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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. Juli 2021

Vinzenz von Paul

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In wenigen Tagen werden wir das Gedächtnis des heiligen Vinzenz von Paul begehen. Dieser Mann verdient es, der Vergessenheit entrissen zu werden. Vinzenz von Paul wurde am 24. April 1581 in einem kleinen Dorf bei Pouy im Departement Landes, also in der Gascogne in Südwestfrankreich geboren. Er stammte aus kindereicher Familie. In der Jugend weidete er die Herde seines Vaters. Seine Eltern waren bescheidene Bauern. Sie bestimmten ihren Sohn für den geistlichen Stand. Mit etwa fünfzehn Jahren nahm er seine klerikale Ausbildung auf, und zwar in Dax, später in Toulouse. Mit 19 Jahren wurde er zum Priester geweiht. Seine ungenügenden Studien vor der Weihe nahm er nach der Weihe wieder auf. 1604 wurde er Bakkalaureus der Theologie, 1623 Lizentiat des kanonischen Rechts. In den ersten Priesterjahren war Vinzenz hauptsächlich darum bemüht, eine einträgliche geistliche Stelle zu bekommen. Er betreute ein Pensionat in Toulouse. Seine finanzielle Lage war schlecht, er hatte viele Schulden. 1607 zwang ihn eine Erbschaftsangelegenheit, eine Reise nach Marseille zu unternehmen. Auf der Rückfahrt über das Meer wurde er von türkischen Seeräubern gefangengenommen. Sie verkauften ihn als Sklaven nach Tunis. Hier war er nacheinander bei einem Fischer, einem Alchimisten und einem ehemaligen Franziskaner, der mohammedanisch geworden war, beschäftigt. Es gelang ihm, diesen letzten zu bekehren und mit ihm zu entfliehen. Sie kamen nach Avignon. Ende 1608 ging Vinzenz nach Paris. Er hoffte, ein kirchliches bepfründetes Amt zu erhalten. 1610 wurde er Hausgeistlicher bei Margareta von Valois, der ersten Frau König Heinrichs IV. Später erhielt er eine Zisterzienserabtei in der Diözese Saintes. Er war damals nicht der von Gottes- und Nächstenliebe erfüllte Menschenfischer, als den wir ihn verehren.

Um diese Zeit lernte er Bérulle kennen. Pierre de Bérulle (1575-1629) war ein heiligmäßiger Priester und vielgesuchter Seelenführer. Er ist der Begründer der französischen Schule der Aszese. Seine Bedeutung zeigt sich in seinen Schülern. Zu ihnen zählen außer Vinzenz von Paul Jean Eudes, Louis Grignion de Montfort, Charles de Condren und (mittelbar) Jean-Jacques Olier. Seine Schriften zeichnen sich besonders durch tiefe Erfassung des Geheimnisses der Menschwerdung des Gottessohnes aus. Unter dem Einfluss Bérulles erlebte Vinzenz seine innere Umwandlung. Nach Jahren schwerer Seelenqualen und Glaubenszweifel wandte er sich heldenmütigem Tugendstreben zu und gelobte lebenslangen Dienst an den Armen und Elenden.

Im Mai 1612 wurde ihm die Pfarrei Clichy in der Nähe von Paris übertragen, damals bäuerlich geprägt, heute ein industrieller Vorort von Paris. Vinzenz gab sich nun ganz der seelsorglichen Tätigkeit hin. Er widmete sich mit wahrhaft apostolischer Hingebung seiner Arbeit und wurde ein ausgezeichneter Pfarrer. 1613-25 war er Hausgeistlicher und Erzieher beim Grafen Emanuel de Gondi, dem General der Galeeren, in Paris und auf dessen Landsitz bei Amiens. Seit 1619 war er Oberpfarrer der Galeeren. Er nahm sich der Sträflinge an, erleichterte ihr furchtbares Los und errichtete für sie ein eigenes Krankenhaus in Marseille. Von August bis September 1617 versah er eine Pfarrei in der Diözese Lyon. Hier gründete er die erste „Bruderschaft der Liebe“, eine Vereinigung, die sich der armen Kranken annahm. Die ausführliche Satzung für die „Dames de la Charité“ ist ein Meisterstück der Caritasliteratur. In diesen „Dienerinnen der Armen“ hat Vinzenz sein erstes Werk für weibliche Laienkräfte zur Armen- und Krankenpflege geschaffen. Diese Gründung wurde zum Vorläufer der deutschen Elisabeth- und Frauen-Vinzenzvereine. Allmählich breitete Vinzenz seine intensive Liebestätigkeit auf viele französische Städte aus. Unter seiner Anleitung entstanden neue Bruderschaften. Aber er erkannte, dass er Gefährten brauchte, die ihm in seinem Apostolat helfen konnten.

Als Vinzenz im Dienste des Generals de Gondi stand, wurde er eines Tages zu einem alten, schwerkranken Bauern gerufen, der nicht gewagt hatte, alle Sünden zu beichten und nun eine Generalbeichte ablegen wollte. Voll Freude über den wiedergefundenen Seelenfrieden verkündete er laut, wie glücklich er nun sei. Das veranlasste die Gräfin de Gondi, Vinzenz zu bitten, am Sonntag über die Beichte zu predigen. Er tat es mit solchem Erfolg, dass weitere Beichtväter herangeholt werden mussten. Dieses Erlebnis bewog ihn, in der ganzen Gegend Missionen unter dem armen Landvolk zu halten; eifrige Priester halfen ihm dabei. Die erste Missionspredigt vom 25. Januar 1617 gab den Anstoß zur späteren Gründung der Missionspriester (1625) als drittes Hauptwerk seiner Tätigkeit. So entstand die „Kongregation der Weltpriester für Missionen“. Sie erhielten in Paris das alte Aussätzigenheim Saint-Lazare geschenkt, nach dem diese Priester Lazaristen genannt wurden. Ihre Aufgaben waren die Abhaltung von Missionen und die Heranbildung von Priestern. Vinzenz forderte von ihren Mitgliedern schlichte Herzlichkeit, Verzicht auf kirchliche Würden, einfache Predigtweise, apostolischen Eifer, restlose Hingabe an die Aufgabe der Bekehrung. Man schätzt die Zahl der bis zu seinem Tod vom Pariser Mutterhaus in Frankreich gehaltenen Volksmissionen auf 800. Die junge Kongregation entwickelte sich gut. Sie wirkte zunächst in verschiedenen Städten Frankreichs, später (1643) auch im Ausland. Vinzenz konnte sogar in Algier und in Tunis sowie auf Madagaskar regelrechte Missionsstationen gründen. 1620 stiftete Vinzenz eine Bruderschaft für männliche Laienkräfte (Serviteurs des pauvres), die zweite Großtat seiner barmherzigen Liebe. Sie wurde zum Vorbild für die Vinzenzvereine (Ozanam).

Vinzenz lag die Seelsorge an den Priestern besonders am Herzen. Er tat viel dafür, die Ausbildung des Klerus zu verbessern. Vinzenz gründete Priesterseminare und suchte die Bischöfe zur Förderung dieser Gründungen zu bewegen. Die Weiheexerzitien, die er in Saint-Lazare veranstaltete, formten unzählige Priesterkandidaten. Er machte das Haus zu einem Exerzitienhaus. Durch die Exerzitien wirkte er auf den Klerus und die Laien. 1633 führte er die „Dienstagskonferenzen“ ein. Jahrzehnte hindurch hielt er jeden Dienstag für die Geistlichen von Paris Konferenzen, Vorträge, die sehr stark besucht waren. Aus seinen Dienstagskonferenzen gingen 22 (von ihm vorgeschlagene) Bischöfe hervor. Bei seinen Unternehmungen fand Vinzenz oft die wirksame Unterstützung des Hofes, besonders der Königin, Anna von Österreich, und der Herzogin von Aiguillon, einer Nichte des Kardinals Richelieu. Im Jahre 1643 berief ihn die Königin in den „Conseil de Conscience“, der die Ernennungen für die hohen Kirchenämter vornahm. Hier konnte Vinzenz manche gute Bischöfe vorschlagen.

Als „Großmeister helfender Liebe“ erwies sich Vinzenz durch die Stiftung der „Filles de la Charité“, der Barmherzigen Schwestern, in Deutschland Vinzentinerinnen genannt (1633). Sie trugen seinen Namen in alle Welt und in die Zukunft. Mit ihnen hat Vinzenz den Typ der modernen Fürsorgerin geschaffen. Sie waren nicht durch klösterliche Klausur wie die Frauenorden gebunden, konnten in die Armenquartiere hinausgehen, sie vermochten Hausarmenpflege und Familienfürsorge, Krankendienst und andere frauliche Fürsorgewerke zu übernehmen. Die Barmherzigen Schwestern breiteten sich schnell in allen christlichen Ländern aus. Sie waren (1960) bis zum nachkonziliaren Zusammenbruch die größte Kongregation der Kirche (45.540). Sie haben sich in den Verfolgungen der Kirchenfeinde bewährt. Die Vinzentinerinnen hatten in der Französischen Revolution mehrere Martyrinnen. Im Spanischen Bürgerkrieg wurden etwa 30 Schwestern ermordet. Die Vinzentinerinnen sind die ersten, die als Barmherzige Schwestern auf den Schlachtfeldern erschienen und sich der Verwundeten annahmen.

1640 gründete Vinzenz ein Werk für die Waisenkinder. Es entsprach einer dringenden sozialen Notwendigkeit. Denn zu dieser Zeit wurden in Paris jährlich vierhundert Kinder ausgesetzt. In Mâcon ordnete er zur Beseitigung der starken Bettelplage die Wanderfürsorge neu. 30 Jahre lang war Vinzenz Oberer der Salesianerinnen und Seelenberater der heiligen Franziska von Chantal. Frankreich hatte im 17. Jahrhundert eine Anzahl hervorragender, heiligmäßiger Priester. Sie kannten sich und arbeiteten nach Möglichkeit zusammen. Vinzenz stand in Kontakt mit Adrien Bourdoise und Jean-Jacques Olier, war befreundet mit Franz von Sales, hatte Einfluss auf Jacques Bénigne Bossuet, war Mitglied in der Gesellschaft vom heiligsten Altarsakrament, nahm lebhaften Anteil an den äußeren Missionen.

Vinzenz von Paul ist eine säkulare Gestalt. Er ist der Begründer einer allgemeinen, planmäßigen und organisierten Fürsorge für die Elenden dieser Erde. Durch seine Gründungen erreichte die Liebestätigkeit zahllose Menschen. Der Dreißigjährige Krieg bot ihm viel Gelegenheit, den Armen und Elenden zu helfen. Damals bewahrte er ganze Landstriche vor dem Hungertod, leistete die Kriegsfürsorge in Lothringen, in der Picardie und in der Champagne, organisierte die Flüchtlingsfürsorge in Paris. Er errichtete Volksküchen mit Eintopfgericht. Vinzenz war Helfer der Armen, Tröster der Kranken, Vater der Waisen und Findelkinder, Befreier von Christensklaven, Betreuer der Galeerensträflinge, Verpfleger ganzer Provinzen in Kriegs- und Hungersnot. Er wirkte über den unermesslichen Kreis der Elenden und Geplagten dieser Erde hinaus. Er schärfte das soziale Gewissen weiter Kreise. Es bliebe sonst unerklärlich, wie die ungeheure Summe von über 50 Millionen Goldfranken durch seine Hände gehen konnte, um durch ihn verteilt zu werden. Neben und über aller Leibessorge standen Vinzenz die Werke der geistlichen Barmherzigkeit. Scharf bekämpfte er die Irrlehre des Jansenismus.

Woher nahm Vinzenz die Kraft für seine zahlreichen Unternehmungen? Er war trotz aller rastlosen Tätigkeit für die Bedrängten dieser Erde ein tief innerlicher, gottverbundener Mensch. Er lebte in der Gnade. Im stetigen Gebet weihte er sein Wirken dem König Christus. Die tägliche Feier des Messopfers kräftigte ihn für seine übermenschlichen Anstrengungen. Vinzenz verstand es, aus den geistigen Grundlagen (totale geschöpfliche Abhängigkeit, gestützt auf Christi Menschwerdung) die für das Leben praktischen Folgerungen zu ziehen: „Sich leer machen von sich selbst“, „Jesus Christus anziehen“, „Instrument Jesu Christi sein“ – das waren seine Grundsätze. Im Umgang war er meist von gütigem Ernst, leutselig, hatte Sinn für Humor. Seine Demut war wohl nicht zuletzt Selbstschutz gegen die Gefahr ständig wachsender Erfolge. Seine unbedingte Gottergebenheit und schlichte Frömmigkeit wirkten sich in freudigem Tatenchristentum aus. So wurde dieser Held der Nächstenliebe „der Unerreichte in allen Landen“ (Wichern). Vinzenz von Paul besaß praktischen Sinn und organisatorische Begabung. Er griff Anregungen anderer auf, führte, bäuerlich bedächtig und vorsichtig, ohne Ehrgeiz und Wirkungsfieber, alles allein tun zu wollen, seine Pläne mit ausdauernder Arbeitskraft aus. Vinzenz packte überall selbst an: „Lieben wir Gott“, so sagte er, „aber auf Kosten unserer Arme und im Schweiße unseres Angesichts!“ Die eifrigen katholischen Christen verehrten ihn wie einen Heiligen. Seine Gottes- und Nächstenliebe sowie sein strenges Leben besaßen eine außerordentliche Strahlkraft; sie wurde durch seine ausgedehnte Korrespondenz noch verstärkt. Zahlreiche Aufzeichnungen von Zuhörern haben uns seine Ansprachen an die Barmherzigen Schwestern und an die Lazaristen bewahrt. Seine Lehre war einfach, aber solide und tief.

Die übermenschlichen Anstrengungen untergruben die Gesundheit des Vinzenz. Lange Zeit litt er an Sumpffieber, der Malaria. Seit 1655 nahmen seine Kräfte zusehends ab, das Gehen fiel ihm schwer. Anfang 1660 war er fast gelähmt. Aber sein Verstand blieb bis zum Ende klar. Nach einem kurzen Todeskampf starb er am Morgen des 27. September 1660. Sein Begräbnis glich einem Triumphzug. Vinzenz von Paul wurde im August 1729 selig-, im Juni 1737 heiliggesprochen. Leo XIII. erhob Vinzenz 1885 zum Patron aller Vereinigungen der Barmherzigkeit. Er ist auch Patron der Hospitäler. Die Heiligen sind Freunde Gottes, dessen Gnade in ihnen nicht unwirksam geblieben ist; auserwählte Werkzeuge in der Hand des Weltregierers; Starke, die das verwirklicht haben, was als Ideal die Sehnsucht jeden Menschens guten Willens ist; innerliche Menschen, denen die Seligpreisungen Christi gelten, und zugleich Menschen von weltweiter Wirkung. Möchten wir ihnen nicht ganz unähnlich sein!

Amen.

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