Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Sichtbarkeit der Kirche (Teil 3)

7. Mai 1995

Die nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag haben wir die Frage gestellt: „Wer ist ein Glied der einen und einzigen Kirche Christi?“ Die Antwort lautete: „Glieder der Kirche sind nur jene, welche die Wassertaufe empfangen haben, den vollen und ganzen katholischen Glauben bekennen und sich der Leitung der Kirchenführung unterstellen.“ Wem eines dieser Merkmale fehlt, der ist kein Glied der Kirche; also beispielsweise die Katechumenen, die sich auf die Taufe vorbereiten. Sie haben zwar schon den Glauben und sind auch gewillt, sich der Leitung der Kirche zu unterwerfen, aber sie haben die Wassertaufe noch nicht empfangen. Auch die nichtkatholischen Christen können nicht als Glieder der Kirche bezeichnet werden, denn sie haben zwar die Taufe erhalten, aber sie bekennen nicht den ganzen katholischen Glauben, und sie weigern sich, sich der Führung der von Gott eingesetzten Hierarchen zu unterstellen. Nun sind aber die nichtkatholischen Christen auch in einem Verbande vereinigt. Es gibt geistlich-gesellschaftliche Verbände, die von den Anhängern selbst als Kirchen bezeichnet werden, und es stellt sich die Frage: Wie stehen diese geistlich-gesellschaftlichen Verbände zur katholischen Kirche? – Wir wollen auch hier drei Fragen stellen und zu beantworten versuchen, nämlich

1. Sind die nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften etwa zusammen mit der katholischen Kirche eine Einheit im mystischen Leibe Christi?

2. Sind die nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften mit der katholischen Kirche irgendwie verbunden?

3. Sind die nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften von Bedeutung für das Heil, also für die Erringung der ewigen Seligkeit?

Die erste Frage lautet: Bilden etwa die nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften zusammen mit der katholischen Kirche den einen geheimnisvollen Leib Christi? Solche Meinungen sind im Schwange. Bei den Protestanten und bei den Anglikanern werden derartige Ansichten vertreten, wonach alle christlichen Gemeinschaften in irgendeiner Weise zu dem geheimnisvollen Leib Christi gehören. Im vorigen Jahrhundert haben vor allem die Anglikaner die sogenannte „Branch-Theorie“ ausgebildet. Das Wort „branch“ bedeutet soviel wie „Zweig“. Nach dieser Theorie hat Gott, hat Christus einen Baum der Kirche gepflanzt, an dem es aber viele Zweige gibt. Da ist die römisch-katholische Kirche, da sind die Orthodoxen, da sind die Anglikaner, da sind die Calviner, da sind die Lutheraner. Alle zusammen sind Zweige an dem einen Baum der Kirche Christi.

Gegen diese Meinung hat der Apostolische Stuhl bereits im Jahre 1864 Stellung genommen. Er hat die „Branch-Theorie“ völlig und ganz zurückgewiesen und dagegen erklärt: Christus hat eine einzige Kirche gegründet, nicht mehr. Diese einzige Kirche ist identisch mit der römisch-katholischen Kirche, nicht auch mit anderen. Und die römisch-katholische Kirche trägt alle Kennzeichen – ohne Ausnahme – an sich, welche der Kirche Christi eigen sind. Diese Lehre, diese immerwährende Lehre der Kirche ist auch vom II. Vatikanischen Konzil übernommen worden. Es heißt da etwa: „Christus der Herr hat eine einige und einzige Kirche gegründet. Die Einheit der einen und einzigen Kirche besteht unverlierbar in der katholischen Kirche.“ Vor allem hat das II. Vatikanum die Meinung zurückgewiesen, es könnten die verschiedenen religiösen Gemeinschaften unsichtbar zur Einheit des geheimnisvollen Leibes Christi verbunden sein. Nein, sagt das II. Vatikanum: „Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft bilden eine einzige, komplexe Wirklichkeit. Dies ist die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen.“ Und dann noch einmal zusammenfassend: „Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft eingerichtet und geordnet, besteht in der katholischen Kirche.“ Und eine letzte Bemerkung: „Die einzig wahre Religion ist verwirklicht in der römisch-katholischen Kirche.“ Also mit der „Branch-Theorie“ ist es nichts. Diese „Branch-Theorie“ ist eine Irrlehre, und von dieser Irrlehre muß sich jeder katholische Christ, der echten kirchlichen Sinn hat, distanzieren.

Aber dann kann man sogleich die zweite Frage anschließen: Besteht nicht doch eine irgendwie geartete Verbindung zwischen den nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften und der katholischen Kirche? Diese Frage kann bejaht werden. Denn die nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften haben aus ihrer Trennung von der katholischen Kirche geistliche Werte, die der katholischen Kirche eigen sind, mitgenommen. Das II. Vatikanische Konzil zählt bei den einzelnen Religionsgemeinschaften diese Werte auf. Es sagt: Bei den Orthodoxen gibt es ein wahres Priestertum und eine echte, volle Eucharistie. Die Protestanten haben immerhin die Heilige Schrift, und sie haben die Taufe. Diese Elemente der Kirche nennt man mit einem – wie ich meine – glücklichen Ausdruck vestigia Ecclesiae. Vestigia ist ein lateinisches Wort und heißt „Spuren, Fußspuren“. Das scheint mir sehr treffend ausgedrückt zu sein. Diese Elemente, welche die nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften aus der Spaltung von der katholischen Kirche herausgerissen und mit sich genommen haben, sind Fußspuren der katholischen Kirche. Die katholische Kirche hat gewissermaßen einen Eindruck bei ihnen zurückgelassen, eben in diesen Elementen wie Heilige Schrift, Priestertum, Eucharistie. Und durch diese Elemente sind die nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften in irgendeiner Weise mit der katholischen Kirche verbunden. Diese Fußspuren gehören zwar als rechtmäßigem Eigentümer der katholischen Kirche, aber sie hören nicht auf, in den nichtkatholischen Religionsgemeinschaften ihre Wirksamkeit zu entfalten. Sie verweisen auf die katholische Kirche. Insofern kann man von einer gewissen Verbundenheit der nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften mit der katholischen Kirche sprechen.

Man darf sie freilich auch nicht übertreiben, denn es ist keineswegs so, wie man auch aus dem Munde hochgestellter Persönlichkeiten hören kann, daß der Glaube zwischen Katholiken und Orthodoxen im wesentlichen der gleiche sei. Mitnichten. Die Orthodoxen ermangeln vieler Glaubenswahrheiten, die mit göttlichem und katholischem Glauben anzunehmen und zu bekennen sind. Den Orthodoxen fehlt es sodann in der Lehre an der Konsequenz und in der Leitung an der Einheit. Jede orthodoxe Kirche – so bezeichnen sie sich selbst – ist eine Landeskirche. Da gibt es eine serbische orthodoxe Kirche, eine makedonische, eine griechische, eine russische. Sie sind Landeskirchen, und das bedeutet natürlich auch abhängig von der Bevölkerung, abhängig vom Staat. Es fehlt vor allem den Orthodoxen an der Konsequenz. Der jetzige griechische Ministerpräsident Papandreou beispielsweise ist dreimal von seiner sogenannten Kirche getraut worden – nach Scheidung wohlgemerkt. Das muß man auch dazusagen, wenn man die Verwandtschaft von Orthodoxen und Katholiken ausspricht.

Bei den Protestanten ist es ähnlich. Das II. Vatikanum rühmt, daß sie die Heilige Schrift verehren, daß sie ihre göttliche Autorität anerkennen. Zweifellos gibt es evangelische Christen, die eine wahre und echte Liebe zur Heiligen Schrift haben. Ohne Frage gibt es evangelische Christen, die an die göttliche Autorität der Heiligen Schrift glauben. Aber es gibt auch andere, sehr viele andere. Alle diese schönen Bemerkungen haben nicht gehindert, daß zahlreiche protestantische Schrifterklärer die Geschichtlichkeit von Person und Werk Jesu sowie seine göttliche Natur bestreiten. Und die angebliche Anerkennung der göttlichen Autorität hat nicht verhindert, daß protestantische Schrifterklärer vieles als unverbindlich erklären, was in der Heiligen Schrift als verbindlich ausgesagt wird.

Die dritte Frage lautet: Sind die nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften von Bedeutung für das Heil? Da hat nun das II. Vatikanische Konzil eine Aussage getroffen, die so nicht stehen bleiben kann. „Ebenso sind die getrennten Kirchen und Gemeinschaften trotz der Mängel, die ihnen nach unserem Glauben anhaften, nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heils. Denn der Geist Christi hat sich gewürdigt, sie als Mittel des Heiles zu gebrauchen, deren Wirksamkeit sich von der der katholischen Kirche anvertrauten Fülle der Wahrheit und Gnade herleitet.“ Der Ausdruck, der mich stört, ist: „Der Heilige Geist hat sich gewürdigt, sie als Mittel des Heiles zu gebrauchen.“ Die nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften stehen außerhalb der katholischen Kirche. Sie stehen sogar im Gegensatz zu ihr. Denn sie lehnen sie ab, und sie bekämpfen sie. Wie soll es möglich sein, daß der Heilige Geist gleichzeitig die katholische Kirche als universales Mittel des Heiles einsetzt und daneben andere Gemeinschaften anerkennt, die ebenfalls Mittel des Heils seien, die seine Heilsanstalt bekämpfen und ablehnen? Damit trägt man ja den Zwiespalt in Gott selbst hinein. Wie kann denn Gott sagen: Es gibt ein einziges allgemeines Heilsmittel, nämlich die katholische Kirche, aber nein, daneben gibt es auch noch andere Heilsmittel? Die einen erreichen das Heil durch die katholische Kirche, die anderen durch ihre Gemeinschaften. Das ist nicht zu vereinbaren. Diese Aussage kann nicht so stehen bleiben.

Insofern diese nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften eine Sonderexistenz haben, insofern sie die katholische Kirche ablehnen und bekämpfen, sind sie nicht Mittel des Heils. Was in ihnen heilswirksam ist, das sind die Spuren der Kirche, die vestigia Ecclesiae. Sie sind auch noch wirksam nach der Trennung. Aber die Gemeinschaften als solche mit ihrer Struktur und ihrer Organisation und mit ihrer Abweisung der katholischen Kirche sind kein Mittel des Heiles.

Wiederum hat niemand klarer gesprochen in dieser Frage als der unvergeßliche Papst Pius XII. Er hat die getrennten Christen eingeladen zur Rückkehr in das gemeinsame Vaterhaus. Er hat sie als Irrende bezeichnet, die aufgefordert sind, in das gemeinsame Vaterhaus heimzukehren. Die Spuren der Kirche, die bei den nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften vorhanden sind, drängen zur katholischen Einheit. Sie verweisen auf die katholische Kirche. Sie sind kein gültiges Eigentum der nichtkatholischen religiösen Gemeinschaften, sondern sie sind Eigentum der katholischen Kirche, und sie verweisen auf die Einheit mit dieser einen und einzigen Heilsanstalt Gottes.

Uns, meine lieben Freunde, obliegt es, der Rückkehr der getrennten Christen zu unserem Teil den Weg zu bereiten. Das geschieht nicht zuerst durch Worte, sondern das geschieht zuoberst durch Taten. Wenn unser Leben gültig als Zeugnis der Wahrheit Christi gelebt wird, wenn wir wirklich durch Beispiel und Vorbild für Christus und seine Kirche zeugen, wenn wir die Kirche so anziehend machen, wie es nur möglich ist durch unser tadelfreies, reines, heiliges Leben, dann wird bei den besten nichtkatholischen Christen eines Tages die Sehnsucht erwachen, heimzukehren in das Vaterhaus, heimzukehren zu dem gemeinsamen Vater aller Christen, den wir den Heiligen Vater in Rom nennen.

Amen.

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