Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Tod, Fegefeuer, Hölle und Himmel (Teil 8)

25. November 1990

Die Einwände gegen die kirchliche Höllenlehre

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Hölle ist ein Geheimnis, denn sie ist das Geheimnis der Sünde. So wie der Himmel die Vollendung der Gottverbundenheit ist, so ist die Hölle die Auswirkung der Sünde. Weil die Hölle ein Geheimnis ist, können wir wie über alle theologischen Gegenstände nur in analoger Weise von ihr sprechen. Analog heißt, die Begriffe und Vorstellungen, die wir auf die Hölle anwenden, sagen etwas Richtiges. Die Hölle ist diesen Begriffen und Vorstellungen ähnlich, aber sie ist noch mehr unähnlich als ähnlich. Denn unsere Begriffe und Vorstellungen stammen aus der Erfahrung und sind an der Erfahrung bewährt, passen also im eigentlichen Sinne nur auf die Erfahrung. Wenn wir sie jetzt übertragen auf etwas, was unserer Erfahrung unzugänglich ist, nämlich auf die Hölle, dann müssen sie notwendig eine Einbuße an Wirklichkeitsgehalt erleiden. Diese Sprechweise nennt man deswegen analog, verhältnisentsprechend.

Die Hölle ist die Auswirkung der Sünde. Die schwere Sünde oder Todsünde – es ist kein Unterschied zwischen schwerer Sünde und Todsünde – ist die mit freiem Willen und wider besseres Wissen vollzogene Verletzung eines göttlichen Gesetzes in einer für den Aufbau des Gottesreiches wichtigen Angelegenheit. Die schwere Sünde ist Abwendung von Gott und unzulässige Hinwendung zum Geschöpf. In der schweren Sünde vollzieht der Mensch seine gottwidrige Selbstbehauptung.

Die Hölle ist die Vollendung der Sünde, denn wer mit einer schweren Sünde diese Welt verläßt, wer bis zum Tode seine Sünden nicht bereut und nachgelassen bekommen hat, in dem bleibt die Sünde, in dem wird die Sünde ein ewiger Zustand. Wer mit einer unbereuten Todsünde diese Erde verläßt, der lebt ewig in der Hölle. Der Verdammte ist in der Sünde verstockt, er verharrt in der Sünde, er erstarrt in der Sünde. Er setzt nicht einen neuen sündhaften Akt, sondern er bleibt in dem sündhaften Akt, den er auf Erden gesetzt hat. Er sagt nicht etwa einmal: Ich möchte von der Sünde los, und dann setzt er einen neuen Akt der gottwidrigen Selbstbehauptung, nein, er verharrt bei der Empörung gegen Gott, die er auf Erden vollzogen hat. In der Verdammnis reift die Sünde freilich zu ihrer vollendeten Gestalt, denn die Verdammten erkennen sich und besitzen sich mit größerer Kraft, als der Mensch es auf Erden tut. Sie haben eine größere Einsicht in die Schuldhaftigkeit der Sünde, als es in der Pilgerzeit möglich ist. Deswegen scheint es denkbar, daß sich ihre Sünde in der Ewigkeit zum Gotteshaß entfaltet. Nicht als ob der Mensch in der Verdammnis eine neue Sünde setzte, sondern infolge der veränderten Situation, in der er sich selbst mit größerer Kraft und Einsicht besitzt, vollzieht er auch die Abwendung von Gott mit einem größeren Einsatz.

Die Hölle ist der Zustand der Gottesferne. Die Verdammten sind von Gott geschieden. Von Gott gesondert sein heißt, von der Wahrheit und vom Lichte getrennt sein. Die Verdammten leben deswegen in der Kälte und in der Finsternis. Sie sind von Gott getrennt und leben in gottwidriger Selbstbehauptung und Empörung. Sie leben daher im Widerspruch zu sich selbst. Sie vergewaltigen ihr eigenes Wesen, denn dieses ist gottentstammt. Der Mensch kommt ja von Gott her, ist mit Gott verwandt wegen dieser Herkunft. Und deswegen ist der Mensch auf Gott angewiesen und auf Gott hingewiesen. Das Wesen des Menschen ist ein einziger Schrei nach Gott. Daß der Mensch auf Erden diesen Schrei überhören kann, hängt damit zusammen, daß er die Sünde nicht so in sein Blickfeld bekommt, wie es an sich nötig wäre, weil er sich an den irdischen Wirklichkeiten ergötzt und sich hinwegtröstet über seine Feindschaft zu Gott. Dieser Trost ist dem Verdammten versagt. Die Welt ist von ihm weggeflohen, und kein Geschöpf kann ihm helfen, seine furchtbare Verlassenheit zu erleichtern.

Die Herkunft von Gott wirkt sich aus in der Sehnsucht nach Gott. Der Mensch hat ein tiefinnerliches Verlangen nach Gott, Er hat ein unabänderliches und ein unausrottbares Bedürfnis, bei Gott daheim zu sein. Diese Sehnsucht nach Gott wird dem Verdammten niemals erfüllt. Das wesenhafte Verlangen bleibt, aber es kann nicht erfüllt werden, denn der Verdammte bejaht seine Sünde, also die Zerstörung der Seele. So lebt er im Widerspruch mit sich selbst. Er vergewaltigt sein eigenes Wesen, er verwundet sein eigenes Wesen. Sünde ist ja immer auch eine Verwundung des menschlichen Wesens. Sie ist Empörung gegen Gott, aber sie ist auch Verwundung des menschlichen Wesens. Und diese Verwundung wird in dem Verdammten eine ewige Verwundung. Der Verdammte lebt also im Widerspruch, weil er sein eigenes Wesen vergewaltigt. Der Widerspruch erhebt sich noch aus einer anderen Wurzel; er kann nämlich Gott nur hassen in der Kraft Gottes. Wenn er sich gegen Gott empört, dann nur, weil Gott ihn im Sein erhält. Ein doppelter Widerspruch bricht also im Verdammten auf.

Dieser Widerspruch bereitet ihm eine unausdenkbare Qual. Denn von Gott getrennt sein, zu dem das ganze Wesen des Menschen ruft, das ist ein Schmerz, der alle ausdenkbaren Schmerzen des Menschen übersteigt. Wenn schon auf Erden Menschen, weil sie das geliebte Du nicht erreichen können, zum Selbstmord greifen – Leiden des jungen Werther –, dann um soviel mehr in der ewigen Hölle, weil hier kein anderer Trost mehr vorhanden ist, den sich der Mensch auf Erden immerhin verschaffen kann. Der Verdammte lebt deswegen auch in der Sinnlosigkeit, sein Leben ist sinnlos. Es ruft mit allen Fasern nach Gott, und dieser Ruf wird niemals erfüllt werden, er kann niemals erfüllt werden. Gott gibt dem Verdammten keine Bekehrungsgnade mehr, weil er sie nicht mehr will. Der Verdammte lebt in dem Zustand, den er sich gewünscht hat, indem er sich gegen Gott empörte. Aber dieser Zustand ist das nackte und unverhüllte Grauen.

Die Sinnlosigkeit des Verdammten erhellt auch daraus, daß zum menschlichen Leben die Liebe und die Hoffnung gehören. Ohne Liebe und Hoffnung scheint uns das Leben sinnlos zu sein; und so ist es auch. Der Verdammte hat weder Liebe noch Hoffnung. Ihm fehlt nicht nur diese oder jene Hoffnung, ihm fehlt jede Hoffnung. Er hat keine Zukunft, sondern nur eine ständige, unabänderliche, grauenvolle Gegenwart.

Für den Verdammten gibt es auch keinen Trost in der Gemeinschaft der Verdammten. Man könnte denken, daß die Verdammten, alle durch das gleiche Los betroffen, sich gegenseitig trösten nach dem Grundatz „Geteiltes Leid ist halbes Leid“. Ein solcher Trost ist nicht möglich, denn die Verdammten sind nicht von der Liebe Gottes durchwirkt, weil sie unvollendet, weil sie zerrissen sind, weil sie sich gegen Gott zu Wehr setzen. Und weil sie von der Liebe Gottes nicht durchwirkt sind, sind sie der selbstlosen Liebe zu anderen nicht mehr fähig. Sie vermögen kein Wort der Liebe zu sprechen. Es ist ihnen daher unmöglich, ein Gespräch zu führen; sie sind stumm. Das Gespräch ist doch für uns Menschen das Medium unserer Verbundenheit. Dieses Medium ist den Verdammten versagt. Weil sie keine Liebe mehr haben, entbrennen sie in Haß gegeneinander. Das Wort „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ gilt für sie nicht. Sie müssen eine furchtbare Einsamkeit aushalten.

Die Verdammnis wird einst auch den Leib ergreifen. Wir wissen, daß schon auf Erden die Qualen des Leibes, Krankheiten und Unglücksfälle, Vorboten des Todes sind. Leid und Tod haben aber ihre Wurzel in der Sünde. Wir müssen deswegen annehmen, daß auch, wenn die Verdammten mit ihren Leibern vereinigt werden – auch sie werden ja einmal auferstehen –, diese Leiber ungeordnet, verwundet, unansehnlich und qualvoll beschaffen sind. Die Verdammten werden also nach ihrer Auferstehung keinen Anteil haben an dem verklärten Himmel und an der verklärten Erde. Die neue Lebensform, die ihren Mittelpunkt im verklärten Leibe Christi hat, kann von ihnen nicht ergriffen werden, weil ihre Seinsart nicht so beschaffen ist, daß sie daran teilnehmen könnten. Im Gegenteil, ihre Qual wird sich vermehren, wenn ihnen bewußt wird, daß jetzt, nach der Auferstehung von den Toten, die Seligen in verklärten Leibern Christus zujubeln, ihm danken und ihn preisen in alle Ewigkeit.

Die Strafen, welche die Verdammten erleiden, werden unterschieden in die Strafe des Verlustes und in die Strafe der Empfindung. Die Strafe des Verlustes ist die Erfahrung der ewigen Gottesferne, der in der gottwidrigen Auflehnung vollzogenen Entfernung von Gott. Dazu kommen aber die Strafen der Empfindung. Gott läßt zu, daß die Verdammten auch durch die Natur gepeinigt werden. Die Strafen der Empfindung sind Autoritätsstrafen. In ihnen rächt Gott das Unrecht, das die Verdammten getan haben, in der Weise, daß sich die Schöpfung gegen sie wendet. Das Vorgehen Gottes entspricht damit genau dem Verhalten der Verdammten. Sie haben in ihrer Sünde die Welt vergötzt, sie haben Irdisches verehrt, wie man nur Gott verehren kann, das Geld oder die Macht oder den Ehrgeiz oder den Genuß. Jetzt wendet sich die vergötzte Welt gegen sie, so daß sie von ihr gefesselt werden. Jetzt werden sie von dieser Welt, die sie nicht verwaltet, sondern vergewaltigt haben, gepeinigt. Die Welt betrachtet sich als Herrn über sie und macht die Verdammten zu ihren Sklaven. Das ist die Strafe der Empfindung, eine Summe von Übeln, die Gott über die Verdammten verhängt.

Davon ist in der Schrift die Rede, wenn es heißt: „Der Wurm, der nicht stirbt, das Feuer, das nicht erlischt“, wenn von Finsternis und Kälte draußen, Heulen und Zähneknirschen gesprochen wird, das ist die Strafe der Empfindung. Wie diese Strafe im einzelnen beschaffen ist, darüber fehlen uns nähere Angaben. Es ist nicht so – das werden wir am nächsten Sonntag erkennen –, daß die Hölle gewissermaßen wie ein heißer Backofen bereitsteht, und dort die Menschen hineingeworfen werden. Das ist eine ganz falsche Auffassung. Diese Auffassung werden wir am kommenden Sonntag auf ihre richtigen Maße zurückführen. Aber eines ist sicher: Es gibt eine Strafe der Empfindung, die zu der Strafe des Gottverlustes hinzutritt.

Wir aber, meine lieben Freunde, wollen uns das zu eigen machen, was fromme Seelen seit vielen Jahren beten, wenn sie den Rosenkranz in der Hand halten, nämlich: „O mein Jesus, verzeihe uns unsere Sünden! Bewahre uns vor dem Feuer der Hölle! Führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen!“  Amen.

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