Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. August 2011

Jesus Christus – das personale Wort Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Taubstumme sind gehörlose Menschen, denen der Erwerb der Sprache infolge der Taubheit unmöglich ist. Wegen der fehlenden Sprecherziehung können sie nicht reden. Sie können sich nur über Gebärdensprache und Mienenspiel äußern. Einen solchen Taubstummen führte man Jesus zu, und der Herr erbarmte sich seiner. Er gebrauchte für seine Heilung merkwürdige Praktiken. Er stieß den Finger in das Ohr, er berührte seine Zunge, er blickte auf zum Himmel und sprach deas Wort, das uns in hebräischer Sprache überliefert ist: „Ephetha – Tu dich auf!“

Wozu hat der Herr das getan? Vermutlich, um dem kranken, um dem behinderten Menschen zu zeigen, wer der ist, der ihn von seinem Leiden befreit. Die Kirche hat in dem Tun Jesu immer ein Vorbild für ihre eigenen Handlungen gesehen. Was der Herr bei dem Taubstummen vornahm, das tut die Kirche bei der Taufe. Auch da legt sie auf die Zunge des Täuflings Salz, und der Priester, der Taufspender, berührt die Ohren und spricht: „Ephetha – Tu dich auf!“ Er soll das Wort Gottes hören mit seinen Ohren, und er soll es verkünden mit seinem Munde.

Die Evangelisten berichten: „Der Mann redete recht.“ Das wird zunächst besagen, er sprach, wie ein normaler Mensch eben spricht. Aber es kann auch etwas anderes bedeuten. Es kann auch besagen, er machte den rechten Gebrauch von der Sprache. Er benutzte die Sprache dafür, wozu sie eingesetzt ist. Die Volksmenge, die dabei war, spürte das Unerhörte des Vorgangs. „Sie gerieten ganz außer sich“, berichtet Markus, „und sagten: Er hat alles wohl gemacht. Den Tauben gibt er das Gehör und den Stummen die Sprache.“

Die Heilung des Taubstummen von seiner Gehörlosigkeit und von seiner Sprachunfähigkeit gibt uns Anlaß, über die Bedeutung des Wortes nachzudenken. Worte, meine lieben Freunde,  sind Mittel der Verständigung und der Bildung. Worte deuten auf die ausgesagte Wirklichkeit hin. Worte bezeichnen die Wirklichkeit und deuten sie. Durch die Worte werden uns Erkenntnisse zuteil und werden Vereinbarungen getroffen. Auch die Offenbarung Gottes im Alten und im Neuen Bunde bedient sich des Wortes. Wir sprechen von einer Wortoffenbarung, obwohl sie natürlich mehr ist als nur Wortoffenbarung, denn Gott handelt auch durch Taten, durch Zeichen, durch Machterweise. Aber sie ist vordringlich und hauptsächlich eine Wortoffenbarung.

Im Alten Bunde bediente sich Gott der Propheten. Im Neuen Bunde rief er seinen Sohn auf die Erde, um die Offenbarung den Menschen zu bringen: „Zuletzt sprach er durch seinen Sohn.“ Jesus Christus ist das personale Wort Gottes. Deswegen beten wir am Ende jeder heiligen Messe: „Gott war das Wort.“ Der Sohn Gottes, der Logos, ist das Wort. Sein ganzes Leben ist Aussprache, ist Offenbarung. Er macht Gott offenbar, sichtbar, hörbar in seinem Reden und in seinem Tun, in seinem Leiden und in seiner Verherrlichung. Das ist vor 2000 Jahren geschehen. Wenn Herr Wowereit in Berlin meint, deswegen, weil es vor 2000 Jahren geschehen sei, sei es hinfällig, dann irrt er sich. Was Gott gebietet, das veraltet nicht. Gott bleibt derselbe im Wechsel der Zeiten, und auch das Wesen des Menschen ändert sich nicht. Deswegen fallen die sittlichen Normen, die Gott aufgestellt hat, nicht weg im Wechsel der Zeiten. Wenn Gott die gleichgeschlechtliche Unzucht verbietet, dann ist sie auch heute verboten, auch für Herrn Wowereit.

Die Rede Jesu war von besonderer Art. Jesu Wort war das Wort des lebendigen Gottes. Er war nicht bloß Diener des Wortes, wie wir es sind, nein, er war Herr des Wortes. Er konnte sprechen: „Den Alten ist gesagt worden: ,Du sollst nicht ehebrechen!’ Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau lüstern ansieht, hat mit ihr im Herzen schon die Ehe gebrochen.“ Er ist der Gesetzgeber des Neuen Bundes. Die Hörer haben das begriffen. Sie haben verstanden, dass hier einer spricht, der Autorität besitzt. „Und es geschah, als Jesus diese Rede vollendet hatte“, so schreibt der Evangelist Matthäus, „da staunten die Volksmassen über seine Lehre, denn er lehrte wie einer, der Macht hat.“ Und nicht wie ihre Schriftgelehrten. Der Evangelist Lukas fügt hinzu: „Sie erschraken über seine Lehre, denn sein Wort war mit Macht ausgerüstet.“

Das Wort Jesu vermittelt Erkenntnisse. Aber es kann auch zur wirkenden Tat werden. In der Synagoge zu Kapharnaum war ein Mann, der hatte den Geist eines unreinen Dämons. Man nimmt an, dass es sich um Epilepsie handelte. Als er Jesus sah, schrie er laut auf: „Ha, was willst du mit uns Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, uns zu verderben? Ich weiß, wer du bist: Du bist der Heilige Gottes.“ Auf diesen Anfall hin gebot Jesus ihm streng: „Schweig und fahr aus von ihm!“ Da schleuderte ihn der böse Geist mitten unter sie und fuhr aus, ohne ihm Schaden zuzufügen. Da überfiel alle Schrecken, und sie sagten zueinander: „Was ist denn das? Mit Macht und Kraft gebietet er, und die unreinen Geister fahren aus.“ Dieses Vermögen Jesu, mit einem Wort zu wirken, zeigt sich auch bei anderer Gelegenheit. Es kam ein Aussätziger zu ihm. Er fiel vor ihm nieder uns sagte: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ Der Mann hat keinen Zweifel daran, dass Jesus ihn heilen kann; es geht nur darum, ob er will. „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ Voll Erbarmen streckt Jesus seine Hand aus und rührt ihn an, den Aussätzigen, und spricht: „Ich will, sei rein!“ Und da wich sogleich der Aussatz von ihm, und er war gesund.

Die machtvolle Rede, die Jesus eigen ist, ist nicht verstummt, meine lieben Freunde. Sie dauert an. Sie lebt in seiner Stiftung, die wir katholische Kirche nennen, weiter. Unsere Religion kennt das heilige Wort, die rituelle gebundene Rede beim Vollzug kultischer Handlungen, die das bewirkt, was sie aussagt. In unserer Kirche existieren Vorgänge, die von dem Machtwort Gottes geprägt sind, ja in denen Gottes Wort aktuell handelt – freilich durch einen menschlichen Diener. Aber es ist Gott, der die Wirkung hervorbringt. Diese Vorgänge nennen wir Sakramente. Die Sakramente sind äußere Zeichen, welche die Gnade, die sie bezeichnen, enthalten und denen verleihen, die kein Hindernis entgegensetzen. Noch einmal: Die Sakramente sind äußere Zeichen, welche die Gnade enthalten, die sie bezeichnen, und denen verleihen, die kein Hindernis entgegensetzen. Das äußere Zeichen zerfällt wieder in zwei Bestandteile, nämlich in Ding und Wort. Ding und Wort. Das Ding ist die Materie, das Wort ist die Form der Sakramente. Niemand hat das besser ausgedrückt als der heilige Augustinus. Er sagt von der Taufe: „Nimm das Wort weg, und was ist das Wasser anderes als Wasser? Es tritt aber das Wort zum Element (Wasser), und dadurch entsteht das Sakrament.“

Die Sakramente sind wirksame Zeichen. Sie bringen das hervor, was sie anzeigen. Wer das Taufsakrament empfängt, der ist von der Erbsünde befreit. Über wen das Wort des Priesters ergeht: „Deine Sünden sind dir vergeben“, dem sind sie vergeben. Diese Wirkung der Sakramente stammt von Gott. Er handelt durch die Worte der Menschen. Die Kraft der Sakramente stammt von Gott. Wenn die Sakramente richtig gespendet werden, haben wir die Gewißheit, dass in diesem Augenblick Gott mit dem menschlichen Diener mitwirkt, durch ihn wirkt und in ihm wirkt. Das ist die erschütternde Wahrheit über die Sakramente unserer Kirche.

Aus diesem Zusammenhang ergibt sich die Ehrfurcht, mit der wir die Sakramente behandeln müssen. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit, dass wir sie würdig empfangen und dass wir sie würdig spenden. Das Wort des Spenders der Sakramente hat seine Kraft aus der Macht Gottes. Nicht die Fähigkeit, nicht die Tugend, nicht die Geschicklichkeit des Menschen macht das sakramentale Wort wirkmächtig, sondern die göttliche Allmacht. Das ist ein großer Trost angesichts der Schwäche der Menschen, sonst müßten wir ja Angst haben, bei einem unwürdigen Spender nicht den vollen Inhalt des Sakramentes zu empfangen. Zur gültigen Spendung der Sakramente ist erforderlich, dass der Spender das sakramentale Zeichen in der rechten Weise vollzieht. Dazu gehört, dass er die wesentliche Materie und die wesentliche Form anwendet und sie zu einem einheitlichen Zeichen verbindet. Es wäre zum Beispiel eine Taufe ungültig, wenn jemand zuerst das Wasser aufgießen würde und danach die Taufformel sprechen würde. Eine solche Taufe wäre ungültig, weil hier das Element und das Wort nicht verbunden wird.

Aus diesem Zusammenhang ergibt sich, wie notwendig, ja wie unentbehrlich die Sprache für den Spender der Sakramente ist. Das ist ein Gedanke, der mich immer wieder erschreckt. Wenn der Priester die Stimme verliert, kann er die Sakramente nicht mehr spenden, kann er das Messopfer nicht mehr vollziehen. Ich hatte ja schon zweimal Kehlkopfentzündung, schlimme Kehlkopfentzündung. Ohne Sprache ist der Priester unfähig, die Sakramente zu spenden und das heilige Messopfer zu vollziehen. Ein Gedanke, der uns dankbar machen soll für das Geschenk der Sprache, und vorsichtig beim Gebrauch der Sprache. Aber nicht nur den Priester, sondern alle Gläubigen.

Es ist etwas Eigenartiges um das Sprachvermögen, um die Sprachfähigkeit, um das Sprechen des Menschen. Fünfhundert Jahre vor Christi Geburt lebte in Griechenland ein Philosoph namens Pittakus. Er war berühmt wegen seiner Weisheit. Der König von Ägypten sandte eines Tages einen Boten zu ihm, er möge ihm das Nützlichste und das Schädlichste auf Erden nennen. Der Bote kam zurück, uns was brachte er? Er brachte eine Zunge. Die Zunge war nach der Meinung des weisen Pittakus das Nützlichste und das Schädlichste auf Erden. Damit hat er nur vorweggenommen, was der Apostel Jakobus in seinem Briefe schreibt, nämlich: „Ein kleines Feuer kann einen Wald in Brand setzen. Auch die Zunge ist ein Feuer, voll von Bosheit. Aus demselben Munde gehen Segen und Fluch hervor.“ Ja, so ist es. Es ist etwas Erschreckendes um unsere Zungensünden, meine lieben Freunde. Sie sind die zahlreichsten Sünden, die wir überhaupt begehen. Man muss nicht immer nur an die Lüge denken, obwohl sie ja auch nicht gerade selten ist, sondern auch an die Sünden aus Schwatzhaftigkeit, aus Klatschsucht, an die Ehrabschneidungen, an die freventlichen Urteile, an die heimlichen Zuträgereien und Ohrenbläsereien. Wie oft wird ein Wort schnell hingeworfen, das einem Menschen ein Stück Ehre, ein Stück Frieden, ein Stück Lebensglück raubt! Wie oft halten wir unbefugt Gericht über Menschen! Der geheilte Taubstumme redete recht. Er machte den richtigen Gebrauch von seiner Sprache. Möchten das doch auch wir von uns sagen können: wir reden recht!

Dafür gibt es drei Regeln, die ich Ihnen jetzt vortragen möchte. Erstens: Übe dich im Schweigen! Unsere Zeit ist ja so redselig, so geschwätzig. Heute wird alles zerredet, heute wird alles zerschwätzt. „Heute fällt alles ins Wasser und nicht mehr in tiefe, tiefe Bronnen“, hat einmal Friedrich Nietzsche gedichtet. So ist es. Geschwätzigkeit in den Zeitungen, im Fernsehen, im Rundfunk, Geschwätzigkeit in den Vereinen, bei Zusammenkünften. Und doch sagt die Heilige Schrift: „Vieles Reden geht nicht ohne Sünden ab.“ Vieles Reden geht nicht ohne Sünden ab. Die Orden haben in ihrer Regel das Silentium, die Schweigepflicht, und das mit Recht. Wir haben im Priesterseminar das Silentium, die Schweigepflicht, gelernt. Wir mußten schweigen bis nach der heiligen Messe, und wir mußten  schweigen vom Abendgebet bis zur Nachtruhe. Wie war das heilsam, dieses heilige Schweigen, diese Disziplin im Reden! Im Buch von der Nachfolge Christi heißt es: „Es ist leichter, überhaupt nichts zu sagen, als zu reden und nicht zu fehlen.“ Es ist leichter, überhaupt nichts zu sagen, als zu reden und nicht zu fehlen. An einer anderen Stelle sagt dasselbe Buch: „Niemand kann ohne Gefahr den Mund zum Reden auftun, der nicht zu schweigen versteht.“ Niemand kann ohne Gefahr den Mund zum Reden auftun, der nicht zu schweigen versteht.

Die zweite Regel heißt: Sage grundsätzlich nicht ohne zwingende Gründe etwas Nachteiliges über deine Mitmenschen. Ich wiederhole noch einmal: Sage grundsätzlich nicht ohne zwingende Gründe etwas Nachteiliges über deine Mitmenschen. Wir können nicht immer über die Fehler des Nächsten schweigen. Manchmal ist es notwendig darüber zu reden, manchmal drängt uns das Herz dazu. Aber es müssen zwingende Gründe sein, um über den Nächsten etwas Nachteiliges zu sagen. Es muss sich um wirkliche Fehler handeln. Das Verschweigen ist häufig weniger gefährlich als das Reden. „Sprich nie Böses von einem Menschen, wenn du es nicht gewiß weißt“, schrieb einmal der Theologe Lavater. Sprich nie Böses von einem Menschen, wenn du es nicht gewiß weißt. „Und wenn du es gewiß weißt, so frage dich: Warum erzähle ich es?“ Aus Gehässigkeit, aus Schadenfreude? Aus Wichtigtuerei? Aus Geschwätzigkeit? Ich möchte nicht mißverstanden werden. Es gibt Gelegenheiten, wo wir reden müssen, wo wir nicht schweigen dürfen, wo hohe Werte auf dem Spiele stehen, wo wir die Gefahr sehen, die Menschen oder einer Institution drohen. Dann müssen wir reden. Wenn wir hier nicht reden würden, dann würde für uns das Wort des Propheten Isaias gelten: „Die Wächter sind blind. Sie nehmen nichts wahr. Sie sind stumme Hunde, die nicht bellen. Träumend liegen sie da und schlafen am liebsten.“

Die dritte Regel, die ich empfehlen möchte, lautet: Meide die Gesellschaft der Schwätzer und der Klatschbasen! Es ist auf die Dauer nicht möglich, mit solchen Menschen zu verkehren, ohne dass man selbst zum Schwätzer wird. Die Schwäche wirkt ansteckend. Von Seneca, dem Lehrer Neros, ist das Wort überliefert: „Sooft ich unter Menschen gewesen, bin ich als geringerer Mensch heimgekehrt.“ „Sooft ich unter Menschen gewesen, bin ich als geringerer Mensch heimgekehrt.“ Warum? Weil man der Redseligkeit, der Geschwätzigkeit sich ergeben hat. Und im Buch von der Nachfolge Christi steht des bedenkenswerte Wort: „Ich wünschte, dass ich öfter geschwiegen und nicht unter Menschen gewesen wäre.“ „Ich wünschte, dass ich öfter geschwiegen und nicht unter Menschen gewesen wäre.“  Von Matthias Claudius, dem Dichter, den manche von Ihnen kennen, stammt das Wort, das er an seinen Sohn Johannes schrieb: „Sage nicht immer, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst!“ Sage nicht immer, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst!

Im Buche des heiligen Evangeliums nach Matthäus steht das Wort: „Ich sage euch, dass die Menschen über jedes unnütze Wort, das sie reden, am Tage des Gerichtes werden Rechenschaft legen müssen.“ Über jedes unnütze Wort! Nicht nur über jedes sündhafte, sondern auch über jedes unnütze Wort müssen wir Rechenschaft legen.

Ach, meine lieben Freunde, dass wir doch die Gabe der Rede benutzen möchten, um zu trösten, um zu erfreuen, um zu ermuntern und zu ermutigen, um zu beruhigen und zu begütigen! Ach, dass wir doch mit unseren Worten Frieden bringen und Frieden stiften möchten! Wenn der Priester im Hochamt den Altar beräuchert, da spricht er die schönen Worte: „Setze, Herr, eine Wache vor meinen Mund und einen Riegel vor meine Lippen!“

Amen.

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