Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. Juni 2015

Die Vernunft und das Dogma vom dreifaltigen Gott

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im Namen des dreifaltigen Gottes beginnt der christliche Verkündiger seine Botschaft auszurichten. Die Anrufung des dreifaltigen Gottes durchwirkt die gesamte katholische Theologie und das ganze religiöse Leben des katholischen Christen. Das Bekenntnis der Dreifaltigkeit ist insofern das zentrale Mysterium, weil diese Lehre das Letzte über Gott selbst aussagt. Gläubige und Ungläubige haben sich mit dem Dogma vom dreifaltigen Gott beschäftigt. Die einen, um zu versuchen, es zu verstehen, die anderen, um den Versuch zu machen, es aus den Angeln zu heben. Nach jahrhundertelangen Kämpfen, Bemühungen, Anstrengungen, geistigen Bewegungen hat das Konzil von Nicäa im Jahre 325 endgültig und für immer Klarheit geschaffen über die Trinität: „Der Sohn Gottes ist aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesensgleich dem Vater.“ Und das Konzil von Konstantinopel im Jahre 381 hat zu dieser Zweiheit den Dritten, den Heiligen Geist, hinzugefügt: „Er wird zugleich angebetet und verherrlicht, weil er in gleicher Weise Gott ist.“ Im Abendland verdanken wir die tiefsten Einsichten über den dreifaltigen Gott dem heiligen Augustinus. Er geht von der Einheit und Einzigkeit der göttlichen Wesenheit aus. Die Personen werden konstituiert durch die beiden Hervorgänge: der Zeugung und der Hauchung. Sie sind Relationen, Relationen, durch welche die Verschiedenheit der Personen erklärt ist. Alles ist eins in der Trinität, ausgenommen das, was von jeder Person in Beziehung (in Relation) zu der anderen und zu den anderen gesagt wird. Der Geist geht vom Vater und vom Sohne aus; die Einheit des Wirkens nach außen wird von Augustinus stark betont. Sie ergibt sich aus der Einzigkeit des Wesens; Gott wirkt durch sein Wesen, und dieses Wesen ist eines. Die ewige Personen konstituierenden Relationen (Beziehungen) verbindet Augustinus mit psychologischen Kategorien, wie er sie im Menschen findet. Er hat die sog. psychologische Trinitätslehre begründet, ein Versuch, zu verstehen, wie Gott in sich ist. Die Zeugung des Sohnes wird in dieser Lehre als Denkakt des Vaters aufgefasst. Dieser Denkakt konstituiert ein Abbild seiner selbst, Sohn genannt. Der Geist wiederum ist die Person gewordene Liebe zwischen Vater und Sohn, geht also vom Vater und vom Sohne aus.

Bis zum Auftreten Luthers und seiner Geistesverwandten konnte sich die rechtgläubige Lehre über den dreifaltigen Gott ungeschmälert behaupten. Die großen Kirchenversammlungen des Mittelalters haben den Gläubigen diese Lehre in immer neuen Wendungen vorgelegt. Aber die Lage änderte sich mit dem Erscheinen der Glaubensneuerer des 16. Jahrhunderts. Sie verwarfen so viele Dogmen der Kirche, dass es nicht verwundert, dass auch die Trinität in den Strudel des Abfalls hineingezogen wurde. Es traten im Protestantismus frühzeitig Antitrinitarier auf. Antitrinitarier, also Menschen, welche die Lehre von der Dreifaltigkeit verwarfen. Diese Antitrinitarier schlossen sich zu Gruppen zusammen, die sog. Sozinianer und Unitarier. Sie bildeten eine eigene Kirche in Siebenbürgen (Ungarn), in Polen, in England, in Amerika. Eine weitgreifende Bestreitung des dreifaltigen Gottes setzte ein in der Zeit der Aufklärung, also im 17. und 18. Jahrhundert. Die Zerstörung der Glaubenswahrheit an die Trinität hebt meistens an mit der Leugnung der Gottheit Christi. Wer in Jesus einen bloßen Menschen sieht, der kann keine Trinität festhalten. Und die Deisten verwarfen das ganze Christentum, sagten: Das ist eine historische Angelegenheit. Wir halten uns an die natürliche Religion; und die natürliche Religion kennt nur einen Eingottglauben, keine Trinität. So sind die Deisten zur entschiedenen Leugnung des dreifaltigen Gottes gelangt. Neben ihnen die Rationalisten, die nur gelten ließen, was ihr Verstand einsehen konnte. Sie konstruierten Gott nach ihrem Bild und Gleichnis. Ihnen war Christus ein bloßer Mensch, der durch sentimentale Übertreibungen über das Niveau eines Propheten erhoben wurde. Die rationalistische Theologie hält zwar an den überkommenen Begriffen fest, aber versteht darunter etwas ganz anderes. Dreifaltigkeit ist nach dieser sog. Theologie die Macht, die Weisheit und die Güte, nicht personal, sondern diese Begriffe: Macht, Weisheit, Güte sollen die Trinität darstellen. Für den Königsberger Philosophen Immanuel Kant war das Trinitätsdogma Ausdruck der Einheit von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung – wir sehen: eine totale Umdeutung. Im 19. Jahrhundert wurde die Trinitätslehre von protestantischen Theologen überwiegend als hellenistische (griechische) Verfremdung des Evangeliums abgelehnt oder umgedeutet. Der bedeutendste evangelische Theologe des 19. Jahrhundert war Friedrich Schleiermacher; er lehrte in Berlin. Für Schleiermacher war Christus ein bloßer Mensch. In ihm habe das Bewusstsein von Gott den höchsten Grad der Lebendigkeit erreicht, dadurch habe er befreiend auf die Menschheit gewirkt. Sie verstehen, dass hier nicht nur die Trinität, sondern das ganze Erlösungswerk umgedeutet wird. Die Gottheit Christi besteht nach Schleiermacher darin, dass er ein vollkommenes Bewusstsein von Gott hatte, also ein psychologischer Vorgang. Der frühere Bischof von Mainz, Albert Stohr, war ein gelehrter Theologe. Er hat sich eingehend mit der Trinitätslehre befasst. Er kannte auch die Ansichten der protestantischen Theologen über diesen Gegenstand, und er kam zu dem Urteil, dass bei ihnen noch die alten kirchlichen Formeln gelesen werden, aber der Inhalt sich verflüchtigt hat. „Die rationalistische Richtung der neueren protestantischen Theologie“, schreibt Stohr, „hat das Trinitätsdogma preisgegeben oder ausgehöhlt.“ Im 20. Jahrhundert ist es nicht anders gewesen. Als der bedeutendste evangelische Theologe des 20. Jahrhundert gilt Adolf von Harnack; auch er lehrte in Berlin. Er hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vorlesungen über das Wesen des Christentums gehalten. Ich habe mir dieses Buch angeschafft, es gelesen. Dieses Buch ist in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet, in alle möglichen Sprachen übersetzt bis ins Japanische. Und was lehrt Adolf von Harnack in diesem Buche? In das Evangelium, wie es Jesus verkündet hat, gehört allein der Vater hinein. Also wer gehört nicht hinein ins Evangelium? Der dreifaltige Gott, der Gott Jesus Christus. Nur der Vater gehört ins Evangelium, wie es Jesus verkündet hat, nicht der metaphysische Gottessohn Jesus Christus, nicht der dreifaltige Gott. Für Harnack ist das Trinitätsdogma das Ergebnis der Hellenisierung des Christentums im Altertum, also eine Erfindung griechischer philosophischer Theorien. Mit einer solchen Einstellung kam man damals an. Er wurde Rektor der Universität, mit allen möglichen Auszeichnungen bedacht. Er war der Freund des Kaisers.

Wie steht es heute? Die große Mehrheit der protestantischen Theologen lehnt den trinitarischen Glauben, wie ihn das Konzil von Nicäa formuliert und die katholische Kirche unentwegt gelehrt hat, ab. Das Konzil von Nicäa ist im Protestantismus weitgehend aufgegeben. Wohl die Mehrzahl der protestantischen Theologen ist mit einer gewissen Modifikation zu den Irrlehren zurückgekehrt, die wir bei den vorherigen Predigten bedacht haben. Ich zitiere noch einmal den Bischof von Mainz, Albert Stohr, er schreibt: „Der moderne Protestantismus sieht in der Dreifaltigkeit eine arge Verlegenheit.“ Um der Redlichkeit willen sei festgestellt: Es gibt auch heute evangelische Theologen, die am Dogma der Trinität im Sinne der alten Kirche festhalten. Ein solcher Theologe war Karl Barth. Er hat seine ganze Theologie auf der Trinität aufgebaut. Aber diese Fälle ändern nichts daran, dass man nicht davon ausgehen kann, dass der Protestantismus, die protestantische Religion und die protestantische Kirche auf dem Boden der Trinitätslehre des Konzils von Nicäa stehen. Wenn man einen evangelischen Theologen über die Trinität befragt, bekommt man immer nur die Antwort, die er für sich gefunden hat. Ein gemeinsames Dogma, eine gemeinsame Lehre, eine verbindliche gemeinsame Lehre gibt es im Protestantismus nicht.

Beim Glauben an den dreifaltigen Gott handelt es sich nicht um eine Nebensache. Der rechte Glauben an den dreieinigen Gott ist vielmehr das Kennzeichen des Christen. Wer nicht den dreieinigen Gott bekennt, der ist kein Christ! Der Glaube an den dreifaltigen Gott ist auch grundlegend für das christliche Leben, für unser Gebet, für die Frömmigkeit. Wie man glaubt, so betet man. Wer den nicänischen katholischen Glauben an die Dreifaltigkeit teilt, der betet Gott den Vater, Gott den Sohn und Gott den Heiligen Geist in gleicher Weise an. Tagtäglich beginnen wir unser Tun und Lassen im Namen des dreifaltigen Gottes. Wir alle sind in die Kirche aufgenommen worden bei der heiligen Taufe im Namen des Vaters und des Sohnes und des Geistes. Wir feiern das Dreifaltigkeitsfest am Sonntag nach Pfingsten; wir beten an allen Sonntagen das Nicäno-Konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis mit ausführlicher Trinitätslehre. Wir beten an den meisten Sonntagen die Präfation von der Dreifaltigkeit. Die ganze heilige Messe ist ein Geschehen gegenüber dem dreifaltigen Gott. Wir bringen dem Vater im Himmel seinen Sohn im Heiligen Geist dar. Genau das ist es: eine Huldigung an den dreifaltigen Gott. Bedenken Sie, meine lieben Freunde, die Konsequenzen, welche die Aufgabe des rechten Verständnisses des dreifaltigen Gottes für das Verhältnis der Angehörigen der verschiedenen christlichen Konfessionen nach sich zieht. Wer den nicänischen Glauben an die Trinität nicht teilt, der betet zwar Gott Vater, aber nicht Gott Sohn und nicht Gott Heiligen Geist an. Diejenigen protestantischen Theologen, die sich vom nicänischen Glauben getrennt haben, halten uns für Götzenanbeter. Wir beten nach ihrer Meinung einen Menschen an (Christus), wir beten eine Kraft an (den Geist); das ist die Folge der Leugnung des Dogmas von Nicäa.

Die Lehre vom dreifaltigen Gott ist gewiss eine Herausforderung für die Vernunft, aber sie ist keine Zumutung für die Vernunft. Die Lehre von der Dreifaltigkeit ist ein eigentliches und strenges Geheimnis. Das heißt erstens: Diese Lehre ist in ihrem Inhalt und in ihrer Existenz nur durch Offenbarung Gottes erkennbar. Allein aus der Natur kann man den dreifaltigen Glauben nicht gewinnen. Zweitens: Diese Lehre bleibt auch als geoffenbarte in ihrer inneren Möglichkeit uneinsichtig. Dennoch vermag die Vernunft der Lehre vom dreifaltigen Gott zwei Dienste zu leisten. Erstens: Die Vernunft kann das Geheimnis der Dreifaltigkeit durch Vergleiche dem Verstand nahebringen. Und den – meines Erachtens – gelungensten Vergleich habe ich Ihnen ja vorgestellt. Es ist die psychologische Trinitätslehre des heiligen Augustinus. Die tiefste Analogie ist diese geniale Entdeckung des heiligen Augustinus: das Hervorgehen des geistigen Wortes und der geistigen Liebe, speziell der Selbsterkenntnis und der Selbstliebe aus dem menschlichen Geist; ähnlich/unähnlich darf man sich das innergöttliche Leben vorstellen. Zweitens: Die Vernunft vermag zu zeigen, dass die Einwände gegen die Trinität nicht zutreffen. Es liegt keine Verletzung des Prinzips vom Widerspruch vor. Das Dreifaltigkeitsdogma behauptet nicht, dass eins gleich drei und drei gleich eins sei. Nein, nur in derselben Beziehung kann etwas nicht gleichzeitig eins und drei sein. Aber im Dreifaltigkeitsdogma werden drei und eins ja verschieden verstanden. Drei betrifft die Personen, eins das Wesen. Es ist also nicht wahr, wenn Harnack behauptet: „Wer das Athanasianische Glaubensbekenntnis beschworen hat, der hat der Vernunft abgeschworen.“ Nein, das haben wir nicht. Das Dreifaltigkeitsdogma verstößt auch nicht gegen das Axiom, dass zwei Dinge, die einem Dritten gleich sind, auch unter sich gleich sind. Nur in derselben Beziehung, in der zwei Dinge einem Dritten gleich sind, sind sie auch unter sich gleich, aber nicht in verschiedener Beziehung. Gott heißt aber eins und drei in verschiedener Beziehung, nämlich Natur und Person. Vielleicht haben Sie schon einmal eine gewisse Schwierigkeit befunden, wenn es im Johannesevangelium heißt: „Der Vater ist größer als ich.“ So sagt Jesus: „Der Vater ist größer als ich.“ Aber in der Trinität ist doch alles gleich. Was hier ausgesagt wird, das gilt von der menschlichen Natur und vom zeitlichen Ursprung Jesu, insofern ist der Vater wirklich größer. Er hat ja den Menschen Jesus angenommen und ihn in die Welt gesandt. Die Dreifaltigkeit durch die Vernunft beweisen wollen, hieße einerseits den Glauben vor den Ungläubigen kompromittieren, indem man ihn nämlich mit Gründen stützen will, die nicht tragen. Andererseits hieße es, das Dogma selbst entstellen, indem man es sich nach eigenen Gedanken zurechtlegt. Gott ist unbegreiflich und muss unbegreiflich bleiben. Die Unbegreiflichkeit ist ein Attribut Gottes, eine Wesenseigenschaft Gottes. Die Lehre vom dreifaltigen Gott muss also ein undurchdringliches Geheimnis bleiben. Wäre Gott einsichtig, wäre er durchschaubar, dann würde er zu den geschaffenen Wirklichkeiten gehören, dann hörte er auf, Gott zu sein. Wäre Gottes Wesen und Wirken für den Menschen so einsichtig wie Wirklichkeiten der Natur, würde er sich von der Natur nicht unterscheiden, dann hätten wir den Pantheismus. Wir, meine lieben Freunde, wollen dem Glauben der Kirche treu bleiben, uns zum dreifaltigen Gott bekennen und unser Leben in seinem Namen vollziehen. Wir wissen, dass wir im Evangelium sitzen und die Leugner der Dreifaltigkeit außerhalb des Evangeliums. Wir beten zum dreifaltigen Gott: Du hast deinen Dienern die Gnade verliehen, im Bekenntnis des wahren Glaubens die Herrlichkeit der ewigen Dreifaltigkeit zu erkennen und in der Macht der Majestät die Einheit anzubeten. Nun bitten wir dich: Lass uns kraft dieses Glaubens, kraft dieses unerschütterlichen Glaubens von allem Unheil gesichert sein.

Amen.        

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