Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
3. Juli 1994

Form und Wirkung des Bußsakramentes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Drei Stücke muß der Pönitent zum Empfange des Bußsakramentes erbringen, Reue mit dem Vorsatz, Bekenntnis und Genugtuung bzw. wenigstens Genugtuungswille. Diese drei Stücke, die der Büßer erbringen muß, nennt man auch die Materie des Bußsakramentes. Die Materie ist das Unbestimmte, aber Bestimmbare; und die Bestimmung erfolgt durch die Form. Die Form des Bußsakramentes ist die priesterliche Lossprechung. Die Lossprechung hat in unserer Kirche die Worte zum Inhalt: „Ich spreche dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Die Form muß wiedergeben, welches die Wirkung des Sakramentes ist. Bei der heiligen Kommunion beispielsweise sagt der Priester: „Der Leib Christi“. Das ist die Wirkung des eucharistischen Sakramentes, daß hier der Leib Christi den Menschen dargeboten wird. Noch besser sagte es die frühere Formel: „Der Leib Christi bewahre deine Seele zum ewigen Leben!“ Da wird auf die lebensspendende Bedeutung dieses Sakramentes hingewiesen. Ähnlich ist es auch beim Bußsakrament. Die Form sagt, was hier geschieht, nämlich Sündenvergebung.

Diese Sündenvergebung wird nicht bloß angezeigt; das war der Irrtum Luthers. Sondern die Sündenvergebung wird bewirkt. Das Bußsakrament ist nicht eine nuda declaratio, eine bloße Erklärung, daß Gott die Sünden vergeben habe, sondern das Bußsakrament ist kausal, es ist ursächlich, es bewirkt die Sündenvergebung.

Die Form des Bußsakramentes hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert. Viele Jahrhunderte war die Form deprekativ, d. h. sie wurde in Gestalt einer Bitte ausgesprochen, einer Bitte, die von der Kirche an Gott gerichtet wird und die selbstverständlich unfehlbar erhört wird. Also nicht eine Bitte, wie wir sie sonst vorbringen, wo die Erhörung ungewiß ist, sondern eine Bitte, die ihrer Erhörung gewiß ist. Und eben deswegen, weil es sich um eine Bitte handelt, die absolut der Erhörung gewiß ist, hat die Kirche, um Mißverständnisse zu vermeiden, die deprekative Form durch die indikative ersetzt. Es heißt jetzt: „Ich spreche dich los von deinen Sünden“, nicht „Gott verzeihe dir deine Sünden“. Das entspricht dem Wesen des Bußsakramentes besser; denn das Wesen des Bußsakramentes ist ein richterlicher Akt. Und der Richter bittet nicht um Lossprechung, der Richter vollzieht die Lossprechung. Wir haben deswegen seit vielen hundert Jahren in der lateinischen Kirche eine indikative Form der Lossprechung, und auch die deprekative Form ist nur gültig, wenn sie indikativisch verstanden wird. Wo in den östlichen, von uns getrennten Religionsgemeinschaften die Priester in deprekativer Form die Lossprechung vollziehen, verbinden sie damit einen indikativischen Sinn. Sie sind genauso wie wir überzeugt, daß durch diese an Gott gerichtete Bitte unfehlbar die Sünden vergeben werden.

Das ist die Form des Bußsakramentes. Nun zweitens die Wirkungen des Bußsakramentes. Die entscheidende Wirkung ist selbstverständlich die Nachlassung der Sünden. Im Bußsakrament wird die heiligmachende Gnade eingegossen, und damit werden die Sünden nachgelassen. Gleichzeitig mit den Sünden wird die ewige Strafe vergeben. Beides gehört untrennbar zusammen, Vergebung der Sünden und Nachlassung der ewigen Sündenstrafen, also der Verdammnis. Dagegen werden nicht immer alle zeitlichen, in der Zeit abzubüßenden, eine zeitliche Dauer habenden Sündenstrafen vergeben, wie wir ja am letzten Sonntag am Beispiel der Genugtuung erkannt haben.

Die Sündenvergebung im Bußsakrament ist von einer spezifischen Sakramentsgnade begleitet, und diese spezifische, also dem Bußsakrament eigene Gnade besteht darin, daß sie eine Heilung der Seele von der Sünde bewirkt. Das Bußsakrament ist eine Medizin, eine Medizin für die Seele. Das Bußsakrament heilt die Seele. Es vermindert die bösen Neigungen, es tilgt die Überbleibsel der Sünden, es gibt uns ein Anrecht auf die aktuellen Gnaden, die notwenig sind, um die Sünde zu meiden. Deswegen hat es immer einen Sinn, das Bußsakrament zu empfangen, auch wenn man sich keiner schweren Sünde bewußt ist. Es gibt kein wirksameres Mittel, den Kampf gegen die Sünde zu führen als den würdigen Empfang des Bußsakramentes, weil hier die Seele gestärkt wird gegen die Mächte des Bösen.

Eine weitere Wirkung des Bußsakramentes ist die Wiederversöhnung mit der Kirche. Haben wir der Kirche ein Leid angetan mit der Sünde? Ja, das haben wir. Die Kirche ist die Gemeinschaft derer, die von Christi Blut erlöst sind, im Heiligen Geiste leben und zu ihrem Teil für die Aufrichtung der Gottesherrschaft verantwortlich sind. Das Vorankommen des Reiches Gottes ist gebunden an unsere Tugend, an unsere guten, verdienstlichen Handlungen. Je heiliger wir sind, je mehr wir das Gute üben, um so mehr bringen wir das Reich Gottes in dieser Welt voran. Wenn wir uns dieser Aufgabe entziehen durch die Sünde, schaden wir der Kirche, beeinträchtigen wir ihre Sendung. Wenn wir uns der Sünde ausliefern, verletzen wir den geheimnisvollen Leib Christi in irgendeiner Weise, kränken und betrüben wir den Heiligen Geist; und deswegen haben wir es notwendig, wieder versöhnt zu werden mit der Kirche. Also auch das ist eine Wirkung des Bußsakramentes, daß wir nach dem Versagen gegenüber der Aufgabe der Kirche mit der Kirche wieder versöhnt werden, daß wir diese Aufgabe wieder mit neuer Kraft angehen, mit neuem Mute, mit himmlischer Kraft und mit himmlischem Mute. Das ist auch eine Wirkung der Lossprechung.

Interdum, sagt das Konzil von Trient, manchmal, bisweilen ist eine Wirkung des Bußsakramentes auch der Friede der Seele, die Ruhe des Gewissens und die innere Tröstung. Ich staune, daß das Konzil von Trient gesagt hat: „Interdum“ – manchmal, bisweilen. Ich persönlich bin überzeugt, daß es gewöhnlich so ist, daß nach einer würdigen, ehrlichen Beicht Friede in das Herz einzieht, daß Ruhe in die Seele kommt, daß sie getröstet ist. Der Volksmund hat das schöne Wort geprägt: „Beicht macht leicht.“ Darin ist ausgedrückt, daß die Lossprechung auch psychologisch etwas bewirkt, nämlich sie befreit den Menschen. Sie entlastet ihn, weil sie ihn von der Last der Schuld befreit. Die Schuld ist eine ungeheure Last, und sie bedrückt den Menschen schwerer als jede andere. Wer deswegen von dieser Last befreit wird, der empfindet Freude, Friede, Ruhe des Gewissens und Tröstung. Man kann wirklich glücklich sein, wenn man eine gute Beicht abgelegt hat. Und, meine lieben Freunde, ich habe so manches Mal kostbare Tränen als Lohn erhalten für das Geschenk der Lossprechung, das wir den Pönitenten vermitteln dürfen.

Eine letzte Wirkung des Bußsakramentes besteht darin, daß die Verdienste, die durch die Sünde zunichte gemacht wurden, wieder aufleben. Durch gute Handlungen, die wir in Freiheit und in der Gnade verrichten, erwerben wir uns ja Verdienste, Verdienste vor Gott, Verdienste für den Himmel. Aber diese Verdienste werden gleichsam sistiert oder vielleicht noch besser gesagt: unwirksam gemacht, wenn wir eine schwere Sünde begehen. Dann ist es, als ob wir diese Verdienste niemals erworben hätten. Und wenn wir in der schweren Sünde sterben, dann nützen uns alle Verdienste nichts. Sie sind durch die Sünde unwirksam gemacht. Aber wenn wir uns aus der Sünde aufraffen und durch Reue, Bekenntnis, Genugtuung und Lossprechung mit Gott versöhnt werden, leben die Verdienste wieder auf, nützen uns also bei Gott für die Erlangung der ewigen Seligkeit, für die Vermehrung der Himmelsglorie und für Gnaden, die er uns in dieser Zeitlichkeit gewährt. Auch das ist eine nicht gering zu schätzende Wirkung des Bußsakramentes.

Da möchte ich gleich einen Irrtum abwehren, der manchmal aufkommen kann. Es gibt kein Wiederaufleben der Sünde. Die Sünden, die vergeben sind, leben nie mehr auf. Auch wenn ein Mensch am Ende seiner irdischen Laufbahn in die Verdammnis käme, dann nicht der Sünden wegen, die ihm vergeben worden sind, sondern der Sünden wegen, die ihm nicht vergeben worden sind, die er nicht bereut hat und die er nicht nachgelassen bekommen hat. Also die Lossprechung von den Sünden ist endgültig. Sie ist ein für allemal geschehen. Sie ist bedingungslos, sie vernichtet die Sünden, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Wir brauchen also bezüglich vergebener Sünden nicht in Sorge zu sein. Wir brauchen keine Angst zu haben, daß Gott uns diese Sünden noch einmal vorhalten wird. Das tun die Menschen. Sie kommen immer wieder auf die alten Dinge zurück. Nicht so Gott. Wenn die Sünden vergeben sind, dann sind sie vergeben, für immer und ewig vergeben. Und das ist trostreich. Wir brauchen uns wegen der vergebenen Sünden keine Sorge zu bereiten.

Und schließlich noch ein dritter Punkt zur Lossprechung, nämlich die Notwendigkeit des Bußsakramentes. Die Buße, die sakramentale Buße, ist notwendig, um das Heil zu erlangen. Und zwar ist die Notwendigkeit eine doppelte, nämlich eine Notwendigkeit des Gebotes und eine Notwendigkeit des Mittels. Das Bußsakrament zu empfangen ist eine Notwendigkeit des Gebotes, d. h. wir müssen es empfangen, weil Christus es geboten hat. Als er es eingesetzt hat, tat er dies in der Absicht, daß es empfangen wird. Und diese Absicht ist für uns ein Befehl, und diesem Befehl müssen wir nachkommen. Es ist eine Notwendigkeit des Gebotes, des göttlichen Gebotes, das Bußsakrament zu empfangen. Es ist aber auch eine Notwendigkeit des Mittels. Wir können anders nicht in den Gnadenstand kommen als durch die Vergebung der Sünden, die uns der Priester gewährt. In einer anderen Weise ist es regelmäßig nicht möglich, aus dem Sumpf der Sünde herauszukommen als durch Reue, Bekenntnis, Genugtuung und Lossprechung. Das ist der normale Weg. Freilich, meine lieben Freunde, wenn es unmöglich ist, einen Priester zu erreichen, kann auch durch vollkommene Reue mit dem votum sacramenti, also mit dem Verlangen nach dem Sakrament, eine Sündenvergebung erfolgen, aber niemals ohne das Votum, niemals ohne das Verlangen nach dem Sakrament. Gott wollte ja nicht die Menschen, die sehnsüchtig nach einem Priester verlangen, um von ihm losgesprochen zu werden, aber keinen finden können, zugrunde gehen lassen. Deswegen ist es eine Lehre der Kirche, daß im Notfall die vollkommene, also die Liebesreue, zusammen mit dem Verlangen nach dem Sakramente die Sündentilgung bewirkt. Das ist ähnlich wie bei der Taufe. Es gibt neben der Wassertaufe eine Begierdetaufe. Wenn einer die Taufe nicht wirklich empfangen kann, weil beispielsweise kein Wasser da ist, dann kann er eben durch Sehnsucht und Liebe zu Gott, durch Reue über seine Sünden und durch das Verlangen, Gott künftig treuer zu dienen, gerechtfertigt werden, auch ohne den realen Empfang der Taufe.

Das IV. Laterankonzil vom Jahre 1215 hat zum erstenmal für die ganze Kirche den wenigstens einmaligen Empfang des Bußsakramentes im Jahre vorgeschrieben. Teilkirchliche Synoden in Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien, haben einen häufigeren Empfang gefordert, mindestens dreimal oder wenigstens an den hohen Festen. Das IV. Konzil vom Lateran 1215 hat für die ganze Kirche den wenigstens einmaligen Empfang im Jahre vorgeschrieben. Wenigstens einmal im Jahre soll man seine Sünden bereuen, bekennen und Genugtuung erbringen und die Lossprechung des Priesters empfangen.

Sie alle wissen, meine lieben Freunde, daß die einmalige Beicht schwer durchzuführen ist. Einmal hat man keine Übung im Beichten, wenn es nur einmal im Jahre geschieht. Es ist mit allen Dingen so, und so ist es auch mit dem Bußsakrament: Wenn man keine Übung hat, fällt es einem doppelt und dreifach schwer, das Bußsakrament zu empfangen. Deswegen empfehle ich, und ich bin ein schlichter Priester und kein Lehrer der Kirche, die heilige Beicht wenigstens fünfmal im Jahre abzulegen, an den großen Festtagen, also Ostern, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt, Allerheiligen und Weihnachten. Das scheint mir das Minimum zu sein, das man den Christen empfehlen sollte, die religiös lebendig bleiben wollen. Noch besser ist die vierwöchentliche Beicht. Als ich 1951 mein Priesteramt antrat, da hatte ich eine Gemeinde, die es heute überhaupt nicht mehr gibt, eine Gemeinde von überzeugten, eifrigen, Gott liebenden, der Kirche treuen katholischen Christen. Unter ihnen war eine beträchtliche Zahl von Kindern und Jugendlichen, die alle vier Wochen redlich und ehrlich ihre Sünden bekannten. Ich werde in meinem ganzne Leben diese Erinnerung niemals loswerden, wie diese guten Menschen, diese ringenden Menschen ihre Sünden zum Priester und damit zu Gott getragen haben, um von ihnen befreit zu werden. Das war eine Hoch-Zeit der Kirche.

O, sie ist vergangen, so schnell wie ein Frühling vergeht. Inzwischen haben wir den innerkirchlichen Zusammenbruch, die Selbstzerstörung der Kirche. Seit mindestens 30 Jahren hält sie an, und natürlich ist an erster Stelle auch das Bußsakrament betroffen, denn die Zerstörung ergreift natürlich immer alles das, was als unbequem gilt, zuerst.

Lassen Sie sich, meine lieben Freunde, dadurch nicht irremachen! Wenn wir auch wenige sind, die noch an der Lehre der Kirche festhalten, so gilt doch: „Nicht Stimmenmehrheit ist des Rechtes Probe“, sagt Friedrich Schiller. Stimmemehrheit ist auch erst recht nicht der Wahrheit Probe. Halten Sie fest an der regelmäßigen guten Beicht! Empfangen Sie den Segen des Bußsakramentes! Holen Sie sich den Frieden, die Ruhe des Gewissens und den Trost, die davon ausgehen, daß ein gültig geweihter Priester in katholischer Überzeugung über Sie die wirksamen Worte spricht: „Ich spreche dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und den Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Amen.

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