Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
28. April 1991

Über Ärger­nisse an der Gestalt Jesu

Im Namen des Vaters und des Soh­nes und des Hei­li­gen Geis­tes. Amen.

 

Geliebte im Herrn!

Gott hat uns das gläu­bige Ja zu sei­ner in Chris­tus erschie­ne­nen Liebe nicht leicht gemacht. Chris­tus lebte arm und macht­los. Ihn tra­fen der Haß und der Abscheu sei­ner Umge­bung, und er endete sein irdi­sches Leben als ein Ver­fem­ter und Aus­ge­sto­ße­ner am Schand­holz des Kreu­zes. Die Weise, wie Chris­tus erschie­nen ist, hat die Men­schen gereizt. Die Juden begehr­ten gegen ihn auf; für sie war es unfaß­lich, daß der gott­ge­sandte Gesalbte in der Gestalt des armen, demü­ti­gen Jesus von Naza­reth erschei­nen könne. Wer zu Gott und zu sei­nem Chris­tus kom­men will, muß die mensch­li­chen Maß­stäbe hin­ter sich las­sen, also das mensch­li­che Den­ken, das mensch­li­che Erle­ben. Die inner­welt­li­chen und inn­er­mensch­li­chen Maß­stäbe müs­sen auf­ge­ge­ben wer­den, wenn Gott sei­nen Chris­tus in diese Welt sen­det. Das war eben die Unfä­hig­keit der meis­ten Juden, daß sie nicht bereit waren, diese inner­welt­li­chen und inn­er­mensch­li­chen Maß­stäbe fal­len­zu­las­sen.

Chris­tus ist ein Got­tes­zei­chen, ein Got­tes­zei­chen, dem Ent­schei­dungs­kraft inne­wohnt. „Durch die Anru­fung des Namens Jesu Christi, der unter Pon­tius Pila­tus gekreu­zigt wurde, tritt eine Schei­dung unter den Men­schen ein“, schreibt im 2. Jahr­hun­dert der Bischof Iren­äus von Lyon. Gegen­über Chris­tus wird der Mensch in die Ent­schei­dung geru­fen, und das bedeu­tet auch, in die Gefahr des Abstur­zes. Wer nicht groß­mü­tig genug ist, wer nicht zum Glau­ben kommt, wer nicht die eige­nen Maß­stäbe fal­len läßt, der schei­tert an Chris­tus, der nimmt an ihm Ärger­nis. Ärger­nis ist das gereizte Auf­be­geh­ren gegen Chris­tus. Die­ses Ärger­nis hat sich schon zu Leb­zei­ten gegen Chris­tus erho­ben. Als er seine Antritts­pre­digt hielt und auf die Isai­as­stelle zurück­griff, wonach eben in sei­nem Wir­ken das Reich Got­tes anbricht, da reckte sich das Ärger­nis auf in der Syn­agoge: „Ist das nicht der Zim­mer­mann, der Sohn Marias, ein Bru­der des Jako­bus, Joses, Judas und Simon? Sind nicht seine Schwes­tern hier bei uns?“ Und sie wur­den irre an ihm.

So ist es geblie­ben. Nicht nur die jüdi­schen Zeit­ge­nos­sen Jesu haben an ihm Ärger­nis genom­men, son­dern auch kom­mende Gene­ra­tio­nen bis zur heu­ti­gen Zeit, bis zu dem Buche etwa, das Rudolf Augstein, der Her­aus­ge­ber des „Spie­gel“, über Jesus Chris­tus geschrie­ben hat. Nach dem Apos­tel Pau­lus tritt das Ärger­nis in zwei Gestal­ten auf, näm­lich ent­we­der daß Chris­tus den Men­schen ob sei­ner gött­li­chen Natur als unfaß­bar und unglaub­haft erscheint oder daß Gott nicht in die Nich­tig­keit des Flei­sches ein­ge­hen kann. Schon im Römer­brief kommt er dar­auf zu spre­chen, daß es Men­schen gibt, die über seine Bot­schaft von Jesus, dem Hei­land, lachen. Da sagte er: „Ich schäme mich des Evan­ge­li­ums nicht, denn es ist eine Got­tes­kraft für jeden, der glaubt“, auch für die­je­ni­gen, die sich dar­über lus­tig machen. Noch deut­li­cher spricht er im 1. Korin­ther­brief über die­je­ni­gen, die Anstoß neh­men an Chris­tus. „Die Juden for­dern Wun­der­zei­chen, und die Grie­chen suchen Weis­heit, wir aber ver­kün­den Chris­tus den Gekreu­zig­ten, den Juden ein Ärger­nis, den Hei­den eine Tor­heit. Denen aber, die beru­fen sind, den Juden sowohl als den Hei­den, pre­di­gen wir Chris­tus als Got­tes Kraft und Got­tes Weis­heit. Denn das Törichte, das von Gott kommt, ist wei­ser als die Men­schen, und das Schwa­che, das von Gott kommt, ist stär­ker als die Men­schen.“ Die Juden kön­nen nicht begrei­fen, daß Gott in die Nich­tig­keit des Kreu­zes ein­tritt, und die Grie­chen, also die Hei­den, kön­nen sich nicht vor­stel­len, daß der erha­bene Gott in Men­schen­ge­stalt über die Erde wan­deln könnte. Diese bei­den Spiel­ar­ten des Ärger­nis­ses sind durch alle Zei­ten der Kir­chen­ge­schichte die­sel­ben geblie­ben. Aus die­ser Ver­su­chung, an Chris­tus Ärger­nis zu neh­men, sind alle Irr­leh­ren der gesam­ten zwei­tau­send­jäh­ri­gen Kir­chen­ge­schichte zu erklä­ren. Es kann in der Gegen­wart keine neue Irr­lehre auf­tre­ten, weil alle schon dage­we­sen sind. Die Fehl­deu­tun­gen und das Fehl­ver­hal­ten gegen­über Chris­tus, die in der alten Zeit, in den ers­ten Jahr­hun­der­ten, sich ereig­net haben, sind so erschöp­fend, daß neue Mög­lich­kei­ten nicht auf­tre­ten kön­nen, höchs­tens Abwand­lun­gen des schon Bekann­ten. Und des­we­gen hat es nicht nur dog­men­ge­schicht­li­che Bedeu­tung, wenn wir von den Häre­sien, also den Irr­leh­ren der alten Zeit spre­chen, son­dern diese Irr­leh­ren sind heute genauso aktu­ell wie damals.

Man kann sich an dem Geheim­nis Christi in drei­fa­cher Weise ver­feh­len, ers­tens, indem man sein gött­li­ches Wesen leug­net, zwei­tens, indem man seine mensch­li­che Natur ver­kürzt und drit­tens, indem die Ver­ei­ni­gung von Gött­li­chem und Mensch­li­chem falsch dar­stellt. Die erste Weise, sich an Chris­tus zu ver­feh­len, besteht darin, daß man seine gött­li­che Wesen­heit leug­net. Schon im 2. Jahr­hun­dert n. Chr. tritt ein Irr­leh­rer auf namens Ker­inth, und ihm folgte die Sekte der Ebio­ni­ten, die vom pha­ri­säi­schen Ratio­na­lis­mus erfüllt sind und Jesus nur ein mensch­li­ches Dasein zubil­li­gen. Sie sagen, Jesus ist der Mes­sias, aber er ist ein blo­ßer Mensch, der eben in beson­ders hei­li­ger Weise gelebt und gewirkt hat. Diese Ver­kür­zung des gött­li­chen Wesens Jesu fin­den wir bezeugt in dem berühm­ten Dia­log mit Try­phon des hei­li­gen Mar­ty­rers Jus­ti­nus. Jus­ti­nus hat um die Mitte des 2. Jahr­hun­derts gelebt. In die­sem Dia­log, also die­sem Zwie­ge­spräch, läßt er den Juden spre­chen: „Was du da sagst, daß Gott von Ewig­keit gelebt hat und daß er dann in der Zeit auf Erden erschie­nen sein soll, das ist unfaß­bar und töricht.“ Das ist das Ärger­nis, das sich an Jesu gött­li­cher Wesen­heit empor­reckt. Als dann diese Lehre in die Hei­den­welt ein­trat, war das Ärger­nis nicht gerin­ger. Theo­dot von Byzanz zum Bei­spiel hat an der gött­li­chen Wesen­heit Christi Ärger­nis, Anstoß genom­men und sie des­we­gen bestrit­ten. Nach ihm ist Jesus ein blo­ßer Mensch gewe­sen. Bei der Taufe kam der Hei­lige Geist auf ihn. So ist er zum Chris­tus gewor­den. Auf seine Weise hat Theo­dot die Evan­ge­lien „ver­bes­sert“, das heißt eben ver­fälscht, aber seine Lehre war zunächst nicht sehr wirk­sam. Sie wurde erst wirk­sam, als ein Bischof sie auf­griff, der Bischof Paul von Antio­chien, nach sei­nem Geburts­ort genannt Paul von Samo­sata. Die­ser ein­fluß­rei­che Mann ver­brei­tete die fol­gende Irr­lehre: Jesus ist ein blo­ßer Mensch, aber durch seine Hei­lig­keit und Gerech­tig­keit hat er sich Anteil an gött­li­cher Ehre und Würde ver­dient. Der Logos hat in ihm wie in einem Tem­pel gewohnt, er wurde vom Hei­li­gen Geist gesalbt und heißt des­we­gen Chris­tus, Gesalb­ter. Über­haupt waren in Antio­chien und in Edessa, also im heu­ti­gen Syrien, Schu­len, Theo­lo­gen­schu­len am Werke, die vom aris­to­te­li­schen Den­ken aus­gin­gen und des­we­gen leicht zu einer fal­schen Vor­stel­lung von der Ver­bin­dung des gött­li­chen und des mensch­li­chen Ele­men­tes in Chris­tus kamen. Ich nenne die Namen Diodor von Tar­sus, Theo­dor von Mop­su­es­tia, aber vor allem natür­lich Lukian von Antio­chien und Arius. Arius, nach dem die Irr­lehre des Aria­nis­mus benannt ist, sagte: Chris­tus ist ein blo­ßer Mensch, der sich durch sitt­li­che Bewäh­rung gött­li­ches Anse­hen, gött­li­che Würde ver­dient hat. Das ist die grund­le­gende These die­ser die gött­li­che Wesen­heit Christi ver­kür­zen­den Irr­lehre. Das Mensch­li­che wird ernst genom­men, sehr ernst. Jesus wird in sei­ner vol­len Mensch­lich­keit dar­ge­stellt, aber das Gött­li­che kommt dar­über zu kurz. Immer wie­der heißt es: Jesus war ein Mensch, ein ein­zig­ar­ti­ger Mensch, ein Mensch von bewun­derns­wer­ter Hei­lig­keit, Güte und Gerech­tig­keit, und des­we­gen hat ihn Gott auch ange­nom­men. Er hat sich mit ihm in einer mora­li­schen, also nicht in einer onto­lo­gi­schen, das Sein betref­fen­den, son­dern in einer die Gesin­nung betref­fen­den Weise ver­ei­nigt. Vor allen Din­gen wurde diese Lehre dann ver­tre­ten von einem Patri­ar­chen von Kon­stan­ti­no­pel, also dem ers­ten Kir­chen­fürs­ten des gan­zen Ostens. Kon­stan­ti­no­pel ist heute die Stadt Istan­bul in der Tür­kei. Die­ser Patri­arch, Nest­orius, zer­riß die Ein­heit in Chris­tus. Chris­tus ist gan­zer Mensch, aber auch mit Gott ver­bun­den. Er konnte nicht erklä­ren, wie sich das Gött­li­che in Chris­tus mit dem Men­schen Jesus ver­bin­det. Und so kam er zur Irr­lehre, daß in Chris­tus zwei Per­so­nen sind, eine gött­li­che und eine mensch­li­che Per­son. Er hat das echt Mensch­li­che zum Nur-Mensch­li­chen über­spitzt, und dadurch ist er in die Irre gegan­gen. Seine Lehre wurde ver­ur­teilt vom Kon­zil von Ephe­sus im Jahre 431.

Dage­gen erhob sich eine andere Lehre, die das Mensch­li­che nicht ernst nahm, die das Mensch­li­che ver­kürzte. Ihre Ver­tre­ter waren Män­ner, gläu­bige, fromme Män­ner, die in Chris­tus vor allem und über allem seine gött­li­che Wesen­heit sahen. Das ist die Irr­lehre des Mono­phy­si­tis­mus. So lehrt zum Bei­spiel Sator­nil: Chris­tus ist unkör­per­lich, er ist nur schein­bar mit einem Leibe auf Erden erschie­nen. Oder der Basi­li­des: Wer noch den Gekreu­zig­ten anbe­tet, ist ein Sklave. Hier sehen wir, hier wird das Mensch­li­che in Chris­tus abge­wer­tet. Diese Irr­leh­rer sagen: Das Mensch­li­che ist im Gött­li­chen auf­ge­gan­gen wie der Was­ser­trop­fen im Meer. Die Spitze erreichte diese Irr­lehre dann bei Apol­li­na­ris von Lao­di­cea und vor allem bei Euty­ches. Apol­li­na­ris von Lao­di­cea wollte das Gött­li­che mit dem Mensch­li­chen eng ver­knüp­fen, und so sagte er: Chris­tus hat keine Seele, son­dern nur einen Leib. Die Stelle der Seele nimmt der Got­tes­lo­gos ein, die zweite Per­son in der Gott­heit. Das war natür­lich eine Ver­kür­zung des Mensch­li­chen in Chris­tus. Und ebenso Euty­ches. Er sagt: Es gab in Chris­tus zwei Natu­ren, aber diese zwei Natu­ren sind dann ver­ei­nigt wor­den zu einer gött­li­chen Natur. Nach der Ver­ei­ni­gung gibt es nur noch eine gött­li­che Natur. Die mensch­li­che Natur ist ver­wan­delt wor­den in die gött­li­che. Das war auch wie­der eine Irr­lehre, eine Ver­kür­zung des Mensch­li­chen in Chris­tus, und so wurde diese Lehre ver­ur­teilt auf dem Kon­zil von Chal­ce­don im Jahre 451.

Diese bei­den Irr­leh­ren sind eigent­lich das Gene­ral­thema der gesam­ten Kir­chen­ge­schichte. Die einen ver­kür­zen die Mensch­lich­keit Christi, und das ist die näher­lie­gende Irr­lehre, weil sie der Ver­nunft zu genü­gen scheint, die ande­ren über­be­to­nen das Gött­li­che in Chris­tus und wer­den damit der geschicht­li­chen Wirk­lich­keit Jesu nicht gerecht. Wir,  meine lie­ben Freunde, müs­sen bei­des fest­hal­ten, wie es die Kir­che in wun­der­ba­rer Weise unter der Füh­rung des Hei­li­gen Geis­tes in ihren Leh­rent­schei­dun­gen getan hat. Wer diese Leh­rent­schei­dun­gen liest, der wird gestärkt in sei­nem Glau­ben an die Füh­rung der Kir­che vom Hei­li­gen Geiste. Ich habe an die­sen Leh­rent­schei­dun­gen immer bewun­dern gelernt, in wel­cher Weise Gott  seine Kir­che zwi­schen der Szylla und Cha­ryb­dis hin­durch­führt: Chris­tus als vol­ler und gan­zer Mensch, und doch ver­ei­nigt mit der Per­son des Logos. Der Logos ist das Akt­zen­trum in die­sem Men­schen, zwei Natu­ren sind in einer Per­son. Das ist die For­mel, die glück­li­che For­mel, die unauf­geb­bare For­mel gewor­den, in wel­che das Kon­zil von Chal­ce­don die kirch­li­che Lehre gefaßt hat.

Und daran,  meine lie­ben Freunde, wol­len wir fest­hal­ten. Im Jahre 1856, bei gro­ßen Aus­gra­bun­gen in Rom, ent­deckte man auf dem Hügel Pala­tin eine Wachstube von Sol­da­ten, und an einer Wand die­ser Wachstube war ein Bild zu sehen, das man sofort als Spott­kreuz erkannte. Da war also ein Gekreu­zig­ter abge­bil­det, aber er trug einen Esels­kopf. Vor dem Gekreu­zig­ten kniete ein Mann, ein Sol­dat, und da war eine Inschrift ange­bracht: „Alex­ame­nos betet sei­nen Gott an.“ Hier sollte also ein christ­li­cher Sol­dat ver­spot­tet wer­den, weil er die wahre Gott­heit Christi bekannte und infol­ge­des­sen ihm Anbe­tung zollte. Wenige Jahre spä­ter, bei wei­te­ren Aus­gra­bun­gen, stieß man auf eine benach­barte Kam­mer, und da fand man die Inschrift: „Alex­ame­nos fide­lis“. Der Alex­ame­nos bleibt sei­nem Gott treu. So soll es auch bei uns sein, meine lie­ben Freunde. Durch kei­nen Spott und durch keine Atta­cken wol­len wir uns irre machen las­sen in unse­rem Glau­ben an den mensch­ge­wor­de­nen Gott und Hei­land, unse­ren unsterb­li­chen Herrn Jesus Chris­tus.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt