Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
23. Juli 2017

Gottes Vorsehung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im Kirchengebet der heutigen heiligen Messe, das wir soeben verrichtet haben, ist die Rede von Gott, dessen Vorsehung sich in ihren Anordnungen nicht täuscht. Hier taucht also der für das Christentum wesentliche Begriff der Vorsehung auf. Der katholische Glaube lehrt: Alles, was Gott geschaffen hat, regiert er und führt er zu seinem Endziel. Den ewigen Akt des göttlichen Weltplanes über die Ordnung der Dinge und ihr Ziel nennt man Vorsehung. Seine Durchführung heißt Weltregierung. Der heilige Thomas definiert: Die Vorsehung ist der ewige im Verstande Gottes existierende Plan, wie die Weltdinge ihrem letzten Ziele zugeführt werden. In dieser Begriffsbestimmung sind zwei Elemente hervorzuheben, nämlich das Vorherwissen Gottes und das Vorherbestimmen alles dessen, was zu geschehen habe bzw. was zuzulassen ist und was nicht, und beides unter Aufrechterhaltung der Freiheit des Geschöpfes. Fügt man zu der Vorsehung als dem göttlichen Weltplan die Ausführung dieses Planes hinzu, so geht die Vorsehung über in die göttliche Weltregierung. Vorsehung und Weltregierung unterscheiden sich also wie Entwurf und Durchführung.

Die Heilige Schrift ist voller Zeugnisse für die Wahrheit der Lehre von der Vorsehung. Die Psalmen sprechen häufig von der Vorsehung: „Du gründetest die Erde, und bis heute steht sie da nach deiner Weisung, denn dir ist alles untertan.“ „Alle Augen warten auf dich, und du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit. Du tust deine milde Hand auf und sättigest alles, was da lebet, mit Güte.“ „Der Herr behütet die Fremden, die Weisen und Witwen erhält er.“ Christus predigt ebenfalls die Vorsehung für das Weltall, für die Menschen, für die Tiere. Er beruft sich auf Gottes Güte für die Lilien des Feldes, für die Vögel des Himmels, um das Vertrauen auf die Vorsehung zu wecken. „Wenn schon kein Vogel vom Dache fällt, ohne Gottes Willen, dann gewiss auch kein Haar von eurem Haupte.“ Sogar die Bösen genießen seine Güte. „Der Vater im Himmel lässt die Sonne scheinen über Gute und Böse, Regen fallen über Gerechte und Ungerechte.“ Paulus hat die Verkündigung Jesu aufgenommen. Ihm ist es vor allem um Gottes Vorsehung für das Heil der Menschen zu tun. „Gott wirkt alles in allem.“ Er schafft sowohl das Wollen als auch das Vollbringen. Auch die Heiden sucht er durch Gewissen und natürliche Wohltaten an sich zu ziehen.

Die Vernunft urteilt, dass Gott, wenn er den Geschöpfen ein Ziel vorgesteckt hat, sie auch dazu bewegen muss. Dieses Bewegen kann geschehen unmittelbar, es wird sich aber oft auch unter Mitwirkung der Geschöpfe vollziehen, die Gott an der Ausführung seines Weltplanes teilnehmen lässt. Gott leitet die materiellen Dinge durch eingeschaffene Gesetze, wir nennen sie die Naturgesetze. Er leitet die geistigen freien Wesen durch verliehene Kräfte der Vernunft, des Willens und des Gewissens, daneben durch äußere Fügungen, Schickungen, Führungen, durch Autoritäten, die er eingesetzt hat. Das Ergebnis der göttlichen Weltordnung liegt von Ewigkeit her fest. Aber man darf es nicht mit dem Schicksal identifizieren. Das Schicksal ist blind, die Vorsehung ist beherrscht von unendlicher Weisheit, Gerechtigkeit und Güte.

Aber da erheben sich einige ernste Fragen. Man muss fragen, wie sich die Vorsehung Gottes mit dem unbestreitbaren Leiden der Menschen verträgt. Gott hätte ja das Leiden von seiner Schöpfung fernhalten können; er hat es nicht gewollt. Die Frage kompliziert sich, wenn man nach der Gerechtigkeit bei der Zumessung der Leiden an den einzelnen Menschen denkt. Wenn Gott für alles sorgt, warum geht es den Guten auf Erden so oft schlimm und umgekehrt? Mit dieser Frage ringen Hiob und der Prediger im Alten Bunde und einige Psalmen und sogar manche Propheten. Man klagt, dass Gott die Tugend befiehlt, aber sie selten belohnt. Das Problem war auf dem Boden des Alten Testamentes fast unlösbar. Man hat Lösungen versucht. Man sagte, man habe Sünden, auch verborgene, und deswegen schickte einem Gott Leiden. Man erklärte, ein Gerechter sei nie zum Bettler geworden. Nanu, stimmt das? Man verwies darauf, dass man auch nach der Prüfung alles zurückerhält, was man verloren hat; in manchen Fällen ja, aber doch nicht in allen. Die Leidenslehre Jesu Christi lautet anders: Er ist unser dornengekröntes Haupt, der büßende Welterlöser. Sein Signum ist die stellvertretende Genugtuung für die Sünden der Menschen. Alle Gläubigen, die ihm in der Taufe einverleibt sind, sind damit auch dem Leid verschrieben, umso mehr als das Leid des Hauptes das Leid der Glieder werden muss, damit Christi Erlösung in ihnen zur Wirklichkeit werde. Christi Erlösung ist durch Leiden geschehen, und wer erlöst werden will, muss mit ihm leiden. Die Glieder des Hauptes müssen mit ihm leiden, um so an seiner Herrlichkeit teilzuhaben. Dieses Leid dauert jedoch, mag es noch so schwer sein, nur kurze Zeit, denn lang ist allein die Ewigkeit. Aber gerade mit der Ewigkeit will Gott das Leid, das treu ertragen wurde, lohnen. Deshalb sind Leid und Lohn unendlich verschieden, so verschieden wie Zeit und Ewigkeit. In diesen Sätzen liegt die Lösung der Leidensfrage.

Aber das theologische Nachdenken bricht hier nicht ab. Wie steht Gottes Vorsehung zu den Übeln der Welt? Die Theologie antwortet: Die physischen Übel oder die dem Sein und Wirken anhaftenden Mängel will Gott nur mittelbar, als Mittel zu höheren Zwecken. D.h. Gott will die physischen Übel, er lässt sie zu, aber nicht wegen des Übels, sondern wegen eines höheren Zweckes. Zulassen bedeutet: etwas nicht hindern, was man hindern könnte. Gott hat die lebendigen Geschöpfe: Pflanzen, Tiere, Menschen so geschaffen, dass in ihren Naturen das Gesetz des Werdens und Vergehens herrscht. Das Entstehen eines lebendigen Geschöpfes besagt jedes Mal das Vergehen eines anderen. Das ist der Grundvorgang bei allem Werden: Das eine lebt vom anderen, und ohne das andere lebt nichts, was immer lebt. Werden und Vergehen, Leben und Sterben sind gottgewollte Naturgesetze. Sie hängen so innig miteinander zusammen, dass das eine ohne das andere gar nicht gedacht werden kann. So ist es bei den physischen Übeln. Die moralischen Übel, also das sittlich Böse, will Gott weder unmittelbar noch mittelbar, auch nicht als Mittel, um damit etwas Gutes zu erreichen. Er verbietet das sittlich Böse durch sein Sittengesetz, aber er lässt es zu, er hindert es nicht. Er könnte und würde es aber auch nicht zulassen, wenn es nicht zum Guten zu lenken wäre. Jede Betätigung der menschlichen Freiheit dient dem Plan der Vorsehung. Die Bösen können, auch wenn sie noch so sehr gegen Gottes Willen handeln, die Absichten des göttlichen Weltregierers nicht zerstören. Die Leiden dieser Welt sind in der gegenwärtigen Ordnung der Vorsehung eine Strafe für die Erbsünde, eine Strafe auch für persönliche Sünden. Gott straft hienieden schon die Sünden der Menschen. Unermesslich groß aber ist das Meer der Leiden, die sich die Menschen selber zufügen. Das reicht von Misshandlungen in der Familie über Gewalttaten in der Öffentlichkeit bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Das Dynamit wurde erfunden, um die Kohlenflöze und die Steinschichten zu sprengen, nicht um Menschenleiber in Stücke zu reißen. Der Zweite Weltkrieg als die bisher verheerendste militärische Auseinandersetzung der Menschheit hat zwischen 55 und 62 Millionen Tote gefordert. Es ist kein Zweifel, dass Gott die Erde den Menschen anvertraut und in diesem Sinne zur Nutzung übergegeben hat. Die Erde hat ihre immanenten Gesetze, physikalischer, biologischer, chemischer Art. Der Mensch gut tut daran, diese Gesetze zu beachten, ihre Nichtbeachtung kann unermessliche Schäden heraufbeschwören. Viele Wüsten der Erde waren einst blühende Gärten, wogende Weizenfelder, lachende Früchte. Aber die Menschen haben das Land, das ihnen Leben spendete, zugrunde gerichtet. Die Zerstörung nimmt gewöhnlich ihren Anfang mit dem Abholzen der Wälder. Die Wälder sind für das Wohlsein der Menschen unentbehrlich. Sie erneuern den Wasserkreislauf, sie spenden Sauerstoff; ein Hektar Wald erzeugt 16 t Sauerstoff im Jahr. Aber die Menschen haben die Gesetze der Natur vergessen, und so sind Wüsten entstanden. Island war einmal ganz von Birkenwäldern bedeckt. Die Menschen haben sie abgeholzt, und heute ist Island zu einem großen Teil ein wüstenähnliches Gebiet. Das Leid, das der Mensch sich selbst antut, kann nicht Gott aufgebürdet werden.

Aber auch wenn man das zugibt, lässt sich die Frage nicht unterdrücken: Warum hindert Gott das Leiden nicht? Ich will eine dreifache Antwort versuchen. Erstens: Gott hat den Menschen mit der Freiheit des Willens ausgestattet und belässt sie ihm, ob er sie gebraucht oder missbraucht. Gott respektiert die Freiheit und verweist ihn auf seine Verantwortung. Er hat ihm eine Einsicht gegeben, ein Gewissen, ein Sittengesetz. Gott nimmt das köstliche Geschenk der Freiheit nicht zurück, auch nicht bei Missbrauch. Eine Freiheit, die von Gott nur beachtet würde, wenn sie das Rechte tut, ist keine Freiheit. Zweitens: Der Mensch soll die Folgen seines Handelns spüren und tragen. Ein jedes von der Leidenschaft getriebene Dasein zerschellt letztlich an seinem eigenen Inhalt. Aus den Erschütterungen und Zerstörungen, die der Mensch mit seinem Tun und Unterlassen anrichtet, kann er zur Besinnung kommen. Gott hat ja dem Menschen die Gaben der Beobachtung, der Überlegung, der Rechnung verliehen, er hat ihm ein Gedächtnis gegeben, mit dem er Vergangenes festhalten kann. So vermag er die Auswirkungen seiner Handlungen abzuschätzen und zu bewerten. Der Mensch ist zur Reue und zur Umkehr fähig, darum müssen ihm die Auswirkungen seines Handelns bewusst werden. Er kann sich vorsehen und zügeln, er kann aber auch rücksichtslos und unbedenklich handeln. Er erlebt die Wirkungen seines Verhaltens, um für die Zukunft einsichtsvoller und besonnener zu verfahren. Drittens – und das ist meines Erachtens der entscheidende Grund: Gott kann und will nicht durch wunderbare Eingriffe überall die Fehler der Menschen sofort wiedergutmachen. Er ist kein Lückenbüßer der menschlichen Gleichgültigkeit und Bosheit. Er lässt diese Mängel und Schäden geschehen und mit ihnen auch das daraus entstehende Leid. Gott ist kein Lückenbüßer menschlichen Versagens. Bedenken wir einmal, wenn es anders wäre. Würde Gott die von Menschen angerichteten Schäden alsbald beheben, könnte der Mensch Gott herausfordern und zwingen; Gott geriete gewissermaßen in Abhängigkeit vom Menschen. Er würde durch den Übermut der Menschen herausgefordert, denn er macht ja alles wieder gut, was die Menschen angerichtet haben. Er büßte damit seine Macht und seine Souveränität ein. Nein, Gott muss Gott bleiben, und der Mensch muss mit seinen Schäden zurechtkommen.

Hier erhebt sich eine weitere Frage, nämlich ob das Bittgebet des Menschen mit dem Weltplan und mit der Weltregierung Gottes zu vereinbaren ist. Wenn nun Gott alles voraussieht und vorausbestimmt, wie kann man dann noch um etwas bitten? Es ist ja doch alles festgelegt? Ich versuche wiederum eine dreifache Antwort. Erstens: Gott lässt sich von uns bitten, um dem Menschen zu zeigen, dass all sein Glück vom Herrn und von ihm allein kommt. Dadurch wird zugleich die Herzensverfassung hergestellt, die den Bittenden für den Empfang der Gabe Gottes vorbereitet und geeignet macht. Schenkte uns Gott seine Gaben ohne dass wir ihn darum bitten, dann würden wir sie weniger schätzen und weniger pflegen. Wir würden unsere Abhängigkeit von Gott vergessen und undankbar sein. Wir müssen bitten, um uns zu unserer Abhängigkeit von Gott öffentlich und im Geheimen zu bekennen. Zweitens: Wenn es auch wahr ist, dass Gott unserer Bitten nicht bedarf – er weiß ja um unsere Nöte –, so ist es doch ebenso wahr, dass er dadurch eine ganz besondere Verehrung empfängt. Wer bittet, ehrt Gott. Unser Gebet ist nämlich das Eingeständnis der eigenen Ohnmacht. Es ist aber auch das Bekenntnis der Größe, der Macht und der Güte Gottes. Durch das Gebet unterwirft sich der Mensch Gott und bekennt, dass er seiner bedarf als des Urhebers alles Guten. Das Bittgebet ist deswegen recht eigentlich ein Akt der Gottesverehrung. Drittens: Wir beten unseretwegen, nicht Gottes wegen. Wir sind weit entfernt, Gott zum Handlanger unserer Wünsche zu machen, ihn zu bestechen, ihn umstimmen zu wollen. Gott hat von Ewigkeit her die Gebete, die wir mit seiner Gnadenhilfe verrichten, vorausgesehen und sie in den Plan seiner Vorsehung aufgenommen. Unsere Gebete sind somit selbst ein Mittel, wodurch die Vorsehung ihre Ziele erreichen will, sie sind ein Teilstück des göttlichen Vorsehungsplanes selbst. Durch das Bittgebet wollen wir nicht die Vorsehung abändern, sondern wir wollen das, was Gott längst für uns bestimmt hat, auf unsere Bitten hin erreichen.

Alles, meine lieben Freunde, was über die Vorsehung Gottes ausgeführt wurde, lässt sich in zwei Gedanken zusammenfassen. Erstens: Gott ist gut, ist der allein Gute und kann es deshalb mit uns und unseren Zielen nur gut meinen. „Alles, was du mit mir tust, kann nur gut sein“, schreibt das Buch von der „Nachfolge Christi“. Zweitens: Weg und Mittel, wodurch er uns zum Ziel führen will, sind uns unbekannt: Freud oder Leid, Glück oder Unglück, langes oder kurzes Leben, Kranksein oder plötzlicher Tod; und das macht die Vorsehung für uns dunkel. Sie ist im Ganzen wie im Einzelnen ein Geheimnis, das uns erst im Jenseits erhellt werden wird. Deswegen soll man sich der Nachprüfung und Beurteilung der Vorsehung enthalten. Der Vorsehung soll man vertrauen, aber man soll sie nicht errechnen wollen. Gott deckt uns seine Pläne nicht auf. Kleinglauben, Schwachherzigkeit, Misstrauen, Zweifelsucht sind keine Kennzeichen echten Vorsehungsglaubens, wohl aber feste innere Ruhe trotz äußerer Stürme, demütige Gottergebenheit trotz umgebender Dunkelheit, Ausdauer im Leiden trotz sich mehrenden Druckes. Kein blinder Zufall waltet über uns, sondern das sorgende Auge der Güte des himmlischen Vaters. Eines der Hauptgebete des Martyrers Bernhard Lichtenberg in Berlin war: „Wie Gott will, ich halte still.“ Wie Gott will, ich halte still. Weil Gottes Vorsehung auch mittelbar wirkt, soll der eine Mensch die Vorsehung des anderen sein, und jeder seine eigene. „Hilf dir selbst, und Gott wird dir helfen.“ Wo man selbst untätig ist, kann man nicht Gottes Mittätigkeit erwarten. Nicht alles Übel kommt von Gott, sehr vieles entsteht aus der Sünde, auch aus der eigenen Sünde, nicht bloß aus der fremden Sünde. Über allem bleibt die Aussage der Heiligen Schrift bestehen: „Mein Gott bist du. In deiner Hand sind meine Geschicke.“

Amen.

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