Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. August 2010

Königin des Himmels – den Menschen nahe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag begingen wir das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel. Heute, am 8. Tage nach diesem Fest, feiern wir das Fest Maria Königin, bewundern also ihre Stelle und die Stellung, die sie im Himmel erreicht hat als Königin des Himmels. Dazu paßt auch die Überlegung, die wir angestellt haben; denn wir hatten uns vorgenommen zu bedenken, was der Heimgang Mariens bedeutet. Wir hatten eine zweifache Bedeutung festgestellt, nämlich erstens: Sie ist heimgekommen zu ihrem Sohne und Gotte, und zweitens: Sie ist uns nahe gekommen. Am vergangenen Sonntag bedachten wir, dass sie heimgekommen ist. Wenn sie heimkam zu ihrem Sohne, dann kam sie zu ihrem Gotte. Heute bleibt uns zu überlegen, was es bedeutet, wenn wir sagen: Sie ist uns nahe gekommen.

Am Tage ihres Heimgangs wurde ihr Dasein erfüllt. Sie hat die Seligkeit bei Gott erlangt, die ewige Freude in der himmlischen Herrlichkeit. Und weil ihr Dasein erfüllt wurde, ist auch ihr Wirken erfüllt worden. Jetzt ist ihr Können erst richtig aufgeblüht. Als sie auf Erden wanderte, war alles nur ein Anfang. Das war nur eine Vorbedeutung. Auf ihre Bitte hin hat Jesus in Kana Wasser in Wein verwandelt, das erste Wunder. Aber es war eben nur ein kleiner Vorgeschmack; es war der Anfang der Wunder, wie der Evangelist schreibt. Sie selbst wurde in einer großen Ferne gehalten. „Frau, was habe ich mit dir zu tun?“ Eine Fremde, die selbst den Umstehenden auffiel. Damals war nicht einmal seine Stunde gekommen, und noch viel weniger die ihrige. Jetzt aber, mit ihrem Heimgang, ist ihre Stunde gekommen. Jetzt ist ihre Stunde bei ihm gekommen. Jetzt ist ihm alle Gewalt in seine Hände gegeben, und diese Hände strecken sich jetzt der Mutter entgegen, dass sie sie ergreife und lenke. Der Wille Gottes ist jetzt in die Hand des Heilandes gelegt, weil er mit dem Vater eins ist. Nun muss aber auch dieser Wille in der Hand Mariens gelingen, denn sie ist ja mit ihrem Sohne eins.

Alles, was beim Propheten Isaias vom „Knechte Gottes“ ausgesagt wurde, das muss auch für die Magd Gottes gelten, also die Erniedrigung und die Erhöhung, das große Leid und das große Glück, der Gehorsam und die Macht, die Verlassenheit und die ewige Nachkommenschaft. Weil diese Mutter ihr einziges Kind geopfert hat, deswegen muss sie die vielen zu eigen gewinnen, die vielen, die zu ihrem Sohne gehören, die Brüder ihres Sohnes sind. Und ihr Wille muss jetzt durch sie gelingen.

Wir brauchen nicht viele Worte zu machen, meine lieben Freunde, denn wir wissen, dass Maria lebt und wirkt und mächtig ist. Millionenfach tönt es ihr entgegen: „Gedenke, o gütigste Jungfrau, es ist noch nie erhört worden, dass jemand zu dir seine Zuflucht genommen und von dir sei verlassen worden.“ Millionenfach! Wenn dieses himmelstürmende und weltumfassende Vertrauen aber vergeblich wäre, wenn es getäuscht würde, dann wäre es längst zusammengebrochen. Es lebt aber und strömt durch alle Zeiten. Es muss also erfüllt werden, und es wird erfüllt. Ist das nicht eine schier grenzenlose Wirksamkeit? Welcher Mensch könnte von sich sagen, dass er ein solches Vertrauen auf sich gezogen hätte wie die Mutter des Herrn? Wer hätte ein solches Vertrauen von Jahrtausenden aufbauen und erfüllen können anders als die Mutter Jesu? Da können wir endlich sehen, wer eigentlich die Macht und das Können und das Wirken in seiner Hand hat. Wir verfallen immer dem Irrglauben, dass sie auf Erden Lebenden etwas auszurichten vermöchten. Aber was können die schon ausrichten, diese alternden, diese müde werdenden, diese todgeweihten Menschen? Sie vermögen vielleicht einen Wolkenkratzer zu bauen wie jetzt in Dubai, oder auch ein Häuschen, aber es fällt bald wieder ein. Sie errichten ein Reich, aber es wird auch wieder eingerissen. Sie entdecken eine neue Einsicht, aber sie vergessen wieder, was sie erkannt haben. Es ist nicht leicht zu sagen, was auf unserer Erde Bedeutsames geschieht. Man hat gemeint, dass alles, was auf Erden geschieht, durch die Hungerpeitsche und durch den Lusttrieb geschehe. Was wäre das erbärmlich! Das wäre doch nur eine Sklavenarbeit. Auf Erden geschieht aber anderes und Besseres als Sklavenarbeit. Man hat gemeint, die starken Völker bestimmen das Schicksal der schwachen mit ihren Massenheeren, mit ihrer bewaffneten Faust. Aber das bloße Überhandnehmen des Stärkeren ist nicht das Einzige, was auf Erden geschieht. Man hat gemeint, die Menschheit werde gelenkt von ihren Genies, von ihren Talenten und ihren starken Geistern. Gewiß, sie vermögen manchmal etwas zu entdecken, zu erfinden, zu wirken. Aber wie oft werden sie verlacht und verspottet und verfolgt! Nein, meine lieben Freunde, auf Erden begibt sich nur eines, was wirklich bedeutsam und weittragend ist, nämlich das, was im Leben der Himmelskönigin mächtig und bedeutsam gewesen ist. Und was war das? Dass ihr Leben auf Erden ein Anfang war, aber ein Anfang von Wundern, die Jesus wirkte. Dass es ein Säen war, aber dass eine reiche Ernte reif geworden ist am Tage ihres Heimganges. Dass es ein Hin- und Hergehen war unter weinenden Furchen, aber dieses arme Wandern und Weinen hat zu ihrem Sohne in der Herrlichkeit des Himmels geführt. Das ist also das Bedeutsame, was auf Erden geschieht, das, was die Knechte und Mägde Gottes wirken und säen und anfangen. Das ist das Wirksame, die Herzensgeschichten der Heiligen, die Großtaten der Bekenner und der Martyrer, die Erkenntnisse der schweigenden Beter, die Opfer der großen Liebenden, die Erbarmungen der Schenkenden. Das ist das Bedeutsame auf Erden.

Aber dieses einzig Wichtige ist nur ein Anfang, ein Anfang, der erst drüben nach dem Heimgang vollendet wird. Und von drüben wird auch dieses Anfangen inspiriert und eingeleitet. Diejenigen, zu denen wir rufen: „Gedenke, o gütigste Jungfrau“, die wirken auf uns ein, sie trösten, sie raten uns. Das ist das Wirken dieser Heimgegangenen, dass sie auch uns, die heimkommen, zu rufen und zu mahnen und zu bilden verstehen. Dass sie eingreifen können in die irdische Geschichte, in die Herzensgeschichte der zu Gott Pilgernden, in die Ölbergsgeschichten, in die Kalvariengeschichten der Pilgernden.

Aber vielleicht ist auch das noch gering im Vergleich zu dem, was die Heimkommenden drüben unter sich wirken in ihren eigenen Reihen. Was wissen wir denn von dem Tagewerk unserer Königin? Wir wissen nur, dass sie ihre erbarmungsvollen Augen auf uns richtet, die wir noch pilgern. Aber wie diese Augen über die Welt der Engel und Heiligen hinstrahlen, das wissen wir nicht. Wir sehen nur ihr Bild vor uns, und es ist ein Gnadenbild von unbeschreiblicher Süßigkeit. Aber was wissen wir von dem Glanz und von der Süßigkeit und von dem Trost, der von ihr ausgeht über die jenseitige Welt? Wir stellen nur fest, was von ihr in der kleinen Weile getan wurde, die vor dem Wiederkommen ihres Sohne vergeht, und was von ihr noch getan wird in dieser kleinen Weile, die so lange anhält, bis ihr Sohn wiederkehren wird. Aber was in der großen Weile von ihr getan wird, die nachher kommt, wenn Jesus alles wiederhergestellt hat, das wissen wir nicht.

Im Eingang der Festmesse von Mariä Himmelfahrt heißt es: „Die Engel und die Heiligen freuen sich über den Heimgang Mariens und preisen Gott.“ Das klingt wie ein Klang aus der jenseitigen Welt. Die jenseitigen Bewohner haben mit Maria ihre Königin erhalten, und wir haben unsere Mutter empfangen. Aber das ist nur ein fernes Echo aus dem Jubel, der in der Welt Gottes herrscht. Das Größte und Wichtigste geschieht eben nicht bei uns hienieden, das Größte und Wichtigste geschieht in der Welt Gottes, in der Hauptstadt Gottes, in der Stadt Gottes. Aber wenn immer die Tore dieser Stadt aufgehen und einen Vollendeten einlassen, dann fällt auch ein Lichtschein auf uns. Und was ist geschehen, als Maria heimging? Da erhielt die jenseitige Welt ihre Königin, und wir erhielten unsere Fürstin, die zu uns paßt, die Mutter der Barmherzigkeit, die Mutter, die uns nahe gekommen ist, weil sie in eine große Ferne gegangen ist. Ja, sie ist uns nahe gekommen, aber sie ist von weither gekommen, aus der Welt Gottes. Sie ist uns nahe, aber sie ist nicht mehr bei uns zu Hause. Und deswegen ist mit dem größte und fröhlichsten der Marientage auch ein Weh und eine Wehmut verbunden. Sooft wir des Heimgangs Mariens gedenken, rinnt ein stiller Strom der Sehnsucht hinüber in jenes ferne Land, aus dem das Bild der Gottesmutter zu uns herüberscheint, wo sie zu Hause ist, wo sie lebt und wirkt als Königin der Ewigkeit. Da strecken wir unsere Hände aus nach diesem Gnadenbild, aber wir können es nicht ergreifen. Es weicht vor uns zurück. Wir können nichts tun als ihm nachgehen auf dem Wege unseres Heimgangs, ihm nachziehen und nachrufen: „Gegrüßet seist du, Königin! Zu dir geht unser Rufen. Zu dir geht unser unstillbares Weinen. Zu dir flehen wir Kinder der großen Ferne. Wende deine barmherzigen Augen uns zu, auf dass auch wir den Heimgang finden zu dir und zu dem gebenedeiten Kinde deines Schoßes und zu allen deinen Kindern, du unsere liebe Frau.“

Amen.

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