Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
8. August 1993

Der Sinn der Prüfungen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Unglück, Leid, Versuchung, Krankheit, Kummer, Schmerz können Prüfungen Gottes sein. Gott sendet seine Boten auf diese Erde, damit sie ihm melden, wie der Mensch ist, und damit der Mensch selbst erkennt, wie er in Wahrheit ist. Man nennt deswegen Not und Kummer und Unheil Prüfungen. Gott prüft den Menschen. Wir wollen am heutigen Sonntag die fünf Bedeutungen überdenken, welche die Prüfungen Gottes haben können.

Die Prüfungen Gottes sind erstens eine Auslese in seiner Hand. Gott will nicht jeden unbesehen in seine himmlische Herrlichkeit aufnehmen. Er liest aus, er siebt, er trennt die Guten von den Schlechten, so wie es der Landmann macht, der die guten Körner von der Spreu trennt. Wir Älteren haben das noch erlebt, wie die Bauern mit den Dreschflegeln das Getreide ausgedroschen haben; und dann, wenn der Wind ging, wurde das Getreide mit der Wurfschaufel emporgeworfen. Die schweren Körner fielen zur Erde, und die Spreu, also die Schalen der Körner, wurde vom Wind weggetrieben. Ähnlich-unähnlich ist es auch, meine lieben Freunde, mit den Prüfungen. Sie sind ein Mittel der Auslese in Gottes Hand. Gott prüft die Seinen, und die seiner würdig sind, nimmt er in seine Herrlichkeit auf. Am Fest des heiligen Laurentius heißt es im Meßtext: „Du hast mich heimgesucht bei Nacht, und du hast mich im Feuer geprüft.“ Der heilige Laurentius wurde ja bekanntlich durch Verbrennen zu Tode gebracht. Das war die Prüfung, die Gott ihm auferlegt hatte.

Die zweite Bedeutung der Prüfungen ist die Läuterung. Der Mensch soll als ein Reiner, als ein Geläuterter vor Gott stehen und in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen werden. Es ist keiner unter uns, der der Reinigung nicht bedürfte! Wir alle wissen, wie sehr wir es notwendig haben, geläutert zu werden – in unseren Herzen, in den Gedanken, in den Willensentschlüssen, aber auch in den Handlungen und Unterlassungen. Dieser Läuterung dient die Prüfung Gottes. Wir erinnern uns an das Wort, das der Heiland im Johannesevangelium gesprochen hat: „Jede Rebe, die gute Früchte bringt, reinigt er, damit sie noch mehr Früchte bringt.“ Das ist auch die Erwartung Gottes über uns. Die Prüfung soll uns läutern, damit wir Frucht bringen und noch mehr Frucht bringen als jetzt.

Die dritte Bedeutung der Prüfungen ist eine Frage Gottes an uns, nämlich die Frage: „Liebst du mich?“ So wie der Herr den Petrus nach der Auferstehung gefragt hat: „Liebst du mich?“, so fragt er uns. Er fragt es durch die Prüfungen. Er fragt es durch das Leid, das er uns schickt. Denn, meine lieben Freunde, wie kann man die Echtheit der Liebe, die Echtheit der Treue besser beweisen, als indem man unter Tränen dem Geliebten die Treue hält? Die Selbstlosigkeit der Liebe, die Aufrichtigkeit der Liebe kommt erst zum Vorschein, wenn wir in schweren Stunden dem geliebten Herrn und Heiland die Treue halten sollen. So ist die Prüfung eine Frage an uns: „Wo ist deine Liebe? Wo ist deine Treue?“

Die vierte Bedeutung der Prüfung ist ein Beweis des Vertrauens. Gott zeigt denen, die er mit Kreuzen belädt, wieviel er ihnen zutraut. Ganz verfehlt also wäre die Meinung, ein mit Leiden Belasteter sei ein von Gott Verworfener. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade seinen Lieblingen gibt Gott besonders viele, besonders schwere, besonders langdauernde Leiden. Es ist das eine Prüfung, ob der Betreffende des Vertrauens Gottes würdig ist. „Die Kinder der Erde beteuern ihre Liebe mit Rosen. Der Herr des Himmels schickt als Bote seiner Liebe Dornen,“ so hat einmal der Kardinal Faulhaber geschrieben. So ist es tatsächlich. Der Herr des Himmels schickt Dornen als seine Boten, um zu erproben, ob sein Vertrauen auf uns gerechtfertigt ist.

Die fünfte Bedeutung der Prüfung besteht darin, daß sie eine Aussaat ist für den Himmel. Wer in die Herrlichkeit Gottes eingehen soll, muß durch Prüfungen hindurchgehen. Wenn man an der Himmelspforte steht, wird man zurückschauen und dann auch freudig alle bestandenen Prüfungen überschauen. Denken wir an die Knechte im Gleichnis, denen der Herr bestimmte Talente übergab, mit denen sie arbeiten sollten. Und als er nach Hause kam von seiner langen Reise, da sagte er dem einen und dem anderen: „Weil du über weniges getreu gewesen bist, will ich dich über vieles setzen!“

Das ist der Sinn unserer Prüfungen. Wir sollen über das wenige, was uns hier auf Erden anvertraut ist, treu sein, damit wir einmal in der himmlischen Herrlichkeit über vieles gesetzt werden können.

Die Dichter haben manchmal besser erfaßt als die Theologen, worum es beim Leid geht. „Trifft dich ein Schmerz, so halte still und frag' dich, was er von dir will! Der liebe Gott, er schickt dir keinen nur darum, daß du solltest weinen.“ Nein, die Leiden sind Prüfungen, die Gott uns schickt, um die Echtheit unserer Liebe, um die Wahrhaftigkeit der Beteuerungen unserer Liebe zu erproben.

Ein anderer Dichter hat dieselbe Sache in die schönen Worte gefaßt: „Über Nacht, über Nacht kommt still das Leid. Und bist du erwacht, o traurige Zeit, du grüßest den dämmernden Morgen mit Weinen und Sorgen. Über Nacht, über Nacht kommt still das Glück. Und bist du erwacht, o selig' Geschick, der düstere Traum ist zerronnen und Freude gewonnen. Über Nacht, über Nacht kommt Freude und Leid. Und eh' du's gedacht, verlassen dich beid' und gehen, dem Herrn zu sagen, wie du sie getragen.“

Amen.

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