Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Wesensmerkmale der Kirche (Teil 1)

23. Juli 1995

Der Begriff der Einheit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Kirche ist die im Heiligen Geiste lebende Christusgemeinschaft. Sie besitzt notwendige Aufbauelemente, Wesenseigenschaften, die nach außen hin als Merkmale zu erkennen sind. Die Kirche ist eine, eine einzige und eine innerlich geeinte. Sie hat teil an der Heiligkeit Gottes. Sie ist aus der Welt herausgerufen, deswegen ist sie eine heilige. Sie ist nicht beschränkt auf ein Volk oder eine Rasse, sondern umfaßt alle Völker und alle Rassen, und deswegen ist sie die katholische. Sie ist erbaut auf dem Fundamente der Apostel, und deswegen ist sie die apostolische Kirche. Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität sind die Wesenseigenschaften und gleichzeitig die Kennzeichen der Kirche Christi. Wer immer die Kirche Christi sucht, muß nach diesen vier Merkmalen fragen. In ihren Glaubensbekenntnissen hat sich die Kirche zu ihrer eigenen Identität bekannt. Etwa im nizänokonstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis, das wir ja in jeder heiligen Messe beten, heißt es: „Wir glauben an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.“ Wir wollen heute und an den folgenden Sonntagen uns diese Merkmale der Kirche vor Augen führen, heute das Merkmal der Einheit. Einheit besagt ein Doppeltes, nämlich Einzigkeit und innere Geschlossenheit. Heute wollen wir uns nur mit der Einzigkeit der Kirche befassen.

Die Kirche Christi ist eine einzige. Das ergibt sich ja schon aus seinen Stiftungsworten: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ „Meine Kirche“ hat er gesagt, das heißt meine einzige Kirche, nicht mehrere Kirchen, die gleichberechtigt oder verschiedenberechtigt sind, sondern eine einzige Kirche. „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Das Haupt dieser Kirche ist Christus. Es kann diese Kirche nicht mehrere Häupter haben, sondern nur eines, eben das Haupt, das Christus ist. Die Kirche ist sein Leib. Christus hat nicht mehrere Leiber, er hat nur einen Leib, und deswegen ergibt sich auch aus der Einzigkeit des Leibes Christi die Einzigkeit der Kirche Christi. Der Heilige Geist, der die Kirche belebt und durchfeuert, ist einer. Auch von daher ergibt sich die Einzigkeit der Kirche Christi. Christus hat ihr die ganze Fülle der Heilsmittel anvertraut, deswegen ist eine zweite Kirche neben ihr sinnlos und überflüssig.

Nun beobachten wir aber in der Erfahrung, daß viele religiöse Gemeinschaften den Anspruch erheben, die Kirche Christi zu sein oder wenigstens an der Kirche Christi Anteil zu haben. Es ist gar keine Frage, daß die Vielheit von christlichen Religionsgemeinschaften im Widerspruch zum Willen des Stifters Jesus Christus stehen. Diese Spaltung ist ein Ärgernis und eine Sünde, die im klaren Gegensatz zu der Absicht Jesu Christi steht. Wir sind zwar gezwungen durch die Tatsachen, von Kirchen in der Mehrzahl zu reden. Aber das ist kein eigentlich theologischer Begriff. Im eigentlichen und strengen theologischen Sinne gibt es nur eine Kirche, die einzige, die Christus gestiftet hat. Die Abspaltungen davon haben zwar auch den Namen einer Kirche angenommen, aber sie tragen ihn nicht in legitimer Weise, denn mit Recht wird als Kirche nur jener Verband bezeichnet, den Christus gestiftet hat, der die Urkunde der Stiftung Christi nachweisen kann als dir eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.

Nun wird von manchen versucht, meine lieben Freunde, diese Vielheit von religiösen Gemeinschaften, kirchlichen Gemeinschaften und Kirchen, wie sie sich nennen, zu begründen oder zu rechtfertigen. Es gibt vier Versuche, mit denen man eine Erklärung für die Mehrzahl von religiösen Verbänden, die sich auf Christus berufen, zu erklären unternimmt.

Erstens, man sagt, die Einheit der Kirche Christi ist schon vorhanden. Sie ist nämlich eine unsichtbare. Sie ist eine Einheit, die durch den Geist gewährleistet wird. Die empirischen, in der Erfahrung vorfindlichen Spaltungen tun dieser Einheit keinen Eintrag. Alle diese Verbände zusammengenommen bilden die Kirche Christi. Keine kann von sich allein sagen, sie sei die Kirche Christi, sondern sie alle zusammen sind die eine Kirche Christi. Die Spaltungen sind sogar nützlich, sagen manche, denn sie bewahren die einzelnen Verbände davor, steril und überheblich zu werden. Das ist also der erste Versuch, die Vielheit von christlichen Religionsgemeinschaften zu erklären. Es bestehe, so sagt man, eine unsichtbare Einheit zwischen den Verbänden, die sich auf Christus berufen.

Die zweite Theorie ist die sogenannte Branchtheorie. Wie der Name schon sagt, ist sie in England aufgekommen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Diese Branchtheorie besteht darin, daß man sagt, die lateinische, die griechische und die anglikanische Kirche sind Zweige (englisch: branches) an dem einen Baum der Kirche. Sie sind alle gleichberechtigt und haben alle das gleiche Recht, sich auf Christus zu berufen. Sie gehören zu dem einen großen Baum der Kirche Christi, der eben verschiedene Zweige hat: die lateinische, also die römische Kirche, die griechische Kirche, also die Orthodoxen, und die anglikanische Kirche, zu der man dann freilich die vielen Protestanten zählen muß, die ja von den Anglikanern doch weitgehend verschieden sind.

Die dritte Theorie, um die Spaltungen in der Christenheit zu erklären und zu verharmlosen, geht von dem Begriff des Bundes aus. Wir erleben im staatlichen Bereich Bundesstaaten und Staatenbünde. Ein Bundesstaat ist z.B. die Bundesrepublik Deutschland. Sie zählt verschiedene Bundesländer, die aber unter einem Gesamtstaat zusammengefaßt sind. Ein Staatenbund ist die Europäische Gemeinschaft. Hier haben sich selbständige Staaten zu einer oberen Einheit zusammengeschlossen. Ähnlich, so sagt man, ist es auch mit den verschiedenen religiösen Verbänden. Sie bilden einen Bund – den Weltrat der Kirchen – und dieser Bund ist die Kirche Christi. Wer immer ein Minimum an Organisation und an Glauben beibringt, der ist willkommen in diesem Bunde der Kirchen.

Die vierte Erklärung beruft sich auf den Begriff der congregatio fidelium. Die Kirche ist die Versammlung von Gläubigen. Sie wird nicht durch das Institutionelle konstituiert. Die Einrichtungen, die Ämter sind völlig unwichtig. Entscheidend ist allein der einzelne Christ, der im Heiligen Geiste lebt und gläubig ist. Alle, die die Bedingung erfüllen, im Geiste zu leben und einen irgendwie gearteten Glauben zu haben, gehören zur Kirche Christi.

Es ist keine Frage, meine lieben Freunde, daß diese Versuche, diese verzweifelten Versuche, die angeblich schon verwirklichte Einheit der Kirche Christi zu erklären, an der Wirklichkeit vorbeigehen. Denn es ist ein Grunddogma des Christentums, es ist ein Grunddogma vor allem unseres katholischen Glaubens, daß unsichtbare Kirche und sichtbare Kirche zusammenfallen. Niemand anderes als das Zweite Vatikanische Konzil hat an dieser Wahrheit eindeutig und unverändert festgehalten. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gnaden beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die sich aus menschlichen und göttlichen Elementen zusammensetzt. Das ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen.

Wir haben an den vergangenen Sonntagen das Merkmal der Sichtbarkeit der Kirche betrachtet, und diese Sichtbarkeit schließt eben aus, daß die Stiftung Christi in eine sichtbare und unsichtbare Kirche aufgeteilt werden könnte. Nein, die mit hierarchischen Organen (Papst und Bischöfe) ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi sind eine deckungsgleiche Wirklichkeit. Weil die Kirche sichtbar ist und sichtbar sein muß, kann man sie nicht in eine sichtbare und eine unsichtbare Kirche zerreißen und zerspalten. Dann würden die Menschen nicht mehr zur Kirche Christi finden können, wenn sie nicht sichtbar wäre. Dann würden sie sich zwar in irgendeinen religiösen Verband eingliedern können, aber nicht mehr der wahren, von Christus gestifteten Kirche. Denn diese Kirche ist sichtbar auch in ihrem Glauben, von dem sie sich kein Jota und kein Tüpfelchen abmarkten lassen kann. Die Kirche ist eins im (äußerlich erkennbaren und feststellbaren) Glauben. Wer die Einheit der Kirche mit einer irgendwie verstandenen Gläubigkeit zu begründen versucht, der verfehlt sich gegen das innerste Prinzip des Christentums. Im Christentum kommt nämlich alles auf den Glauben an, auf den unverfälschten, auf den unverkürzten, auf den unversehrten Glauben. Wenn die Menschen durch die verschiedenen religiösen Gemeinschaften, die sich auf Christus berufen, jedoch in der Lehre voneinander abweichen, in gleicher Weise gerettet werden könnten, dann würden sie ja sowohl durch die Wahrheit als auch durch den Irrtum gerettet werden können. Es kann nicht die Absicht Gottes sein, Wahrheit und Irrtum auf eine Ebene zu stellen. Es kann nicht sein Wille sein, daß die Menschen ohne Rücksicht auf das, was sie glauben und wie sie sich dann natürlich verhalten, die Rettung in der Ewigkeit finden. Gott will vielmehr, daß sie zur Wahrheit kommen und durch die Wahrheit gerettet werden. Deswegen scheitern diese vier eben vorgestellten Modelle der Einheit der Kirche am klaren Wortlaut der biblischen Botschaft. Gott will, daß alle Menschen selig werden und zur Wahrheit kommen. Aber Seligkeit und Wahrheit sind untrennbar und unzerreißbar aneinander geknüpft.

Selbstverständlich soll und muß sich ein jeder bemühen, für die Einheit der Christen Sorge zu tragen und nach seinen Kräften dahin zu wirken, daß diese Einheit verwirklicht wird. Das Entscheidende auf dem Weg zu diesem Ziel sind die Bekehrung des eigenen Herzens, die Heiligkeit des Lebens und das Gebet. Alles andere ist sekundär und kann eigentlich hilfreich nicht sein. Und daß diese Einheit der Kirche schon verwirklicht und unverlierbar ist, bedeutet: Es gibt keine andere Möglichkeit, die Einheit der Christenheit zu verwirklichen, als durch die Rückkehr zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Die Päpste haben diese Wahrheit immer wieder eindeutig ausgesprochen. Ich erinnere an Papst Pius XI., der in seiner Enzyklika „Mortalium animum“ sagte: Es gibt keine andere Möglichkeit, auf Erden die Einheit der Christen zu verwirklichen, als daß die Getrennten zurückkehren zu dem einen Schafstall, aus dem sie weggegangen sind. Und Pius XII. hat dasselbe gelehrt, indem er erklärte in seiner Enzyklika über den mystischen Leib: „Möchten doch alle eintreten in den Kreis der katholischen Einheit und alle, mit uns in der gleichen Gemeinschaft des Leibes Christi geeint, an das eine Haupt sich wenden in ruhmreicher Liebesverbundenheit; in unablässigem Flehen zum Geiste der Liebe und der Wahrheit, erwarten wir sie mit ausgebreiteten Armen, nicht als Fremde, sondern als solche, die in ihr eigenes Vaterhaus zurückkehren.“

Es ist begreiflich, meine lieben Freunde, daß die Menschen der theologischen Disputationen, der Streitigkeiten zwischen des christlichen Gruppierungen überdrüssig werden. Die Menschen sind eben von der Wahrheit kaum betroffen und für die Wahrheit wenig empfänglich. Den meisten Menschen ist die Wahrheit das gleichgültigste. Woran sie interessiert sind, das ist das Leben, das gute, das angenehme, das friedliche Leben, das harmonische Leben. Die Wahrheit ist den meinsten Menschen das, gleichgültigste. Und deswegen sind sie so leicht bereit, die Wahrheit preiszugeben und sich die Einheit ohne Rücksicht auf die Wahrheit vorzustellen und auch zu verwirklichen. Wir erleben das ja fortwährend. Es gibt eine schlimme Zeitschrift von innerlich bereits vom Glauben Abgefallenen, die heißt „Imprimatur“, und in dieser Zeitschrift steht in einer der letzten Nummern zu lesen: „Der Papst ist gerade die Spaltung, das Ärgernis, der Schaden, die er so lebhaft bedauert. Wollte er es nur, schon morgen könnten wir die Einheit haben.“ Hier wird also versucht, durch Preisgabe der Wahrheit und des von Christus bestellten Garanten der Wahrheit die Einheit zwischen den christlichen Gemeinschaften herbeizubringen, die Glaubensunterschiede auf sich beruhen zu lassen und damit gegen das Gebot Christi und seiner Apostel zu handeln. Es ist nicht gleichgültig, meine lieben Freunde, ob man gerechtfertigt wird allein durch den Fiduzialglauben oder auch durch Anfang der Liebe, durch Reue, durch Werke, die den Glauben begleiten müssen. Es ist nicht gleichgültig, ob die Ehe auflöslich, wie der Protestantismus meint, oder ob sie unauflöslich ist. Es ist nicht gleichgültig, ob wir das Heil gewinnen durch zwei Sakramente oder durch sieben Sakramente.

Im vorigen Jahrhundert gab es eine lebhafte Konversionsbewegung zur katholischen Kirche in England. Die Freimaurer wurden unruhig und beauftragten einen der ihren, eine Schmähschrift gegen die katholische Kirche zu schreiben, um diese Bewegung zu stoppen. Der Mann machte sich ans Werk. Er ließ sich Literatur kommen und studierte die einschlägigen Fragen. Nach zehn Monaten klopfte er beim Bischöflichen Ordinariat an und bat, katholisch und Priester werden zu dürfen. Was sagte er? Er habe erkannt, daß die katholische Kirche die einzige wahre sei, denn sie habe die drei Dinge, auf die es ankommt: Sie hat den Fels, sie hat den Beichtstuhl, und sie hat den Tabernakel.

Amen.

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