Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. April 2008

Im Namen Christi bitten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Mensch der Moderne ist stolz auf seine Errungenschaften, auf seine Entdeckungen und Erfindungen; und dieser Stolz ist berechtigt. Der Mensch ist tatsächlich in einem gewissen Sinne Herr geworden über die Erde, über das Meer und über die Luft. Und dennoch gibt es in jedem Menschenleben Stunden, in denen er seine Ohnmacht erfährt. Denken wir an die vielen Menschen in wirtschaftlicher Not. Der Vater rackert sich ab, und die Mutter geht vielleicht auch noch zur Arbeit, aber es reicht gerade, um sich mühsam über die Runden zu bringen. Und was wird sein, meine lieben Freunde, wenn einmal das eintritt, was alle fürchten und was die Wirtschaftswissenschaftler nicht ausschließen können, wenn einmal die große Rezession kommt? Oder es ist jemand krank. Man wendet alle Mittel an, man geht von Arzt zu Arzt und versucht, die Krankheit aufzuhalten, aber es nützt alles nichts, die Krankheit verzehrt den Körper. Und was soll ich sagen von den allgemeinen Nöten, von den Hungersnöten, die sich immer mehr ausbreiten? Die Menschen in Haiti, einem von der Natur so gesegneten Lande, hungern. Millionen und Abermillionen von Menschen haben kein sauberes Wasser zu trinken; sie müssen sich von verseuchtem Wasser nähren. Und der Klimawandel wächst besorgniserregend an. Ich habe gehört, dass im Pazifik das Wasser des Meeresspiegels steigt, so dass die Menschen ihre Hütten aufgeben müssen und auf höher gelegene Inseln ausweichen, um dort ihr Leben fortzusetzen. Die Brunnen versiegen, weil das Meerwasser sie ungenießbar macht. Das alles sind Nöte, die uns zu Herzen gehen.

Und doch sagt Gott zu allen diesen Menschen in ihrer Hilflosigkeit und Ohnmacht: „Um was immer ihr den Vater bitten werdet, das wird euch gegeben werden.“ Ihr seid also gar nicht ohnmächtig, nicht hilflos. „Bittet, und ihr werdet empfangen.“ Soll man das glauben? Ist es nicht beinahe zu schön, um es zu glauben? Und haben wir nicht hundert- und tausendmal erlebt, dass wir nicht durchdringen mit unserem Gebet?

Es war im Kriege auf einer Außenstation in der Diaspora. Da brachte jemand dem Priester die Nachricht, es sei eben ein Telegramm angekommen, der einzige Sohn einer katholischen Handwerkerfamilie sei gefallen. Der Priester machte sich auf, die Familie zu besuchen. Als er das Haus betrat, da hörte er schon die gellenden Schreie der Mutter im oberen Stockwerk. Und als er in das Zimmer trat, kam es voll Schmerz aus ihrem Herzen und von ihren Lippen: „Wir haben so viel gebetet, und das Kind ist doch gefallen!“ Und man bat den Priester, auch dem Vater entgegenzugehen, der von der Arbeit nach Hause kam. Der Vater sprach trostlos und tonlos: „Und wir haben alle Abende den Rosenkranz gebetet.“

Meine Freunde, das ist ein schweres Problem, eine Frage, die unser innerstes Leben ergreift. Auf der einen Seite steht das Gotteswort, auf der anderen unsere Erfahrung. Auf der einen Seite das Versprechen Gottes: „Um was immer ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, er wird es euch geben.“ Und auf der anderen Seite der Vorwurf der Menschen: „Wir haben gebetet, und wir haben es nicht erhalten.“ Wer hat recht? Für den gläubigen Christen ist die Frage beantwortet. Schon im heutigen Evangelium betont der Heiland dreimal die Erhörung des Gebetes. Da gibt es kein Deuteln und kein Kritteln und kein Zweifeln: Wer bittet, empfängt. Und der Herr hat es nicht nur einmal versprochen, sondern wiederholt. In der Heiligen Schrift wird 600 mal – 600 mal – die Erhörung der menschlichen Bitten versprochen. Es wird wohl kaum eine Glaubenswahrheit geben, die so oft ausgesagt ist wie diese.

Und nun sage ich: Entweder ist das wahr, was da geschrieben steht, oder die Schrift hat 600 mal gelogen. Dann ist sie alles andere als Gottes Wort. Und darum, weil sie mir das ehrwürdige Wort des ewigen, allmächtigen und wahrhaftigen Gottes ist, darum sage ich: Es ist nicht wahr, dass je ein christliches Gebet unerhört geblieben ist. Es ist nicht wahr, in Ewigkeit nicht. Wir haben nur die Verheißungen Christi falsch verstanden. Wir haben die wichtigsten Worte in seiner Aussage unterschlagen, und da kam ein falscher Sinn heraus. „Um was immer ihr in meinem Namen bitten werdet, das wird euch gegeben werden.“ Du hast sicher schon einmal jemanden irgendwohin geschickt, um etwas auszurichten. Das heißt, er sollte so reden wie du, als ob du selber es wärest. Er sollte in deinem Namen reden. Und im Namen Jesu beten, das heißt so beten, als ob es der Heiland selber täte, also so treu, so andächtig, so beharrlich, so demütig, so ergeben, wie er gebetet hat. Und um die Dinge beten, um die Jesus selber betet. Das heißt im Namen Jesu beten. So beten wie er, um die Dinge beten, um die er betet. Also, dein Gebet ist dann gut, wenn sich der Heiland hinter dich stellen könnte und sagen könnte: Ja, damit bin ich einverstanden. Das heißt im Namen Jesu beten. Und es wird so wenig im Namen Jesu gebetet. Der zweite Vers des heutigen Evangeliums gilt nicht nur für die Apostel, er gilt auch für uns: „Bisher habt ihr um nichts in meinem Namen gebetet.“ Wir wollen nämlich im Gebet unseren Kopf durchsetzen. Was fragen wir nach Jesus? Wir wollen unseren eigenen Willen erzwingen. Was kümmert uns der Heiland? Diese Stellung muss ich haben! Wer weiß, ob es gut für dich ist? Och, ich werde schon so die Stellung benutzen, dass es gut wird, aber ich muss sie haben! So hat der Heiland nie gebetet. Mein Kind muss gesund werden! Wer weiß, ob es zur Ehre Gottes leben wird? Ich werde es schon so erziehen, dass es recht und verständig lebt! So hätte der Heiland nie gebetet. Wir stellen unseren kleinen Verstand über die Weisheit Gottes. Wir wollen alles besser wissen als er. Das ist der Wahnsinn des schlechten Gebetes. Wir sind wie ein Trinker, der nach dem Glase greift, obwohl er weiß, was aus dieser Gier folgt. Was kümmert ihn das Elend seiner Familie? Und da ist es so, dass wir nach den Dingen greifen, gierig und unersättlich. Das ist die Revolution des schlechten Gebetes. Und das Nichtglaubenwollen, dass der Herr uns nur etwas versagt, weil er es versagen muss. Darin liegt die Bosheit gegen Gott: das Nichtglaubenkönnen, das Nichtglaubenwollen an seine Weisheit.

Ich habe Euch das Beispiel von der Handwerkerfamilie erzählt. Ich erzähle Euch ein anderes Beispiel. Ein adeliger Mann ging mit seinem Freunde auf die Jagd. Der Schuß löste sich, und der Freund traf den Baron. In aller Eile wurde eine Tragbahre gezimmert. Man brachte ihn nach Hause. Die Baronin war wie von Sinnen. Sie raste durch das Haus: Meine Herren, mein Mann muß gesund werden! Die Ärzte trauten sich nicht die Kugel herauszuziehen, weil sie fürchteten, der Tod würde nur schneller eintreten. Und der Tod trat ein. Der Baron wurde nicht gesund. Er starb trotz aller Gebete. Einige Jahrzehnte später starb auch die Baronin in einem schlichten, armen Kloster als eine fromme Klosterfrau im Rufe der Heiligkeit. Wir rufen sie heute an als die heilige Franziska von Chantal. „Der Baron muss gesund werden!“ Aber der Herrgott dachte: Ich weiß besser, was sein muss, und deswegen darf er nicht gesund werden. Sie wäre nie zu dieser Heiligkeit gekommen, wenn der Herrgott damals nicht nein gesagt hätte.

Wie oft, meine lieben Freunde, treten wir vor den Herrgott hin und sagen: Das muss geschehen, das musst du mir erfüllen! Und wie oft hat uns der Herr gesagt: Kind, ich weiß, was besser für dich ist. Die Heiligen haben anders gebetet als wir. Der heilige Philipp Neri hat das schöne Gebet gesprochen: „Ich danke dir, Gott, im Herzen still, dass die Dinge nicht gehen, wie ich es will.“ Ich danke dir, Herr, im Herzen still, dass die Dinge nicht gehen, wie ich es will. Und die heilige Theresia Martin in Lisieux hat gebetet: „Ich bitte um nichts mehr mit Ungestüm außer darum, dass der Wille Gottes sich an meiner Seele erfülle.“ Ich bitte um nichts mehr mit Ungestüm außer darum, dass der Wille Gottes sich an meiner Seele erfülle. Und sie hat hinzugefügt: „Im Himmel wird Gott meinen Willen tun, weil ich auf Erden nie meinen Willen tat.“

Wir müssen Gott dienen, wie er es haben will, und nicht, wie wir es haben wollen. Deswegen müssen wir auch beten, wie er es haben will. Der Herr weiß besser, was er tut, als wir wissen, was wir wollen. Der Herr weiß besser, was er gewähren kann und was er versagen muss. „Tut dir Gott nach seinem Willen, bist du wohlversehen. Tut er dir nach deinem Willen, ist’s um dich geschehen.“ Tut dir Gott nach seinem Willen, bist du wohlversehen. Tut er dir nach deinem Willen, ist’s um dich geschehen. Solche Verslein hat die Weisheit des Volkes, die Volksweisheit, erfunden. Der Wille Gottes geschieht mit absoluter Sicherheit. Aber er geschieht nicht ohne Berücksichtigung unserer Gebete. Es könnte jemand sagen: Ja, hat es denn überhaupt noch einen Zweck zu beten, wenn doch der Wille Gottes geschieht? Ja, es hat einen Zweck, denn unsere Gebete sind seit Ewigkeit her von Gott in seine Pläne einbezogen. Gott sieht die freien Handlungen der Menschen, die in Jahrhunderten und Jahrtausenden geschehen, voraus, und er baut sie in seinen Willen ein. Es hat einen Zweck, zu beten, denn unsere Gebete erfüllen nur das, was Gott vor Jahrtausenden vorausgesehen hat. Er kennt die freien Handlungen des Menschen, bevor sie geschehen. Unsere Gebet sind seit Ewigkeit her in Gottes Willen aufgenommen. Deswegen sollen und müssen wir beten, auch Bittgebete verrichten. Gott könnte selbstverständlich alles im Überfluß schenken auch ohne unsere Bitte. Er gibt ja den Tieren auch alles, was sie benötigen, ohne dass sie beten. Als allgütiger Vater will er aber von seinen Kindern gebeten sein. Er will, dass wir ihn täglich ernstlich bitten und dadurch immer vertrauensvoller beten lernen. Wir sollen unser Vertrauen zu ihm, unsere Abhängigkeit von ihm, durch das Gebet bezeugen. Damit verhalten wir uns nur seinsgerecht, denn wir sind abhängig von ihm. Im Gebet aber erkennen wir diese Abhängigkeit an. Gott gibt auch nur deswegen den Bittenden, damit er nicht einem gebe, der das Geschenk gar nicht fasst. Der Mensch soll gewissermaßen die Hände öffnen und nicht verkrampfen. Und so kann Gott die geöffneten Hände füllen.

Unsere Gebete ändern den Willen Gottes nicht ab. Die Beschlüsse Gottes liegen seit Ewigkeit her fest. Aber durch das Gebet verdienen wir zu erhalten, was Gott von Ewigkeit her beschlossen hat, zu geben. Wir sollen durch das Bittgebet unsere Hände öffnen, die Gott dann füllen kann. Und er wird sie füllen, wenn wir um das Rechte beten, wenn wir in der Gesinnung Jesu, im Namen Jesu unsere Gebete vor Gott bringen. Da steckt einer in der Sünde. Es wird ihm himmelangst, wenn er an den Tod denkt. Er zerrt an seinen Ketten, aber er zerreißt sie nicht. Da fängt er an zu beten, treu, beharrlich, vertrauensvoll. Meine lieben Freunde, ich sage Ihnen, er wird errettet werden, so wahr der Heiland sagt: „Bittet, und ihr werdet empfangen.“ Da ist einer im Zweifel, ob er in den Himmel kommen wird. Wenn ich nur wüsste, ob ich in den Himmel kommen werde! Ein Mittel gibt es, das bringt dich unfehlbar zur Anschauung Gottes: Du brauchst nur zu beten, treu und beharrlich. Ich weiß, dann wirst du erlangen, was Gott verheißen hat.

Wir dürfen auch um irdische Dinge bitten: Gesundheit, Erfolg, Stellung. Wir dürfen um alles bitten, was man erlaubterweise wünschen kann. Je größer das Vertrauen, um so sicherer dürfen wir hoffen. Wenn es nicht der Ehre Gottes widerspricht oder dem Heile der Seele, wird es uns der Herrgott geben. „Suchet, und ihr werdet finden.“ Freilich sollen wir nicht unwürdig in unserem Gebete sein. Das heißt, wir sollen auch die Rangfolge der Werte beachten. Wir sollen das Wichtige mehr begehren als das Unwichtige. Die Reihenfolge der Gebete soll sich nach der Rangfolge der begehrten Güter richten. Es gibt höherwertige Güter, und die sollen wir mehr erstreben als geringerwertige. Ohne jede Einschränkung und unbedingt dürfen wir nur die Ehre Gottes und alles, was uns Gott, dem höchsten Gut, näher bringen kann, erbitten. Alles übrige, das soll jedenfalls in irgendeinem Zusammenhang mit Gott und unserer ewigen Berufung stehen. Deswegen lautet der Rat: Erbitte, was des Reiches Gottes würdig ist! Erbitte, was des Reiches Gottes würdig ist!

Und noch eines. Gott lässt sich viel erbitten, aber er lässt sich nichts erzwingen. Er bleibt der souveräne Herr, der gibt und versagt nach seiner Weisheit und nach seinem Willen. Gott lässt sich viel abbitten, aber nichts abzwingen. Wenn wir Gott zwingen könnten, dann wäre die Ordnung umgekehrt, dann wäre Gott unser Knecht, statt dass wir seine Knechte sind. Dann hörte er auf, der Herr des Himmels und der Erde zu sein. Nein, dann wäre das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf umgekehrt. Nicht Gott steht in unserem Dienst, sondern wir stehen im Dienste Gottes. Aber wenn wir etwas erbitten sollten, was gegen Gottes Ehre ist, dann darf es Gott uns nicht geben. Ich meine, meine lieben Freunde, ich spreche in Ihrer aller Namen, wenn ich sage: Wenn ich das Gebet zum Himmel richte, o Herrgott, das gegen deine Ehre ist, dann erbarme dich meiner und gib es mir nicht! Und wenn ich rufen und schreien sollte um etwas, wovon du weißt, dass es Gift ist, gütiger Gott, sei taub und gibt es mir nicht. Und wenn ich so verblendet sein sollte in menschlicher Schwäche, dass ich erzwingen wollte im Gebet, und wäre es mein Augenlicht oder mein Herzschlag, allmächtiger Gott, bleibe hart, sage nein! Nicht wahr, meine lieben Freunde, so zu beten, das ist vernünftig, das ist nach Gottes Willen. Wir vertrauen auf Gott, und wir glauben an die Macht des Gebetes. Beides ist berechtigt.

Vor einiger Zeit ging ein Priester mit einem Bekannten, einem gebildeten Herrn, am Meeresstrande auf und ab. Da sagte der Herr: „Ja, das mit dem Gebet, das wird mir nie recht klar. Ob wir wirklich erhört werden?“ Da sagte der Priester, einer plötzlichen Eingebung folgend: „Ich bin überzeugt, wenn Sie recht beten, selbst wenn der Herrgott ein Wunder wirken müsste, er wird es tun und Sie erhören.“ Da blieb der Herr stehen und sah den Priester lange an. Das Wort hatte ihn so merkwürdig getroffen: Und selbst, wenn der Herr ein Wunder wirken müsste. Draußen rauschte das Meer, und in seinem Rauschen, da klang es wie eine Bestätigung: Ja, ich weiß es, seitdem Christus den Sturm auf dem Meere gestillt hat auf die Bitten seiner Apostel: Und wenn er ein Wunder wirken müsste, er würde es tun.

Amen.

 

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