Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Tod, Fegefeuer, Hölle und Himmel (Teil 1)

7. Oktober 1990

Der Tod als Folge der Erbsünde

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das menschliche Leben kommt einmal zu seinem Ende. Die Lebensformen auf dieser Erde sind vorläufig. Solange der Mensch auf Erden wandelt, ist er nicht am Ziel. Man nennt die gegenwärtige Lebensform den status viae, das Unterwegssein, den Stand des Unterwegsseins. Er wird abgelöst durch den status termini, durch den Zustand der Vollendung, in dem keine Wandlung mehr erfolgt. Der Einschnitt zwischen diesem irdischen und dem jenseitigen Leben trägt den Namen Tod. Der Tod ist das allgemeine Schicksal aller Menschen. Es gibt einen kirchlichen Glaubenssatz, der lautet: „Alle erbsündigen Menschen müssen sterben.“

Der Ungläubige sieht im Tode allein einen natürlichen Vorgang. Er meint, daß sich eben die physiologischen Gesetze auswirken. Das ist ja auch nicht falsch. Aber es ist unvollständig. Der Tod hat eine natürliche und eine übernatürliche Seite.

Die Naturwissenschaft, die Medizin, vermag die Allgemeinheit des Todes nur bis zu einem gewissen Grade zu erklären. Sie ist nicht imstande, mit absoluter Gewißheit die Notwendigkeit des Todes klarzumachen. Erst die Offenbarung sagt uns, weshalb die physiologischen Gesetze sich im Menschen auswirken. Sie wirken sich aus, weil die Erbsünde die Menschen für den Tod bereitet hat. „Der Tod ist der Sold der Sünde“, sagt der Apostel Paulus. Oder an der berühmten Stelle im Römerbrief: „Gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod, und so auf alle Menschen der Tod deshalb übergegangen ist, weil alle gesündigt haben.“ Und weiter unten: „Wenn durch des einen Sünde die vielen gestorben sind.“ Und wieder weiter unten: „Wenn durch die Sünde des einen der Tod herrschte.“ An allen diesen Stellen wird der Tod auf die Ursünde des ersten Menschen und auf die daraus sich ergebende Erbsünde zurückgeführt.

Der Mensch lebte ursprünglich im Zustand der Gottverbundenheit, der Gerechtigkeit, der Gnade. Der erste Mensch hat diesen Zustand verloren durch seine freie Tat, durch seine Empörung gegen Gott. Was er verloren hat, hat er nicht nur für sich verloren, sondern für die gesamte Menschheit, die gleichsam in ihm vorhanden war. Der Tod, den er sich zugezogen hat, ist auf alle Menschen übergegangen. Im paradiesischen Zustand sollten die Menschen dem Tod nicht verfallen sein. Gewiß war auch er eine Vorstufe, die abgelöst werden sollte durch eine endgültige Lebensweise. Aber es sollte der Übergang nicht durch den Bruch erfolgen, den wir den Tod nennen, sondern es sollte ein von innen kommender Prozeß sein, der den Menschen in jenen Zustand übergeführt hätte, den Christus in seiner Auferstehung gewonnen hat, also den Zustand des Himmels, der Seligkeit. Die physiologischen Gesetze, die den Tod herbeiführen, hätten sich im Urzustand des Paradieses nicht auswirken dürfen. Gott hätte ihnen Einhalt geboten. Daß sie sich jetzt auswirken dürfen, das ist die Folge der Sünde.

Der Tod ist von Christus in einem tiefen und einzigartigen Sinne verwandelt und überwunden worden. Christus war lebendig wie kein anderer, und er war nicht dem Tode verpflichtet, weil er der Reinste von allen, der Sündlose, der Unsündliche war. Trotzdem ist er den Tod gestorben, um das Todesschicksal für alle Menschen aufzuarbeiten. Er hat den Tod durchkostet, und er hat ihn übermächtigt. In ihm hat sich die Todesmacht erschöpft. Er ist nüchtern, klar, wissenden Auges in den Tod gegangen, aber er hat den Tod durch seine Hingabe an den Vater für alle Menschen zum Durchgang in das ewige Leben verwandelt. In seiner Auferstehung sieht man, was auf den wartet, der den Tod überwunden hat, die himmlische Herrlichkeit des Vaters.

Die Menschen, die sich jetzt Christus zu eigen geben im Glauben und in der Taufe, werden mit ihm verbunden. Sie werden teilhaftig der neuen Lebensform, die in Christi Auferstehung hervorgekommen ist. Sie werden mit den Kräften begabt, die die Umwandlung des Menschen in die endgültige Lebensweise bewirken. Der Mensch, der mit Christus verbunden ist, stirbt auch. Es ist die Taufe und der Glaube und die Verbindung mit Christus kein Zauber zur Verlängerung des Lebens. Die todfreie Lebensform kehrt nicht wieder. Äußerlich scheint der gläubige, mit Christus verbundene Mensch genauso zu sterben wir der andere, der nicht mit Christus verbunden ist. Und doch besteht ein wesentlicher Unterschied. Für den mit Christus Verbundenen ist der Tod der Durchgang zum Leben. „Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben.“ Der Gläubige erlebt den Tod als den Verwandler zum ewigen Leben. „Deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben nicht genommen, sondern umgewandelt.“

Das ist also der wesentliche Sinn des Todes des Gläubigen. Er stirbt, weil Gott den physiologischen Gesetzen des Zerfalls die Freiheit läßt, das ist die natürliche Seite, aber er stirbt auch, weil er mit Christus verbunden ist und Christus ihn in seine Herrlichkeit hineinholen will. Auch für den Gläubigen bleibt der Tod das unwiderrufliche Ende des irdischen Lebens. Und dieses Ende ist schmerzlich, weil der Mensch die irdische Lebensform normalerweise liebt und an ihr hängt. Der Tod ist deswegen nicht harmlos geworden für den Gläubigen, obwohl es Menschen gibt, die den Tod als einen lieben Bruder begrüßt haben.

Am Vortage ihres Todes, am 6. Januar 1988, da faltete meine Mutter die Hände und sprach: „Komm, lieber Tod, und hole mich!“ So muß man sterben. Komm, lieber Tod, und hole mich! Wer so stirbt, der begreift den Tod als Boten Gottes, als Engel Gottes, als Bruder, der den Menschen in die ewige Seligkeit holt. Aber noch einmal: Der Tod ist das unwiderrufliche Ende. Er erinnert den Menschen auch an die Sünde; er ist die Erinnerung an seine Schuld. Der Tod ist schmerzlich, weil er Leib und Seele trennt, und diese Trennung ist die Auswirkung der Schuld, die Auswirkung der Sünde. Und der Mensch soll an diese Sünde erinnert werden durch den Tod. Gleichzeitig hat der Tod eine Begleitschaft. Er sendet seine Boten aus. In den Drangsalen und Mühsalen des Lebens, in den Krankheiten und Leiden erkennen wir die Vorboten des Todes; der Mensch lebt in der Weise der Todverfallenheit. Also die Härte und die Gewalt des Todes bleibt auch für den Gläubigen erhalten. Aber er soll sich auf das Sterben vorbereiten. Deswegen sendet ihm Gott die Boten. Er soll wie einer leben, der weiß, daß er sterben muß.

In Rom gibt es das Grabmal eines frommen Kardinals. Auf diesem Grabmal stehen die Worte: „Ut moriens viveret, vixit ut moriturus“. Das heißt zu deutsch: „Damit er beim Tode zu leben anfange, lebte er wie einer, der sterben muß“. Ein wunderbarer Satz. Damit er im Tode zu leben anfange, lebte er wie einer, der sterben muß. Er lebte auf den Tod hin. Er hat den Tod nicht verdrängt, sondern er hat den Tod bewußt in sein Leben hineingenommen, und das hat bedeutet, daß er die irdischen Lebensformen immer als vergänglich ansah, daß er sich gelöst hat von der Verflochtenheit, von der Versklavung an die irdischen Schätze, daß er, wie der heilige Apostel Paulus sagt, „sein Fleisch gekreuzigt hatte mit seinen Lüsten“, daß er die Ich-Verfangenheit, die Selbstsucht überwunden hatte. Das heißt  auf den Tod hinleben. Das heißt leben wie einer, der sterben muß.

Wer den Tod in der rechten Gesinnung auf sich nimmt, der beweist dabei die Haltungen, die dafür von Gott vorgesehen sind, nämlich er nimmt den Tod hin als Buße und Gehorsam. Als Buße, das heißt als Strafe für die Sünde. Er stellt sich unter das Kreuz und erinnert sich, daß in diesem Kreuze das Gericht über die Sünde, auch über seine Sünde, erfolgt ist. Er erinnert sich, daß Christus durch seinen Tod die Menschen mit Gott versöhnt hat, und daß diese Sühne, diese durch seine Lebenshingabe vollzogene Sühne auch ihm zugute kommt, und daß er also diesen Tod verdient hat, den Christus für ihn gestorben ist, und den er jetzt nun auch nachvollziehen muß. Als Buße, als Strafe muß er ihn verstehen. Aber auch als Gehorsam. Gott kommt durch den Tod, ihn zu holen. Der Tod ist der Bote Gottes. Wenn Gott ruft, dann muß man ihm folgen. Wenn diese irdischen Lebensformen zerbrechen, wenn Gott sie zerbrechen läßt, dann ist es Zeit; dann sagt Gott: Komm, laß den Spaten stehen! Du hast genug gearbeitet. Komm heim in die Wohnungen, die ich dir bereitet habe. Und wer so stirbt, in der Gesinnung der Buße und des Gehorsams, der stirbt wohl. Die große Kaiserin Maria Theresia, diese herrliche Frau, sagte vor ihrem Tode: „Ich fürchte den Tod nicht. Es ist mir, als ob ich von dem einen Zimmer in ein anderes gehe.“ Wahrhaftig, wer so stirbt, der stirbt wohl!

So ist also der Tod auch der Bote Gottes, der Bote der Liebe Gottes, die uns heimholt, und da verstehen wir dann die Äußerungen der Bibel und der Liturgie. Als der Apostel Paulus in Rom gefangen saß, da ward er von widerstrebenden Empfindungen erfüllt. Er schrieb damals an die Gemeinde in Philippi: „Für mich ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn.“ Man staunt – das Sterben Gewinn! „Wenn das Leben im Fleische für mein Wirken fruchtbar ist, so weiß ich auch nicht, was ich wählen soll. Es zieht mich nach beiden Seiten hin. Ich habe das Verlangen aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein, was um vieles besser wäre. Im Fleische zu bleiben ist aber notwendig um euretwegen.“ Der Apostel Paulus sieht also das Sterben als Gewinn an, weil er weiß: Im Sterben finde ich Christus. Im Sterben kehre ich in die endgültige, unwiderrufliche Gemeinschaft mit Christus ein. Der Tod ist der Umwandler zu dem Leben mit Christus. Und so sagt es ja auch die ergreifende Präfation in der Totenmesse: „Es ist in Wahrheit würdig und recht, billig und heilsam, dir immer und überall Dank zu sagen, heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott, durch Christus, unseren Herrn. In ihm leuchtet die Hoffnung seliger Auferstehung. Wohl drückt das unabänderliche Todeslos uns nieder, allein die Verheißung künftiger Unsterblichkeit richtet uns empor.“ Und jetzt der entscheidende Satz: „Deinen Gläubigen, o Herr, kann ja das Leben nicht geraubt werden. Es wird nur neu gestaltet. Wenn diese Herberge ihres Erdenwandels in Staub zerfällt, steht ihnen eine ewige Heimat im Himmel bereit.“

Das ist unsere Zuversicht, das ist unsere Sehnsucht, das ist unsere Hoffnung. Und sie wird sich erfüllen, meine lieben Freunde, wenn wir treu bleiben bis zum Ende.

Amen.

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