Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Mai 2012

Aufgefahren in den Himmel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zum Gedächtnis der Himmelfahrt unseres Herrn Versammelte!

Manche Menschen haben Schwierigkeiten mit dem Fest Christi Himmelfahrt. Sie wissen nicht recht, was sie damit anfangen sollen. Es gibt evangelische Theologen, die sagen, das Fest ist erledigt, denn was da früher geglaubt wurde, das ist Mythos. Und einen Mythos muss man vermeiden. „Aufgefahren in den Himmel“, heißt es im Evangelium und im Glaubensbekenntnis. Was ist das, was hat das zu bedeuten?

Zunächst ist grundlegend der Unterschied zwischen der religiösen Vorstellung und dem religiösen Wahrheitsgehalt. Die religiöse Vorstellung ist sinnenhaft; die religiöse Wahrheit ist übersinnlich. Die Vorstellung ist anschaulich, die Wahrheit ist unanschaulich. Dieser Unterschied zwischen Vorstellung und Wahrheit leitet sich her aus der Wesenverschiedenheit von Gott und Mensch. Gott und Mensch, der Schöpfer und das Geschöpf, stehen sich in einem unendlichen Abstand gegenüber. Gott ist unendlich, der Mensch ist endlich. Gott ist der Urgrund alles Seienden, der Mensch ist von Gott durch Zwischenursachen hervorgebracht. Gott ist unsterblich, der Mensch ist sterblich. Gott wohnt in einem unzugänglichen Lichte, der Mensch ist sichtbar. Die Ferne Gottes von uns liegt aber nicht in einem räumlichen Abstand, sie beruht auf seiner absoluten Andersartigkeit. Gott ist uns wegen seiner Wesensverschiedenheit fern. Und dennoch – wie sagt der Apostel Paulus in Athen: „Wir leben in ihm, wir bewegen uns in ihm, wir sind in ihm!“ Wir stehen also zu Gott in Beziehung. Und wir können von dieser Beziehung nicht schweigen. Wir müssen von Gott reden, er hat es uns selbst aufgetragen. Wir können aber von Gott und zu Gott nur mit Begriffen reden, die aus unserer Welt stammen. Bessere haben wir nicht. Wenn wir nicht mit den uns zu Verfügung stehenden Begriffen von Gott reden wollen, dann müssen wir überhaupt aufhören, von ihm zu reden. Wir wissen, dass diese Begriffe unzulänglich sind, dass sie Gottes Wesen und Wirken auch nicht annähernd erschöpfen. Aber wir wissen auch, dass Gott will, dass wir von ihm reden und zu ihm sprechen. Gefangen in Raum und Zeit gebrauchen wir raumzeitliche Kategorien, um Gott und das Göttliche zu bezeichnen. Wir dürfen so reden. Dabei müssen wir uns nur bewusst bleiben: Die gemeinte Wirklichkeit bleibt hinter unserem Reden weit, weit, unendlich weit zurück.

Die Notwendigkeit, von Gott mit Begriffen unserer irdischen Wirklichkeit zu sprechen, zeigt sich schon und auch bei der Menschwerdung Gottes. Wir bekennen: Christus, der LOGOS, ist vom Himmel herabgestiegen. Damit verwenden wir einen raumhaften Begriff, um die neue unerhörte Gegenwart Gottes auf dieser Welt, auf dieser Erde zu beschreiben, die eben darin liegt, dass der LOGOS eine menschliche Natur angenommen hat. Die Menschwerdung des LOGOS hat nichts mit einer räumlichen Bewegung zu tun. Der LOGOS hat nicht eine Strecke zurückgelegt, als er sich eine menschliche Natur aneignete. Er ist nicht aus einer messbaren Höhe in eine Tiefe herabgestiegen. Wenn wir sagen, „für uns Menschen und um unseres Heiles Willen ist er vom Himmel herabgestiegen“, dann wollen wir damit ausdrücken: Der Unsichtbare ist sichtbar geworden. Der Unendliche hat die Endlichkeit angenommen. Der Ewige ist in die Zeit eingetreten. Paulus beschreibt diesen Vorgang so: „Er, der in Gottesgestalt sich befand, hat nicht geglaubt, an seiner Gottgleichheit festhalten zu sollen, er hat sich vielmehr entäußert, hat Knechtsgestalt angenommen, ist den Menschen gleich geworden. Und während er in seinem Äußeren wie ein Mensch erfunden wurde, hat er sich erniedrigt und ist gehorsam geworden bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze.“ So beschreibt Paulus die Menschwerdung des LOGOS. Er versucht, unter der räumlichen Ausdrucksweise die Wirklichkeit, die wahre Wirklichkeit, nämlich die Verbindung der Zweiten Person Gottes mit einer Menschnatur aufzudecken.

Die eben gemachten Ausführungen müssen wir nun anwenden auf das Festgeheimnis des heutigen Tages. Wir bekennen mit den Augen- und Ohrenzeugen: Christus ist in den Himmel aufgefahren. Dazu muss man erst verstehen, was mit „Himmel“ gemeint ist. Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen dem „Wolkenhimmel“ und dem „Gotteshimmel“. Die Engländer haben dafür zwei Worte. Den Wolkenhimmel nennen sie „Sky“, den Gotteshimmel bezeichnen sie mit „Heaven“.  Der Wolkenhimmel ist sichtbar – der Gotteshimmel ist unsichtbar. Der Wolkenhimmel ist zugänglich – der Gotteshimmel ist unzugänglich. Am Wolkenhimmel kreisen die Flugzeuge und fahren die Raumschiffe. Der Gotteshimmel ist die  Gott vorbehaltene Wirklichkeit, in die weder ein Flugzeug noch ein Raumschiff je eindringen kann. Der Wolkenhimmel ist eben immanent, er gehört zu der geschaffenen Wirklichkeit. Der Gotteshimmel ist transzendent, er übersteigt die geschaffene Wirklichkeit. Wir können auch so sagen: Der Wolkenhimmel ist weltlich – der Gotteshimmel ist überweltlich. Den Wolkenhimmel kennen wir, wenn wir nach oben schauen. Da sehen wir über dem Horizont das sichtbare Gewölbe. Da fliegen die Vögel, da ziehen die Wolken, von dort fällt Regen und Tau. Für den Gotteshimmel können wir keinen Ort und keine Region im Weltall angeben. Er ist jedem Ort und jeder Region transzendent, sie übersteigend. Er ist jenseits jeder menschlichen Erfahrung. Es ist daher unmöglich, dass die Raumfahrt jemals den Gotteshimmel erreichen könnte. Soweit die Kosmonauten auch in den Weltenraum vordringen mögen, ein Eindringen in die Himmel Gottes ist kraft dessen Wesens ausgeschlossen, denn dieser Gotteshimmel ist nicht zugänglich wie der Wolkenhimmel. In diesen Gotteshimmel aber ist Christus eingegangen – vierzig Tage nach seiner leibhaftigen Auferstehung. Vierzig Tage lang hat er die Jünger besucht und belehrt. Er benötigte diese Zeit, um den Glauben an seine wirkliche Auferstehung in ihnen zu befestigen und um ihnen Weisungen, abschließende Weisungen für die Zukunft zu erteilen. Aber diese vierzig Tage mussten genügen. Danach hat er sich verabschiedet und ist endgültig und für immer in die Herrlichkeit des Vaters eingegangen; er ist in den Himmel aufgefahren.

Diese Himmelfahrt, die wir heute begehen, ist nicht die erste und nicht die einzige, sie ist vielmehr die letzte, welche die Jünger erlebt haben. Während der vierzig Tage, in denen Jesus sich den Jüngern als der Auferstandene zeigte, ist er bei jeder Erscheinung vom Himmel her gekommen und nach jeder Erscheinung in den Himmel zurückgekehrt. Die Erscheinungen erfolgten vom Himmel her. Jesus hat also in diesen vierzig Tagen nach seiner Auferstehung nicht auf Erden gelebt. Erstens gibt es in den Evangelien kein Anzeichen dafür, dass er in dieser Zeit irgendwo ein Quartier bezogen hätte. Zweitens passt seine Seinsweise, seine verklärte Seinsweise, die er durch die Auferstehung gewonnen hat, nicht mehr in diese Welt. Deswegen sagt er zu Maria Magdalena: „Rühr mich nicht an, denn ich bin noch nicht zu meinem Vater aufgefahren!“ Die Auffahrt Christi in den Himmel, die wir heute begehen, ist die letzte, der Abschluss der Erscheinungen.

Diese Himmelfahrt des Herrn liegt nicht nur zeitlich, sie liegt auch örtlich fest. Sie geschah vom Ölberg, denn von dort kehrten die Apostel nach der Himmelfahrt des Herrn nach Jerusalem zurück. Der Ölberg, ist uns bekannt ist, er ist der Ort des Kampfes Jesu, des Todeskampfes Jesu, der Ort seiner Todesangst, der Ort seiner Verhaftung; er sollte jetzt auch Zeuge seiner Verherrlichung durch die Aufnahme in den Himmel werden.

Warum, meine Freunde, warum vollzog sich die letzte Himmelfahrt Christi nach oben, in den Wolkenhimmel? Warum ist er nicht in die Erde verschwunden? Aus Anpassung an die Vorstellungen der Menschen! Diese Vorstellungen sehen oben das Helle, Lichte, Erhabene. Unten das Dunkle, das Finstere, das Niedere. Diesen Vorstellungen hat sich der Herr angepasst. Er wollte nämlich damit klarmachen: Ich bin nicht erniedrigt, sondern erhöht. Ich gehe nicht in das Land der Vergessenheit, sondern in die Gefilde der Seligkeit. Der Wolkenhimmel ist ein Hinweis, ein Symbol, ein Gleichnis des Gotteshimmels, in den der Herr eingegangen ist. Deswegen fasst der Apostel Paulus Auferstehung und Himmelfahrt unter dem Begriff „Erhöhung“ zusammen. Gott hat ihn erhöht – damit soll nicht eine räumliche Bewegung ausgedrückt werden nach oben, sondern die dem Herrn gewordene Auszeichnung, die Belohnung, die ihm der Vater verliehen hat: der neue Name, der über alle Namen erhaben ist. So sprechen wir ja auch sonst, wenn wir sagen, dass jemand einen hohen Posten hat, dass jemand erhöht wird. Damit meinen wir nicht eine räumliche Veränderung, sondern das Einrücken in eine besondere Stellung. Unser lieber Herr Bastian, der hier in der ersten Reihe sitzt, hat begonnen als Maler und Anstreicher; aber er hat sich hochgearbeitet zum Personalchef von mehreren hundert Leuten. „Hochgearbeitet“, nicht räumlich, sondern durch eine emporgehobene Stellung.

Mit der Auffahrt Christi in den Himmel ist das Heilsgeheimnis des heutigen Tages nicht erschöpft. Er fuhr auf und setzte sich zur Rechten des Vaters. Das wird viele Male in der Heiligen Schrift hervorgehoben. Markus schreibt: Jesus, der Herr, wurde in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes!“ Jesus hat ja selbst bei seinem Prozess gesagt: „Ihr werdet den Menschensohn zur Rechten der Macht Gottes sitzen und in den Wolken des Himmels kommen sehen!“ Und Stephanus, der erste Martyrer, sah Jesus zur Rechten Gottes stehen. Paulus spricht häufig davon, dass Jesus gestorben ist, aber noch mehr: „Er ist auferweckt worden und sitzet zur Rechten Gottes und tritt für uns ein.“ In seinem Brief an die Kolosser schreibt er: „Ihr seid mit Christus auferweckt, darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt.“

Wiederum sprechen wir von einer göttlichen Wirklichkeit mit menschlichen Begriffen, ja mit Ausdrücken aus Raum und Zeit. Aber wir wissen, dass diese Redeweise bildlich zu verstehen ist. Gott ist Geist, absoluter Geist. Gott hat keinen Körper wie ein Mensch. Er hat deswegen auch keine rechte und keine linke Seite. Gott übersteigt jede Räumlichkeit. Das „Sitzen zur Rechten Gottes“ ist ein Bild, das gedeutet und erklärt werden muss. Was bedeutet es? Es besagt: Christus nimmt teil an der Würde, an der Ehre, an der Erhabenheit, an der Königsherrschaft Gottes. Rechts ist immer der Ehrenplatz nach unseren irdischen Vorstellungen. Und diesen Ehrenplatz sieht man jetzt Christ eingeräumt nach seiner Himmelfahrt. Das ist die Erfüllung einer Verheißung im Alten Bunde, wo es beim Propheten Daniel heißt: „Dem Menschensohn wurde Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen müssen sich seiner Herrschaft unterwerfen.“

Seit seiner Auferstehung und Himmelfahrt lebt Jesus von Nazareth, der Sohn der Jungfrau Maria, der Christus, der Messias, in der Welt Gottes im Himmel.  Als der Sohn Gottes nimmt er teil am göttlichen, am innertrinitarischen Leben. Er ist nicht untätig für uns Menschen! Er lenkt und leitet seine Kirche durch den Heiligen Geist. Ihn hatte er ja bei seinem Abschied von dieser Welt den Jüngern verheißen. Ihn hat er auch nach seinem Eintritt in die Herrlichkeit des Vaters gesandt. „Nachdem er“, so predigt Petrus, „nachdem er durch die Rechte Hand Gottes erhöht worden ist, hat er den vom Vater verheißenen Heiligen Geist gesandt.“

Wir werden in wenigen Tagen das Fest der Geistausgießung feiern, uns daran erinnern, dass Christus diesen Geist uns gesandt hat. Und damit nicht genug: Er wartet auf den Zeitpunkt, den der Vater für seine Wiederkunft auf diese Erde festgesetzt hat. Der Tag der Wiederkunft wird das Gericht über die Welt und den Anbruch des Reiches Gottes in Herrlichkeit bringen. Wann wird das sein? Wir wissen es nicht! Aber wir können Vermutungen anstellen: Der Herr wird wiederkommen, wenn die Zeit erfüllt ist. Wenn die Menschheit eine genügende Frist gehabt hat, um zu zeigen, dass sie weiß, was Gott von ihr will. Der Herr wird wiederkommen, wenn die Zahl der Blutzeugen voll ist. Sie steigt von Tag zu Tag. Der Herr wird wiederkommen, wenn die Hilflosigkeit und die Ratlosigkeit der Seinen aufs höchste gestiegen ist, wenn sie keinen Ausweg mehr wissen, wenn alles verloren scheint, dann wird er kommen und richten die Lebendigen und die Toten, und seines Reiches wird kein Ende sein.

Amen. 

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