Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. November 2016

Die Kunst zu sterben

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Ich muss sterben. Ich weiß nicht wann, ich weiß nicht wie, ich weiß nicht wo. Aber das eine weiß ich, dass ich, wenn ich in einer Todsünde sterbe, ewig verloren bin. Wenn ich aber in der Gnade Gottes sterbe, dass ich ewig gerettet bin.“ Dieses Gebet haben wir als Kinder gelernt. Ich muss sterben, aber ich weiß nicht wann, ich weiß nicht wie, ich weiß nicht wo. Wenig im Leben, meine lieben Freunde, ist so gewiss wie der Tod. Ungewiss ist nur die Stunde seines Eintritts. „Auch das Sterben ist eine der Aufgaben unseres Lebens“, hat einmal der heidnische Kaiser Marc Aurel geschrieben – Auch das Sterben ist eine der Aufgaben unseres Lebens. Man muss sich mit dem Tode befassen. Er kann jederzeit eintreten, deswegen sollte man auch jeden Tag an ihn denken. „Sterblicher, denk ans Sterben!“, mahnt das Buch von der „Nachfolge Christi“. Am Eingang eines Friedhofs habe ich einmal die Inschrift gelesen: „Die Zeit geht hin, der Tod kommt her, ach, wer doch immer fertig wär’.“ Der Tod kann am Ende eines langen Leidens stehen, er kann aber auch plötzlich und unerwartet eintreten. In der Litanei von allen Heiligen heißt eine Anrufung: „Von einem jähen und unversehenen Tode erlöse uns, o Herr“ – von einem jähen, d.h. plötzlichen, und unversehenen, d.h. nicht vorbereiteten Tode erlöse uns, o Herr. Es gibt das alte Sprichwort: „Subitanea mors, clericorum sors“, d.h. die Kleriker, die Geistlichen sterben oft plötzlich. Das ist offenbar eine Mahnung an sie, immer des Todes eingedenk zu sein, jederzeit mit dem Tode zu rechnen.

Auf das Sterben, meine lieben Freunde, kann man sich vorbereiten, ja, man kann es in gewisser Hinsicht einüben. Wie denn? Indem man mit Christus und in Christus lebt. Eines ist so leicht und so schwer wie das andere: in Christus hinein leben und in Christus hinein sterben. Wer den Mut hat, in Christus hinein zu leben, der wird auch die Kraft finden, in Christus hinein zu sterben. Sterben lernen kann man, wenn man den Heimgang anderer beobachtet, vor allem derer, die im Frieden mit Gott in die jenseitige Welt hinübergegangen sind. Ein Besucher Italiens fragte einmal einen schlichten Taxifahrer, was er sich am meisten wünsche. Da antwortete der Taxifahrer: „Sterben im Frieden mit Gott.“ Das wünschte er am meisten: Sterben im Frieden mit Gott. Wir können uns bemühen, diese Haltung zu lernen und das Sterben anderer, die uns vorangestorben sind, nachzuahmen. Der große Volksschriftsteller Alban Stolz gab in seiner letzten Krankheit das erbauliche Beispiel eines in Gott hinein Sterbenden. Mehrmals sprach er es seiner Umgebung aus, wie dankbar er sei, dass er zum Priestertum berufen worden war. Acht Tage vor seinem Tode hatte er einen Traum. „Es stand jemand bei mir“, so erzählte er, „und sagte mir: In acht Tagen wirst du sterben.“ Von da an wollte der Kranke von Genesung nichts mehr wissen. Acht Tage später starb er. In der letzten Nacht vor seinem Tode sagte er: „Vergelt’s Gott für alles.“ Meine lieben Freunde, wer so stirbt, der stirbt wohl. Der große Dichter des Epos „Dreizehnlinden“, Friedrich Wilhelm Weber, war zeitlebens viel von Leiden heimgesucht. Als er merkte, dass es mit ihm zu Ende ging, sah er dem Tod mit Ruhe und heiterer Festigkeit entgegen. Er empfing die heiligen Sakramente, er betete, fast bis zu seinem Ende war er rastlos tätig. Noch auf seinem Sterbebett – er war ja Arzt – diktierte er seiner Tochter Rezepte für Kranke, die ihn besuchten. Als er noch am Tage vor seinem Tode einer kranken Frau ärztlichen Rat geben wollte, sagte er mit schwacher Stimme: „Ich kann nicht mehr.“ Unter den Klängen der Abendglocken hauchte er am 4. April 1894 seine Seele aus. Er hatte in Christus hinein gelebt und er war in Christus hinein gestorben.

Schwer und bange dröhnte am 20. August 1914 in Rom, in der ewigen Stadt, die Totenglocke in den wilden Lärm des Krieges, der ja damals ausgebrochen war, und sie kündigte den Tod des heiligen Papstes Pius X. Sein Leben war ebenso ergreifend wie sein Sterben. Er hatte ein ganz schlichtes Testament verfasst: „Ich bin arm geboren, ich habe arm gelebt, ich will arm sterben.“ So wie er gelebt hat, ist er gestorben. Es gab einmal einen berühmten Maler, Eduard von Steinle. Er hat in seinem Leben zahllose Bilder des Heilandes, Mariens, der Heiligen gemalt, Kartons entworfen für Kirchenfenster. Nun kam es zu seinem Ende. Er empfing seinen Freund, den Mainzer Theologen Heinrich, und dieser gab ihm die Sterbesakramente, er beichtete, unterhielt sich in freudiger Fassung: „Ach, wie nichtig, ach, wie nichtig“, sagte er, „ist alles, was mir an Anerkennung zugetragen worden ist, wenn ich jetzt an das Sterben denke.“ Er diktierte seiner Tochter noch einen Nachtrag zu seinem Testament, empfing die Sterbesakramente und ging mit einem frohen Lächeln in die Ewigkeit. Kurz vor seinem Tode erhob er sich noch einmal und wandte seinen Blick nach oben, wohin immer im Leben sein Streben gerichtet gewesen war. Auf der Rückreise von Rom im Jahre 1877 fühlte sich der große Mainzer Bischof Emmanuel von Ketteler unwohl, erschöpft. Er besuchte Altötting und flehte zu Maria: „O Maria, hilf auch mir! Ein armer Sünder kommt zu dir. Im Leben und im Sterben lass mich nicht verderben! Lass mich in keiner Todsünd’ sterben. Steh mir bei im letzten Streit, o Mutter der Barmherzigkeit.“ Von Altötting wandte er sich nach Burghausen in das Kapuzinerkloster, wo einer seiner Freunde eingetreten war. Und in diesem Kapuzinerkloster empfing er am 13. Juli Absolution und Kommunion. Sein geistlicher Beistand betete ihm vor: „Seele Christi, heilige mich. Leib Christi, erlöse mich.“ Nachdem er alle Anwesenden gesegnet hatte, fiel er in den Todeskampf – es war eigentlich kein Kampf, es war ein ruhiges Hinübergehen in die Ewigkeit; ohne Seufzer ist er mit einem friedlichen Lächeln eingeschlafen.

Als der Seherknabe von Fatima, der heilige Francisco, zum Sterben kam, da rief er seine Schwester Lucia zu sich: „Komm schnell!“ Und sie eilte zu ihm, es ging ihm schlecht. „Heute“, sagte er, der Seherknabe, „muss ich beichten, damit ich die heilige Kommunion empfangen kann, und dann werde ich sterben. Du sollst mir sagen, ob du Sünden von mir weißt. Und dann geh zu Jacinta und frage auch sie.“ Lucia bemühte sich, Sünden aus dem Leben des kleinen Francisco ausfindig zu machen. „Du hast manchmal der Mutter nicht gehorcht. Die sagte, du sollst zu Hause bleiben, und du bist fortgelaufen.“ Dann musste auch Jacinta ihm sagen, was er angestellt hatte in seinem Leben. „Ja, bevor du die Madonna gesehen hast, hast du einmal dem Vater einen halben Franken gestohlen und damit eine Mundharmonika gekauft. Und als die Buben des Nachbarortes Steine warfen, da hast du mitgeholfen.“ „O ja“, sagte er, „das habe ich alles schon gebeichtet, aber ich werde es noch einmal beichten. Wer weiß, ob ich nicht wegen dieser Sünden schuld bin, dass der Heiland so betrübt ist. Auch wenn ich nicht sterben müsste, würde ich es niemals mehr tun; jetzt bereue ich es.“ Und dann sprach er mit gefalteten Händen die denkwürdigen Worte: „O mein Jesus, verzeih uns unsere Sünden, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle, führe alle Seelen in den Himmel und hilf denen, die es am nötigsten haben.“ Der Knabe empfing dann Lossprechung und Kommunion und fragte seine Schwester, ob sie daran gedacht hätte, dass der Heiland zu ihm kommt, und sie fragte ihn, ob er im Himmel für sie beten werde. Er antwortete: „Ja, im Himmel werde ich auch für dich beten.“ Sie fand ihn strahlend vor Freude, weil er die heilige Wegzehrung empfangen hatte mit Klarheit und Frömmigkeit. „Heute bin ich glücklicher als du“, sagte er zu seinem Schwesterchen, „weil ich den verborgenen Heiland in meinem Herzen habe.“ Und dann fügte er hinzu: „Ich gehe jetzt ins Paradies. Aber dort werde ich Jesus und die heiligste Jungfrau bitten, dass sie auch euch so bald wie möglich hinaufholen.“ Lächelnd zu sterben ist das Privileg der Marienkinder, und Francisco ist lächelnd gestorben. Aus unserer Zeit ist uns überliefert, wie der heilige Papst Johannes Paul II. in die Ewigkeit gegangen ist. Er hat – selbstverständlich auf Polnisch, sein nächster Begleiter war ja ein Pole – gesprochen, und sein letztes Wort war: „Lasst mich ins Haus des Vaters gehen“ – Lasst mich ins Haus des Vaters gehen. Ein altes Lied lautet folgendermaßen: „O sanfter Tod in Eile, komm schnell daher zu mir, dass ich nicht länger weile im schweren Kampf dahier. Ihr Künstler zeichnet nimmer so fürchterlich des Todes Bild. Der Tod allein, der hilft uns immer, wenn es des Himmels Heimat gilt. Mag fürchten ihn der Feige, groß Unrecht tun dem Tod, ich mutig nimmer schweige, ich rufe ihn in Erdennot. Von dir, o eitle Freude, o Welt und leerer Schein, ohn’ alle Sorg ich scheide, will nur im Himmel sein.“ Meine lieben Freunde, beten wir häufig zu unserem Gott und Heiland: „Lass mich in dich hinein leben, damit ich in dich hinein sterben kann.“ Vergessen wir nicht unsere himmlische Mutter anzuflehen: „Heilige Maria, bitte für uns, jetzt und in der Stunde meines Todes.“ Und rufen wir zu Josef – bei dessen Sterben ja höchstwahrscheinlich Jesus zugegen war –, den Patron der Sterbenden: „Steh mir bei in meiner letzten Stunde.“ Und sprechen wir das schöne Gebet, das der heiligmäßige Kardinal Newman gesprochen hat: „O Gott, lass mich sterben zu der Zeit und auf die Weise, die am meisten zu deiner Ehre und am besten für mein ewiges Heil ist.“

Amen.  

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