Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. Juni 2019

Die Wirksamkeit des Heiligen Geistes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Wunder von Ostern vollendete sich im Wunder von Pfingsten. Im Brausen des Sturmwinds, der das ganze Haus durchrüttelte, in den feurigen Zungen, die sich auf jeden einzelnen niederließen, erschien Kraft aus der Höhe. Die Jünger des Herrn wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Zungen zu reden, wie der Geist es ihnen eingab. Wie eine neue stürmende, zündende Gewalt kam es über sie und riss sie über sich selbst hinaus, hinein in eine Welt göttlichen Überschwangs. Alle Eindrücke, die sie vom irdischen Leben Jesu und vom erhöhten Christus gewonnen hatten, verloren in dieser Bewegtheit ihr eigentümliches irdisches Schwergewicht. Sie wurden zu einer Höhe des Lebens, zu einer Kraft des Willens, zu einer Klarheit des Geistes emporgehoben, dass darunter alles irdisch Kleine, alles menschlich Beschränkte, alles ängstliche Wägen und Sorgen versank. Ihre Seelen waren in der tiefsten Tiefe aufgerissen, von den Kräften des Erhöhten erfüllt. Sie sahen und ergriffen die Großtaten Gottes in ihrer ursprünglichen Wucht und Gewalt, in ihrer zeitlosen Geltung für die Menschen aller Sprachen und aller Zonen. Der Augenblick war gekommen, da der Tröster sie lehrte und sie an alles erinnerte, was Jesus ihnen gesagt hatte. Das Übernatürliche hatte über sie Gewalt bekommen, durchrüttelte ihre Herzen, brannte auf ihren Lippen, und es kam in ihnen der Wille hoch, mit ihren Lippen und mit ihrem Herzen den Erlösergeist zu preisen und anderen mitzuteilen. Nun waren sie nicht mehr bloß demütig Empfangende, wie damals, als der Herr auferstand und zum Himmel fuhr, jetzt waren sie selbst machtvoll Gebende, schöpferisch Zeugende. Aus der Fülle des ihnen verliehenen Geistes brachten sie die neue Botschaft vom Erhöhten zu den Menschen: „Bekehret euch, ein jeder lasse sich taufen im Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“ Und nun war auch alles Bangen und alle Menschenfurcht dahin. Sie verbargen sich nicht mehr im Haus des Markus in Jerusalem. Sie traten vor ganz Jerusalem und vor den Hohen Rat und schleuderten ihnen die entsetzlichste aller Anklagen entgegen: „Den Lebensfürsten habt ihr getötet, den Gott von den Toten auferweckt hat; des sind wir Zeugen.“ Man verbietet ihnen, zu reden. Sie entgegnen in heiligem Trotz: „Wir können nicht verschweigen, was wir gesehen und gehört haben. Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Man geißelt sie. Sie gehen voll Freude vom Hohen Rate hinweg, weil sie gewürdigt wurden, um des Namens Jesu willen Schmach zu erleiden. Ein neuer Mensch ist in ihnen zur Herrschaft gekommen: der Mensch des starken Glaubens und der heißen Liebe, der übernatürliche Mensch, der Mensch der Selbsthingabe und des Opfers, der Martyrer, der Zeuge. Nichts beglaubigt die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu eindringlicher als dieses Wunder von Pfingsten, da der Erhöhte die Verheißung des Heiligen Geistes, die er vom Vater empfangen hat, über die Jünger ausgoss. In der Kraft dieses Geistes wurden sie, wie der Herr vorausgesagt, Zeugen des Auferstandenen in Jerusalem, in ganz Judäa, in Samaria und bis an die Grenzen der Erde. Wohl war ihre Zeugenschaft in Entbehrung, Schmach und unsägliche Not getaucht, wie es Paulus einmal in einer schmerzlichen Stunde an die Korinther geschrieben hat: „Ich glaube, Gott hat uns Apostel auf den letzten Platz gestellt, wie zum Tod Verurteilte; sind wir doch für die Welt, für die Engel und für die Menschen zum Schauspiel geworden. Wir sind Toren um Christi willen. Bis zur Stunde sind wir hungrig, durstig und nackt. Wir werden geschlagen und irren unstet umher und quälen uns mit unserer Handarbeit. Wir werden geschmäht, aber wir segnen; wir werden verfolgt, doch wir erdulden; wir werden verleumdet, doch wir spenden Trost. Zu Sündenböcken für alle Welt sind wir geworden wie Abschaum von allem bis jetzt.“ Aber aus all dieser bitteren Not trat immer wieder ergreifend und volltönend und sieghaft der Jubelruf in die Welt: „Er ist auferstanden; des sind wir Zeugen, nicht nur deswegen, weil wir davon leben, sondern auch, dass wir dafür sterben.“ Das alles taten und erduldeten die Apostel in der Kraft des Heiligen Geistes.

Wir wollen fragen: Wer ist dieser Heilige Geist, in dessen Kraft die Apostel dies alles taten und ertrugen? Der Heilige Geist ist die dritte göttliche Person, also Gott selbst. Der Heilige Geist ist mithin ewig, allgegenwärtig, allwissend, allmächtig. Er ist Gott von Gott, Licht vom Lichte. Der Heilige Geist geht vom Vater und vom Sohne zugleich aus. „Da er durch die Rechte Gottes erhöht worden und den verheißenen Geist vom Vater empfangen hatte, hat er diesen ausgegossen, wie ihr seht und hört“, sagt Petrus. Der Heilige Geist teilt die Gnaden aus, die Christus durch sein Kreuzesopfer verdient hat. Er bringt also nichts Neues hervor, sondern er bewirkt nur, dass das, was der Sohn Gottes angefangen hat, geschehe und sich vollende. Der Heilige Geist ist der Gnadenspender. Gnade ist eine Wohltat, die man jemandem erweist, ohne sie ihm irgendwie schuldig zu sein. Gnade erweist uns Gott durch die vielen Wohltaten ohne unser Verdienst aus reiner Barmherzigkeit. Die Hilfe des Heiligen Geistes ist uns zur Seligkeit unbedingt notwendig. Durch seine natürlichen Kräfte kann der Mensch die ewige Seligkeit nicht erlangen. Der Heilige Geist muss ihm seine Gnade verleihen. Durch diese wird er fähig, sein höchstes Ziel zu erreichen. Der Verstand und der Wille bedürfen der übernatürlichen Hilfe, um die Seligkeit zu erlangen. Diese Hilfe ist die Gnade des Heiligen Geistes. Und deswegen sagt Christus: „Wer nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Heiligen Geist, kann in das Reich Gottes nicht eingehen.“ Wir können sogar ohne die Hilfe des Heiligen Geistes nicht das geringste verdienstliche Werk verrichten. Wir vermögen nichts ohne Gottes Beistand. „Unsere Tüchtigkeit stammt von Gott“, schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth. Jedes gute Werk wird vom Heiligen Geist und von unserem freien Willen gemeinschaftlich verrichtet. Daher können wir das Verdienst unserer guten Werke nie uns selbst zuschreiben. Mit der Hilfe des Heiligen Geistes aber können wir auch das schwerste Werk vollbringen. An die Philipper schreibt Paulus aus dem Gefängnis in Rom: „Ich vermag alles in dem, der mich stärkt.“

Der Heilige Geist spendet folgende Gnaden:

1.   Er verleiht allen Menschen die einwirkende Gnade, die Beistandsgnade, die helfende Gnade.

2.   Er verleiht vielen Menschen die heiligmachende Gnade, nämlich denen, die dafür geeignet und bereitet sind.

3.   Er verleiht gewöhnlich sieben Gaben, gelegentlich auch außerordentliche Gnadengaben.

4.   Er erhält und leitet die katholische Kirche.

Der Heilige Geist wirkt oft in unserem Leben auf uns ein, indem er den Verstand erleuchtet und unseren Willen stärkt. Eine solche vorübergehende Einwirkung des Heiligen Geistes heißt einwirkende Gnade oder göttliche Einsprechung. Der Heilige Geist nötigt nicht, sondern lässt uns die vollständige Freiheit. Er ist ein von Gott ausgehendes Licht, und vor diesem Licht kann man die Augen verschließen. Dem Rufe Gottes beistimmen oder nicht ist Sache des eigenen Willens. Gott achtet die Freiheit des Menschen. Er zerstört sie auch dann nicht, wenn sie der Mensch zu seinem eigenen Verderben missbraucht. Der Mensch kann daher mit der einwirkenden Gnade mitwirken oder ihr widerstehen. Saulus wirkte mit der Gnade mit; er bekehrte sich zu Christus und wurde sein Apostel. Die Leute, die am Pfingstfest die Apostel verspotteten, widerstanden der Gnade, ebenso die Menschen, die den heiligen Paulus auslachten, als er auf dem Areopag, in Athen, von der Auferstehung der Toten sprach. Auch Herodes, der durch die Weisen von der Geburt Christi erfuhr, hat mit der Gnade nicht mitgewirkt. Denken wir schließlich an Luther auf der Wartburg. Woher kamen die Gedanken, die er für Einflüsterungen des Teufels hielt? Die Gedanken wie z.B.: Wer hat dich gesandt? Bist du allein weise? Aber er wies diese Einsprechungen zurück.

Wenn der Sünder mit der einwirkenden Gnade mitwirkt, so kehrt der Heilige Geist in seine Seele ein und verleiht ihr einen Glanz und eine Schönheit, wodurch sie die Freundschaft Gottes erlangt. Diese bleibende Schönheit der Seele infolge des ihr innewohnenden Heiligen Geistes nennen wir heiligmachende Gnade. Die heiligmachende Gnade ist nicht – wie im Protestantismus gelehrt wird – eine bloße Gunst Gottes, bleibt also außerhalb des Menschen, nein, Gott gibt uns von seinem Geiste. Der Heilige Geist durchdringt uns. Er verleiht uns eine neue Qualität. Der Geistträger ist ein neuer Mensch. Gewöhnlich kehrt der Heilige Geist, die heiligmachende Gnade bringend, in die Seele ein bei der Taufe und beim Sakrament der Buße. Wenn der Heilige Geist in uns einkehrt, teilt er uns das wahre Leben der Seele mit. Zu dem natürlichen Leben der Seele tritt das übernatürliche Leben. Mit Recht heißt deswegen der Heilige Geist Lebendigmacher. Er reinigt uns von allen schweren Sünden. Heiligmachende Gnade und Todsünde sind miteinander unvereinbar. Er vereinigt uns mit Gott und macht uns zu einem Tempel Gottes. Er macht unsere Seele Gott ähnlich, heilig und himmlisch. Paulus fragt die Korinther: „Wisst ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“

Der Geist verklärt unsere Geisteskräfte und verleiht uns dadurch die göttlichen und sittlichen Tugenden und Fähigkeiten. Er verleiht uns wahre Zufriedenheit. Er wird unser Lehrmeister und Erzieher. Er treibt uns zu guten Werken an und macht diese für den Himmel verdienstlich. Er macht uns zu Kindern Gottes und zu Erben des Himmels. Allen, welche die heiligmachende Gnade besitzen, spendet der Heilige Geist sieben Gaben, sieben Tüchtigkeiten der Seele, die bewirken, dass sich die Seele leicht vom Heiligen Geist erleuchten und antreiben lässt: Weisheit, Wissenschaft, Verstand, Rat, Stärke, Frömmigkeit, Furcht des Herrn. Das sind die sieben heiligen Gaben, um die wir besonders in dieser heiligen Pfingstzeit beten. „Komm, o Geist der Heiligkeit, aus des Himmels Herrlichkeit sende deines Lichtes Strahl. Vater aller Armen du, aller Herzen Licht und Ruh, komm mit deiner Gaben Zahl!“

Manchen Menschen verleiht der Heilige Geist außerordentliche Gnadengaben. Zu Pfingsten hören wir von den Sprachen, in denen die Galiläer redeten. Der Heilige Geist wirkt Wunder und Weissagungen, er lehrt die Unterscheidung der Geister. Er gibt manchen Menschen Visionen. Sie werden regelmäßig zum Heil und zum Nutzen der Mitmenschen und der Kirche verliehen. Die heilige Katharina von Siena besaß die Gabe, auch die verstocktesten Sünder zu bekehren.

Der Heilige Geist erhält und leitet die Kirche. Er bewahrt sie vor dem Untergang und schützt sie vor Irrtum. Er unterstützt die Vorsteher der Kirche in ihrem heiligen Amte. Er erweckt der Kirche in gefahrvollen Zeiten tüchtige Männer und Frauen. Er bewirkt, dass es in der Kirche zu allen Zeiten Heilige gibt. Sie werden fragen: Was du uns da sagst, das klingt sehr schön, aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Sie alle, meine lieben Freunde, wissen um die Tätigkeiten des Heiligen Geistes aus dem Glauben, aus der Lehre der Kirche. Aber angesichts der gefahrvollen Lage der Kirche in der Gegenwart, angesichts des allgemeinen Niedergangs und der unaufhörlichen Verluste, angesichts des Versagens der Hirten und des Ausbleibens des Priesternachwuchses steigen quälende Fragen in uns auf. Leitet der Heilige Geist wirklich die Kirche? Oder lehnen vielleicht viele Hirten seine Leitung ab? Hören sie mehr auf das Gezischel der „roten“ und „grünen“ Medienmacher als auf das Wehen des Heiligen Geistes? Sie wollen ankommen, und wie kommt man an in einer außer Rand und Band geratenen Gesellschaft? Indem man alle Zügel lockert, indem man die Gebote umkrempelt, indem man gegen Gottes Willen die Geschlechtlichkeit freigibt zum beliebigen Gebrauch; da kommt man an. Die Kirche als Ganzes wird nicht untergehen. Aber sieht es nicht so aus, dass sie in Deutschland im Sterben liegt? Hunderttausende Abfälle jedes Jahr, leere Priesterseminare, verlassene Klöster, profanierte Gotteshäuser, eine verlorene Jugend und irrlehrende Theologen. Der innere Zusammenbruch – und das ist es –, die Selbstzerstörung durch die eigenen Leute ist von niemandem, der nicht blind ist, zu übersehen. Ich weiß nicht, wie und wann Gott seine Gemeinde retten will. Es könnte sein, dass sich das Sprichwort erfüllen soll: Wo die Not am größten, dort ist Gottes Hilfe am nächsten. Wir müssen warten und beten, vertrauensvoll und voll Gram warten und beten. Nur eines darf nicht geschehen, dass unser Glaube an die Macht des Heiligen Geistes ins Wanken gerät. Wir müssen uns an die Verheißungen Christi halten. Er hat den Geist nicht für kurze Zeit (etwa für die Zeit der Urkirche) versprochen, er hat ihn für die gesamte Zwischenzeit zwischen seiner Auferstehung und seiner Wiederkunft zugesagt. Er wirkt auch heute, wenn er demütig, beharrlich, vertrauensvoll angerufen wird. Er will durch uns, durch uns!, seine Präsenz bezeugen, durch uns, seine treuen Verehrer, durch uns, den heiligen Rest.

Amen. 

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