Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. Mai 2020

Christi Himmelfahrt II

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Gegen den christlichen Glauben von der Himmelfahrt Christi erhebt sich ein Einwurf: Christus habe seine eschatologischen Aussagen vom Standpunkt des antiken Weltbildes aus gemacht. Da dieses seit Kopernikus hinfällig ist, hätten auch jene Aussagen den Boden verloren. Der evangelische Theologe David Friedrich Strauß spottete, dass nunmehr für Gott und die Heiligen im Himmel kein Platz mehr sei, denn dieser sei schon von anderen Dingen – wie Sternen – vollbesetzt. Man nimmt also an, dass die „Alten“ den Himmel Gottes als lokale, sichtbare Größe verstanden haben und ebenso die Hölle in den Tiefen der Erde. Die „Alten“ sollen in dem Wahn eines „dreistöckigen Weltbildes“ befangen gewesen sein: der Himmel „oben“, die Hölle „unten“, die Erde „inmitten“. Es geht also um das Weltbild und seine Auswirkungen auf theologische Aussagen. Unter „Weltbild“ versteht man die Ansicht, welche die Menschen von der sie umgebenden Wirklichkeit und vom Weltall haben. Es ist bedingt von ihrer Einsicht in die Natur und von der Erfahrung und ändert sich mit dem Wachsen der Erkenntnis. Viele Jahrhunderte hingen die Menschen dem Weltbild des Ptolemäus an. Ptolemäus war ein griechischer Astronom. Er wirkte im 2. Jahrhundert in Alexandrien (Ägypten). Das ptolemäische Weltsystem ist geozentrisch. Die Planeten sowie Sonne und Mond bewegen sich danach um die Erde als Mittelpunkt. Das Neue Testament folgte dem ptolemäischen Weltbild. Es passte sich dem Verständnis und dem Sprachgebrauch seiner Umgebung an. Die Welt als Schöpfung Gottes sieht man tektonisch zwei- oder dreistöckig, entweder nur als Himmel und Erde oder dazu noch das Meer (als Sphäre einer widergöttlichen Macht) bzw. die Unterwelt. Die Kirche fügte (in Aufnahme der Physik des Aristoteles) die biblischen Himmelsvorstellungen dem ptolemäischen Weltbild ein. Der Himmel Gottes wurde als die äußerste Sphäre des Weltgebäudes verstanden, von der aus Gott zu allen Orten der Erde gleich weit entfernt ist. Das ptolemäische Weltbild blieb bis zum Ausgang des Mittelalters unbestritten. Infolge der Erkenntnisse der Naturwissenschaften hat sich das Weltbild gewandelt. An die Stelle des ptolemäischen Weltsystems trat das kopernikanische. Es ist benannt nach dem Frauenburger Domherrn Nikolaus Kopernikus. Das kopernikanische Weltsystem ist heliozentrisch. Danach bildet die Sonne den Mittelpunkt der (kreisförmigen) Planetenbahnen und auch der Erde. Die Erde selbst dreht sich täglich um ihre Achse und wird ihrerseits vom Mond umkreist. Es ist das Verdienst des Kopernikus, ein realistisches Modell des Sonnensystems geschaffen zu haben. Nach dem späteren Einbau der Keplerschen Gesetze lieferte es auch ein beobachtungsgetreues Abbild der Welt im Großen. Weitere Forschungen vertieften die Einsichten, vor allem die Keplerschen Gesetze. Johannes Kepler erkannte die Ellipsenbahn der Planeten. Endgültig anerkannt wurde das kopernikanische Weltbild erst, nachdem Issac Newton das Gravitationsgesetz formuliert hatte; dieses bot eine theoretische Grundlage zur Berechnung der Planetenbewegungen. Das kopernikanisch-keplersche Weltmodell bezog sich anfänglich auf einen endlichen Bereich. Die Sternsphäre bildete den festen Rand, jenseits dessen die natürliche Welt an den transzendenten Bereich grenzte. Diese Begrenzung wurde erst im 16. Jahrhundert bei Thomas Digges (†1595) durchbrochen.

Die Feinde des Glaubens machen einen doppelten Fehler. Erstens. Sie verwechseln die Vorstellung, die sich die Menschen vom Himmel Gottes machen, mit der Wirklichkeit des Himmels, wie sie vom christlichen Glauben ausgesagt wird. Der Himmel als die Welt Gottes ist unanschaulich. Um überhaupt davon sprechen zu können, greifen wir auf räumliche Kategorien zurück. Wir reden von „oben“, von der „Höhe“. Aber wir wissen, dass die Welt Gottes transzendent ist, dass sie nicht nur jede Höhe, sondern auch jede Erfahrung übersteigt. Mag man zu der Zeit, in der die Menschen dem ptolemäischen Weltbild folgten, die religiösen Aussagen in die Elemente dieses Weltbildes eingekleidet haben, so war dies lediglich die Hülse, das Futteral, das Etui, das die Glaubenswahrheit in sich barg. Das Christentum ist nicht mit dem ptolemäischen Weltbild verknüpft, sondern es hat sich bemüht, seine ewigen Wahrheiten zur Zeit, als dieses Weltbild herrschte, im Anschluss an dieses Weltbild auszudrücken. Die Anhänger dieses Weltbildes waren nicht so töricht, zu meinen, Gott wohne im Wolkenhimmel. Wenn sie den Blick in die Höhe richteten, zielte ihr Herz nicht auf die Wolken, sondern auf Gottes Wirklichkeit. Der Himmel, der ein Bestandteil der Welt ist, diente als Symbol, als Sinnbild für den Himmel, der mit Gott verbunden ist. Die Christen wussten immer, dass der Himmel Gottes über den Wolkenhimmel erhaben ist. Heute noch beten wir in der Pfingstnovene: König der Glorie, Herr der Heerscharen! Als Sieger bist du heute über alle Himmel emporgestiegen.

Zweitens. Die Feinde des Glaubens, die sich für ihre Ansicht auf die Veränderungen des Weltbildes stützen, machen einen grundlegenden Fehler. Sie verwechseln die Erkenntnisse der Naturwissenschaften mit den Glaubenssätzen der Religion. Das Weltbild ist eine Sache der Naturwissenschaften, hat mit der Religion nichts zu tun. Der Glaube ist unabhängig vom Weltbild. Die Naturwissenschaften meinen mit dem Himmel das scheinbare Gewölbe, das sich über dem Horizont eines Beobachters aufspannt, wo die Sterne ihre Bahnen ziehen. Dieser Himmel steht unserer Erfahrung offen. Wir beobachten die Wolken, sehen den Flug der Vögel, steigen ins Flugzeug und entsenden Raumfahrer zum Mond und anderen Planeten. Von diesem Himmel sagt das 1. Buch der Heiligen Schrift: „Zu Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Mit „Himmel und Erde“ ist das Weltganze gemeint. Vom Schöpfungsakt her gesehen ist der Himmel der obere Teil der Welt, die aus Himmel, Erde und Meer oder aus Erde und Himmel besteht. Kosmologisch ist der Himmel die Welt der Sterne, der Milchstraße und der Kometen.

Wenn der Glaube vom Himmel spricht, meint er nicht den Himmel im kosmologischen Sinne, sondern im theologischen Sinne. Vorbildlich ist die englische Sprache, die vom Sternenhimmel als sky, vom Himmel Gottes als heaven spricht. Der Himmel im naturwissenschaftlichen Sinne und der Himmel im religiösen Sinne sind zwei total verschiedene Wirklichkeiten. Die eine stört nicht die andere.

Der Himmel im theologischen Sinne ist die Dimension des Göttlichen und der Zustand der unmittelbaren Gottesnähe. Er ist kein Bestandteil des Weltalls. Gott hat die Welt erschaffen, aber der Himmel Gottes ist nicht erschaffen. Er existierte schon vor der Erschaffung der Welt. Gott lebte seit Ewigkeit in der ihm eigenen Wirksphäre. Der Wirkraum Gottes ist kein Teil der Schöpfung. Gott hatte nicht nötig, sich einen Wirkraum zu schaffen; ein solcher ist mit seiner zeitlosen Existenz gegeben. Vom Himmel im theologischen Sinne wird keine Schöpfung ausgesagt. Er ist so unerschaffen wie Gott selbst. Denn er ist Gottes Wohnung und Gottes Machtbereich; er ist so ewig wie Gott selbst. Der Himmel Gottes ist transzendent, d.h. er übersteigt jede Erfahrung, ist unzugänglich wie Gott selbst. Der kosmische Himmel ist dem Himmel Gottes nicht im Weg. Sie berühren sich nicht und sie behindern sich nicht. Der Glaube an den Himmel und an die Himmelfahrt des Herrn ist unabhängig von dem jeweiligen Bild, das sich die Menschen von der Wirklichkeit der Erde und des Weltalls machen. Christus erwähnt Himmel und Hölle häufig, aber ohne Angabe einer Örtlichkeit. Er gibt keine Topographie (Lagebeschreibung) des Jenseits. Wenn er davon spricht, er sei von „oben“ gekommen, vom Vater, und die Zuhörer seien von „unten“, von der Erde, so ist das nicht lokal, physisch gemeint, sondern religiös, spiritual. Wenn hier und dort bei ihm ein lokalgefärbter Begriff wie Paradies und Abrahamsschoß vorkommt, so erkennt man sofort die biblische Redeweise. Die Jünger Jesu haben sein Verständnis des Himmels übernommen. Nach Paulus wohnt Gott im unnahbaren Lichte (1 Tim 6,16), ist also weder mit dem stärksten Teleskop zu entdecken noch mit dem gewaltigsten Raumschiff zu erreichen. Die Ausdrücke, der Gekreuzigte ist „droben“ (Kol 3,1), „in der Höhe“ (Hebr 1,3), wollen nicht örtlich verstanden werden. Sie bekunden seine Weltüberlegenheit und seine Herrschermacht. Himmel im religiösen Sinne ist Dimension des Göttlichen, Machtsphäre Gottes, des Vaters; Ausgangsort des Geistes, der Stimme wie des Zornes Gottes. Der Himmel ist die Heimat des präexistenten Christus, Sitz des auferstanden Sohnes Gottes, des zweiten Adam, des wiederkehrenden Menschensohnes, Wohnung der Engel, Stätte der Heilsgüter. Im Himmel wird den Glaubenden der Auferstehungsleib bereitgehalten, haben sie ihre Bürgerschaft, sind ihre Namen aufgeschrieben. Der Himmel in diesem Sinne ist jenseits aller Physik und Astronomie. „Wo Gott ist, da ist auch der Himmel“ (Karl Barth). Himmel ist die „Welt“ Gottes, die Stätte, in der sich Gott den Seligen offenbart. Der Himmel ist dort, wo die Seele ihre Glückseligkeit genießt; diese besteht in der Anschauung Gottes, in der Teilnahme an dem Sein und Leben Gottes.

Heinrich Heine erklärte in der Zeit, da er ungläubig war, den Himmel überlasse er den Engeln und Spatzen. Damit machte er sich einer peinlichen Verwechslung schuldig. Der Himmel der Sperlinge und der Himmel der Engel sind total verschieden. Wir gläubigen Christen wissen zu unterscheiden zwischen dem Himmel der Vögel und der Wolken und dem Himmel, aus dem der Gottessohn herabgestiegen und in den er zurückgekehrt ist. Der eine unterliegt der Erfahrung, der andere ist jenseits jeder Erfahrung. Wenn wir beten: Vater unser, der du bist im Himmel, meinen wir nicht das Gewölbe über unserem Haupte, wo die Wolken ziehen und von wo wir den Regen wie den Sonnenschein erwarten. Wenn wir beten, Vater unser, der du bist im Himmel, dann denken wir an die jenseits aller Schöpfung existierende Sphäre Gottes, wo die Engel immerfort das Antlitz des himmlischen Vaters schauen, an das Haus, in dem viele Wohnungen sind, wohin der Herr vorangegangen ist, um uns ein Heim zu bereiten. Wir können bezüglich unseres Glaubens gänzlich unbesorgt sein. Religion und Naturwissenschaft stehen nicht gegeneinander; sie führen beide zu Gott, wenn auch auf verschiedenem Wege.

Amen.   

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