Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Juni 1993

Messiaszeugnisse

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben das Selbstzeugnis Jesu im Johannesevangelium vernommen. Er ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Die Zeitgenossen Jesu haben seine Selbstaussagen verstanden. Der Vorläufer Johannes bezeugt, daß Jesus von oben ist, während er selbst von unten ist. „Nach mir kommt einer, der mir vorgeht, weil er vor mir gewesen ist. Ich bezeuge und verkünde, daß dieser der Sohn Gottes ist.“ Nikodemus, ein jüdischer Gesetzeslehrer, bekennt, daß Jesus ein Lehrer ist, der von Gott in die Welt gesandt wurde. Die ersten Jünger, Philippus und Andreas, bekennen Jesus als den Messias, den Sohn Gottes.

Als Jesus sein erstes Wunder wirkte, in Kana, da faßten seine Jünger Glauben an ihn, und zwar natürlich an sein gottentstammtes Wesen. Bei der Rede vom Himmelsbrot, da bekannten die Jünger: „Zu wem sollen wir gehen? Du allein hast Worte des ewigen Lebens. Wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist.“ Auch die Volksmassen bekundeten eine Ahnung von der geheimnisvollen Persönlichkeit Jesu, als sie nach der großen Abendeinladung, der wunderbaren Brotvermehrung, sagten: „Wahrhaftig, das ist der Prophet, der in die Welt kommen soll.“ Sie hatten verständlicherweise immer nur die ihnen überlieferten Kategorien zur Verfügung, und deswegen sprachen sie eben vom Propheten oder vom Heiligen Gottes. Sie drückten damit ihr Gespür von seinem göttlichen Geheimnis aus. Der Blindgeborene war besonders wach, und als ihn Jesus nach seiner Verstoßung durch die jüdische Obrigkeit wieder traf, da fragte er ihn: „Glaubst du an den Menschensohn?“ „Ja, ich glaube!“ Martha, die Schwester des Lazarus, bekennt: „Ich glaube, daß du bist der Messias, der Sohn Gottes, des lebendigen Gottes Sohn, der in die Welt kommen soll.“

Auch die halbheidnischen Samaritaner, die von den Juden nicht ganz voll genommen wurden, ahnten etwas vom Geheimnis Jesu. Er war zwei Tage bei ihnen, hatte das Gespräch am Jakobsbrunnen mit der Frau geführt, und die Frau meldete der Stadt, daß sie den Messias gefunden habe; aber die Samaritaner waren überzeugt, daß er die Kennzeichen des Messias weit überschreitet. „Wir glauben jetzt nicht mehr wegen deines Wortes“, so sagten sie zu dem Weibe, „sondern wir glauben, weil wir erkannt haben, daß dieser ist der Heiland der Welt.“ Nicht nur also ein jüdischer Nationalmessias, sondern der Heilbringer für die ganze Welt. Und schließlich haben wir noch das wunderbare Zeugnis des Zweiflers Thomas, der vor dem erschienenen Herrn zusammenbricht und spricht: „Mein Herr und mein Gott!“

Selbst die ungläubigen Juden haben wider Willen für die Gottheit Jesu Zeugnis abgelegt. Sie verfolgten ihn nicht nur, weil er den Sabbat schändete (so heißt es im Johannesevangelium), sondern weil er Gott seinen eigenen Vater nannte und sich damit in göttliche Sphären erhob. Da haben sie richtig gesehen. Sie haben die Selbstoffenbarung Jesu adäquat gedeutet. Das war auch der Grund, weswegen sie ihn anklagten und ans Kreuz brachten. „Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetze muß er sterben, denn er hat sich selbst zum Sohne Gottes gemacht.“ Damit ist nicht, wie uns ungläubige Theologen weismachen wollen, die Messiaswürde Jesu gemeint, denn wegen der Anmaßung, der Messias zu sein, ist niemand in Israel hingerichtet worden, sondern damit ist die metaphysische Gottessohnschaft gemeint. Die Juden haben sehr gut verstanden, was er damit sagen wollte: Er gehört nicht in die Reihe der Menschen, und sei es auch noch so hoher und erhabener Menschen, nein, er gehört auf die Seite Gottes!

Und der himmlische Vater hat seinen Anspruch beglaubigt. Sieben Zeichen, berichtet Johannes in seinem Evangelium, sieben Zeichen, die auf die Würde und das Selbstbewußtsein Jesu hinweisen: Drei gewaltige Naturwunder – Verwandlung von Wasser in Wein, die Vermehrung des Brotes und das Seewandeln; dann drei Heilungen – die Heilung des Knechtes des königlichen Beamten, die Heilung des Blindgeborenen und die Heilung des Kranken am Bethesta-Teich, und schließlich eine Totenerweckung, die Auferweckung des Lazarus. Diese Dinge sind wirklich geschehen. Es handelt sich dabei um Tatsachen. Aber diese Tatsachen haben eine Stimme, und das ist die Stimme des Vaters im Himmel, der sie als Zeichen setzt. Sie sollen zeigen, daß derjenige, der diese Taten vollbringt, der gottgesandte, der gottentstammte Sohn des himmlischen Vaters ist. Er ist der Verwandler, er ist der, der Licht und Leben in diese Welt bringt, er ist der, dem die Elemente gehorchen.

Nun gibt es freilich, meine lieben Freunde, Theologen, die die Ansicht vertreten, Jesus sei von seinen Anhängern zum Sohne Gottes gemacht worden; man habe bei ihm das vorgenommen, was in der antiken Welt, im Hellenismus, in der orientalischen Welt üblich war – eine Vergottung, eine Apotheose, wie der Fachausdruck heißt. Man habe ihn, der ein Mensch war und ein Mensch blieb, in göttliche Sphären erhoben. Man habe ihm eine Verehrung erwiesen, die ihn an die Seite Gottes stellte, ohne daß er wirklich Gott war.

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir, falls die Ansicht der ungläubigen Theologen zutrifft, diese Behauptungen der Anhänger Jesu als ein großes Betrugsmanöver bezeichnen. Die Jünger haben Betrug verübt, und sie haben diejenigen, die sich ihnen anschlossen, zu diesem Betrug verleitet. Wenn Jesus nicht mehr war als der Sohn Josefs – wie diese Theologen behaupten –, dann ist er künstlich hochstilisiert worden, und wenn man diese Stilisierung erkennt, dann fällt sein göttlicher Nimbus dahin. Doch lassen wir uns nicht bange machen! Gegen diese Behauptungen von ungläubigen Theologen spricht eindeutig die seelische Befindlichkeit der Christengemeinde von Anfang an. Sie hat nämlich jede Vergottung eines Menschen als eine „asebeia“ – wie das griechische Wort heißt –, als eine Gottlosigkeit angesehen. Sie war davon überzeugt, daß derjenige, der einen Menschen in göttliche Sphären erhebt, einen Angriff gegen Gott selbst richtet.

Dafür haben wir drei Beweise, die uns in der Apostelgeschichte aufbewahrt sind. Petrus wurde von dem Hauptmann Cornelius nach Joppe – dem heutigen Jaffa – gerufen, und Cornelius erwartete ihn. Als Petrus eintrat, da begrüßte Cornelius ihn kniefällig. Die kniefällige Begrüßung heißt griechisch „proskynesis“. Petrus hob ihn auf und sagte: „Steh auf! Auch ich bin ein Mensch!“ Was hatte also Cornelius mit der „proskynesis“ sagen wollen? Nun, daß er eben in Petrus mehr sah als einen Menschen, daß er ihn als ein gottentstammtes Wesen ansah, als ein übermenschliches Wesen. Und das wies Petrus energisch ab. „Steh auf!“ Die Proskynesis geziemt mir nicht, auch ich bin ein Mensch, der auf diese Verehrungsweise keinen Anspruch hat.“

Aber die Dinge werden noch deutlicher in einem Geschehnis, das sich in Cäsarea abgespielt hat vor dem König Herodes Agrippa I. Der König hatte einen gewaltigen Zorn auf die Bewohner von Tyrus und Sidon. Diese erschienen vor ihm, gewannen den Kammerherrn des Königs für sich und baten um Frieden, weil ihr Land von dem König die Nahrungsmittel bezog. Am festgesetzten Tage legte Herodes sein königliches Gewand an, setzte sich auf den Thron und richtete eine Ansprache an sie. Da rief das Volk ihm zu: „Eines Gottes und nicht eines Menschen Stimme!“ Auf der Stelle schlug ihn ein Engel des Herrn dafür, daß er Gott nicht die Ehre gab. Er wurde von Würmern zerfressen und starb. Was war hier geschehen? Hier hatte eine Gesandtschaft aus Tyrus und Sidon dem König Agrippa I. göttliche Ehre zugestanden, und der König hatte sich das gefallen lassen; aber Gott hat dieser Selbsterhöhung nicht zugesehen, er hat augenblicklich die Strafe der Untat auf dem Fuße folgen lassen. Der König wurde von einem plötzlichen Leiden ergriffen und brach tödlich zusammen. Die Gemeinde sieht darin die Strafe Gottes für eine ungebührliche Selbstvergottung, für die Annahme einer Apotheose durch schmeichlerische Gesandte.

Aus dieser Begebenheit erkennt man, wie sehr die christliche Gemeinde – etwa um das Jahr 37 bis 41 -  einer Selbstvergottung oder aber einer Vergottung durch andere widerstrebte. Sie sah darin einen furchtbaren Frevel.

Und schließlich noch ein drittes Beispiel. Paulus kam mit Barnabas, seinem Begleiter, nach Lystra in der heutigen Türkei. Da war ein Mann, der nicht auf den Füßen stehen konnte. Er war lahm von seiner Geburt an, er hatte noch nie einen Schritt getan. Er hörte Paulus predigen. Dieser sah ihn an, und als er bemerkte, daß der Kranke Vertrauen hatte, geheilt zu werden, sagte er mit lauter Stimme: „Stelle dich aufrecht auf deine Füße!“ Da sprang er auf und ging umher. Als die Scharen sahen, was Paulus vollbracht hatte, erhoben sie auf lykaonisch ihre Stimme: „Die Götter sind in Menschengestalt zu uns herabgestiegen.“ Sie nannten den Barnabas Zeus, den Paulus aber Hermes, da er es war, der das Wort führte. Der Priester des vor der Stadt gelegenen Zeustempels brachte Stiere und Kränze und wollte mit der Menge ein Opfer darbringen. Als die Apostel Paulus und Barnabas das hörten, zerrissen sie ihre Oberkleider und sprangen unter das Volk mit lautem Rufen: „Männer, was tut ihr da? Auch wir sind gleich euch sterbliche Menschen, die verkünden, daß ihr euch von diesen Nichtigkeiten zu dem lebendigen Gott bekehren sollt.“

Diese Begebenheit spricht besonders deutlich. Hier sieht man, wie es im damaligen Kulturbereich für möglich gehalten wurde, daß Götter auf Erden erschienen und daß man diesen Göttern göttliche Ehre – in der Gestalt von Opfern – darbringen könne. Jede derartige Erhebung von Menschen in göttliche Sphären wird von den Aposteln mit Entsetzen abgelehnt. „Männer, was tut ihr da? Auch wir sind sterbliche Menschen.“ Was ihr tun wollt, das kommt doch nur dem unsterblichen Gott zu! Wie könnt ihr einen solchen Wahnsinn vorbereiten, Menschen göttliche Ehre zu erweisen?

Diese drei Beispiele, meine lieben Christen, zeigen, daß es in der Urgemeinde und in der jungen Christenheit überhaupt keine seelische Ader dafür gab, einen Menschen, einen bloßen Menschen an die Seite Gottes zu rücken. Was sie bei einem König oder einem Apostel oder bei einem Sendboten der Gemeinde für ausgeschlossen hielten, das hätten sie bei dem, der für den  Sohn des Josef von Nazareth gehalten wurde, tun sollen? Was für sie ein unermeßlicher Frevel war, das hätten sie selbst gegenüber dem Sohn der Maria anwenden sollen?

Eine solche Annahme bricht in sich selbst zusammen, ist psychologisch unmöglich und kann durch keine noch so gewagte Hypothese gestützt werden. Diejenigen, die eine Vergottung bei anderen aus Prinzip ablehnten, können sie nicht bei ihrem eigenen Heros vorgenommen haben.

Man hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder gefragt: Ja, wie ist es denn zu dem Jesuskult gekommen? Diese Frage ist sekundär. Primär ist die Frage: Wie ist es denn zu dem Dogma von der Gottheit Jesu gekommen? Nur das Dogma kann einen Kult begründen, und darauf muß die Antwort lauten: Das Dogma von der Gottheit Jesu ist das Geheimnis der Urgemeinde, ihr übergeben von Jesus Christus, von seiner Selbstoffenbarung. Weil er sich als den Sohn Gottes wußte und weil er dieses Wissen über sein Wesen nicht nur mit Worten bekannt, sondern durch Taten bewiesen hat, deswegen ist die junge Christenheit von Anfang an, nicht erst durch eine sich steigernde Entwicklung, davon überzeugt gewesen, daß Jesus der wesensgleiche Sohn Gottes ist, Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott, eines Wesens mit dem Vater.

Und so konnte Johannes an den Anfang seines Evangeliums diesen wunderbaren Prolog stellen: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und dieses Wort war Gott.“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt