Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Januar 2013

Vorhersagungen und Schauungen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn! 

Der Jahresanfang fällt im Gregorianischen Kalender, genannt nach Gregor XIII., auf den 1. Januar. Im Mittelalter begann man das bürgerliche Jahr am 25. März, also mit der Empfängnis Mariens. Viele Menschen stellen in diesen Tagen die Frage: "Was wird das Jahr bringen? Wie wird es weitergehen in der Politik, in der Wirtschaft? Was steht mir selbst bevor?“ Es gibt verblüffende Vorhersagen politischer und wirtschaftlicher Ereignisse. Wer die Menschen sorgfältig beobachtet, wer die Triebkräfte der Öffentlichkeit kennt, der kann manchmal erstaunlich zutreffend voraussagen, wie die Zukunft sich gestalten wird.

Im Jahre 1814 wurde Napoleon abgesetzt und kam auf die Insel Elba. Dort hatte er einen kleinen Herrschaftsbereich mit einigen hundert Mann Besatzung. Der österreichische Außenminister bemerkte: „Innerhalb von zwei Jahren muss man wieder mit Krieg rechnen, dann kommt er wieder." Es dauerte nur ein Jahr, dann war er wieder da, und der Krieg begann von neuem, bis er endlich in Waterloo seine endgültige Niederlage erlebte. Am 30. Januar 1933 wurde ein Mann namens Adolf Hitler zum Reichskanzler des Deutschen Reiches ernannt. Zwei Tage später, am 1. Februar, schrieb der General Ludendorff an Hindenburg einen Brief. In diesem Brief, ich zitiere ihn hier wörtlich, heißt es: "Sie haben durch die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler einem der größten Demagogen aller Zeiten unser heiliges deutsches Vaterland ausgeliefert. Ich prophezeie Ihnen feierlich, dass dieser unselige Mann unser Reich in den Abgrund stoßen, unsere Nation in unfassliches Elend bringen wird, und kommende Geschlechter werden Sie verfluchen in Ihrem Grabe, dass sie das getan haben." Selten ist eine Prophezeiung genauer in Erfüllung gegangen als diese. In unserer Zeit hat sich der amerikanische Finanzmann Greenspan als Prophet versucht. Er sagte in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts: "Der Euro wird kommen, aber er wird nicht bleiben." Gekommen ist er, der erste Teil der Vorhersage hat sich erfüllt. Mit der Erfüllung des zweiten können wir, müssen wir unter Umständen rechnen. Es sind Menschenkenntnis und rationale Überlegungen, die manchem Zeitgenossen erstaunliche Prognosen der Zukunft gestatten. Davon verschieden ist die Gabe des Hellsehens. Es ist eine unbezweifelbare Tatsache, dass manche Menschen die Fähigkeit haben, in Visionen räumlich entfernte und zeitlich bevorstehende Ereignisse zu schauen. Man nennt diese Gabe das ‚Zweite Gesicht‘. Es war und ist vielleicht noch verbreitet in nordischen Ländern, in Schottland, in Teilen Irlands, in Norwegen, in Dänemark, in der Bretagne und in den Niederlanden. Es ist bewiesen, dass ein Mann, der über dieses ‚Zweite Gesicht‘ verfügte, vorausgeschaut hat, dass am 28. Juni 1914 der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand von einem serbischen Studenten ermordet werden würde.

Vom Zweiten Gesicht verschieden sind die Orakel. Orakel sind Stätten, an denen Fragende von einer Gottheit, nach festgelegtem Ritus und mit Hilfe eines Vermittlers, Weissagungen über die Zukunft sowie Hilfe bei schwierigen Entscheidungen empfangen. Die Orakeldiener    sahen Künftiges voraus und konnten Verborgenes entdecken. Man bediente sich dabei verschiedener Mittel, zum Beispiel aus dem Vogelflug die Zukunft anzuzeigen oder aus den Eingeweiden von Opfertieren. In Ägypten waren es heilige Stiere, die angeblich die Zukunft anzuzeigen vermochten. Die Griechen unterhielten ein Orakel in Delphi. Dort sprach vermeintlich der Gott Apoll zu den Menschen. Er sprach durch eine Frau, durch die Pythia. Sie saß auf einem Dreifuß und wurde von Dämpfen, die aus einer Felsspalte kamen, eingehüllt, und vermochte dann die Antwort des Apoll auf die Fragen der Ratsuchenden zu geben. Da wurden Mahnsprüche erteilt, da wurden Bescheide aus den Sitten der Väter gegeben. Freilich auch zweideutige Aussagen. Der König Krösus fragte, wie sein  bevorstehender Feldzug ausgehen werde. Das Orakel gab die Antwort: "Wenn Krösus den Halys", einen Fluß, "wenn Krösus den Halys überschreitet, wird er ein großes Reich zerstören." Krösus dachte, das wäre das Reich des Kyros, aber es war sein eigenes. Er hatte ein großes Reich zerstört, sein eigenes. Er wurde abgesetzt. Es gab dann weise Frauen, Sibyllen genannt. Die Sibyllen vermochten in die Zukunft zu schauen und legten ihre Schauungen in ganzen Büchern nieder, die sibyllinischen Bücher, von denen heute noch in unserer Liturgie die Rede ist, nämlich im Hymnus der Totenmesse. Diese sibyllinischen Bücher wurden in Rom auf dem Capitol aufbewahrt und von Fall zu Fall eingesehen.

Im Volke Israel waren es die Propheten, die den Königen und dem Volke die Wege wiesen. Sie erhielten den Ein-Gott-Glauben aufrecht. Sie nährten die Hoffnung auf das Eingreifen Gottes. Sie lehrten das Volk festzuhalten an der Erwartung des Messias. Sie traten als Heils- und als Unheilspropheten auf. Sie lenkten den Blick aus der Gegenwart hin auf die Heilszukunft am Ende der Tage. In ihrer Verkündigung hat sich der Fortschritt der alttestamentlichen Offenbarung und des Heilswirkens Gottes niedergeschlagen. Sie alle haben schon gehört von den vier großen Propheten und von den zwölf kleinen. Sie alle waren bedeutsam für die Heilsgeschichte des Volkes Israel. Weniger bekannt dürfte Ihnen sein, dass es auch Prophetinnen gab, Frauen, die mit der Gabe der Prophetie ausgestattet waren. Ich erwähne zwei: Hulda und Deborah. Hulda lebte in der Zeit des Königs Josias. Sie besaß die Gabe der Vorausschau. Sie verkündete Unheil für Jerusalem und ein friedliches Begräbnis für den König Josias. Beides traf ein. Deborah war Richterin, Prophetin und Retterin, eine religiöse Führergestalt, vergleichbar mit Samuel. Sie besiegte die Kanaaniter. Von ihr stammt das Siegeslied der Deborah, das sie als Mutter in Israel sang.

Näher an unsere Zeit kommt Hildegard von Bingen. Wir haben ja in diesem vergangenen Jahre das Hildegardisjahr begangen. Sie war mit der Gabe der Schau ausgestattet. Sie hatte Visionen. In ihnen legte sie die wichtigsten christlichen Wahrheiten erläuternd dar und verband sie mit Mahnungen. Sie warnte vor der Sünde. Sie drohte und verkündigte strenge Gerichte Gottes. Ihre Weissagungen an König Konrad III. und Friedrich Barbarossa gingen in Erfüllung. Die Zeitgenossen erkannten in ihr eine Prophetin. In Frankreich war es Johanna von Orléans, die von himmlischen Stimmen aufgerufen wurde-von Erscheinungen des Erzengels Michael, der hl. Katharina und der hl. Margaretha- dem bedrängten König Karl VII. von Frankreich zu Hilfe zu kommen. Ihr Herz erzitterte vor diesem Auftrag, denn sie war erst 17 Jahre alt, aber der himmlische Ruf, der unabweisliche Glaube an ihre Sendung überwand ihre Scheu und Angst. „So deutlich wie euch", sagte sie später ihren Richtern, "so deutlich wie euch habe ich die Heiligen mit meinen Augen gesehen. So fest wie an Gott und an den Erlöser glaube ich daran, dass sie mir auf Gottes Geheiß erschienen sind.“ Sie sagte dem König ihre Verwundung vor Orléans voraus. Sie kündigte an, dass Paris eingenommen werden würde. Sie sagte vorher, dass die Engländer aus Frankreich vertrieben werden würden. Alles ging in Erfüllung. Ihre eigene Sendung war mit der Einnahme von Paris eigentlich abgeschlossen. Einnahme von Paris, von Orléans, Krönung in Reims, das alles war eingetroffen. Aber die Stimmen ließen sich jetzt auch noch vernehmen, um ihre Prüfungen anzukünden. Und diese Prüfungen hat sie wahrlich bestehen müssen, sie wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sie erklärte in ihrem Prozess wiederholt, dass sie sich selbst verdammen müsste, wenn sie erklären würde, Gott habe sie nicht gesandt. Sie ist so gestorben, wie sie gelebt hat: in Ergebenheit gegen Gottes Willen. Und der Schreiber des Königs von England, der ja dabei war, als sie verbrannt wurde, in Rouen, er brach in die Klage aus: "Wir sind verloren, denn wir haben eine Heilige getötet."

Näher an unsere Zeit noch kommt Kreszentia von Kaufbeuren. Sie lebte im 18. Jahrhundert in Kaufbeuren, also in Schwaben. Sie war eine tiefe Mystikerin und pflegte die Liebe zum leidenden Heiland. Sie besaß bedeutenden Einfluß auf ihre Zeitgenossen. Herzöge und Könige, Bischöfe und Päpste gingen sie um ihre Weissagungen, um ihren Rat an. Sie erlebte Verzückungen und Offenbarungen. Im Kloster hatte sie schwere Verfolgung zu leiden, weil man sie für eine Spinnerin hielt. Aber sie war keine Spinnerin, sie war eine heiligmäßige Person und hat von Gott in Visionen die Zukunft mancher Menschen aufgedeckt erhalten. Im 18. Jahrhundert war es Anna Katharina von Emmerich, der schon in frühester Jugend die Gabe mystischer Schau verliehen wurde. Ihr Engel war ihr sichtbar gegenwärtig. Die Heiligen Gottes verkehrten mit ihr in vertrauter Weise. Der Heiland selbst zeigte sich ihr und forderte sie auf, ihm sein Kreuz tragen zu helfen. Sie war von einer außerordentlichen Tugend, ihre Reinheit ist unbestritten. Sie nahm die Leiden anderer auf sich, und deswegen war sie ihr ganzes Leben krank. Nach Aufhebung des Klosters in der Säkularisation bezog sie eine kleine Wohnung in Dülmen. Und jetzt hatte sie die Aufgabe, öffentlich Zeugnis abzulegen von ihren Schauungen. Die Wundmale Christi prägten sich ihr ein. Sie lebte ohne Nahrung, beglaubigt, sicher beglaubigt!  Sie lebte ohne Nahrung. Nur mit Wasser und dem Saft von Früchten unterhielt sie sich. Die wunderbarsten Gaben begleiteten ihre Zustände. Sie konnte mit Sicherheit die Überbleibsel, also die Reliquien von Heiligen unterscheiden. Sie bestimmte ihre Namen und ihre Geschichte, ohne je studiert zu haben. In ihren Schauungen wurde sie geistigerweise ins Heilige Land geführt, und sie vollzog das Leiden des Herrn an sich. Sie erhielt die Weisung, ihre Gesichte der Öffentlichkeit mitzuteilen und nicht für sich zu behalten. Clemens von Brentano übernahm die Aufzeichnung. Zweimal am Tage ging er zu ihr, um ihre Mitteilungen entgegenzunehmen. Er notierte sie und schrieb sie dann ins Reine. Am nächsten Tag brachte er sie zurück und bat um Verbesserung. Er ergänzte, er tilgte aus, je nachdem, wie es Katharina bestimmte. Die Aufzeichnungen wurden im Jahre 1833 veröffentlicht.

In unsere Zeit, ich möchte fast sagen in unsere Gegenwart, fällt die Erscheinung der Muttergottes in Fatima. Es war Mittag, als Maria erschien. In einem weißen Kleid, strahlend hell, schwebte die Jungfrau über einer alten Steineiche. Die drei Hirtenkinder, Lucia, Francisco und Jacinta, die an diesem 13. Mai 1917 die Schafe hüteten, erschraken, aber Maria lächelte. Sie sollten wiederkommen, sie habe ihnen etwas zu sagen. Und so wurden die Kinder zu Empfängern von Geheimnissen, die sich ausnahmslos im zwanzigsten Jahrhundert erfüllt haben. "Ihr habt die Hölle gesehen", sagte die Erscheinung, "auf die die armen Sünder zugehen. Um sie zu retten, will der Herr die Andacht zu meinem Unbefleckten Herzen auf der Welt einführen. Wenn man das tut, was ich sage, werden viele Seelen gerettet und der Friede wird kommen. Der Krieg", es war der Erste Weltkrieg, "geht seinem Ende entgegen. Wenn man aber nicht aufhört, den Herrn zu beleidigen, wird nicht lange Zeit vergehen, bis ein neuer, noch schrecklicherer beginnt. Wenn ihr dann eines Nachts ein unbekanntes Licht sehen werdet, so wisset, es ist das Zeichen von Gott, dass die Strafe der Welt für ihre vielen Verbrechen nahe ist. Krieg, Hungersnot, Verfolgung der Kirche und des Heiligen Vaters. Die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben." Sie wissen, dass Papst Johannes Paul II. an einem 13. Mai von einem gedungenen Mörder schwer verwundet wurde. Er sah darin die Erfüllung des Geheimnisses von Fatima.

Meine lieben Freunde! Wir haben die öffentliche und amtliche Offenbarung Gottes in den Propheten und in Christus Jesus. In Christus Jesus ist die Offenbarung, soweit sie amtlich ist, zum Abschluß gekommen. Aber neben der öffentlichen, amtlichen Offenbarung im Alten und im Neuen Bunde gibt es nichtamtliche, gibt es private Offenbarungen. Auch sie sind gewöhnlich nicht nur für einzelne Personen bestimmt, sondern für die Allgemeinheit. Zwei Haltungen gegenüber den Privatoffenbarungen sind falsch, nämlich die unbedingte Ablehnung und die bedingungslose Übernahme! Man muss sie prüfen. Gott vermag in eine bestimmte Situation der Kirche hineinzusprechen, Aufklärung zu geben und Weisungen zu erteilen. Privatoffenbarungen sind keine Einbildung oder Schwärmerei. Sie verbessern und ergänzen nicht etwa die amtliche Offenbarung, sie ist abgeschlossen. Aber sie können Impulse geben, also Antriebe für das situationsgerechte Handeln der Kirche gemäß dem bleibenden Evangelium. Privatoffenbarungen können hohe Bedeutung haben für das geistige Leben und Wirken der Kirche. Oberste Voraussetzung für die Echtheit der Privatoffenbarungen ist, dass sie mit den amtlichen Offenbarungen übereinstimmen.

Wir können nicht hineinsehen in das Jahr 2013. Ich glaube auch nicht, dass wir irgendwelche private, glaubwürdige Offenbarungen haben für diese Zeit. Aber wir brauchen sie auch nicht. Wir besitzen die öffentliche und amtliche Offenbarung. Darin ist alles enthalten, wessen wir bedürfen, um den kommenden Zeitabschnitt zu bewältigen. Uns erwartet nicht ein unabwendbares Schicksal. Wir gehen entgegen unserem Herrn und Gott. Schicksal war den blinden Heiden eine Notwendigkeit. Sogar die Götter unterstanden nach dem heidnischen Glauben dem Schicksal. Die Notwendigkeit bekam in Israel ein Auge, sie hieß Vorsehung. Die Notwendigkeit erhielt im Christentum ein Herz, und das heißt, ewiger Wille der heiligen Liebe. Wir Priester beten jede Woche in den Psalmen den wunderbaren Vers: „Meine Geschicke sind in deinen Händen. Mein Gott bist Du, auf Dich vertraue ich!“

Amen.

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