Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. Oktober 2022

Was ist Gott?

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Entscheidend in unserem Leben ist, dass wir Gott kennen, dass wir ihm einen Namen geben; dass wir wissen, was ist mein Gott und wo ist mein Gott. Wir haben von Gott gehört und gelesen. Aber ist Gott schon das, was er uns sein soll? Ist er eingegangen in unsere innersten Gedanken? Ist er die Kraft unseres Willens, die Form unseres Lebens geworden? Ist Gott unser Vater, unser Freund, unser Vertrauter? Ist er unser Mittelpunkt, von dem wir ausgehen, auf den alles bezogen ist? Wir wollen ihm die Namen geben, die ihm aus unserer menschlichen Einsicht gegeben werden können. Es sind vier Namen: Gott ist unser großes Geheimnis, unser großes Erlebnis, unser großer Reichtum, unsere große Verheißung.

I. Unser großes Geheimnis

Gott ist unser großes Geheimnis, nicht wegen der Rätsel, die er uns aufgibt, sondern wegen der Fülle seiner Größe und seines Reichtums. Der Begriff Gottes ist die größte Leistung des menschlichen Geistes. Zwar nicht die Leistung unseres Geistes allein, Gott hat uns offenbar dazu geholfen. Dazu haben beigetragen die griechischen Philosophen Plato, Aristoteles, Zeno, die Stoiker, die Theologen Augustinus, Hieronymus, Chrysostomus, Basilius, die großen religiösen Menschen des Morgen- und des Abendlandes bis auf den heutigen Tag. Jeder hat dazu beigetragen, der je nach Gott Ausschau gehalten hat. Auch wir haben dazu beigetragen. „Wir alle bauen an dir mit zitternder Hand, türmen Atom auf Atom. Aber wer kann dich vollenden, du Dom?“ (Rilke). Mit jedem Gedanken, der auf Großes und Schönes geht, mit jedem guten Werk tragen wir bei zum Begriff Gottes. Ein Begriff, der die Wirklichkeit meint, wenn er sie auch nicht abbildet. Es ist der schwerste Begriff, der am meisten von der Erfahrung abführt, in die unerforschlichen Tiefen der Ewigkeit hinein. Ein Geheimnis ist es um das Dasein Gottes, das so sehr aller Erfahrung entrückt ist. Er geht nicht ein in unsere Retorten und Apparate, in unsere Druckanzeiger und Manometer, in unsere Fernrohre und Mikroskope. Niemals werden wir das Dasein Gottes durch ein Experiment erweisen; denn er ist unerfahrbar. Die Gottesbeweise sind nützlich. Die Gottesbeweise beruhen, wie jede wissenschaftliche Erkenntnis, auf den Grundprinzipien des Seins und Denkens: des Widerspruchs, des hinreichenden Grundes und der Kausalität. Diese verschiedenen Beweisformen gehen von feststehenden Erfahrungstatsachen aus, die durch keine spätere Forschung umgestoßen werden können. Die Gottesbeweise sind hilfreich. Wenn wir ehrlich sind, können wir uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir um Gottes Existenz wissen. Am meisten wissen wir es in den tiefen, den innerlichen, den aufgewühlten Stunden. Dostojewski schreibt: „In meinem ganzen Leben bin ich eigentlich niemals einem gottlosen Menschen begegnet, Das gibt es nicht. Wohl einem Ruhelosen, einem Friedlosen, aber niemals einem Gottlosen. Irgend einmal kommt eine Stunde, wo jeder Mensch Gottes gedenkt, zu ihm ruft oder ihm flucht; irgend einmal, wo er Gott lobt oder ihn lästert, irgend einmal kommt es über jeden Menschen.“ Von Josef Stalin wird berichtet, dass er, als die deutschen Truppen kurz vor Moskau standen, in eine Kapelle im Kreml gegangen sei. Von Adolf Hitler sagen intime Kenner des Mannes aus, dass er vor seiner Selbsttötung mit Eva Braun gebetet habe. In jedem Falle gilt: Gott ist ein großes Geheimnis. Aber unsere Seele weiß es, dass da noch jemand ist hinter den Erscheinungen der Welt. Hinter dem vielgestaltigen Vorhang sieht sie seine Augen auf uns gerichtet, sieht sie die Hand Gottes, sieht sie das Geheimnis Gottes.

II. Gott unser großes Erlebnis

Erlebnis ist die Erkenntnis einer Wirklichkeit, die uns bis ins Innerste ergreift, von der wir ganz erfasst, durchformt, durchwühlt werden bis ins Innerste. Solche Erlebnisse gibt es. Es kommt darauf an, dass Gott unser Erlebnis wird: das Dasein Gottes, der Name Gottes, die Größe Gottes, die Furchtbarkeit Gottes. Darauf kommt es an, dass wir einmal, wenn auch nur einmal, so vor Gott stehen, dass wir gleichsam durchbohrt werden von einem Strahl seines Lichtes. Einmal müssen wir Gottes Herrschaft erleben. So furchtbar sie auch ist, so niederschmetternd, aber es ist wohl notwendig. Es gibt Stunden in unserem Leben, in denen uns nur das eine halten kann: Es ist der Herr. Ich bin die Magd, der Knecht, und habe nichts zu sagen als: Es geschehe nach deinem Willen. Es ist der Herr, der alle Macht besitzt, alle Gewalt; denn jede Gewalt, die es sonst noch gibt, ist von ihm. Es gibt nirgends eine Möglichkeit, sich Gott zu entziehen. Wir können ihm nicht entrinnen. Wir sind von ihm umgeben, umflutet, wie in ein unbegrenztes Meer versenkt, und dieses Meer ist Gott. So weit wir gehen könnten, ist auch die Wirklichkeit Gottes.

Noch in einer anderen Richtung müssen wir Gott erleben: in seiner Vatergüte. Gott ist nicht bloß der Herr, sondern Vater. Das ist ein Urwort, ein Weltwort, in das wir alles Ideale hineinlegen, was sich denken lässt. Menschen vermögen dieses Wort nicht zu erschöpfen. Aber es gibt einen Vater, in dem alle Vaterschaft erfüllt ist. Er meint es so gut, so restlos gut, so selbstlos gut, wie wir es nur denken können. Gott ist das Wesen, das gut ist. Absolut gut ist die Güte selbst. Das müssen wir uns einmal zum Erlebnis gebracht haben. Und das wäre die furchtbarste Verirrung, wenn wir an der Güte Gottes zweifeln würden. In Riga wurde ein evangelisches Mädchen mit 18 Jahren von den Bolschewisten ins Gefängnis geworfen und nach etlichen Monaten erschossen. Es hat in der Gefangenschaft ein Gebet verfasst und es den Mitgefangenen vorgebetet. „Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl. Das macht die Seele still und friedenvoll. Ist doch umsonst, dass ich mich sorg und müh, dass ängstlich schlägt mein Herz, ob spät, ob früh. Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt die Zeit. Dein Plan ist fertig stets und liegt bereit. Ich preise dich für deine Liebesmacht, ich preis die Gnade, die mir Heil gebracht. Du weißt, woher der Wind so stürmisch weht, und wo du gebietest ihm, kommst nie zu spät. Drum wart ich still, dein Wort ist ohne Trug. Du weißt den Weg für mich, das ist genug.“ Das ist das Erlebnis der Vatergüte Gottes.

III. Unser großer Reichtum

Reichtum ist zunächst etwas Äußeres. Doch darauf kommt es nicht an. Es kann ein Mensch sehr reich sein und doch sehr arm. Sodann aber ist Reichtum etwas Inneres. In dieser Bedeutung besagt er die innere Bewegtheit, die innere Dynamik, die Weite unserer Seele, die innere Haltung. Der innere Reichtum hängt am meisten von Gott ab, er ist von Gott in uns erschaffen. Zu unserem inneren Reichtum gehört erstens ein unaufhörliches Suchen und zweitens eine beständige Sicherheit, drittens die Spannung zwischen Glauben und Verstehen, viertens die Spannung zwischen Einsamkeit und Zweisamkeit. Wenn ein Mensch einmal aufhören würde zu suchen, wäre es mit seinem geistigen Leben am Ende. Das immerwährende Suchen, Streben und Wollen, das sehr schmerzlich sein kann, gehört dazu. Aber ebenso eine große Sicherheit, ein beständiges Zuhause, eine letzte Geborgenheit. Das Suchen darf nicht verwirrend, lähmend oder gar hoffnungslos sein. Der reiche Mensch geht unermüdlich auf Gott zu. Darin liegen die Sicherheit und der Friede. In einem reichen Menschen gibt es immer einen Antrieb und gleichzeitig eine Beruhigung für seine Seele.

Zu unserem inneren Reichtum gehört die Spannung zwischen Glauben und Verstehen. Der Mensch, der nichts glaubt, ist ein oberflächlicher Mensch; ihm entgehen die Tiefen der Wirklichkeit und des Lebens. Der Glaube ist Zuversicht auf das, was man hofft, Überzeugung von Dingen, die man nicht sieht (Hebr. 11,1). Der Glaube ergreift etwas, was man nicht sieht, was in der Tiefe und in der Höhe liegt. Der Glaube geht auf das Unendliche, Grenzenlose, Unfassbare. Wer nur das in sich aufnimmt, was er erfahren hat, bleibt sehr arm; das Wichtigste entgeht ihm.

IV. Unsere große Verheißung

Gott ist jetzt noch nicht alles, was er uns sein will. Die Zukunft steht noch vor uns. Gott ist unsere Verheißung, so groß wie Gott selbst. Denn wir haben nichts als Gott. Gott ist unersetzlich. Außer ihm ist nichts notwendig, gar nichts. Wie Dostojewski sagt: „Gott ist mir schon deshalb unentbehrlich, weil er das einzige Wesen ist, das man ewig lieben kann, ohne das wir kein Leben führen können, das diesen Namen verdient.“ Gott ist unentbehrlich. Erfüllen wir uns mit diesem Gedanken: ich brauche Gott, nur Gott. Wenn es darauf ankommt, kann alles zurückbleiben, alles wegfallen, alles enttäuschen, wenn ich nur Gott habe. Gott ist unersetzlich. Und darum ist die Verheißung Gottes so unfehlbar wie Gott selbst. Ein Wort steht in der Heiligen Schrift: „Gott will, dass alle Menschen selig werden.“ Gott will. Sein Wille ist schöpferisch, ist Sturm und Feuer. Wenn Gottes Wille es befiehlt, dann kommt und geht eine Welt. Und dieser schöpferische Wille ist darauf gerichtet, dass alle Menschen selig werden. Das muss geschehen, wenn die Menschen sich selig machen lassen wollen. Denn ein Geistwesen kann man nicht gegen seinen Willen selig machen; das kann auch Gott nicht. Aber wenn wir wollen, dann tritt es mit unfehlbarer Sicherheit ein. Das ist die Krönung unseres Daseins. Und so groß wie Gottes Unerschöpflichkeit ist seine Verheißung. Denn er will sich selbst schenken. Er will uns sein Wort in die Seele flüstern, das Wort Gottes. Er hat nur ein Wort, und er spricht es von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und dieses eine Wort sagt ihn selbst aus und erschöpft sich geradezu, soweit er zu erschöpfen ist – er ist nicht zu erschöpfen. Dieses sein einziges Wort spricht er in unsere Seele. Es ist unbegreiflich, wie unsere Seele es fassen soll, aber er wird es einflüstern, dieses Wort seines eigenen Glückes, seiner eigenen Größe, seiner eigenen Liebe. Wie der Hirsch nach den Wasserquellen sich sehnt, so sehnt sich meine Seele nach dir, o Gott (Ps 41). Wie lieb ich deine Zelte, Herr der Herrscharen. Es verlangt meine Seele und vergeht vor Heimweh nach den Hallen des Herrn (Ps 83). Amen.

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