5. Oktober 2025
Kämpfen oder dulden?
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im Mittelpunkt der christlichen Religion steht die leidende Liebe des Gottmenschen und der unerschöpfliche Quell dieser Liebe, sein vom Kreuz überragtes und von Dornen umranktes Herz. Carl Sonnenschein hat einmal geschrieben: „Diese Religion, die einen gepeitschten Sklaven auf die Altäre stellt, versteht etwas vom Leiden.“ Diese Tatsache lässt uns die Frage stellen, ob das Christentum nur das Leiden gelten lasse, ob in einem vollkommenen Christenleben das Leid auch abgelöst werden könne von der Freude, ob wir uns wehren dürfen gegen das Leiden. Vielleicht haben wir alle schon vor der Frage gestanden: Soll ich kämpfen oder dulden? Gestattet mir die christliche Religion zu kämpfen oder gebietet sie mir zu dulden? Jesus hat weder das Kämpfen noch das schweigende Dulden einfachhin geboten oder verboten. Es kommt darauf an, was wir in den verschiedenen Lagen unseres Lebens in unserer Seele tragen. Es kommt darauf an, aus welchen letzten Gesinnungen wir entweder kämpfen oder leiden. Es kommt darauf an, wer unser Ratgeber beim Kampf und wer unser Berater beim Dulden ist; ob es ein Engel ist, ein Engel des Lichtes, oder ein Dämon, ein Engel der Finsternis. Es gibt drei seelische Haltungen, mit denen ein Mensch in den Kampf ziehen kann. Er wird zum Kämpfer aus Hass, oder er wird zum Kämpfer aus Angst, oder er wird zum Kämpfer aus Liebe.
Der Kampf, der aus Hass hervorgeht, steht immer im Widerspruch zu dem christlichen Sittengesetz; denn jeder Hass ist böse, widergöttlich und also unchristlich. Hass ist die direkte Verleugnung der Liebe, nicht nur ein Versäumnis, eine Unterlassung, ein Mangel an Liebe, sondern die Verleugnung der Liebe. Die Liebe will schenken, helfen und dienen, der Hass aber will nehmen, rauben, vernichten, will verneinen, niederreißen und ausrotten. Der Hass ist die Verneinung des Guten, also ist er böse. Der vielbewunderte Reichskanzler Otto von Bismarck erklärte einmal: Für die Liebe habe ich meine Frau, für den Hass habe ich Ludwig Windhorst, den Führer der katholischen Zentrumspartei. Er meinte, sowohl mit der Liebe wie mit dem Hass leben zu können. Doch es gibt kein Wesen, das wir hassen dürften. Nicht einmal den Beleidiger Gottes dürfen wir hassen, um wieviel weniger den eigenen Beleidiger, den eigenen Todfeind; um wieviel weniger dürfen wir den Irrenden hassen oder den Andersdenkenden. Eine verkehrte Geistesverfassung müssen wir ablehnen; aber um ihretwillen ihren Träger hassen, das ist unrecht. Weil wir so weit als möglich von jedem Hass entfernt sein müssen, darum gebot uns Christus, sogar den Feind zu lieben. Wenn der Mensch den Feind nicht wirklich liebt, wird er ihn unvermeidlich hassen. Darum muss auch jeder Kampf, der aus Hass hervorgeht, untersagt sein für jeden, der Christi Jünger und ein Glied seines heiligen Volkes sein will. Es kommt hierbei auf die innere Einstellung an, die Gesinnung. Es ist nicht wesentlich, zu welchen Mitteln dieser Hass greift, ob er mit brutaler Gewalt über den Feind herfällt oder ob er ihn durch wirtschaftliche Mittel oder auf dem Rechtsweg zu vernichten strebt, ob er mit bloß innerem Hasswillen den Gegner verfolgt oder ob er auch zu Worten und zu Gebärden fortschreitet, ob er dem Feind bloß den Gruß verweigert oder ob er ihn mit Schmähung verfolgt. Alle diese Umstände können zwar die Schuld vergrößern oder verkleinern, aber eine Schuld ist immer da, wo ein Hasswille ist. Für eine von Hass erfüllte Seele ist kein Kampf erlaubt. Selbst ein Kämpfen, ein Sichwehren und Sichverteidigen, das an sich berechtigt wäre, wird schlecht, wenn er von Hass eingegeben ist. Darum gebot uns Christus, den hasserfüllten Kampf immer, absolut und um jeden Preis zu vermeiden. Wer gegen seinen Feind oder auch nur seinen Angreifer nicht anders kämpfen kann als durch Hass und mit Hassgesinnung, der darf sich überhaupt nicht zur Wehr setzen. Der Christ muss lieber Unrecht leiden als selber Unrecht tun.
Es gibt einen Kampf, der von Angst eingegeben ist, von der Lebensangst oder von der Todesangst. Das sind wohl die meisten Kämpfe, die sich auf dieser Erde abspielen. Die Kämpfe der Menschen, ja selbst der Völker gehen zumeist aus Angst hervor, aus der Furcht, verdrängt und geschädigt zu werden, in lebenswichtigen Belangen verkürzt zu werden. Diese Angst ist ein Instinkt, ja eine Lebensnotwendigkeit. So sind auch die Kämpfe, die wir Menschen unter dem Gebot des Selbsterhaltungstriebes führen, einfach naturhaft und in sich ebenso notwendig und berechtigt wie die Sorge für unser Dasein und Leben. Sittlich oder unsittlich werden sie erst, wenn der frei überlegende Geist zu diesem Angsttrieb Stellung nimmt und ihn formt und lenkt. So kann die Notwehr eine Leistung sittlicher Vernunft werden. Die Abwehr eines Volkes gegen einen ungerechten Angreifer kann eine Tat hochstehenden Gemeinschaftswillens sein. Die Russen haben zur Abwehr von Hitlers Überfall den „Großen Vaterländischen Krieg“ ausgerufen und unerhörte Opfer an Gut und Blut gebracht. Freilich kann der Trieb der Selbsterhaltung entarten und die Seele in Schuld verstricken. Unter dem Einfluss der Angst entsteht leicht auch das Gefühl des Hasses und daraus auch die Gesinnung des Hasses. Der Selbsterhaltungswille kann leicht zu niedriger Selbstsucht werden. Die Grenzen der Verteidigung werden leicht überschritten. Der natürliche Instinkt kann auch zu zänkischem und bitterem Wesen, zu Kleinlichkeit und Misstrauen führen. Das krankhafte Misstrauen ist eine Gefahr, der auch der edle Kämpfer erliegen kann. Es gibt im Privatleben der Einzelnen und der Familien bittere Fehden, die von gegenseitigem ängstlichem Misstrauen ausgelöst werden. Aus diesen Erwägungen wird sich der sittliche und erst recht der christliche Mensch prüfen, bevor er zum Kampf, zur Abwehr und Verteidigung aus dem Gefühl der Selbsterhaltung greift. Vor allem wird er prüfen, ob seine Gesinnung frei ist von niederer Begierde und bösem Hasswillen. Wenn das nicht der Fall ist, dann wird er lieber schweigen, ertragen, dulden.
Das letzte Wort zu dem Problem „Kämpfen oder Dulden?“ hat die Liebe. Die Liebe kann alles: kämpfen und dulden. Sie weiß, wann es Zeit ist zum Kampf und wann es Zeit ist zum Leiden. Wenn die Liebe kämpft, dann ist es ein Kampf aus Liebe, also nicht ein Vernichtungswille, sondern ein Wohlwollen auch gegen den bekämpften Feind. Wer aus Liebe kämpft, der wird nicht eng und kleinlich sein in seinem Kampf. Denn er kämpft für mehr als für seinen eigenen Vorteil. Er kämpft für ein geliebtes Wesen außer ihm, er kämpft für Gott und für die Menschen, denen er helfen und dienen, die er retten will. Freilich kann und muss die Liebe auch dulden zu ihrer Zeit. Dulden muss sie dann, wenn der Kampf zum Ärgernis würde, oder wenn der Kampf nur noch größeres Unheil über geliebte Menschen, über ein geliebtes Volk bringen würde; dulden muss sie auch dann, wenn jeder Kampf aussichtslos wäre. Der engste militärische Berater Hitlers, Alfred Jodl, hat berichtet, ihm ebenso wie Hitler sei angesichts der Katastrophe des russischen Winters deutlich geworden, dass kein Sieg mehr errungen werden konnte. Aber der Krieg wurde jahrelang, völlig sinnlos, weitergeführt. Ganz anders Jesus. Er hat nicht gegen Kaiphas und gegen Pilatus gekämpft, sondern nur geduldet. Er wusste, dass bei diesen Menschen der persönliche und politische Eigennutz keinen geistigen Kampf mehr erlaubte. Sie verstanden nur die Sprache der Gewalt. Aber Gott und sein Sohn können mit der bloßen Gewalt nichts anfangen. So musste der Sieg der Welterlösung durch eine schweigende und duldende Passion vollbracht werden. Und das eben ist das Wunder, das sich in Christi Leben geoffenbart hat: dass Dulden aus Liebe schließlich und endlich stärker sein kann als jeder Kampf. Duldend hat Christus die Welt erlöst, schweigend ließ er sich zur Schlachtbank führen und hat gerade so den Tod überwunden. Leidend hat er zur Herrlichkeit seines Vaters eingehen müssen. Das stellvertretende, das gutmachende, das sühnende Leiden hat eine größere Kraft als aller Kampfwille und alle Tapferkeit wehrhafter Menschen. Es hat eine allmächtige Kraft, weil es sogar die Gerechtigkeit Gottes entwaffnet und der Liebe Gottes die Bahn freigibt. So sei also die letzte Entscheidung immer bei der Liebe. Haben wir wirklich Liebe zu unserer Familie, dann werden wir immer wissen, wann wir für diese Familie kämpfen müssen und wann wir für diese Menschen und mit ihnen dulden müssen. Haben wir wirklich Liebe zu unserem Volk, dann werden wir immer wissen, wie wir andere Völker zu behandeln haben. Haben wir wirklich Liebe zu unseren Kindern und Zöglingen, zu unseren Lebens- und Arbeitsgenossen, dann werden wir immer wissen, wann wir diesen Menschen etwas abschlagen müssen, ihnen wehtun müssen zu unserem eigenen Herzeleid, und wann wir das Schwere ihnen ersparen und auf uns selbst nehmen dürfen in schweigendem Dulden. Haben wir wirklich Liebe zu unserer eigenen Seele, zu unserem Heiland und zu unserem Gott, dann werden wir immer wissen, ob wir ein Kreuz umfangen und einen bitteren Kelch austrinken müssen oder ob wir ihn abwenden dürfen durch kämpfende Selbsthilfe. Das Leben ist unendlich reich und mannigfaltig, aber auch unendlich dunkel und verworren. Da gibt es schließlich nur ein Licht, das diese Welt und dieses Leben erhellt: das ist die Liebe. Nur einen wahrhaften Mut: das ist der Mut zur Liebe, darum nennt man ihn auch Großmut. Nur einen heiligen Krieg: das ist der Kampf der Liebe. Nur einen wahrhaft großen Heldentod: das ist der Opfertod aus Liebe.
Amen.