Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Juni 2006

Das fortdauernde Kreuzesopfer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und benedeien dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.“ Wir wissen, dass das Christentum eine Erlösungsreligion ist – im Unterschied zum Islam, und wir wissen, dass das Erlösungsopfer von unserem Herrn und Heiland selbst am Kreuze dargebracht wurde. Er ist Priester, Opferpriester auf Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedech. Er ist Priester, und er bleibt Priester. Das heißt: Das eine Opfer des Kreuzes sollte fortdauern, weil der Opferpriester am Leben bleibt. Christus wollte sich einmal und ein für allemal auf dem Altar des Kreuzes durch das Erleiden des Todes Gott dem Vater darbringen. Durch den Tod wurde aber sein Priestertum nicht ausgelöscht, und deswegen wollte er auch seiner geliebten Braut, der Kirche, wie es der Natur des Menschen entspricht, ein sichtbares Opfer hinterlassen. Durch dieses von der Kirche darzubringende Opfer wird das einmalige blutige Opfer am Kreuze vergegenwärtigt, das Andenken bis an die Grenzen der Zeiten fortgesetzt und die heilsame Kraft des Kreuzesopfers zugewendet. Das sind die entscheidenden Aussagen des Konzils von Trient über das Meßopfer: Das Kreuzesopfer wird vergegenwärtigt, sein Andenken dauert an und seine Früchte werden zugewendet.

Christus hat beim Letzten Abendmahl seinen Leib und sein Blut dem Vater im Himmel in Vorausnahme des Kreuzesopfers dargebracht. Dann reichte er beides den Aposteln und machte sie damit zu Priestern des Neuen Bundes. Er gab ihnen den Auftrag, dass sie das, was er getan hatte, fortsetzten, indem sie ihn aufopferten, denn er sagte: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ Mit diesen Worten hat das Konzil von Trient den Zusammenhang zwischen Kreuzesopfer und Messopfer dargestellt. Wir haben nun im einzelnen folgende Punkte zu beachten.

1. Die heilige Messe ist ein wahres Opfer. Der Herr hat, was er am Kreuze erleiden sollte, unblutig im Abendmahlssaal vorweggenommen und seinen Aposteln den Auftrag gegeben, dieses Opfer des Neuen Bundes zu begehen. Er sprach nämlich damals nicht nur: „Nehmet hin und esset!“ und auch nicht bloß: „Nehmet hin und trinket!“, sondern er sagte: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird.“ Das heißt, der Leib des Herrn und das Blut des Herrn werden gegenwärtig als Opferblut. Hingeben und vergießen, das ist Opfersprache. Die stellvertretende Hingabe des Leibes für andere ist eine Sühne, ist der Natur nach ein wahres Opfer. Aus diesen Worten, aus diesen entscheidenden Worten: „…der für euch hingegeben wird“, „…das für euch vergossen wird“ erkennen wir, dass der Herr seinen Leib als Opferleib und sein Blut als Opferblut gegenwärtig werden lässt. So wie der Alte Bund mit Blut (am Sinai) besiegelt wurde, so der Neue Bund mit dem Blute des unbefleckten Lammes, unseres Herrn Jesus Christus. Im Messopfer weist die Doppelgestalt, Leib und Blut, Brot und Wein, auf den Opfercharakter hin; denn die Trennung der Gestalten zeigt uns, dass es hier um ein Opfer geht. Die Kirche hat das Messopfer von Anfang an als solches verstanden. Sie hat die Eucharistie immer als Opfer gefeiert. Der Apostel Paulus stellt den Opferaltar der Christen dem Opferaltar der Heiden gegenüber und den Opferaltar des Neuen Bundes dem Opferaltar des Alten Bundes. Beides ist ein Opfer, wenn auch von unterschiedlichem Werte, von anderer Gestalt, aber das Opfer ist auch dem Neuen Bunde eigen. Wir können eine lückenlose Beweiskette führen, dass die Kirche von Anfang an die heilige Messe als Opfer betrachtet hat. Deswegen hat das Konzil von Trient erklärt: „Wenn jemand sagt, in der heiligen Messe werde nicht ein wahres und eigentliches Opfer dargebracht, der sei ausgeschlossen! Und wenn jemand sagt, dass Christus damals nicht seine Jünger als Apostel und Priester eingesetzt hat und angeordnet hat, dass andere Priester das fortsetzen, der sei ausgeschlossen!“ Da kann dieser Herr aus Wittenberg noch so lange kommen und das Gegenteil behaupten; 1500 Jahre haben es nach ihm falsch gemacht, aber er wusste alles besser. Nein, die Heilige Messe ist wirklich ein Opfer, das Christus seiner Kirche übergeben hat.

2. Das Messopfer ist dasselbe wie das Kreuzesopfer, denn derselbe Priester ist hier vorhanden, dieselbe Opfergabe und dieselbe Opfergesinnung. Die heilige Messe ist kein anderes Opfer als das Opfer Christi am Kreuze. Es gibt nur ein einziges Erlösungsopfer, und das ist das Kreuzesopfer. Aber dieses dauert in der Messe fort. Es wird dort immerfort vergegenwärtigt und erneuert. In der heiligen Wandlung wird Christus gegenwärtig als der Opferpriester mit demselben Opferleib und mit demselben Opferblut und mit derselben Opfergesinnung wie damals auf Golgotha. Es gibt nur einen Christus, und dieser eine Christus, der am Kreuze dem Vater sein Lebensopfer dargebracht hat, ist auch im Messopfer Priester und Opfer; derselbe Priester, dieselbe Opfergabe, dieselbe Opfergesinnung. Und zwar ist im Messopfer nicht nur das Andenken, die die Protestanten behaupten, an das Kreuzesopfer aufbewahrt, nein, das Kreuzesopfer erscheint in der Gegenwart. Mein Lehrer Michael Schmaus in München hat das glückliche Wort gewählt: „Das Meßopfer ist die sakramentale Epiphanie von Golgotha.“ Schöner kann man es eigentlich nicht sagen. Das Meßopfer ist die sakramentale Epiphanie von Golgotha, also vom Kreuzesopfer. Christus ist gegenwärtig unter uns. Warum? Natürlich auch darum, dass wir an ihn denken, dass wir in Dankbarkeit an ihn denken, dass wir im Gedächtnis behalten, was er für uns getan hat. Das ist auch richtig. Aber darüber hinaus wollte er, dass wir heutigen Menschen ein Opfer haben. Auch wir, die wir in der Kirche leben, sind Gott ein Opfer schuldig, und deswegen hat er uns sein Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt zum Opfern hinterlassen. Hier sind wir alle Priester, hier bringen wir Gott das große Opfer dar. Das Messopfer ist das Kreuzesopfer, das von der Kirche dem Vater im Himmel dargeboten wird.

3. Aber in einer anderen Darstellungsweise. Das darf man natürlich nicht übersehen. Das Kreuzesopfer leuchtet im Messopfer, aber das Messopfer hat eine andere Darstellungsweise. Das eine und einzige Opfer Christi wurde blutig dargebracht. Das Messopfer ist die unblutige Erneuerung des Kreuzesopfers. Christus leidet und stirbt nicht mehr, er ist ein für allemal gestorben. Er leidet und stirbt nicht mehr, denn er ist verklärt. Aber die getrennten Gestalten erinnern uns an seinen Tod. Er nimmt sein Opferleiden von neuem und bietet es dem Vater im Himmel dar. Unblutig ist die Darbringung im Messopfer. Und noch zu einer anderen Unterscheidung müssen wir uns genötigt sehen, nämlich es wird das Messopfer durch die Hände des Priesters dargebracht. Am Kreuze hat er selbst in leiblicher Gestalt sich dem Vater im Himmel aufgeopfert, jetzt, da er das Opfer seiner Kirche übergeben hat, tut der Priester an seiner Stelle das, was er am Kreuze getan hat: Er bringt das Opfer Christi dem Vater im Himmel dar. Die Kirche hat immer darauf verwiesen, dass der Priester in der Messe in der Gestalt und mit den Worten Jesu spricht. Er sagt nicht: „Jesus sagt: Das ist mein Leib“, sondern er selber, der Priester in der Gestalt Jesu, in mystisch-realer Identität mit Jesus, sagt: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“ Natürlich nicht des Priesters, sondern Christi, den der Priester vertritt, den er als Stellvertreter bei der heiligen Messe vertritt. So wird also durch die Priester das Messopfer, in dem das Kreuzesopfer gegenwärtig ist, dargebracht.

4. An diesem Opfer müssen wir teilnehmen. Wir müssen in dieses Opfer, wie man sagt, eingehen, d.h. wir müssen in der Opfergesinnung dieses Opfer mitfeiern. Wir haben als Kinder drei Hauptteile der Messe unterschieden: Opferung, Wandlung, Kommunion. Ich finde nicht, dass das falsch ist. Gewiß, die eigentliche, entscheidende Opferung geschieht dann, wenn Christus auf dem Altare ist, dann opfern wir ihn dem Vater im Himmel auf. Aber das, was wir Opferung nennen, hat eine unerläßliche Beziehung zu dem Opfer. Ohne die Opferelemente kommt ja Christus gar nicht auf den Altar. Und deswegen müssen die Opferelemente auch dem Vater im Himmel dargebracht, aufgeopfert werden. Wir bringen Wein und Brot, wir geben unsere Opfer in die Sammelbüchsen, weil wir eben hier an dem Opfer Christi teilzunehmen begehren, weil wir unser Selbstopfer mit dem Opfer Christi verbinden wollen. Das ist der Sinn der so genannten Opferung. Wir stellen die Opferelemente bereit und weihen sie, und wir bieten unser Selbstopfer an, um in die Opfergesinnung Christi einzugehen. Lesen Sie die schönen, die ergreifenden Gebete, die der Priester bei der so genannten Opferung betet. Da begreifen Sie den ganzen Sinn dieses Geschehens. Die Opferung war den Neutönern ein Dorn im Auge. Sie haben sie nach Möglichkeit zu eliminieren versucht. Aber nein, sie ist unbedingt notwendig. Hier findet eine Vorweihe statt, und ohne diese Vorweihe kann das Opfer überhaupt nicht stattfinden.

In der Wandlung kommt dann Christus auf den Altar, um mit uns Priester und Opfer zu sein. Das eigentliche Wesen der Messe ist die Wandlung, und zwar die Doppelwandlung. Bei dieser Wandlung spricht der Priester im Namen Christi: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut.“ Nur mit zitternden Lippen und mit bebendem Herzen, meine lieben Freunde, kann ein Priester diese Worte sprechen. Denn in der Wandlung wird Christus als unser Erlösungsopfer gegenwärtig. Die Wandlung ist deswegen der feierlichste und entscheidende Augenblick der heiligen Messe.

In der Kommunion dürfen wir dann die Opferfrucht genießen, das Opfer will uns nämlich mit Gott vereinigen. Deswegen dürfen wir den geopferten Christus in sakramentaler Gestalt in uns aufnehmen. Hier geschieht tatsächlich innerlich und gnadenhaft eine Gottvereinigung; diese Vereinigung kann man mit Recht ein Mahl nennen. Aber es ist eben ein Mahl, das aus dem Opfer hervorwächst. Es ist ein Opfermahl. Die Kommunion, ebenso wie die Teilnahme am Messopfer, verpflichtet uns. Denn wie wir am Messopfer teilgenommen haben, so sollen wir auch den ganzen Tag über ein Opfer für Gott sein. Wir haben uns am Altare zum Opfer geweiht, aber diese Weihe muss auch dann im Opferdienst des Lebens sich auszeugen. Wir müssen also dauernd unser Opfer bringen, unsere Sinnlichkeit beherrschen, unsere Bequemlichkeit besiegen, unsere Pflichten vor Gott und den Menschen gewissenhaft erfüllen. Das ist unser täglicher Opferdienst, wenn wir aus der heiligen Messe kommen. Wir sind eine Opfergabe für Gott geworden. Wir gehören uns nicht mehr selbst, denn wir sind Geopferte. Wir liegen gleichsam neben dem Opferlamm auf dem Altare.

5. So haben wir also im Messopfer ein wahres, sichtbares Opfer, das uns Christus hinterlassen hat. Dieses Opfer ist einmal ein Lob- und Dankopfer. „Es ist würdig und recht, billig und heilsam, immer und überall zu danken.“ Wenn ich das bete, meine lieben Freunde, da fange ich an zu zittern. Immer und überall zu danken, also für alles, auch für die Schmerzen und die Leiden und die Bitterkeiten und die Nöte des Lebens. Aber wir vereinigen unsere Leiden mit dem Herrn, um ihm zu danken auch für die Leiden. „Gott sei Dank für alles“, sagte der heilige Johannes Chrysostomus, als er in der Gefangenschaft, in die er geführt worden war, starb. „Gott sei Dank für alles.“ Also die Messe ist ein Lob-, ein Dank-, ein Anbetungsopfer. Sie ist aber auch ein Sühnopfer, d.h. sie schafft Genugtuung. Sie schafft Genugtuung für die Sünder. Sie ist von großer Kraft, um die Sünden der Welt hinwegzunehmen. Der heilige Leonhard von Porto Maurizio hat einmal das schöne Wort gesagt: „Ich für meinen Teil glaube, wenn die heilige Messe nicht wäre, so wäre die Welt bereits zugrunde gegangen, weil sie das Gewicht so vieler Sünden nicht mehr hätte tragen können.“ Ich wiederhole diesen ergreifenden Satz: „Ich für meinen Teil glaube, wenn die heilige Messe nicht wäre, so wäre die Welt bereits zugrunde gegangen, weil sie das Gewicht so vieler Sünden nicht mehr hätte tragen können.“ Aber die Messe ist ein Sühnopfer, und das ist stärker als alle Sünden. Christus hat es eingesetzt zur Vergebung der Sünden. Die Kirche hat es immer in diesem Sinne gefeiert.

Das ist das Tröstliche, meine lieben Freunde, dass wir mit diesem Opfer auch denen, die für sich selbst nichts mehr tun können, die nur noch leiden müssen, dass wir auch den Armen Seelen im Fegefeuer mit unserem Sühnopfer zu Hilfe kommen können. „Lieber Heiland, sei so gut, lasse doch dein teures Blut in das Fegefeuer fließen, wo die Armen Seelen büßen. Ach, sie leiden bittre Pein, wollest ihnen gnädig sein.“ So wollen wir also auch beim Messopfer niemals das Memento mortuorum, das Gedächtnis der Verstorbenen, vergessen, um das Blut Jesu in das Fegefeuer fließen zu lassen.

Die Messe ist aber natürlich auch ein Bittopfer, ja das größte Bittopfer, das wir überhaupt uns denken können. Auch die Heiligen bitten für uns, und wir sind dankbar dafür. Aber hier bittet Jesus selbst für uns. Er ist es, der im Messopfer mit uns betet, er, der Gottessohn. Und das ist es, was uns so zuversichtlich macht für die Erhörung unserer Bitten. Wir legen alle unsere Anliegen und Bitten in dieses Opfer hinein, denn die Darbringung des Messopfers hat auf dieser Erde den größten Wert von allen Bittgebeten.

So ist also, meine lieben Freunde, das Messopfer die Erneuerung und Vergegenwärtigung und Zuwendung des Kreuzesopfers. Es ist, wie Michael Schmaus so schön sagte, eine sakramentale Epiphanie von Golgotha. Wie groß ist dieses Opfer! Es umspannt die ganze Welt und reicht hinab in die Tiefen des Reinigungszustandes. Dankbar wollen wir uns deswegen um den Altar scharen. Hier stehen wir unter dem Kreuz, hier nimmt Gott unser Opfer an. Wir trinken aus den Quellen der Gnade, wir schöpfen das Heil aus den Wunden Christi. Hier sind wir Priester und Opfer im Verein mit Christus. Welch heiliges Geheimnis! Im Kirchenlied singen wir die ergreifenden Verse: „Sieh, Vater, von dem höchsten Throne, sieht gnädig her auf den Altar. Wir bringen dir in deinem Sohne ein wohlgefällig Opfer dar. Wir fleh’n durch ihn, wir, deine Kinder und stellen dir sein Leiden vor. Er starb aus Liebe für uns Sünder. Noch hebt er’s Kreuz für uns empor.“

Amen.

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