Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. Mai 2016

Die Gaben des Heiligen Geistes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Herabkunft des Heiligen Geistes Versammelte!

Wir Christen wünschen einander zum Pfingstfest die Gaben des Heiligen Geistes, und das ist recht so. Die Gaben des Heiligen Geistes sind Geschenke, Geschenke im Inneren der Seele. Sie gehören zur habituellen Gnadenausstattung des Menschen. Wer in der heiligmachenden Gnade ist, hat auch in jedem Falle Anteil an den sieben Gaben des Heiligen Geistes. Die Gaben des Geistes gehören zur habituellen, also gewohnheitsmäßigen Ausstattung mit der heiligmachenden Gnade. Sie sind keine außerordentlichen Zuwendungen Gottes, sondern die normale Begleitschaft der Gnade. Wir müssen sie also unterscheiden von den Tugenden, von den Charismen und von den Früchten des Heiligen Geistes. Tugenden sind Fertigkeiten im Guten, Bereitschaft des Willens, immer das Rechte zu tun. Charismen sind außerordentliche Gnadengaben, die gegeben werden zur Erbauung der Kirche, z.B. die Gabe der Prophezeiung. Die Früchte des Heiligen Geistes sind Produkte, also Erzeugnisse des Heiligen Geistes: Liebe, Freude, Friede, alle die Dinge, die der Heilige Geist in der Seele schafft. Aber die Gaben – ich sage es noch einmal – sind die normale Begleitschaft der Gnade. Die Funktion der Gaben im Gnadenleben besteht darin, dass der Mensch durch sie befähigt wird, den Anregungen des Heiligen Geistes leichter und bereitwilliger zu folgen und sich so zu hoher Heiligkeit emporführen zu lassen. Die Gaben machen den Menschen empfänglich, ansprechbar, gelehrig für jene Gnadenanregungen, mit denen Gott ihn unaufhörlich bewegt. Im theologischen Sprachgebrauch versteht man freilich unter den Gaben auch die von uns zu empfangenen Gnadenimpulse, also nicht nur die Bereitschaft, sondern auch, was die Bereitschaft bewirkt, nämlich die Gnadenimpulse, die Gnadenantriebe, die Gott in uns weckt.

Es werden herkömmlich sieben Gaben des Heiligen Geistes unterschieden: Weisheit, Wissenschaft, Verstand, Rat, Stärke, Frömmigkeit, Furcht des Herrn. Die Gabe der Weisheit, die an der Spitze steht, bewirkt, dass wir die Vergänglichkeit der irdischen Güter erkennen und Gott als das höchste Gut ansehen. Diese Gabe hilft zur rechten Würdigung der religiösen Wirklichkeiten, aufgrund einer gewissen inneren Verwandtschaft mit ihnen durch die Liebe. Die Gabe der Weisheit drückt der Apostel Paulus aus, wenn er sagt: „Was mir Gewinn brachte (auf Erden), das habe ich um Christi Willen für Verlust gehalten. Ja, ich halte alles für Verlust wegen der alles überragenden Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.“ Diese Erkenntnis Jesu ist unvergleichbar, überragt alles. Der Christ hat eben die rechte Einschätzung der Werte, er weiß um die Bedeutung des Irdischen, aber auch um den überragenden Schatz des Himmlischen. „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden nimmt an seiner Seele?“ Unser schlesischer Dichter Josef Eichendorff hat dieselbe Wahrheit in seiner Weise herrlich ausgedrückt: „Die Welt mit ihrem Gram und Glücke will ich, ein Pilger, froh bereit betreten nur als eine Brücke zu dir, Herr, überm Strom der Zeit.“ Die Gabe der Wissenschaft erleuchtet uns, sodass wir mit einer gewissen instinktiven Sicherheit das Glaubensgut von dem unterscheiden können, was nicht zum Glauben gehört. Wir katholischen Christen sind davon überzeugt, dass es Privatoffenbarungen gibt. Wir lieben die Stätten, wo Maria sich zeigte und zu uns sprach: Lourdes, Fatima. Wir lieben die Orte, wo sie ihre Wunder vollbrachte: Altötting oder Kevelaer, aber wir vergessen nicht, dass die amtliche Offenbarung mit dem Tod des letzten Apostels zu Ende ging. Die Gabe der Wissenschaft bewirkt sodann, dass wir die Lehre der Kirche ohne besonderes Studium klar erfassen. Das Begreifen der Wahrheiten wird den Gläubigen eingegeben. Der heilige Thomas von Aquin erklärte oft, dass er an den Stufen des Altares mehr gelernt habe als aus den besten Büchern. Der heilige Pfarrer von Ars war kein sehr begabter Student. Er hat nur wenig studiert, aber er predigte so vortrefflich, dass die Menschen erbaut, bekehrt und zutiefst angerührt wurden. Bischöfe fanden sich vor seiner Kanzel ein, um sein Wort zu hören. Sie sagten von ihm: Er ist nicht gelehrt, er ist erleuchtet. Der einfache, unverbildete Christ weiß oft besser, was der Kirche dient und dem Glauben aufhilft als studierte Theologen. Er hat das reine Auge und den klaren Sinn. Als man anfing, die Einrichtungen der Kirche umzumodeln, also in den 60iger Jahren, als man anfing, statt die Menschen zur Bekehrung und zur Besserung des Lebens zu führen, Strukturen zu verändern, sagte mir – es ist Jahrzehnte her, aber ich habe es nicht vergessen – ein schlichter Mann im Beichtstuhl: „Wozu das, es war doch alles gut?“ Er meinte, es hätte nicht der Umkehr der Einrichtungen, sondern der Änderung der Menschen bedurft; sie ist unterblieben. Die Verantwortlichen haben sich der Gabe der Wissenschaft offenbar nicht im erforderlichen Maße bedient. Die Gabe des Verstandes bewirkt, dass wir die wahre katholische Lehre von jeder anderen unterscheiden. Sie unterrichtet uns über die Unterscheidungslehren, also über jene Gegenstände des Glaubens, die von der katholischen Lehre verschieden sind. Wer einmal den Glauben mit Überzeugung angenommen hat, der weist jede Vermischung mit fremden Glaubensanschauungen zurück. Die Gabe des Verstandes bewirkt weiter, dass wir die wahre katholische Lehre zu begründen imstande sind. Wir sollen ja Rechenschaft geben von unserem Glauben, wir sollen nicht stumme Hunde sein, wenn wir gefragt werden und wenn Angriffe kommen. Nein, die Gabe des Verstandes lässt uns die Glaubenswahrheiten in ihrem wahren Sinn und in ihrer inneren Ordnung begreifen. Wer die Gabe des Verstandes hat, der besitzt eine feste Überzeugung von der Wahrheit der katholischen Lehre. Und er besitzt eine solche Gewandtheit der Rede, dass die Feinde der Religion beschämt werden. Der katholische Christ weiß aufgrund der Gabe des Verstandes, dass Anbetung Gottes und Verehrung der Heiligen zwei wesentlich verschiedene Dinge sind. Es wird uns immer vorgehalten: Ihr betet die Heiligen an. Nein, wir beten sie nicht an, wir verehren sie. Anbetung ist jener religiöse Kultakt, durch den wir Gottes Oberhoheit, Gottes Oberherrlichkeit und unsere vollständige Abhängigkeit von ihm anerkennen. Anbetung gebührt nur Gott! Verehrung der Heiligen ist die Bezeugung der Achtung und der Wertschätzung von Menschen wegen der übernatürlichen Gnadenvorzüge, die ihnen von Gott verliehen wurden. Die Verehrung der Heiligen beeinträchtigt nicht die Gottesanbetung, nein, sie ist eine Gabe Gottes; Gott ist groß in seinen Heiligen. Was sie haben, das haben sie empfangen.

Die Gabe des Rates bewirkt, dass wir in schwierigen Fällen mit Sicherheit erkennen, was nach dem Willen Gottes zu tun ist. Ein Christ kann eigentlich nicht mehr völlig ratlos sein, denn er trägt die Gabe des Rates in sich. Sie öffnet uns für die Empfehlung, mit der Gott selbst uns zu einem sicheren praktischen Urteil über das führt, was wir auf dem Wege des Heils tun sollen. Sie unterstützt die Tugend der Klugheit. Der fromme Mönch Notker von Sankt Gallen war Ratgeber des Kaisers Karl des Dicken. Ein Begleiter des Kaisers wollte ihn einmal öffentlich demütigen, und er ging mit Hofleuten zu Notker und stellte ihm die Frage: „Sag mir, gelehrter Mann: Was macht unser lieber Herrgott im Himmel?“ Notker antwortete: „Ich weiß, was er macht: Er erhöht die Demütigen und demütigt die Hoffärtigen.“ Es gibt Menschen, denen Gott die Gabe des Rates in verstärktem Maße gibt. Sie besitzen die Fähigkeit anderen, die ratlos sind, recht zu raten, was sie tun oder unterlassen sollen. Einen solchen Ratgeber haben wir in der vergangenen Woche gefeiert, den Erzbischof Antoninus von Florenz. Er trägt den Beinamen Antoninus consiliorum, der Antonin, der von den Räten ist, der Räte gibt. Anderen raten, ist ein Werk der geistlichen Barmherzigkeit. Das Raten, meine lieben Freunde, ist von großer Verantwortlichkeit, denn es macht uns teilhaftig an den Entschlüssen dessen, dem wir den Rat geben. Wir müssen uns also gründlich überlegen, was wir raten. Wir müssen mit Gott zurate gehen, bevor wir anderen raten. Wir müssen die Mutter vom guten Rate anrufen, dass wir Recht haben. Die Gabe der Stärke bewirkt, dass wir mutig alles ertragen, um den Willen Gottes zu erfüllen. Sie stärkt unser Vertrauen, dass Gott uns durch alle Fährlichkeiten hindurch zum ewigen Leben führen wird. Die Gabe der Stärke gibt und Kraft im Widerstehen, Geduld im Ertragen, Standhaftigkeit im Beharren. Kraft im Widerstehen gegen das Böse, Geduld im Ertragen der vielen Unpässlichkeiten und Leiden, die uns treffen, Standhaftigkeit im Ausharren auch in unangenehmen Situationen. Die Gabe der Stärke besaßen die heiligen Martyrer, die heiligen Dulder und Büßer. Der heilige Paulus konnte von sich sagen: „Ich vermag alles in dem, der mich stärkt.“ Und dann zählt er auf. „Ich kann hungern, ich kann Überfluss haben, ich weiß in Not, ich weiß in Überfluss zu leben, ich kann satt sein und hungern. Ich vermag alles in dem, der mich stärkt.“

Die Gabe der Frömmigkeit bewirkt, dass wir uns bemühen, Gott immer näher kennenzulernen und immer treuer zu folgen und immer inniger zu lieben. Die Gabe der Frömmigkeit lässt uns in wahrem Kindesgeist Gott als unseren Vater verehren. Sie gibt uns in der Gottesverehrung ehrfürchtige Sorgfalt, frei von sklavischer Gesinnung und Ängstlichkeit, aber auch frei von unangemessenen Freiheiten, die sich manche im Gotteshaus nehmen. Die heilige Teresia von Avila legte das Gelübde ab, jederzeit das Vollkommenere zu tun. Ein schweres Versprechen, ein hartes Versprechen, weil es uns gewissermaßen zwingt, immer nach dem Vollkommeneren – und das ist ja meist das Schwerere – Ausschau zu halten. Der heilige Alfons legte das Gelübde ab, nie müßig zu sein – auch ein hohes Versprechen, denn wir neigen zur Bequemlichkeit, zur Trägheit. Die Gabe der Frömmigkeit bewirkt, dass wir ausgiebig beten, beharrlich beten, andächtig beten, vertrauensvoll beten. Die Gabe der Frömmigkeit bewirkt, dass wir unser Tagewerk mit Gott beginnen und mit Gott beenden, dass wir tagsüber immer wieder aufschauen zu Gott und fragen: Was willst du, dass ich tun soll? Die Heiligung des Tageswerkes ist uns aufgegeben, und die Gabe der Frömmigkeit verhilft uns dazu, diese Aufgabe zu erfüllen. Die Gabe der Gottesfurcht bewirkt, dass wir die geringste Beleidigung Gottes mehr fürchten als alle Übel in der Welt. Gottesfurcht ist die liebende Scheu, den Vater im Himmel zu betrüben, und die scheue Liebe, Gott zu missfallen. Die Theologie unterscheidet drei Arten der Gottesfurcht. Die Gottesfurcht entspringt der lebendigen Erkenntnis der göttlichen Weisheit, Macht und Heiligkeit. Die höchste Stufe der Gottesfurcht ist die kindliche Furcht. Sie verabscheut und flieht alles Böse, weil es eine Beleidigung des über alles geliebten Gottes darstellt. Sie ist also mehr ein Akt der Liebe und der Ehrfurcht als der Furcht. Aber sie ist notwendig, und sie ist eine übliche Begleitschaft der Gottesliebe. „Lass uns deinen Namen, o Gott“, so heißt es in einem Kirchengebet, „zugleich lieben und fürchten.“ Die knechtliche Furcht – die zweite Stufe – stellt die göttliche Strafe in den Vordergrund. Sie fürchtet sich vor dem strafenden Gott, aber die knechtliche Furcht schließt die anfanghafte Liebe nicht aus. Sie gibt die Sünde auf und hält sich treu zu Gott. Dagegen die knechtische Furcht – die unterste Stufe – unterlässt die Sünde nur äußerlich aus Angst vor der Strafe. Sie bedeutet also keine innere Abkehr von der Sünde und deswegen ist sie verwerflich. Die knechtische Furcht führt nicht zu Gott. Gottesfurcht, meine lieben Freunde, bringt uns großen Nutzen, „sie ist der Anfang der Weisheit“, so heißt es oft in der Heiligen Schrift. Sie hält uns von der Sünde zurück und sie führt uns zur Vollkommenheit und zum irdischen und ewigen Glück. Im Alten Bunde sprach Gott zum Propheten Jeremias: „Ich will die Furcht vor mir in ihr Herz geben, auf dass sie nicht von mir abweichen“ – Ich will die Furcht vor mir in ihr Herz geben, auf dass sie nicht von mir abweichen. Und im Psalm 118, den wir Priester jeden Sonntag beten, heißt es: „O Herr, durchbohre mein Herz mit der Furcht vor dir“ – durchbohre mein Herz mit der Furcht vor dir.

Wir begehen heute, meine lieben Freunde, das Pfingstfest, das Fest der Herabkunft des Heiligen Geistes. Die Pfingsttage sollen Tage des Betens und des Bittens sein. Wir sind Menschen in Not und Schuld, in Ausweglosigkeit und Ratlosigkeit; da stehen die Stürme Gottes und seines Geistes bereit, in unser Leben einzubrechen und die große Fahrt zu ermöglichen. Bitten wir, dass diese Feuerzungen in unser Leben fallen. Es soll anders werden in uns, wir sollen andere Menschen werden. Diese Gottesfeuer überbrennen, sie verbrennen nicht. Wenn das geschieht, dann wird das Pfingstwunder auch in uns sich ereignen. Dann werden wir gewandelte Menschen werden, Menschen, in denen die Gaben Wirklichkeit geworden sind. Der Geist wird kommen und den Mut in uns aufrichten und er wird uns befähigen, Zeugnis von Christus abzulegen. Das sind keine Erinnerungen, das sind gegenwärtige Geschehnisse. Wir brauchen also in diesen Tagen stille Stunden der Besinnung, wir brauchen stille Stunden des Betens, in denen wir rufen: „Komm, o Geist der Heiligkeit! Aus des Himmels Herrlichkeit sende deines Lichtes Strahl! Vater aller Armen du, aller Herzen Licht und Ruh, komm mit deiner Gaben Zahl!“

Amen. 

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