über das, was Maria getan hat, als Jesus am Kreuze verblichen war. Wir können eine Biographie von Maria, einen Lebenslauf Mariens nicht entwerfen. Der Heilige Geist hat es uns verschwiegen. Er hat nicht auf Vollständigkeit gesehen, sondern er hat darauf geachtet, uns das mitzuteilen, was für die Rolle Mariens im Leben Jesu und der Kirche, kurz gesagt: in der Heilsgeschichte bedeutsam ist. Das aber hat er uns mitgeteilt, und das genügt.

Unter den literarischen Quellen für das Leben Mariens sind die ausführlichsten die beiden Kindheitsgeschichten in den Evangelien von Matthäus und Lukas. Die beiden Kindheitsgeschichten unterscheiden sich voneinander. Sie gehen nicht aufeinander zurück, sondern sind unabhängig voneinander. Die Kindheitsgeschichten widersprechen sich aber nicht, sie ergänzen sich gegenseitig. Vor allem haben sie die entscheidenden, wesentlichen Daten des Lebens Mariens gemeinsam. Beide Kindheitsgeschichten bei Matthäus und Lukas berichten von der Empfängnis und Geburt Jesu durch die Jungfrau Maria. Beide erklären, daß Josef der Nähr- oder Pflegevater Jesu war; er war der Verlobte und der Ehemann Mariens. Aber beide lassen keinen Zweifel daran, daß die Empfängnis Mariens auf wunderbare Weise, ohne das Zutun eines irdisch-menschlichen Prinzips geschehen ist. Beide berichten, daß die Empfängnis sich vollzog, bevor Josef Maria heimgeführt hatte, und daß nur die Geburt eintrat, als die Heimführung erfolgt war. Josef wird als ein gerechter Mann geschildert, der aus dem Geschlechte Davids stammt. Die Geburt Jesu wurde durch einen Engel angekündigt. Sie fällt in die Zeit des Herodes. Sie fand statt in Bethlehem im Stamme Juda. Und schließlich stimmen auch noch beide Kindheitsgeschichten darin überein, daß Jesus in Nazareth aufgewachsen ist. Die Unterschiede sind vor allem darin zu erblicken, daß bei Matthäus die düsteren Seiten der Geburt Jesu geschildert werden, daß er nämlich von Anfang an gehaßt und verfolgt wird und deswegen fliehen muß, während bei Lukas mehr die lichten Seiten dargestellt werden, nämlich daß es gläubige Menschen gibt, die über die Ankunft des Erlösers erfreut sind, seien es die Hirten auf dem Felde, seien es die Magier, seien es die auf die Erlösung wartenden Männer und Frauen im Tempel zu Jerusalem.

Nun kommt natürlich alles darauf an, ob die Kindheitsgeschichten Legende sind oder ob sie Geschichte enthalten. Eine Legende ist eine erfundene Erzählung, die keine geschichtliche Grundlage besitzt. Wenn die Kindheitsgeschichten Legenden sind, dann sind sie für die Auferbauung unseres Glaubens wertlos. Im Protestantismus gibt es seit langem einen Strang der Theologie, die sogenannte liberale Theologie, welche die Kindheitsgeschichten als legendarisch bezeichnet. Es handelt sich hier nach deren Meinung um eine Neuauflage der mythischen Göttergeburten; so wie in den Mythen der Heiden Götter geboren werden, so wird hier – so sagen diese liberalen Theologen – Jesus geboren. Andere sprechen davon, daß die Kindheitsgeschichten eine Neuauflage von alttestamentlichen Erzählungen seien. Man habe im Alten Testament gelesen, daß Sarah, die Frau Abrahams, kinderlos war und dann auf wunderbare Weise ein Kind bekam, und diese Erzählung habe man auf Jesus übertragen. Andere verweisen auf die Geschichte von Samson oder von Samuel. Also eigenständig sind nur die alttestamentlichen Erzählungen, nachgemacht sind die Berichte bei Matthäus und Lukas. Diese Auffassung der liberalen Theologie ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der katholischen Kirche herrschend geworden. Sie ist übernommen worden von den meisten sogenannten katholischen Schrifterklärern, die auf diese falsche Fährte gegangen sind. Wir müssen uns deswegen, meine lieben Freunde, um unseres Glaubens willen, um unserer Kinder willen, um des Glaubens unserer Kinder willen, mit der Geschichtlichkeit der Kndheitsgeschichten auseinandersetzen.

Welche Gründe werden vorgebracht für die angebliche Ungeschichtlichkeit der Kindheitsgeschichten? Der Hauptgrund, den man anführt, ist darin gelegen, daß hier Wunder und wunderbare Begebenheiten berichtet werden, und das geschieht in einem erbaulich frommen Stil. Wunder und wunderbare Begebenheiten sind tatsächlich in den Kindheitsgeschichten in großer Zahl enthalten. Die Jungfrauengeburt ist das größte der Wunder, und was sich darum rankt, das ist in wunderbarer Weise von Gott gewirkt worden, ob es der Engelsgesang auf den Fluren von Bethlehem ist oder ob es die Erscheinungen des Engels an Josef sind. Wer mit dem weltanschaulichen Vorurteil an die Kindheitsgeschichten herangeht, daß es keine Wunder geben kann, der muß sie selbstverständlich als legendarisch bezeichnen. Aber daß es keine Wunder geben kann, das ist eben eine vorgefaßte Meinung, das ist eine Voreingenommenheit, und es ist völlig unhistorisch und unwissenschaftlich, an Texte mit einer vorgefaßten Meinung heranzugehen. In der Geschichte geschehen eben viele Dinge, die unerwartet sind, ja die wir als wunderbar bezeichnen müssen. Und wenn deswegen jemand mit dem weltanschaulichen Apriori, Wunder seien unmöglich, an die Texte herangeht, wenn er bestimmen will, was geschehen kann und was nicht geschehen darf, dann ist das ein völlig unwissenschaftliches Verfahren, das wir a limine abweisen müssen.

Man muß sodann bedenken, daß das Leben Jesu selbst von Wundern erfüllt ist. Es war im buchstäblichen Sinne ein wunderbares Leben. Wer das Übernatürliche im Leben Jesu gelten läßt, für den ist es nicht schwer, die wunderbaren Begebnisse in seiner Kindheitsgeschichte anzunehmen. Warum sollen nicht bei der Einführung des Logos in diese Welt wunderbare Geschehnisse sich zugetragen haben, wo doch sein Wirken auf dieser Welt von Wundern durchzogen war, ob er die Kranken geheilt, ob er die Dämonen vertrieben, ob er dem Sturm geboten oder ob er das Meer niedergezwungen hat? Es hängt also alles davon ab, wie man zu Jesus, wie man zum Leben Jesu, wie man zu den Berichten vom Leben Jesu steht, um die Kindheitsgeschichten richtig zu deuten, um sie recht zu verstehen. Wer das Leben Jesu als ein vom Heiligen Geist erfülltes, wunderbares Leben versteht, der hat keine Schwierigkeiten, die Kindheitsberichte mit ihren wunderbaren Geschehnissen als geschichtlich beglaubigt anzunehmen.

Dazu kommt eine weitere Überlegung. Die beiden Kindheitsgeschichten fallen in gewisser Hinsicht aus dem Rahmen der Evangelien heraus, weil sie nämlich ein jüdisch-palästinensiches Lokalkolorit tragen. Sie sind in der Umwelt des Judentums Palästinas entstanden. Das bedeutet, sie gehen auf die älteste Zeit zurück. Sie sind also nicht später erfunden worden, als man, wie die liberalen Theologen behaupten, unter dem Einfluß des Hellenismus Jesus vergottet hat, nein, die Geschichten gehen auf die Urgemeinde zurück. Wir wissen genau, wer nur die Quelle sein kann. Es sind die Leute, die an diesen Begebnissen beteiligt waren. Aus ihnen haben die Verfasser der Kindheitsgeschichten geschöpft; an erster Stelle natürlich aus der Jungfrau Maria selbst. Von ihnen stammen diese Geschichten. Und sie zeigen in ihrem ganzen Aufbau, in ihrer Struktur, in ihrem Hintergrund, daß sie Geschichte berichten wollen. Nehmen wir die Kindheitsgeschichte des Matthäus. Hätte er eine mythische Göttergeburt erzählen wollen, dann hätte er das ganz anders angefangen. Dann hätte er nämlich eine glanzvolle Einführung dieses Königs in diese Welt geschildert, dann wären nicht schlichte Magier, also Sternkundige, Sterndeuter an der Krippe erschienen, sondern Könige. Und dann wäre dieses Kind nicht als ein ausgestoßenes Knäblein in einem Stall zur Welt gekommen, sondern in einem Königspalast. Aber nichts dergleichen. Matthäus schildert die Begebnisse so, wie sie sich zugetragen haben, nicht wie ein Mythos sie ausgemalt hätte. Ähnlich ist es bei Lukas. Der Verfasser der beiden ersten Kapitel im Lukas-Evangelium ist ein Kenner des Tempels und des Tempeldienstes. Es ist wahrscheinlich ein Priester gewesen, denn wir wissen aus der Apostelgeschichte, daß sich viele Priester zum Evangelium bekehrt haben. Er kennt sich genau aus im Tempel und im Tempelgeschehen und setzt bei seinen Lesern Kenntnis des Tempeldienstes voraus. So hat er wahrscheinlich die beiden Kapitel ursprünglich  in hebräischer, nicht in aramäischer Sprache geschrieben. Sie wurden dann von einem anderen Priester, der des Griechischen kundig war, übersetzt und haben von Lukas noch den letzten Schliff erhalten. Lukas hat wahrscheinlich eine genauere Chronologie hinzugefügt. Ursprünglich hieß es nämlich in diesem Bericht, daß Jesus zur Zeit des Herodes empfangen und geboren wurde. Lukas fügt hinzu: „Es war das die erste Aufschreibung unter dem syrischen Statthalter Quirinius.“ Diese Bemerkung kann nur von Lukas stammen. Wir haben also keinen Anlaß, meine lieben Freunde, die Echtheit, die Ursprünglichkeit, die Authentizität und die Geschichtlichkeit der Kindheitsgeschichten zu bezweifeln. Sie berichten genauso Geschichte wie die weiteren Texte des Evangeliums.

Neben den Kindheitsgeschichten haben auch andere neutestamentliche Schriftsteller von Maria gehandelt. Im Markusevangelium und im Johannesevangelium ist von ihr die Rede. Nach dem Markusevangelium wurde Jesus als der Sohn „der Maria“ bezeichnet, eine sehr bemerkenswerte Bezeichnung. Aus dem Johannesevangelium wissen wir von Marias Anwesenheit bei der Hochzeit von Kana und vor allem von ihrem Stehen unter dem Kreuze. Auch die Apostelgeschichte erwähnt Maria. Sie ist dabei, als die Jünger auf die Ankunft des Heiligen Geistes warten. Sie ist eine der am Pfingstfest vom Heiligen Geist Erfüllten. Der Apostel Paulus ist mit der Gestalt Maras vertraut. In seinen gewaltigsten Briefen, im Galaterbrief und im Römerbrief, spricht er von Maria, ohne allerdings ihren Namen zu nennen. Und die Apokalypse des Johannes, das letzte Buch der Heiligen Schrift, sieht in der Frau, die mit der Sonne bekleidet ist gewiß in erster Linie die Kirche, aber in zweiter auch Maria, denn sie ist die Repräsentantin, sie ist die Vertreterin der Kirche. Wir sind also durchaus hinreichend über Maria unterrichtet durch das, was uns in der Heiligen Schrift übermittelt wird. Wir können in einem gewissen Umfang ihre Lebensweise erschließen durch das, was uns die jüdischen Quellen berichten, also Flavius Josephus und der Talmud. Allerdings ist der Talmud erst entstanden, als das jüdische Staatswesen längst vernichtet war, er trägt deswegen spätere Verhaltensweisen in frühere Zeiten ein und muß deswegen mit großer Vorsicht benutzt werden.

Nun haben allerdings manche Schriftsteller der alten Zeit versucht, das relative Schweigen der Heiligen Schrift über Maria aufzuhellen. Es gibt eine ganze Reihe von sogenannten apokryphen Schriften, die sich mit Maria befassen. Apokyphe Schriften sind solche, die unbekannte Verfasser haben, welche sich aber als eine bedeutende biblische Persönlichkeit ausgeben, um damit ihrer Schrift größeres Ansehen zu verschaffen. Unter den Apokryphen gibt es zwei Gruppen, nämlich innerkirchliche und häretische. Die innerkirchlichen wollen den Glauben der Kirche paraphrasieren, ausdeuten, die häretischen wollen ihre Irrlehre verbreiten, vor allem gnostisch-manichäische Irrlehren. Unter den Apokryphen sind die bedeutendsten das Proto-Evangelium des Jakobus, das sogenannte Petrus-Evangelium, das Hebräer-Evangelium und der Transitus Mariae. Wir wollen uns heute nur mit dem Proto-Evangelium des Jakobus beschäftigen. Es ist im 2. Jahrhundert entstanden und hat in der christlichen Frömmigkeit und in der Kunst eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. In diesem Proto-Evangelium des Jakobus wird erzählt, daß Joachim und Anna über ihre Kinderlosigkeit betrübt waren. Der Priester Ruben sperrte Joachim vom priesterlichen Dienst aus, weil er die Kinderlosigkeit als eine Strafe Gottes deutete. Joachim und Anna beteten und empfingen dann eine Tochter, Maria. Mit drei Jahren wurde Maria in den Tempel gebracht. Sie trat auf die Stufen des Tempels und tanzte dort. Sie wurde im Tempel ernährt, und als sie herangewachsen war, bestellte der Hohepriester die Witwer von Israel zu sich mit ihren Wanderstäben. Aus dem Stabe des einen, nämlich Josefs, entsprang eine Taube, und das war das Zeichen, daß er der für Maria bestimmte Mann sei. Ihr wurde dann aufgetragen, den Vorhang des Tempels zu spinnen. Als sie gesegneten Leibes war, wollte der Hohepriester Josef wegen Verführung bestrafen, aber sie wurden einer Gottesprobe unterworfen, mußten das Eiferwasser trinken, und diese Probe erwies sie als unschuldig. Maria hat dann geboren, bei der Geburt stand die Erde eine halbe Stunde still. Eine Hebamme wurde herbeigerufen. Sie stellte die Unversehrtheit Mariens nach der Geburt fest. Salome, die das nicht glauben wollte, wurde von Gott gestraft, ihr verdorrte die Hand.

Das also ist, knapp geschildert, der Inhalt des das Proto-Evangeliums des Jakobus. Was ist zu diesem Erzeugnis zu sagen? Nun, es ist eine Dichtung. Es ist eine gutgemeinte und fromme Dichtung, aber sie ist ohne Geschichtswert. Wo wir ihre Angaben überprüfen können, stellen sie sich als falsch heraus. Es ist z.B. unmöglich, daß das dreijährige Mädchen Maria auf die Stufen beim Altar des Tempels gestellt wurde, denn keine Frau durfte sich dem Altar des Tempels auch nur nähern. Außerdem hatte der Altar gar keine Stufen. Der Verfasser kennt sich also an Ort und Stelle nicht aus. Außerdem kann, wie es in diesem Proto-Evangelium steht, nicht ein Hoherpriester durch das Los bestimmt worden sein. Das ist nie geschehen. Die Hohenpriester kamen durch Abstammung zu ihrem Amt. Das Proto-Evangelium des Jakobus hat auf die Frömmigkeit und auf die Kunst des Mittelalters eingewirkt, das ist gar keine Frage. Wir haben ja in unseren älteren Meßbüchern noch das Fest der Darstellung Mariens im Tempel. Es geht auf das Proto-Evangelium des Jakobus zurück. Aber auf die amtliche Marienlehre hat diese Schrift keine Einwirkung ausgeübt. Die Kirche hat die Jungfräulichkeit Mariens niemals von einer Probe durch die Hebamme abhängig gemacht, wie es im Proto-Evangelium des Jakobus steht. Die Jungfräulichkeit Mariens steht nicht durch das Experiment der Hebamme, sondern durch das Zeugnis der inspirierten Heiligen Schrift fest. Außerdem hat die Kirche die apokryphen Schriften immer mit Mißtrauen, ja mit Ablehnung betrachtet. Der heilige Hieronymus, der große Bibelkenner und Kirchenvater, bezeichnet das Proto-Evangelium des Jakobus als eine Träumerei, als eine Erdichtung der Häretiker, als ein apokryphes Wahngebilde. Und wegen dieser Ablehnung konnte das Proto-Evangelium gar nicht auf den Glauben der Kirche einen Einfluß ausüben. Das Konzil von Nizäa weist die apokryphen Schriften zurück. Sie dürfen in der Kirche nicht gelesen werden. Ebenso das Konzil von Laodicea nach 341. Papst Innocenz I. schreibt im Jahr 405 an den Bischof Exuperius von Toulouse, daß die apokryphen Schriften nicht nur zurückzuweisen, sondern zu verdammen seien. Es konnten also diese Schriften nicht den Glauben der Kirche bestimmen. Der Glaube der Kirche nährt sich aus den im Kanon der Heiligen Schrift befindlichen Texten und nicht aus den Delirien von apokryphen Autoren.

Die Kirche kennt vier Dogmen von Maria. Aus dem Altertum stammen die beiden Dogmen von der Mutterschaft, der Gottesmutterschaft und von der Jungfräulichkeit, von der Jungfrauenschaft Mariens, aus unserer Zeit stammen die beiden Dogmen von der Unbefleckten Empfängnis Mariens, von der Erbsündenfreiheit und von der Aufnahme, von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Das sind die vier Pflöcke unseres Marienglaubens. Sie sind von der Kirche eingeschlagen worden aufgrund des Zeugnisses der Heiligen Schrift und – wie wir noch sehen werden – der Tradition.

Auch die Frömmigkeit leistet ihren Beitrag zum Glauben an Maria. Die Frömmigkeit ist ja der Ausdruck des Glaubens. Wenn immer sie echt ist – wenn immer sie echt ist! –, ist die Frömmigkeit ein Ausdruck des Glaubens. Es gibt freilich zwei mögliche Abweichungen der Frömmigkeit vom Glauben. Einmal kann die Frömmigkeit hinter dem Glauben zurückbleiben, daß sie also weniger an Andacht und an Verehrung bietet, als der Glaube gestattet und nahelegt. Sie kann aber auch über den Glauben hinausgehen, daß sie zur Verehrung anbietet, was der Glaube nicht lehrt, daß sie weitergeht, als der Glaube erlaubt. Beide Gefahren müssen gesehen werden. Der große Papst Pius XII. hat den Zusammenhang zwischen Glaube und Frömmigkeit, vor allem zwischen Glaube und Liturgie, in klassischen Formeln niedergelegt in der großen Enzyklika „Mediator dei“. Er sagt darin, man muß an dem Prinzip festhalten: „Lex credendi statuat legem supplicandi“, das heißt zu deutsch: Das Gesetz des Glaubens muß das Gesetz des Flehens, des Betens bestimmen. Der Glaube muß maßgebend sein für das, was wir verehren, was wir beten, was wir in unseren Frömmigkeitsübungen uns vor Augen stellen.

Wir sollen Maria verehren, wie Gott sie verehrt. Wie Gott sie verehrt, das ist zu entnehmen aus der Heiligen Schrift und aus der göttlichen Tradition. Wenn wir Maria so verehren, wie Gott sie verehrt, dann können wir nicht in die Irre gehen.

Amen.

Schrift
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