Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Tod, Fegefeuer, Hölle und Himmel (Teil 2)

14. Oktober 1990

Der Tod als Ende des irdischen Lebens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Tod ist das unwiderrufliche Ende des irdischen Lebens. Das Leben kann nicht ein zweites Mal durchlaufen werden;. es ist einmalig und unwiederholbar. Wir nennen die Lebensphase auf Erden den Stand des Weges und die Lebensphase in der Ewigkeit den Stand des Endes. Das Leben, das nach dem Tode beginnt, ist nicht etwa bloß die Fortsetzung oder die Verlängerung des irdischen Lebens. Es ist ein Leben ganz anderer Art, qualitativ verschieden vom irdischen Leben. Die Unähnlichkeit dieses Lebens mit dem irdischen Leben ist größer als die Ähnlichkeit.

Es haben im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder Theologen versucht, die Endgültigkeit des Abschlusses des irdischen Lebens durch den Tod zu bestreiten. In der alten Kirche war es der Kirchenschriftsteller Origenes und seine Schüler, wie Euagrius Ponticus, Didymus der Blinde, Gregor von Nyssa. Origenes lehrte die apokatastasis tou pantou – die Wiederherstellung aller Dinge. Auch diejenigen, so ist seine Meinung, die in die Hölle kommen, haben die Möglichkeit, von Stufe zu Stufe emporzusteigen, bis auch sie endlich erlöst werden, sogar der Teufel. Das Glaubensbewußtsein der Kirche hat sich immer entschieden gegen derartige Meinungen gewandt. Das II., das III., das IV. Konzil von Konstantinopel, das II. Konzil von Nizäa, das Konzil von Florenz haben diese Lehre verworfen und verurteilt. Das Konzil von Florenz (1439) hat erklärt: Es gibt nach dem Tode keine Möglichkeit mehr für Verdienste oder für Sünden. Der Mensch hat keine Gelegenheit, mit seiner Entscheidung etwas an dem endgültigen Schicksal zu ändern, das ihm im Tode bestimmt wird.

Die Heilige Schrift bezeugt diese Wahrheit an vielen Stellen. Denken Sie, meine lieben Freunde, an das vom Herrn erzählte Gleichnis vom reichen Prasser und vom armen Lazarus. Das Geschick beider wird nach dem Tode sofort und für immer entschieden. Der reiche, selbstsüchtige Mann, der sein Leben in Genuß verbracht hat, wird für immer in der Hölle begraben, und der Arme, der ein Leben der Dürftigkeit und der Buße geführt hat, wird in den Schoß Abrahams – das ist ein anderer Ausdruck für die Seligkeit des Himmels – versetzt, ebenfalls für immer und ewig. Auch im Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen wird uns gelehrt, daß das Schicksal, das dem Menschen im Tode bereitet wird, unwiderruflich ist. Die klugen Jungfrauen, die bereit und zugerüstet sind, gehen für immer ein in die ewige Freude, und über dem Leben der törichten Jungfrauen, die nicht vorbereitet sind, steht für alle Ewigkeit das Wort „Zu spät!“.

Die Apostel haben die Verkündigung des Herrn aufgenommen. Nach Paulus ist jetzt die Zeit des Säens. In dieser Zeit muß man den Samen in die Furche werfen. Wenn die Zeit der Ernte gekommen ist, ist es zu spät. Das Leben ist hier ein Wettkampf, und nur wer diesen Wettkampf bis zum Ende durchzieht, gewinnt den Siegespreis. Nach dem Johannesevangelium ist jetzt die Zeit des Tages, die Zeit des Lichtes. In dieser Zeit muß man wirken. Es kommt die Nacht, in der niemand mehr wirken kann.

Die Lehre von der Unwiderruflichkeit der Entscheidung, die sich im Tode ereignet, ist vom Menschen immer wieder angefochten worden. Der Mensch schaut auf die Natur, und was sieht er dort? In der Natur sieht er den dauernden Wechsel von Werden und Vergehen. Es lösen sich ab die Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst und Winter, in einem ständigen Kreislauf. Und wer sich wie ein Stück Natur begreift, der kann meinen, daß es mit dem Menschen ebenso sei. Und so sind die Lehren von der Seelenwanderung entstanden. Sie haben ihre Heimat in Asien, im nachvedischen Indien, sind von dort in den Buddhismus eingedrungen und von da auch in die griechische Philosophie. Empedokles, Pythagoras, Platon, der Neuplatonismus haben die Lehre von der Seelenwanderung vertreten. Ja sogar in die evangelische Theologie ist sie übergegangen durch Schleiermacher im vorigen Jahrhundert. Vor allem ist sie lebendig in der Anthroposophie und in der Theosophie. Das Gemeinsame dieser Lehren besteht kurz in folgendem: Die Seele wird, wenn der Leib zerfällt, nicht für immer in die ewige Seligkeit geführt, sondern sie erhält einen anderen Leib. Sie muß viele Leiber durchlaufen, bis sie von ihrer Schuld befreit ist. Goethe hat eine ähnliche Ansicht vertreten. Als sein Freund Wieland starb, sagte er, er hoffe, ihm als Stern erster Größe in Tausenden von Jahren zu begegnen, so wie er selber, Goethe, schon tausendmal dagewesen sei.

Die Lehre von der Seelenwanderung zerstört die Einheit von Leib und Seele. Es ist ja gar nicht der Leib einer bestimmten Seele, den jemand hat, sondern sie durchläuft viele Leiber. Und weil es die Einheit von Leib und Seele nicht mehr gibt, wird die Personhaftigkeit des Menschen zerstört, denn die Person ist die Einheit dieses Leibes und dieser Seele, unverwechselbar und unaustauschbar. Die Lehre von der Seelenwanderung wird auch dem Ernst des Todes nicht gerecht, sie verharmlost den Tod. Denn der Tod ist ja immer nur der Wechsel von einem Leib in einen anderen. Sie beraubt auch das Leben seines Ernstes. Wenn es so ist, daß die Seele unzählige, unabsehbare Existenzen in verschiedenen Leibern hat, dann ist nicht einzusehen, warum ich mich jetzt und hier anstrengen soll, ob ich mich überhaupt anstrengen soll oder in tausend Jahren. Das ist ja ganz gleichgültig, denn die Entwicklung geht immer weiter. Damit wird auch das ganze sittliche Streben zerstört.

Die Lehre von der Seelenwanderung geht auch insofern fehl, als ich nicht in meinem Leben und an meinem Leibe büßen kann für etwas, was ein anderer in seinem Leibe angerichtet hat. Ich kann nur für etwas büßen, was ich selbst getan habe. Ich habe aber kein Bewußtsein von dem, was in einem anderen Leibe geschehen oder unterlassen worden ist. Diese Lehre ist deswegen unhaltbar und mit dem christlichen Glauben, ja mit der Vernunft nicht zu vereinbaren.

Es hat auch andere philosophische Systeme gegeben, die am endgültigen Schicksal des Menschen zu rütteln versuchten, z.B. die Lehre von der ewigen Wiederkehr bei Friedrich Nietzsche. Friedrich Nietzsche hat die Gestalt des Übermenschen erdacht. Das ist ein Mensch, der die Natur, die Geschichte, die Sittlichkeit, ja den ganzen Kosmos erschafft. Und damit der Übermensch alles in seinen Griff bekommt, muß das Vergangene ständig vor ihn hintreten. So hat er eine Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen entwickelt. Auch der deutsche Idealismus im vorigen Jahrhundert, vor allem der Philosoph Hegel, haben solche Meinungen vertreten. Danach ist die Geschichte die Selbstentwicklung des absoluten Geistes. Der einzelne Mensch hat nur die Funktion, bei dieser Selbstverwirklichung des absoluten Geistes mitzuwirken. Wenn seine Funktion erfüllt ist, muß er sterben und fällt in das Allgemeine zurück.

Diese Lehren sind Irrlehren. Sie werden dem Ernst des Lebens und dem Ernst des Sterbens nicht gerecht. Die christliche Lehre weiß darum, daß sich im Tode eine Verwandlung vollzieht, und daß diese Verwandlung bestimmend ist für eine ganze Ewigkeit. Ich will an zwei Stellen der Heiligen Schrift zeigen, daß dies die wahre Lehre ist. In seinem 2. Brief an die Korinther schreibt der Apostel Paulus: „Denn wir sind gewiß, daß, wenn dieses unser irdisches Gezelt abgebrochen wird, wir einen Bau von Gott empfangen, ein nicht mit Händen gemachtes, ewiges Wohnhaus im Himmel.“ Irdische Zeltwohnung – in einem Zelt richtet man sich nicht auf Dauer ein – und ewiges Wohnhaus im Himmel werden hier einander gegenübergestellt. Ähnlich der Apostel Petrus in seinem 1. Brief: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zur lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten zu einem unvergänglichen, unbefleckten, unverwelklichen Erbe, das im Himmel für euch aufbewahrt ist.“ Unvergänglich, unbefleckt, unverwelklich: Diese drei Ausdrücke deuten die immerwährende Dauer des jenseitigen Lebens an, ohne die Möglichkeit einer Änderung. Das hat auch die ganze alte Kirche gewußt, mit den erwähnten Ausnahmen, wenn sie sagte: „Ruhe im Frieden, Ruhe in Gott.“ Diese Ruhe ist ein Ausdruck dafür, daß das Schicksal des Menschen abgeschlossen und für die ganze Ewigkeit bestimmt ist.

Nun erinnern wir uns an unsere Totenliturgie. Da könnte es scheinen, als ob es doch noch eine Möglichkeit der Änderung gäbe, denn da fleht ja die Kirche beim Requiem darum, daß Gott den Toten zum Leben führe, daß er ihn vor dem Abgrund der Unterwelt bewahre. Diese Aussagen in der Totenmesse sind so zu verstehen, daß die Kirche sich in den Augenblick des Abscheidens des Verstorbenen versetzt und daß sie ihre Bitten als auf diesen Zeitpunkt gemünzt formuliert. Es gibt nach dem Tode keine Möglichkeit des Verdienstes oder des Mißverdienstes mehr. Der 2. Petrusbrief sagt z.B.: Es ist ausgeschlossen, daß wir nach dem Tode noch eine Umkehr vollziehen können.

Das alles ist ein Hinweis darauf, wie ernst unser Leben ist. Es ist ein einmaliges, unwiderrufliches, unwiederholbares Leben. Hier wirken wir unser Heil oder unser Unheil. Hier wirken wir unsere Erfüllung oder unsere ewige Nichterfüllung. Da verstehen wir, meine lieben Christen, das Wort, das im Evangelium steht, das aber meines Wissens in keiner Lesung vorkommt: „Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich.“ Ja, das Himmelreich leidet Gewalt, denn man muß gegen sich selbst, gegen das eigene Ich Gewalt gebrauchen, man muß sich überwinden, man muß ringen, man muß kämpfen, man muß leiden auf dieser Erde, denn nur die Gewalt brauchen, reißen das Himmelreich an sich. Der Weg zur Ewigkeit ist kein lässiger Spaziergang, sondern ein immerwährender Kampf, und es wird niemand gekrönt, er kämpfe denn recht.

Amen.

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