Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. April 2020

Emmaus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Auferstehung Christi war ein geschichtliches Ereignis, das nach Ort und Zeit festliegt. Ihr Ergebnis war die Existenz des Auferstandenen. Dieser blieb nicht in der Verborgenheit. Vielmehr: Der auferstandene Christus hat sich gezeigt, hat sich sehen lassen. Er ist nach seiner Auferstehung erschienen, nicht einer einzigen Person, sondern vielen, nicht einmal, sondern wiederholt. Die Zeugen der Erscheinungen haben den erscheinenden Christus geprüft, inspiziert und kontrolliert. Seine Wirklichkeit wurde zweifelsfrei festgestellt. Die erste Erscheinung des auferstandenen Herrn geschah vor Frauen, die mit Jesus aus Galiläa nach Jerusalem gekommen waren. Sie waren anwesend, als Joseph von Arimathäa den Leichnam Jesu bestattete. Sie kamen am ersten Tag der Woche – am Sonntag – ganz in der Frühe zum Grabe. Als sie in das Grab hineingingen, fanden sie es geöffnet, aber der Leichnam war verschwunden. Zwei Engel traten an sie heran und sprachen zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern auferstanden. Sie kehrten sogleich heim und verkündigten das alles den Elfen und den übrigen. Zu den übrigen gehören die beiden Männer, die am (Oster-) Sonntag von Jerusalem nach Emmaus wanderten. Der eine wird nachher mit Namen genannt: Kleopas. Der von Lukas genannten Entfernung (60 Stadien) würde am besten das heutige, 64 Stadien (= 12 km) nordwestlich von Jerusalem gelegene Kubebe entsprechen. Man wird annehmen dürfen, dass die zwei Jünger deswegen nach Emmaus gingen, weil es das Heimatdorf wenigstens des einen von ihnen war. „Sie redeten miteinander über all das, was sich ereignet hatte.“ Damit sind die erschütternden Ereignisse der letzten Tage gemeint. Plötzlich taucht Jesus vor ihnen auf und schließt sich ihnen an. Aber nur der Leser weiß, dass er es ist. Die beiden Wanderer erkennen ihn nicht, weil er von ihnen zunächst nicht erkannt werden wollte. Ehe er sich ihnen zu erkennen gibt, will er sie durch sein Wort darauf vorbereiten. Er sprach zu ihnen: „Was sind das für Reden, die ihr miteinander auf dem Wege führt?“ Diese Frage ergibt sich ungezwungen aus ihrem bisherigen äußeren Verhalten, das auch jeder Fremde bemerken konnte, ihrem lebhaften Gespräch. Auf seine Frage hin bleiben sie mit düsteren Mienen stehen; das offenbart die Stimmung, in der sie sich befinden und (wie dies der eine von ihnen sogleich ausspricht) ihr Erstaunen darüber, dass ein Jerusalemer überhaupt fragen kann, worüber sie gesprochen haben. Die neue Frage des Unbekannten veranlasst die beiden Jünger, vollends aus sich herauszugehen und der tiefen Enttäuschung Ausdruck zu geben, die ihnen der Karfreitag gebracht hat.

Die Führer des Volkes haben dem, von dem sie gehofft hatten, er werde die Befreiung Israels von seinen Feinden bringen, ein schmähliches Ende bereitet. Diese Worte beweisen, dass ihre Vorstellung von der Messiaswürde Jesu noch ganz die jüdische war. Sie erwarteten von ihm die politische Befreiung von der Fremdherrschaft der Römer. Von der Erkenntnis, dass sein Tod „die Erlösung Israels“ bedeutete, sind sie weit entfernt. „Heute ist schon der dritte Tag (nach jüdischer Zählung), seitdem dies geschehen ist.“ Drei Tage umschwebt nach jüdischer Ansicht die Seele noch den Körper. Dann erst verlässt sie ihn endgültig und gibt ihn der Verwesung preis. Damit ist dann jede Hoffnung auf Rückkehr des Toten in das Leben dahin. Nun haben mehrere Frauen die aufregende Nachricht gebracht, sie hätten das Grab leer gefunden und in einer Engelerscheinung die Mitteilung erhalten, dass der Tote lebe. Aber diese ist durch die Nachprüfung einiger Jünger nicht bestätigt worden; sie haben nur das Grab leer gefunden. So ist an die Stelle eines anfänglichen leisen Hoffnungsschimmers nur ein neues dunkles Rätsel getreten. Denn – so denken die beiden Jünger – würde Jesus wirklich leben, dann würde er sie nicht ihrem Kummer und ihrer Enttäuschung überlassen, sondern längst zu ihnen geeilt sein. Diese Worte des einen Jüngers sind äußerst bedeutsam. Denn darin finden die wirklichen Gedanken der durch den Karfreitag in ihrem Glauben an die Messiaswürde Jesu erschütterten Jünger getreuen Ausdruck. Sie halten Jesus auch jetzt noch für einen von Gott mit prophetischer Kraft ausgestatteten Mann. Aber als den Messias hat er sich nicht erwiesen. Denn sein Ende ist wohl vereinbar mit der Würde eines Propheten, aber nicht mit ihrer Vorstellung vom Messias. Denn Gott hat seinen schmählichen Tod nicht verhindert und seinem Selbstzeugnis die Bestätigung versagt. Wäre die Emmauserzählung eine Schöpfung der christlichen Legende, so würde sie die zwei Jünger nicht so denken und sprechen lassen. Der Zusammenbruch ihres Glaubens beweist, dass bei ihnen die psychologischen Voraussetzungen fehlten für ein visionäres Erlebnis, bei dem sie Jesus als lebend zu sehen geglaubt hätten. Sie sind nicht geneigt, die Osterbotschaft der Frauen leichtgläubig anzunehmen. Jesus ist für sie tot und ihr Glaube an ihn mit ihm.

Während sie dem Totgeglaubten hoffnungslose Gedanken nachtrauern, geht der Lebende mit ihnen und gibt ihnen das entscheidende Heilandszeugnis über Gottes Ratschluss mit dem Erlöser. Weil er von ihnen noch nicht erkannt wird, verweist er sie nicht auf die einst in Galiläa gegebenen Leidensweissagungen, sondern auf die Weissagungen der alttestamentlichen Propheten. Ihr Herz, das hält er ihnen tadelnd vor, ist zu schwerfällig, um alles gläubig zu erfassen, was die Propheten über den Messias vorausgesagt haben. Ihre Vorherverkündigung umfasst nicht bloß sein Erlösungswerk an Israel im allg. und seine Herrlichkeit, sondern auch sein Leiden. Weil sie dies übersehen, musste ihnen Jesu Leiden und Tod zum Ärgernis werden und ihren Glauben an ihn erschüttern. In Wirklichkeit war aber das Leiden der von Gott gewollte Weg, auf dem er in seine Herrlichkeit eingehen sollte. Da sich das „musste“ auf beide Teile der Aussage bezieht, so ist damit auch gesagt, dass er bereits in die Herrlichkeit eingegangen ist. Die gläubige Erkenntnis der Schriftgemäßheit, d.h. der Gottgewolltheit des Leidens Jesu nimmt das Ärgernis von seinem Tode weg und lässt die Jünger wieder an Jesus als den Messias glauben. Deshalb führt er ihnen jetzt den Schriftbeweis. Von Moses d.h. von den fünf Büchern Moses anfangend legt er ihnen alle im Alten Testament enthaltenden Weissagungen aus.

Die beiden Jünger sind am Ziel ihrer Wanderung angelangt; es ist das Haus des einen von ihnen. Jesus aber stellt sich, als ob er weitergehen wollte. Er will von den beiden ausdrücklich um seine Gemeinschaft gebeten werden, ehe er bei ihnen bleibt. Die Einladung ergeht in freundlich-zudringlicher Weise. Der Abend ist nahe. Jesus setzt sich mit ihnen zu Tisch und übernimmt das Hausvateramt des Brotbrechens. Es handelt sich nicht um die Eucharistie. Denn die zwei Jünger gehörten nicht zum Kreis der Zwölf, waren also bei der Einsetzung der Eucharistie nicht anwesend und hätten deshalb unwissend den Leib des Herrn empfangen. Jetzt gehen den beiden Jüngern die Augen auf: Sie erkennen in ihrem Begleiter und Gast den Herrn. Er aber verschwindet im selben Augenblick aus ihren Augen. Denn der Zweck der Erscheinung ist erreicht. Er hat sich ihnen als der vom Tod zum Leben Auferstandene geoffenbart und sie dadurch zu Zeugen seiner Auferstehung gemacht. Die ihnen unglaubwürdig erscheinende Botschaft der Frauen war nicht „Weibergeschwätz“. Indem sich der Auferstandene jetzt ihren Blicken entzieht, offenbart er ihnen, dass die bisherige, irdische Form des Verkehrs mit ihnen vorbei ist. Wenn die beiden nachher erklären, dass sie ihn am Brotbrechen erkannt haben, so ist damit wohl angedeutet, dass Jesus eine ihm eigentümliche Form des dabei gesprochenen Segenswortes gebraucht hat. Der eigentliche Grund aber, dass sie ihn in diesem Augenblick erkannten, ist aber der, dass er jetzt von ihnen erkannt werden wollte. Jetzt wissen die beiden Wanderer, wer der war, der ihnen auf dem Wege das Verständnis der Schrift erschlossen hatte. Jetzt verstehen sie auch, warum seine Worte sie so überwältigt hatten. Jetzt ist für sie kein Bleiben mehr in Emmaus. Trotz der vorgerückten Stunde brechen sie sofort auf, um den Brüdern in Jerusalem so schnell wie möglich mitzuteilen, dass der Herr lebt und ihnen erschienen ist. Aber die Kunde, die sie den anderen bringen wollen, schallt ihnen selbst aus deren Munde entgegen. Auch sie wissen bereits, dass er lebt und dem Simon (= Petrus) erschienen ist.

Amen.

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