Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. Januar 2017

Bedacht sein auf das Gute vor den Menschen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der Epistel, die wir soeben gehört haben, aus dem Brief an die Gemeinde in Rom, steht das Wort: „Seid bedacht auf das Gute nicht nur vor Gott, sondern auch vor allen Menschen.“ Das Gute vor Gott ist die Erfüllung des Willens Gottes, wie es das Gewissen gebietet. Mit dem Gehorsam gegen Gott geschieht Gott Genüge. Darauf kommt es bei allem Tun und Lassen der Menschen entscheidend an. Das Gute, das der Christ tut, soll aber nicht nur Gott bekannt sein, sondern auch den Menschen. Die Christen haben einen guten Ruf zu erwerben, zu behalten und zu verteidigen. Sie müssen sich so verhalten, dass ihnen das Zeugnis eines guten Wandelns ausgestellt werden muss. Paulus wusste, warum er an die Gemeinde in Rom schrieb: „Seid bedacht auf das Gute nicht nur vor Gott, sondern auch vor allen Menschen.“ Denn es war eine Zeit, in der Entstellungen und Verleumdungen der Christen an der Tagesordnung waren. Ihr reiner, bildloser Gottesglaube und das Fernbleiben vom Staatskult wurden ihnen als Atheismus ausgelegt. Ihr Abendmahl galt als thyesteisches Mahl, d.h. man behauptete, sie würden beim Abendmahl kleine Kinder verzehren. Und dazu versicherte man, sie würden dabei ödipodeische Unzucht verüben, also Blutschande. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts tauchte der Vorwurf auf, die Christen seien wegen der Missachtung der vaterländischen Götter die Ursache von Unglücksfällen. Tertullian schreibt: „Wenn der Tiber über die Ufer tritt, wenn der Nil nicht den fruchtbaren Schlamm hereinführt, wenn der Regen ausbleibt, wenn die Hitze brennt, wenn die Erde bebt, wenn Hunger kommt oder die Seuche, sogleich erschallt der Ruf: Die Christen vor die Löwen!“ Dagegen konnten und mussten die Christen sich zur Wehr setzen. Es traten gelehrte Schriftsteller auf, die das Christentum, die Lehre und das Leben der Christen verteidigten, die sog. Apologeten. Aristides, Justinus, Tatian, Athenagoras, Theophilos; das waren die Apologeten. Die wirksamste Verteidigung der Christen war freilich ihr lauterer Wandel. So mahnte der heilige Petrus in seinem 1. Brief: „Führt einen guten Wandel unter den Heiden, damit die, die euch als Übeltäter verleumden, eure guten Werke sehen und dadurch eines besseren belehrt werden.“ Der Herr selbst hat ja seine Anhänger ermahnt, ihre guten Werke vor den Menschen sehen zu lassen, damit sie den Vater im Himmel preisen. Wohlgemerkt, wir dürfen und wollen uns nicht brüsten, d.h. nicht prahlen wegen der Leistungen und Werke katholischer Christen, denn wir wissen, dass die Gnade allen guten Werken vorangeht und sie begleitet. In der Präfation von allen Heiligen heißt es: „Wenn Gott unsere Werke krönt, krönt er seine Gaben.“ Das bleibt bestehen. Das Prahlen ist also verboten. „Was hast du“, schreibt Paulus, „was du nicht empfangen hast. Hast du es aber empfangen, warum rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ Aber wir dürfen die Großtaten, die Gott durch unsere Brüder und hoffentlich auch durch uns wirkt, nicht verschweigen. Das wäre undankbar und ungerecht gegen Gott. Christliche Demut und dankbarer Stolz vertragen sich sehr gut. Der Apostel Paulus nennt sich den Geringsten der Apostel. Er bezeichnet sich als nicht würdig, Apostel zu heißen, weil er ja die Kirche Gottes verfolgt hat. Aber er vergisst nicht hinzuzufügen: „Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin, und seine Gnade für mich ist nicht unwirksam gewesen. Ich habe mehr gearbeitet als sie alle.“ „Doch nicht ich, sondern die Gnade Gottes in mir“, fügt er hinzu.

Welches ist das Gute, auf das wir bedacht sein sollen vor Gott und den Menschen? Auftrag und Verantwortung der Christen für die Menschheit beschreibt Christus mit den beiden Worten, mit den beiden Bildern vom Salz und vom Lichte. „Ihr seid das Salz der Erde“, d.h. die Jünger Jesu haben gegenüber der Menschheit eine ähnliche Aufgabe wie das würzende, dem Menschen überaus nützliche, ja unentbehrliche Salz. Ohne Salz kann der Mensch nicht leben. Diese Aufgabe können die Christen nur erfüllen, wenn sie eben Salz sind und Salz bleiben. Sie sollen die Menschheit Gott genießbar machen, d.h. ergeben und bereitwillig. Nach alttestamentlicher Vorstellung gehört das Salz zu jeder Opfergabe und reinigt das Wasser. Wir fügen ja noch heute Salz in das Wasser, wenn wir Weihwasser herstellen. Brot und Salz sind Symbole der natürlichen Lebenshaltung. Dann sagt der Herr: „Ihr seid das Licht der Welt. Euer Licht leuchte vor den Menschen, auf dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater preisen, der im Himmel ist.“ Im Judentum wurden Gott, das Volk Israel, das Gesetz, der Tempel als Licht oder als Leuchte der Welt bezeichnet. Jesus nennt sich selbst das Licht: „Ich bin das Licht der Welt.“ In ähnlicher Weise sollen auch die Jünger für die Welt, d.h. für die Menschheit, Licht sein. Damit ist der fromme, sittlich gute Lebenswandel der Jünger gemeint. Die Jünger haben bei ihrem Verhalten eine Aufgabe, eine Verantwortung gegenüber den Menschen. Sie sollen sich als Kinder des Lichtes beweisen. Sie stehen auf einem exponierten Platz und können nicht übersehen werden.

Unsere Kirche hat sich in 2000 Jahren Geschichte als Salz und als Licht bewährt. Im Jahre 2009 ist in Gräfelfing in Bayern ein Buch herausgekommen, dessen Lektüre ich Ihnen empfehle. Es heißt: „Alvin J. Schmidt: Wie das Christentum die Welt veränderte.“ In diesem Buche wird gezeigt, welche tiefen Spuren das Christentum, der christliche Glaube in der Welt hinterlassen hat. Die Menschheit ist dem christlichen Glauben unendlich zum Dank verpflichtet. Die Kirche begleitete die Menschen vom ersten Augenblick, wo sie nach der Geburt die Taufe empfingen, bis sie vor dem Verlassen der Welt die heilige Wegzehrung und die letzte Ölung bekamen. Das Jahr war abgesteckt durch die Sonntage und durch die Kirchenfeste. Das ist das soziale Evangelium der Kirche gewesen. Sie hat die Menschen vor Ausbeutung und vor Ausnützung bewahrt, indem sie den 7. Tag heiligte und die vielen Feste einführte. Der Soziologe Joseph Höffner hat ausgerechnet, dass durch die zahlreichen Feiertage und die Sonntage im Mittelalter die 5-Tage-Woche bestand. Die Kirche segnete Mahlzeiten, Arbeit und Werkzeuge. Sie brachte den Menschen Hilfe in Krankheiten und Leiden. Sie war immer der gegenwärtige Hintergrund im Bewusstsein aller, ob sie nun fromm waren oder nicht. Katholische Nächstenliebe hat die Welt verändert. Staunen hat die karitative Tätigkeit der Kirche durch alle Jahrhunderte begleitet. Ihr Engagement sucht in der Menge und in der Vielfalt der guten Werke seinesgleichen. Die katholische Kirche hat die karitative Wohltätigkeit, wie wir sie kennen, überhaupt erst erfunden. Der Kirche oblag die gesamte soziale Fürsorge: die Pflege der Kranken, Alten, Invaliden, die Gastfreundschaft gegen Reisende und Pilger. Die Kirche war die Trägerin der Kultur, die Lehrmeisterin der Völker. Sie war die Grundstütze der Wissenschaft in all ihren Verzweigungen, sie war die Beschützerin der Kunst, auf ihr lastete das Schulwesen. Die Kirche hat 2000 Jahre lang die Menschen versittlicht. Sie hat ihnen den Willen Gottes kundgetan, die Gebote Gottes verkündet, sie unter die Autorität des dreieinigen Gottes gestellt. Sie hat die Menschen gelehrt, zu Gott aufzuschauen, nicht nur auf die Erde, ihn anzubeten als den höchsten Herrn, seinen Willen zu achten, ihr Leben nach seinen Gesetzen einzurichten. Gegenüber den menschlichen Leidenschaften hat sie die unverbrüchlichen Moralgesetze hochgehalten und sich nicht vor den Mächtigen der Erde gebeugt – die Kirche allein, unsere Kirche allein, unsere katholische Kirche allein! Alle anderen beugen sich: der Protestantismus, die Synagoge, die Moschee; sie alle beugen sich. Nur durch göttliche Einwirkung ist es zu verstehen, dass die Kirche vor dem Ansturm der Leidenschaft, wo er am stärksten ist, nämlich vor der Geschlechtlichkeit, nicht zurückgewichen ist.

Seit dem Entstehen des Protestantismus wird das katholische Mittelalter als finster und barbarisch hingestellt. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Im Jahre 2011 ist in Augsburg ein Buch erschienen vom James Hannan mit dem Titel: „Die vergessenen Erfinder: Wie im Mittelalter die moderne Wissenschaft entstand.“ Darin werden die epochemachenden Leistungen der mittelalterlichen Wissenschaft beschrieben. Das Mittelalter war alles andere als finster. Die heutige Wissenschaft und Technik haben ihre Wurzeln im Mittelalter. Die weltlichen und die westlichen Rechtssysteme tragen den Stempel des Kirchenrechts. Der Begriff des Naturrechts stammt von der Kirche. Die Kirche hat die Würde der Ehe wiederhergestellt. Im Zeitalter der Entdeckungen haben spanische Theologen den Grundstein zum Völkerrecht gelegt. Katholiken zählen zu den Gründern der modernen Wirtschaftstheorie. Die späten Scholastiker waren brillante Wirtschaftsanalytiker und Sozialphilosophen. Die moderne Wissenschaft hat sich in einem überwiegend katholischen Umfeld entwickelt. Pater Christoph Clavius erarbeitete den Gregorianischen Kalender, der 1582 den überholten und fehlerhaften Julianischen Kalender ablöste. Die Kirche entwickelte das Universitätssystem in Paris, in Bologna, in Oxford, in Cambridge. Bis zum Ausbruch der Reformation waren 81 Universitäten gegründet worden. Wer den Grad eines Magisters besaß, der hatte die Berechtigung, überall in der Welt zu lehren, und er konnte es, weil die gemeinsame Sprache der Gelehrten das Lateinische war. Jeder Gelehrte konnte Latein und konnte deswegen überall seine Wissenschaft vortragen. Das mittelalterliche Studium der Logik beweist, wie sehr man dem rationalen Denken verpflichtet war. Die Methode des „Sic et non“ suchte intellektuelle Schwierigkeiten zu beheben. Die Errungenschaften der Antike, also der Griechen und der Römer, sind uns nur durch die Kirche erhalten geblieben. Die ältesten noch existierenden Abschriften der frühesten literarischen Texte aus dem antiken Rom stammen aus dem 9. Jahrhundert. Sie sind der karolingischen Renaissance zuzuschreiben, d.h. der Gelehrsamkeit in den Klöstern. Die Kirche war die Lehrerin Europas. Der Papst Silvester II., der um die Jahrtausendwende regierte, war der gelehrteste Mann Europas. Die Mönche spielten bei der Entwicklung der westlichen Zivilisation eine entscheidende Rolle. Ihnen ist der landwirtschaftliche Wiederaufbau eines großen Teils Europas zu verdanken. Sie führten Erntemethoden, Produktionsmethoden, Verarbeitungsmethoden ein, mit denen die Menschen vorher nicht vertraut waren. In der Viehzucht und in der Pferdezucht, in der Bierbrauerei und in der Käseherstellung, in der Bienenzucht und im Obstbau waren die Mönche vorbildlich tätig. Sie waren Ingenieure, welche die Wassertechnik beherrschten. Sie entwickelten Wasserkraftwerke, sie brachten die Eisengewinnung voran. Mönche legten Bibliotheken an, errichteten Schulen, waren als Lehrer tätig.

Die Feinde unserer Kirche zeigen sich von dem Aufweis der Leistungen der Kirchenglieder wenig beeindruckt, sie warten mit ihren Schwächen auf. Man zeigt mit dem Finger auf Entgleisungen, Unterlassungen, auf Ungerechtigkeiten und Verfehlungen der Kirche. Ich frage: War es die Kirche, die ganze Kirche, die Kirche der Gläubigen und der Hierarchie? Oder waren es nicht vielmehr einzelne, vielleicht mehrere Glieder der Kirche, niemals aber die gesamte Kirche als Einheit von Führung und Volk? Und hat nicht die Kirche in der Zeit, wo ein Teil, ein kleiner Teil, ihrer Gläubigen unrecht tat, ihren Dienst an den Seelen unbeirrt und tatkräftig weitergeführt? Hat sie nicht den Menschen den dreieinigen Gott gepredigt, seine Gebote gelehrt? Hat sie nicht ihre Sakramente verwaltet, die Kranken gepflegt, die Sterbenden heimgeleitet? Hat sie ihre Heilstätigkeit jemals aufgegeben und unterbrochen? Nein! Und das zählt doch viel mehr als die Peinlichkeiten, die wir nicht verschweigen, die wir bedauern, aber die wir im richtigen Maßstab betrachten. Wir katholischen Christen haben keine Anlass unseren Glauben, unsere Kirche und unser Leben vor anderen zu verstecken. Schwäche und Versagen sind uns nicht unbekannt, aber wir dürfen auf zahllose Beispiele der Bewahrung und der Bewährung verweisen. Es gibt einen berechtigten Stolz auf unser Katholischsein. Es ist Dankbarkeit gegen Gott, der seiner Kirche beigestanden hat. „Seid auf das Gute bedacht nicht nur vor Gott, sondern auch vor allen Menschen.“

Für das Letztere, nämlich für das Bedachtsein vor den Menschen, haben Katholiken wenig Begabung. Sie verstehen es nicht so gut, aus ihren Leistungen etwas zu machen. Sie sind zu demütig, zu schlicht. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Katholische Christen haben seit vielen Jahrzehnten Bedürftigen, Hungrigen, Kranken, Aussätzigen, Ausgeplünderten Hilfe geleistet mit vielen Millionen D-Mark oder Euro. Es geschieht durch Hilfswerke mit den lateinischen Namen Adveniat, Misereor und Renovabis. Das sind Namen, die kein Mensch versteht; damit kommt man nicht an. Die evangelischen Christen sind schlauer, sie haben auch ein Hilfswerk und das trägt einen wirklich treffenden und zugkräftigen Namen: Brot für die Welt. Gut getroffen, kann ich nur sagen. „Seid auf das Gute bedacht nicht nur vor Gott, sondern auch vor allen Menschen.“ Ich will Ihnen einen letzten Punkt aus unserer Gegenwart nennen, wo das Verhalten unserer katholischen Brüder hervorsticht vor dem Benehmen der anderen. Wer hat noch vor 1933, also vor der sog. Machtergreifung, vor dem Nationalsozialismus gewarnt? Die deutschen katholischen Bischöfe. Wo haben die Nationalsozialisten ihre größten Wahlerfolge erzielt? In den protestantischen Gebieten. Schleswig-Holstein, das ja fast ganz katholikenfrei war, war schon vor 1933 mit überwältigender Mehrheit mit über 50% von Protestanten gewählte nationalsozialistische Hochburg. Die Nationalsozialisten bedankten sich auf ihre Weise. Im Reiche Hitlers erhielten Städte wie Wittenberg und Eisleben den ehrenvollen Namen Lutherstadt, den sie noch heute tragen. Wer hat sich dem Hitlerregime während seiner zwölfjährigen Dauer am stärksten verweigert? Die gläubigen katholischen Christen. Es ist eine unbestreitbare, durch Statistiken erwiesene Tatsache, dass der katholische Teil des deutschen Volkes sich dem nationalsozialistischen Regime weit weniger angepasst hat als der nichtkatholische Teil. Ebenso unbestreitbar freilich ist auch, dass der katholische Volksteil die stärkste Verfolgung erlitt und die meisten Opfer zählte. In das Konzentrationslager Dachau wurden 2806 Geistliche eingeliefert – 2806 Geistliche; davon waren 94,7 % Katholiken. Wer hat die Judenhetze des Dritten Reiches am wenigsten unterstützt? Die praktizierenden Katholiken. Der jüdische Soziologe Max Horkheimer hat eine Untersuchung veranstaltet, wer denn in der Nazizeit am meisten den Juden beigestanden hat. Er kam zu dem Ergebnis: Es waren die frommen Katholiken, die während der Nazizeit von allen Bevölkerungsschichten am meisten den Juden geholfen haben. Lassen Sie sich, meine lieben Freunde, bitten und ermahnen, allezeit eingedenk zu sein des Wortes des Apostels Paulus: „Seid auf das Gute bedacht nicht nur vor Gott, sondern auch vor allen Menschen.“ Damit sich erfülle, was derselbe Apostel nach Korinth schreibt: „Christi Wohlgeruch sind wir vor Gott unter denen, die gerettet werden, und unter denen, die verloren gehen.“

Amen. 

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