Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. November 2007

Die Botschaft vom Reich Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Ständig haben die Jünger Jesus zugesetzt mit der Frage: Wann kommt denn das Reich Gottes? Wo bricht es herein? Wie wird es geschehen? Der Herr hatte immer große Mühe, ihre irdischen, falschen, verderblichen Vorstellungen vom Reiche Gottes zu korrigieren. Und das eben tut er in den beiden Gleichnissen, die wir soeben im Evangelium des Sonntags gehört haben.

Das Himmelreich ist gleich einem Senfkorn. Das Sendkorn ist eines der kleinsten Körner. Wenn man es in den Boden legt, dann verschwindet es; man sieht es nicht. Lange Zeit muss man warten, bis es zu sprießen beginnt. Erst wenn es aus der Erde kommt und aufwächst, sieht man, welche Macht in diesem kleinen Korn war. Die Jünger stellten sich das Gottesreich so vor: Jesus als der Messias bildet ein Heer, mit dem Heer treibt er den Landesfeind, die Besatzungsmacht (die Römer) aus Palästina; er richtet sein Reich auf, und sie, die Apostel und Jünger, bekommen hohe Posten in dem Reiche, werden in seinen Thronrat berufen und dürfen die Frucht seines Sieges genießen. Diese Vorstellung muss der Herr zurückweisen, denn sie ist ganz und gar verschieden von der Wirklichkeit des Gottesreiches.

Das Gottesreich hat einen ganz bescheidenen Anfang. Es ist zunächst kaum zu erkennen und wird von vielen missverstanden. Jesus wurde ja selbst als der wiedergekommene Elias oder Jeremias angesehen. Herodes meinte, Johannes der Täufer sei auferweckt worden und komme in Jesus wieder. Das Christentum wurde in Athen und in Jerusalem für eine neue Philosophenschule gehalten. In Rom dachte man, das Christentum sei eine jüdische Sekte. Paulus erinnert seine Gemeinden oft daran, wie er bei ihnen aufgetreten ist. „In Schwachheit und Furcht, in Zittern und Zagen“, schreibt er einmal an die Korinther, „war ich bei euch, in Schwachheit und Furcht, in Zittern und Zagen. Mein Wort geschah nicht in überredenden Worten voll Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft.“ Ähnlich beschreibt er auch sein Auftreten bei den Galatern. Er war damals offensichtlich krank; Paulus war ja ein kranker Mann. Entsprechend war auch sein Auftreten. „Ihr wisst, wie ich infolge körperlicher Schwachheit das erste Mal das Evangelium bei euch verkündet habe. Da habt ihr die Prüfung, die euch durch meinen kranken Leib entstanden ist, nicht verachtet.“ So schlicht, so schwach, so schüchtern waren fast immer die Anfänge des Gottesreiches auf Erden. Arm und dürftig keimt es heute noch in den Missionen auf, ob es sich um Darfur in Ägypten oder um Papua-Neuguinea handelt. Wo immer das Gottesreich auf Erden Fuß fasst, es wird nicht anders als klein und unscheinbar in seinem Anfang sein.

Manchmal freilich, und da möchte ich fast den Herrn ergänzen, manchmal freilich ist es auch klein geworden. Wo es einmal groß war, da ist es zurückgegangen, da ist es ausgelöscht worden, in Afrika, in Asien. Hunderte, Hunderte von Bistümern haben einmal dort bestanden, bis der Islam kam und mit Feuer und Schwert alles vernichtet hat. Auch in unseren Landen sehen wir ja den schmerzlichen Rückgang des Christentums, unseres katholischen Christentums. Mir gibt es immer einen Stich, wenn ich nach Oppenheim komme. Die schöne, die herrliche Katharinenkirche hat man uns genommen, und das Christentum des katholischen Glaubens fristet ein kümmerliches Dasein in der unansehnlichen Franziskanerkirche.

Und doch haben die Apostel und haben ganze Generationen von Christen erlebt, dass die Botschaft vom Reiche Frucht bringt, dass das Gottesreich aus unauffälligen Anfängen zu einer überragenden Größe aufwächst. So war es schon in der Urgemeinde zu Jerusalem. Nach der Himmelfahrt des Herrn zählte sie 120 Mitglieder, am Pfingstfest stieg ihre Zahl auf 3000 Seelen. Dann heißt es: „Der Herr aber brachte täglich in der Gemeinde solche hinzu, die gerettet werden sollten.“ Bald waren es 5000 Männer. Immer mehr kamen solche hinzu, die an den Herrn glaubten, eine Menge Männer und Frauen. Da konnten die Juden das Wachstum der jungen Kirche nicht mehr ansehen. Sie ließen die Apostel gefangen nehmen und geißeln. Stephanus fällt als erster Martyrer unter ihren mörderischen Steinwürfen. Die ganze Gemeinde wird auseinandergesprengt. Aber statt zu erliegen, wächst das Christentum überall im Lande empor. Die versprengten Gläubigen verbreiten das Evangelium, und so finden wir bald Gemeinden in Damaskus, in Samaria, in Antiochien. Die Apostel haben längst die Grenzen der jüdischen Lande überschritten, und das Gottesreich nach allen Himmelsrichtungen ausgebreitet, an der Spitze Paulus, der Heidenapostel in Kleinasien, Mazedonien, wie wir gerade gehört haben, in Achaia, in Rom, in Spanien, überall hat er das Evangelium verbreitet. Unter dem Hauch seiner Worte und mit der Glut seiner Liebe hat er das Reich gegründet. Er muss selber staunen über die Kraft, die in ihm lebendig ist und die durch ihn wirkt. An die Korinther schreibt er: „Aller Wege bedrängt, klagen wir nicht, ohne Rat und Weg verzweifeln wir nicht, in Verfolgung fühlen wir uns nicht verlassen, im Unterliegen nicht verloren. Ständig tragen wir Jesu Todesnot an unserem Leibe herum, damit auch Jesu Leben an unserem Leib sich offenbare.“

Ja, meine lieben Freunde, das ist das Geheimnis der überraschenden Erfolge des Gottesreiches. Jesu Leben, der Geist des auferstandenen, des verklärten Herrn wirkt sich im Leben der Apostel, in dem Leben und Wachsen, in der Ausbreitung des Gottesreiches aus. Da könnte gleich jemand sagen: Ja, die anderen Religionen haben sich doch auch ausgebreitet. Der Islam hat Hunderte von Millionen Anhänger gewonnen. Ja, ja, natürlich, aber über die Ausbreitung solcher Religionen braucht man sich nicht zu wundern, denn sie schmeicheln den Leidenschaften. Sie machen es den Menschen leicht. Sie lehren eine billige Moral. Sie fangen die Unwissenden und die Verirrten mit Versprechungen und mit Geschenken ein. Sie schrecken vor Gewalt und Terror nicht zurück. So kommt man voran in dieser Welt. Das wundert mich also nicht, dass solche Religionen Anhänger, Millionen von Anhängern finden. Unsere Religion ist anspruchsvoll. Sie ist die anspruchsvollste von allen Religionen, denn sie ist von Gott gestiftet.

Trotz dieser hohen Ansprüche hat sich das Christentum ausgebreitet. Schon am Anfang des 3. Jahrhunderts schreibt der Schriftsteller Tertullian: „Von gestern sind wir, und schon haben wir den Erdkreis und alles, was euer war, erfüllt, Städte und Inseln, Festungen, Märkte, Rathäuser, Heerlager, die Stadtviertel und Bezirke, Residenzen, Senat und Forum. Einzig die Tempel haben wir euch gelassen.“ In dieser Kraft trotzt das Christentum auch den blutigen Verfolgungen der römischen Staatsgewalt. „Quält, peinigt, foltert, zermalmt uns“, schreibt derselbe Tertullian, „wir vermehren uns immer, sooft wir von euch gemäht werden. Das Blut der Martyrer ist der Same der Christen.“ Ja, wahrhaftig, das war das Geheimnis des Wachstums: Das Blut der Martyrer ist der Same der Christen.

Und so ist es immer geblieben. In der Französischen Revolution löste sich der Protestantismus in Frankreich auf. Die Pastoren sagten ihrem Stande ab, die Laien versanken in Gleichgültigkeit und Abfall. Ein französischer Historiker erklärt dieses Verhalten so: Die franzöischen Protestanten hatten keine Martyrer. Die katholische Kirche in Frankreich hatte Hunderte und Tausende von Laien und Priestern, die unter der Revolution drangsaliert, deportiert und hingerichtet wurden. Die Protestanten hatten keine Martyrer. In diesem Geiste des Martyriums hat das Christentum die Lehren der griechischen Philosophie überwunden, hat es das römische Recht und die griechische Weisheit und die deutsche Kraft vereint im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Wir sehen, dass das Gleichnis des Herrn sich erfüllt hat. Aus dem unscheinbaren Korn ist ein großer Baum geworden, der die Erde überschattet.

Aber ein Baum wächst nicht nur nach oben und nach außen, er wächst auch nach unten; er wächst auch nach innen. Er vergräbt sich und verklammert sich mit seinen vielen Wurzeln. Das ist die Botschaft, die uns das zweite Gleichnis des heutigen Evangeliums vermittelt: Das Himmelreich ist mit einem Sauerteig zu vergleichen, den eine Frau nahm und in drei Maß Mehl (also eine große Menge) mengte. Der Sauerteig wandelt das Mehl um, bis das Ganze durchsäuert war. Das Gottesreich erfaßt den Menschen von innen. Es mehrt nicht nur die Zahl der Anhänger, sondern es verwandelt die Menschen. Das taube Mehl wird nicht nur durchweicht und durchdrungen, es bekommt einen anderen Geruch, einen anderen Geschmack, es wird zu einem neuen Element. Dazu braucht es keinen großen Aufwand. Eine Handvoll Sauerteig durchsäuert einen ganzen Trog mit Mehl. Ein wenig Wasser über den Scheitel eines Kindes geschüttet, verwandelt ein Geschöpf in ein Gotteskind. Das Lösewort der Beichte reicht hin, um einem reuigen Sünder die Verzeihung zu gewähren. Ja oft entzündet sich das neue Leben des Menschen an einem einzigen Wort, das er auffängt bei der Lesung der Schrift, bei der Predigt, bei einem Gespräch. Dieses Wort lässt ihn nicht mehr los. Es gewinnt Gewalt über ihn und wandelt ihn um. Es gibt, meine lieben Freunde, es gibt die sieghafte Gnade, die gratia victrix, die den Menschen in einem Nu umwandeln kann.

Und das ist geschehen. Im 5. Jahrhundert hat es der große Papst Leo wie folgt beschrieben: „Unter der Hand des Allerhöchsten wurde das Herz Vieler umgestaltet, wurde neu, was alt gewesen war, und Sklaven des Unrechts wurden zu Dienern der Gerechtigkeit. Anstelle der Genusssucht trat Enthaltsamkeit, anstelle des Stolzes Bescheidenheit. Wer sich durch ein ausschweifendes Leben befleckt hatte, der zeigte sich jetzt im strahlenden Gewande der Keuschheit.“ Ja wahrhaftig, das ist es! Das Christentum ist imstande, den ganzen Menschen umzuwandeln. Man kann ein Christ nicht nur mit dem Verstande sein oder mit dem Herzen. Nein, man muss ein Christ mit Verstand und mit Herz sein. Man kann nicht Christ am Sonntag sein, in der Messe und bei der Predigt und sich im grauen Alltag als ein rücksichtsloser, kalter Mensch zeigen. Man kann nicht als Kind fromm sein und als Mann in Kritiksucht und Zweifel sich verlieren. Man kann auch nicht als Mann in den besten Lebensjahren das Leben genießen wollen und dann als zitternder Greis sich zum Kreuze flüchten. Nein, das Christentum, das Gottesreich fordert den ganzen Menschen. Es fordert seine ganze Lebenszeit, es fordert seine ganze Kraft.

Das ist das Schmerzliche, was wir immer wieder erleben, wie oft berufliche Leistung und privates Leben auseinander gehen. Wie schmerzlich, wie peinlich, wie enttäuschend ist dieser Zweispalt! Man kann ein gefeierter Künstler sein und doch ein erbärmlicher Lüstling. Man kann ein bekannter Schriftsteller sein und doch ein großer Prahlhans, Ich denke etwa an den Ihnen ja sicher bekannten Gottfried Benn. Er gilt als ein großer Lyriker und war es vielleicht auch, aber er war auch ein Unzüchtiger von Format. Man kann ein gewandter Kaufmann und Geschäftsmann sein und doch voll Gier und Neid. Man kann ein angesehener Beamter sein und doch ein Heuchler und ein Lügner. Man kann ein anständiger Familienvater sein und doch krumme und dunkle Wege gehen. Von manchen der nationalsozialistischen Größen wird erzählt, dass sie gute Familienväter waren, aber in ihrem Beruf haben sie gemordet und geschändet.

Das alles ist möglich, aber es ist die Verkehrung des Christentums. Man kann nie und nimmer als Christ ein zwiespältiges Leben führen. Der Sauerteig des Christentums muss das ganze Leben durchwirken. Nur wenn das Christentum unser Leben erfaßt, sind wir wirklich Christen, sind wir wirklich in das Reich Gottes eingegangen. Im 2. Jahrhundert hat ein Christ eine Schutzschrift für die Christen an den Kaiser verfasst, Minutius Felix hieß dieser Mann. In dieser Schutzschrift steht der wunderbare Satz: „Non eloquimur magna, sed vivimus“  Wir machen keine hohen Sprüche, sondern wir leben das, was wir bekennen. Non eloquimur magna, sed vivimus.

Das Christentum steht nicht nur als Forderung vor uns, sondern es ist auch eine Kraft. Der Sauerteig kommt von Gott. Er durchsäuert unser Leben, er hat eine umwandelnde Kraft. Die Hingabe, der Wille allein genügt nicht, um das Gottesreich in uns aufzubauen, sondern es muss auch die Kraft dazu kommen, und diese Kraft kommt von Gott. Taufe und Beichte verpflichten nicht nur zu einem christlichen Leben, nein, sie geben es dir mit, und sie geben dir die Kraft dazu. Das Messopfer am Sonntag fordert nicht nur unser Opfer, nein, es stärkt uns auch zum Opfer. Und vor allem noch eines, meine lieben Freunde: Das Gebot, das wir erfüllen, beugt und bindet das Böse in uns. Es befreit und erhebt unsere beste Kraft. Das Gebot ist ein Segen. Das Evangelium, dem wir glauben, vergewaltigt, unterdrückt nicht unseren Verstand, es erhebt ihn vielmehr zu neuer gottseliger Schau. Diese Kraft kommt dem Christentum von unserem Herrn Jesus Christus. Er ist der Messias, er ist wahrhaft Gottes Sohn. Der da in Gleichnissen redet, spricht nicht nur wie die Propheten, so dass sich auch seine Worte in der Zukunft erfüllen, nein, seine Worte sind Gottes Wahrheit, Gottes Kraft, Gottes Leben. Das Senfkorn, der Sauerteig hat Gottes Kraft und Macht in uns und wirkt in den Menschenseelen und im Getriebe der Welt. Diese Kraft hat das Antlitz der Erde verwandelt. Viele fahren jetzt nach Eisenach, um dort die Ausstellung zu besuchen, die der heiligen Elisabeth gewidmet ist. Ja, das ist eine Frau, in der Gottes Macht und Kraft wirksam war. Unsere Heiligen, das sind die Menschen, in denen Gottes Kraft und Macht sich ausgewirkt hat. Heilige Menschen gibt es, seitdem das Christentum in der Welt ist. Heilige Gemeinden gibt es und eine heilige Kirche. Auf einmal gibt es heilige Familien, heilige Eltern und heilige Kinder. Das Gottesreich wuchs auf mit göttlicher Kraft. Gott selber ist der König und der Herr dieses Reiches, und wir sind seine Gefolgsleute, die ihm folgen durch Not und Tod.

Amen.

 

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt