Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Mai 1997

Die Heiligkeit Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben uns an den vergangenen Sonntagen die Eigenschaften des göttlichen Willens vor Augen geführt. Gleichsam die göttlichste dieser Eigenschaften ist die Heiligkeit, die Heiligkeit des göttlichen Willens. Von der Heiligkeit haben wir schon einmal gesprochen, als wir die Struktur des göttlichen Wesens behandelten. Damals sprachen wir von der seinshaften, von der wesensmäßigen Heiligkeit Gottes. Sie besteht darin, daß Gott von allem Geschöpflichen total verschieden ist. Heute müssen wir von der sittlichen Heiligkeit sprechen. Sie besagt, daß Gott das Gute liebt und das Böse haßt. Die Heiligkeit Gottes besagt, daß er heilig handelt. Er bejaht sein eigenes heiliges Wesen mit ebenbürtiger Kraft, und er verneint alles ihm Widersprechende mit unbedingter Kraft. Das ist, kurz gesagt, der Inhalt der sittlichen Heiligkeit Gottes.

Die Heiligkeit Gottes ist eine notwendige; sie ist nicht notwendig wegen eines dumpfen Naturdranges, sondern notwendig deswegen, weil Gott nur seinem heiligen Wesen gemäß handeln kann. Er kann nicht anders handeln, als daß er eben so, wie es sein heiliges Wesen ihm gleichsam vorschreibt, handeln. Sein heiliges Handeln ist also, weil es identisch ist mit seinem Wesen, notwendig und selbstverständlich. Es ist eine fraglose Selbstverständlichkeit, daß Gott nur seinem heiligen Wesen gemäß heilig handeln kann. Die seinshafte Heiligkeit wirkt sich aus in der sittlichen Heiligkeit. Weil Gott heilig ist, handelt er heilig. Die seinshafte Heiligkeit findet ihren Ausdruck im heiligen sittlichen Handeln, und das sittliche Handeln ist der Ausdruck des heiligen Wesens Gottes.

Gott ist die Urheiligkeit. Das besagt: Er empfängt die Heiligkeit nicht von einem anderen, sondern er ist sich selbst die Heiligkeit. Er ist nicht etwa unter einem Gesetz stehend, das er mühsam zu befolgen sucht, sondern er ist sich selbst Gesetz. Er ist sich selbst das heilige Sollen, er ist sich selbst Norm, er ist sich Gesetz und Gesetzeserfüllung. Ganz anders bei uns. Wir stehen als Unheilige dem heiligen Gesetz und dem heiligen Gott gegenüber und finden das Gesetz, heilig zu handeln, vorgegeben. Gott ist sich selbst das heilige Gesetz; er ist das heilige Tun und die heilige Sollensforderung in einem. Er ist die Urheiligkeit und damit natürlich auch der Ursprung jeder geschöpflichen Heiligkeit.

Gott ist personale Heiligkeit. Bei ihm ist die Heiligkeit Person; sie ist nicht nur eine Eigenschaft. Nein, sondern, weil sein Wesen sein Tun ist, und weil dieses Wesen personal ist, ist auch das Tun personal, und wir müssen sagen: Gottes heiliges Tun ist Person. Und weil nun Gott in der Dreipersonalität existiert, ist das heilige Handeln der drei göttlichen Personen so zu verstehen, daß jede Person sich mit ihrem heiligen Willen bejaht und ebenso die beiden anderen göttlichen Personen mit ihrem heiligen Willen bejaht.

Gott ist auch die Quelle jeder geschöpflichen Heiligkeit, und zwar in dreifacher Weise. Er hat dem Menschen als Wächter heiligen Tuns das Gewissen gegeben. Das recht gebildete Gewissen ist der Meldekopf der Heiligkeit Gottes im Menschen. Gott hat weiter dem Menschen das Gesetz gegeben, damit er weiß, wie er zu handeln hat. Hier wird das Sollen geklärt, indem Gott ganz bestimmte Weisungen, Gebote und Verbote aufgestellt hat. Und schließlich wirkt Gott die Heiligkeit im Menschen mit seiner Gnade. Wir können nichts wahrhaft Heiliges tun, ohne daß Gott der Erst- und Hauptwirkende ist. Das Gesetz Gottes ist keine Willkürsatzung. Das Gesetz Gottes ist Ausdruck seines heiligen Wesens. Wenn wir also im Gehorsam gegen Gottes Gesetz heilig handeln, dann gehorchen wir letztlich dem heiligen Wesen Gottes.

In der Heiligen Schrift ist oft und oft von der Heiligkeit Gottes die Rede. Es ist nicht immer leicht zu unterscheiden, ob die seinshafte oder die sittliche Heiligkeit gemeint ist; meistens ist beides zusammen gesehen, die seinshafte und die sittliche Heiligkeit. Gott kann nicht anders, als seinem seinshaften Heiligkeitsgesetz nachzuleben, und diese seinshafte Wesensart der Heiligkeit muß sich auswirken im heiligen Handeln. Im Psalm 5 im Alten Testament wird Gott als ein Gott gepriesen: „Du bist ja kein Gott, dem das Unrecht gefällt. Bei dir hat kein Gastrecht der Frevler. Kein Böser hält deinem Blicke stand. Du haßt alle Übeltäter. Du richtest zugrunde die Lügner. Dem Herrn sind ein Greuel die Männer voll Blut und Betrug.“ Wenn der Mensch in die Nähe des heiligen Gottes gerät, da spürt er seine Sündhaftigkeit. Der große Kardinal Newman hat es einmal so ausgedrückt: „Wir gefallen uns so lange, bis wir in die Nähe Gottes kommen.“ Dann ist es nämlich aus mit dem Selbstgefallen. Viel ergreifender ist das selbstverständlich ausgedrückt in der Heiligen Schrift. Der Prophet Isaias hatte eine Vision, als er zum Propheten berufen wurde. Er sah den heiligen Gott in seinem Tempel. Er hörte, wie die Engel riefen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen. Die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit.“ Das Geschaute wirkte auf den Propheten ein. „Weh mir, ich bin verloren, denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und wohne bei einem Volk mit unreinen Lippen, und nun habe ich den König geschaut, den Herrn der Heerscharen mit eigenen Augen!“ Damit er aber nicht in seiner Unreinheit verbliebe, kam einer der Seraphime, ein Engel, auf ihn zu, er hatte in der Hand eine glühende Kohle, die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte. „Er berührte damit meinen Mund und sprach: ‘Siehe, dies berührt deine Lippen. Deine Schuld ist geschwunden, deine Sünde getilgt.’“ Da sieht man, der heilige Gott ist nicht nur der Rächer des Bösen, er ist auch der Befreier von der Sünde. Die Heiligkeit Gottes fordert die Heiligkeit des Menschen. Im 15. Psalm ist das in ergreifender Weise geschildert. „Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelt? Wer darf verweilen auf deinem heiligen Berg? Wer in Lauterkeit wandelt, wer das Rechte tut, wer redlich in seinem Herzen denkt, wer nicht verleumdet mit seiner Zunge, wer seinem Nächsten nichts Böses tut, wer keine Schande bringt über andere, in wessen Auge der Böse nichts gilt, wer aber die Gottesfürchtigen achtet, wer zum eigenen Schaden schwört und nichts deutelt, wer sein Geld nicht auf Zinsen leiht, wer gegen Schuldlose nicht sich bestechen läßt. Wer so handelt, der kommt nimmer zu Fall.“ Hier wird geschildert, was der heilige Gott vom Menschen fordert. Er soll heilig sein, wie es dem Menschen möglich ist. Er soll an der Heiligkeit Gottes partizipieren und dessen Heiligkeit in seinem Leben darstellen, damit dadurch Gott verherrlicht werde.

Die Offenbarung von der Heiligkeit Gottes wird im Neuen Testament vollendet. In Christus ist die Heiligkeit Gottes leibhaftig erschienen. Er ist der verleiblichte Widerspruch gegen das Böse. Er ist gekommen, die Bollwerke des Teufels zu zerstören. Sein Auftrag ist also, die Heiligkeit Gottes auf Erden aufzurichten. Und wenn die Heiligkeit Gottes aufgerichtet ist, dann kommt sein Reich, dann geschieht sein Wille, dann wird er verherrlicht. Und so spricht er denn auch im Johannesevangelium den Vater im Himmel an als: „Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, auf daß sie eins seien, so wie ich und wir es sind. Solange ich bei ihnen war, habe ich sie bewahrt in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Ich habe sie behütet und keiner von ihnen ist verlorengegangen außer dem Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt werde. Jetzt aber komme ich zu dir und spreche dies in der Welt, damit sie meine Freude vollkommen in sich haben. Ich habe ihnen dein Wort verkündet, und die Welt hat sie gehaßt, weil sie nicht von der Welt sind. Ich bitte nicht, du mögest sie von der Welt wegnehmen, sondern daß du sie vor dem Bösen bewahrst. Heilige sie in der Wahrheit!“

Der Herr hat also in seiner Abschiedsstunde keine größere Sehnsucht gehabt, als daß die Menschen in der Heiligkeit des himmlischen Vaters verweilen. Die Jünger des Herrn haben das Wort des Herrn im Matthäusevangelium aufgenommen: „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“ Sie haben gefordert, daß die Christgläubigen heilig leben; etwa im Hebräerbrief. Wir sollen an Gottes Heiligkeit Anteil gewinnen; soweit es dem Geschöpf möglich ist, soll es die Heiligkeit des Schöpfers darstellen. Diese Darstellung kann nur dadurch geschehen, daß das Geschöpf vom Heiligen Geist erfüllt wird und im Heiligen Geist an Christus angeglichen wird. Die oft im Schrifttum des heiligen Paulus vorkommenden Mahnungen, nach dem Geiste zu leben und das Fleisch zu töten, sind eine Mahnung, die Heiligkeit in sich herauszugestalten. Etwa wenn es im Römerbrief heißt: „Alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes. Wenn der Geist Gottes, der Jesus von den Toten erweckt hat, in euch wohnt, so wird der, welcher Christus von den Toten erweckt hat, auch eure sterblichen Leiber beleben durch seinen Geist, der in euch wohnt. Darum sind wir nicht mehr Schuldner dem Fleische, um nach dem Fleische zu leben. Wenn ihr nach dem Fleische lebt, werdet ihr sterben. Wenn ihr aber durch den Geist die Regungen des Fleisches ertötet, werdet ihr leben.“ Und noch einmal: Alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, sind Kinder Gottes.

Dieselbe Botschaft wird vom Apostel Petrus in seinem ersten Briefe verkündet. Da fordert er die Christen auf: „Seid heilig in eurem ganzen Wandel nach dem Vorbild des Heiligen, welcher euch berufen hat! Es steht ja geschrieben: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.“ Und weiter unten: „Lasset euch als lebendige Steine aufbauen zu einem geistigen Tempelbau, zu einer heiligen Priesterschaft, um geistige Opfer darzubringen, die Gott um Jesu Christi willen wohlgefällig sind.“

Jetzt wissen wir also, meine lieben Freunde, was unsere Aufgabe ist. Wir sollen heilig sein, wie der Vater im Himmel heilig ist. Wir sollen unser Leben gestalten nach seinem heiligen Willen, der ja nichts anderes als Ausdruck seines heiligen Wesens ist. Im Gehorsam gegen seinen Willen erreichen wir die menschenmögliche Heiligkeit. Sie wird freilich in erster Linie gewirkt durch den Heiligen Geist, der in uns lebt. Aber wir müssen einstimmen in dessen Wirken. Wir müssen mit dem Geiste leben und mit dem Geiste handeln. Dann gestaltet er in uns die menschenmögliche Heiligkeit heraus.

Die Heiligkeit Gottes ist gewissermaßen das Göttlichste, was im Antlitz der geistigen Schöpfung aufstrahlen kann. Und welche Würde hat darum das menschliche Gewissen, das, recht gebildet, die Heiligkeit Gottes zu verwirklichen sucht! Selbst noch im bösen Gewissen, das die Menschen anklagt, erleben wir einen Widerschein der Heiligkeit Gottes. Und auch, indem der Böse aus der Gemeinschaft ausgeschieden wird im Zustand der Hölle, wird die Heiligkeit Gottes bezeugt. Die Hölle ist das ewige Zeugnis des Bösen für die Heiligkeit Gottes. Der Himmel aber ist das ewige Zeugnis der Geretteten, der Erlösten, der Geheiligten für die Heiligkeit Gottes.

Amen.

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