Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Januar 1996

Die Ordnung des menschlichen Mutes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Mut ist das aktive Verhalten angesichts einer drohenden Gefahr. Wenn sich Schwierigkeiten erheben, um Güter und Werte zu erringen oder zu erhalten, dann rührt sich das normale Strebevermögen, der Affekt, den wir Mut nennen. Gefahren erheben sich in mannigfacher Weise. Zuallererst ist es die Furcht, die entsteht, wenn eine Gefahr sich meldet. Gefahren, die uns bedrohen, gelten dem Körper und der Seele; sie gelten unserem Besitz und unserer Stellung, sie gelten der Sicherung der Zukunft und dem Einkommen. Sorgen vielfältiger Art können den Menschen bedrängen. Denn Furcht ist Besorgnis, Verzagtheit angesichts von andringenden Gefahren. Die Furcht liegt also dem Menschen genauso zur Hand wie der Mut. Aber der Mut ist die Kraft, welche die Furcht überwindet.

Es gibt verschiedene Arten von Mut. Die Arten bestimmen sich je nach der inneren Verfassung des Menschen oder nach den von außen andringenden Übeln. Nach der inneren Verfassung des Menschen unterscheidet man den Mut des Optimisten, der überzeugt ist, daß alles gut gehen wird, von dem Mut des Tapferen, der bewußt der Gefahr entgegengeht und sich im Angesicht der Gefahr aktiv verhält, bereit zum Opfer, bis zu dem Mut des Helden, der bewußt sein Leben aufs Spiel setzt. Diesen Mut nennt man den Heldenmut oder den Todesmut. Was die objektive Seite der Gefahren angeht, so kann der Mut sich gegen Verlust von irdischen Dingen, wie Besitz und Position, richten, aber er kann sich auch auf allgemeine soziale Werte, wie Freiheit und Gerechtigkeit richten. Man nennt diesen letzten Mut die Zivilcourage. Wenn jemand Mut hat, um der Gemeinschaft willen aufzutreten und Risiken auf sich zu nehmen, dann sagt man, das ist ein Mensch mit Zivilcourage, mit bürgerlichem Mut.

Die Quelle des Mutes ist die Verantwortung. Wer sich verantwortlich weiß, der muß auch Mut beweisen. Wir sehen das schon im Tierreich. Eine Tiermutter oder auch ein Tiervater nimmt sich der Kleinen an, wenn er sieht, daß sie bedroht sind. Erst recht muß das natürlich im Bereich des Menschen gelten. Wer Verantwortung trägt, muß angesichts von drohenden Gefahren die Furcht überwinden und Mut zeigen. Ein Arzt muß auch zu einem Kranken gehen, der mit einer ansteckenden Krankheit behaftet ist. Ein Priester darf sich nicht fürchten, das Sakrament der heiligen Letzten Ölung auch dann zu spenden, auch wenn die Berührung mit dem Körper des Kranken ihn möglicherweise selbst krank macht. Die Verantwortung gebietet, daß man die Furcht überwindet. Die Liebe zur Wahrheit, die Liebe zur Gerechtigkeit und die Liebe zu den Menschen müssen einen veranlassen, angesichts drohender Übel die Furcht zu besiegen. Die Wirkung des Mutes ist das Tun des Rechten, auch wenn dafür Nachteile in Kauf genommen werden müssen; denn Mut besagt immer Kampf- und Risikobereitschaft. Wer Mut hat, muß bereit sein zu kämpfen, denn es gibt eben Feinde und Gegner und Widersacher, die sich dem Mutigen entgegenstellen. Wer Werte und Güter retten und schützen will, der stößt auf den Widerstand derer, die diese Werte und Güter vernichten wollen.

Der Mutige geht ein Wagnis ein. Er kann verlieren; sein Mut kann ihn teuer zu stehen kommen. Er kann der gesellschaftlichen Ächtung verfallen, und was fürchten die Menschen mehr als isoliert zu werden? Nur nicht auffallen. Nur nicht aus der Menge herausragen. Nur nicht in einer gesellschaftlichen Einheit als ein Einzelner dastehen müssen. Andere Risiken fürchten die Menschen ebenso. Verlust des Ansehens und der Zuneigung, weil man gegen den Strom schwimmt. Verlust der Aufstiegsmöglichkeiten, wenn man vom Assistenten nicht zum Sekretär befördert wird oder vom Sekretär zum Inspektor. Da fällt manchem Menschen ein Himmel zusammen.

Mut muß man beweisen, wenn es darum geht, eine Verantwortung, die einem übertragen worden ist, wahrzunehmen. Solchen Mut hat es in der Welt und in der Kirche immer gegeben. Ich erwähne zwei Beispiele aus der Welt und mehrere Beispiele aus der Kirche. Am 30. Dezember 1812 schloß der preußische General Graf Yorck einen Vertrag, eine Konvention mit dem russischen General Diebitsch in der Mühle von Poscherun bei Tauroggen in Ostpreußen. Was hatte diese Konvention für einen Inhalt? Der General Yorck mit seinem Corps – also etwa 15000 bis 20000 Mann – war ein Verbündeter des Kaisers Napoleon, hatte also die Verpflichtung, die Russen zu bekämpfen. Aber General Yorck entzog sich dieser Verpflichtung, weil er diesen Krieg, den Napoleon angezettelt hatte, als ungerecht ansah und weil er ein Signal setzen wollte zum Freiheitskampf Europas gegen den Tyrannen Napoleon. Er spielte mit seinem Kopf; denn er war seinem König ungehorsam, der eben ein Verbündeter Napoleons war, und er beging Verrat gegenüber dem immer noch mächtigen Kaiser Napoleon.

Ein zweites Beispiel. Am 30. Januar 1937 verlieh der Reichskanzler Adolf Hitler seinen Ministern das goldene Parteiabzeichen, also eine Auszeichnung, die die Betreffenden in einer besonderen Weise an die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei band und sie als mit dieser eng verbundene Persönlichkeiten auswies. Alle Minister nahmen das goldene Parteiabzeichen an, bis auf einen. Das war der katholische Postminister Graf Eltz von Rübenach. Er sagte zu Hitler: „Ich kann das Abzeichen nicht annehmen, solange die katholische Kirche in Deutschland verfolgt wird.“ Größtes Aufsehen; Hitler war düpiert, das war eine Beleidigung für ihn. Natürlich war die Stellung des Grafen unhaltbar geworden, er mußte sein Amt quittieren, und daß er nicht im Konzentrationslager verschwand, verdankte er nur günstigen Umständen und dem Schutz von Freunden.

Das sind zwei Beispiele für Mut aus dem weltlichen Bereich. In der Kirche haben wir viele Beispiele von Männern und Frauen, die Mut bewiesen haben. Es beginnt, wenn wir die Kirche seit Abel dazurechnen, schon im Alten Bunde. Der Hirtenknabe David ging mit einer Schleuder dem Riesen Goliath entgegen und warf ihn nieder. Judith, die tapfere Frau, besiegte das Heer des Holofernes, indem sie den Heerführer in nächtlicher Stunde tötete. Der Vorläufer des Herrn, Johannes der Täufer, ist ein besonderes Beispiel des Mutes vor Mächtigen. Er sagte dem König: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben.“ Er bezahlte seinen Mut mit Einkerkerung und schließlich mit dem Tod. Auch die Apostel zeigten Mut. Als Jesus sich trotz der Gefahren, die ihm drohten, aufmachte, nach Jerusalem zu gehen, da sagte Thomas: „Laßt uns mit ihm gehen und mit ihm sterben!“ Das war Todesmut! Auch in der Kirchengeschichte gab es immer wieder Helden und Heilige, die Mut bewiesen haben. König Heinrich VIII. von England erklärte sich zum Oberhaupt der englischen Kirche und wies den Papst mit seinem Anspruch, das Haupt der Kirche zu sein, ab. Alle Geistlichen mußten einen Eid schwören, daß sie den König als Oberhaupt der englischen Kirche anerkannten. Meine lieben Freunde, alle englischen Bischöfe schworen den Eid, alle mit einer Ausnahme, nämlich des John Fisher von Rochester. Dieser eine und einzige hat den Eid nicht geleistet. Er wurde in den Tower gesperrt und enthauptet. John Fisher hatte Mut bewiesen, im Unterschied zu seinen Amtsbrüdern. Aber dieser Mut hat ihm das Leben gekostet.

In unserer Zeit möchte ich den Mann erwähnen, der demnächst in Berlin seliggesprochen werden wird, den aus Schlesien stammenden Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg. Bernhard Lichtenberg betete öffentlich für die namentlich genannten Verfolgten und machte Eingaben an hohe Regierungsstellen zum Schutz von unschuldig der Polizei, der Haft, dem Konzentrationslager ausgelieferten Menschen. Eine Zeitlang ging das gut. Schließlich wurde er von zwei protestantischen Studentinnen denunziert, daß er für die Juden betete, öffentlich betete. Er wurde vor Gericht gezogen, zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die er abgesessen hat. Aber auch nachher kam er nicht frei, sondern er sollte ins Konzentrationslager verbracht werden, starb jedoch auf dem Weg dahin im Krankenhaus zu Hof. Das ist das mutige Bekenntnis von Bernhard Lichtenberg gewesen. Seine wohlmeinende Umgebung hat ihn daran hindern wollen, einen solchen heroischen Mut zu beweisen. „Sie erreichen ja doch nichts!“ Was gab er zur Antwort? „Wenn wir schweigen, werden die Menschen irre an uns!“ Er hat nicht blindlings und leichtfertig gehandelt. Er war der Überzeugung, daß wenigstens der eine oder der andere auch öffentlich, selbst unter drohenden Gefahren reden müßte, damit die Menschen nicht irre werden an der Sendung der Kirche, Gottes Botschaft von der Menschenwürde und von der Menschenliebe zu verkündigen.

Mut, meine lieben Freunde, ist uns allen nötig. Denn wir alle haben Verantwortung. Und wer Verantwortung hat, muß an irgendeiner Stelle und bei irgendwelchen Gelegenheiten Mut beweisen. Die Mutlosigkeit oder besser die Feigheit ist eine der schlimmsten Krankheiten unserer Tage. Man will sich nicht isolieren, man will nicht auffallen, man mag sich keine Scherereien machen, und infolgedessen heult man mit den Wölfen und schwimmt man mit dem Strom. Es wäre niemals so schlimm geworden mit den Verhältnissen in unserer Kirche, wenn mehr Männer und Frauen aufgestanden wären und sich der Selbstzerstörung entgegengestellt hätten. Aber die allermeisten hatten Furcht, und sie waren nicht imstande oder besser nicht gewillt, ihre Furcht zu überwinden. Man will sich nicht anlegen mit anderen, man will nicht in irgendeiner Weise in die Isolation geraten. Viele Menschen haben statt eines Rückgrates einen Gummischlauch eingezogen, und deswegen fehlt es ihnen an Mut.

„Mensch, du kommst nicht unbewährt ins Paradies. Du mußt durch Feuer und durch Schwert“, so heißt es einmal bei Angelus Silesius. Man muß durch Feuer und durch Schwert, wenn man ins Paradies eingehen will. Und diese Bereitschaft zum Hindurchgehen durch Feuer und durch Schwert gibt der Mut, den wir nicht nur aus natürlichen Quellen schöpfen, sondern den wir aus unserer Verantwortung ziehen, der Mut, den uns die Berufung, die wir empfangen haben, abzwingt, der Mut, den Gott an uns sehen will, damit wir nicht wie die Feigen und die Lauen ausgespien werden müssen aus seinem Munde.

Amen.

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