Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Juli 1990

Der Opfercharakter des Meßopfers

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Wenn der Priester das heilige Opfer feiert, ehrt er Gott, erfreut die Engel, erbaut die Kirche, hilft den Lebenden, erwirbt den Verstorbenen Ruhe und macht sich selbst aller Güter teilhaftig.“ Worte aus dem Buch der Nachfolge Christi. Wenn der Priester das heilige Opfer feiert, ehrt er Gott, erfreut die Engel, erbaut die Kirche, hilft den Lebenden, erwirbt den Verstorbenen Ruhe und macht sich selbst aller Güter teilhaftig. Mit diesen Worten versucht der Verfasser des Buches von der Nachfolge Christi den Segen des eucharistischen Opfersakramentes auszusagen. Wir haben an vielen vergangenen Sonntagen einzudringen versucht in das Wesen und in den Gehalt des  eucharistischen Opfersakramentes. Wir haben vor allem über die Gegenwart Christi in diesem wunderbaren Sakramente nachgedacht. Wir müssen uns jetzt eine andere Seite dieses Sakramentes vor Augen führen, nämlich seinen Opfercharakter. Es heißt ja mit Recht eucharistisches Opfersakrament. Eucharistie, Altarssakrament, heilige Messe sind gültige Bezeichnungen, aber sie geben immer nur einen Aspekt dieses Geschehens wieder. Der umfassendere Ausdruck ist zweifellos jener des eucharistischen Opfersakramentes, denn in der heiligen Messe wird ein Opfer dargebracht.

Da erhebt sich sogleich die Frage: Wie verhält sich denn dieses Opfer zu dem Opfer, das Jesus am Kreuzaltar dargebracht hat? Besteht ein Zusammenhang zwischen dem einmaligen Opfer am Kreuze und dem Opfer der heiligen Messe, das unzählige Male in der katholischen Kirche dargebracht wird? Besteht ein Zusammenhang, und welcher Art ist er? Daß Christus am Kreuze ein Opfer dargebracht hat, ist ununterbrochene Lehre der katholischen Kirche von Anfang an. Die Christen waren überzeugt, daß der Herr, als er am Kreuze starb, nicht einem Unfall zum Opfer gefallen ist, daß er nicht bloß die Konsequenz, wie Walter Kasper sagt, seines Lebens tragen mußte, sondern die Kirche war von Anfang an überzeugt, daß Christus geopfert wurde, weil er selbst es wollte. Und er wollte es, weil der Vater im Himmel dieses Opfer in seinem Heilsplan vorgesehen hatte.

Ein Opfer ist die Hingabe einer sichtbaren Gabe, um Gott als den höchsten Herrn zu ehren und Versöhnung für die sündigen Menschen zu bewirken. In diesem Sinne, genau in diesem Sinne, war das Sterben unseres Heilandes ein Opfer. Kein anderer als der Apostel Paulus hat an vielen Stellen seiner Briefe auf den Opfercharakter des Sterbens Christi hingewiesen. Im Römerbrief schreibt er: „Ihn hat Gott dargestellt als blutiges Sühnopfer, das angeeignet wird durch den Glauben.“ Im Epheserbrief heißt es: „Christus hat euch geliebt und sich selbst für uns hingegeben als Opfer, Gott zum lieblichen Wohlgeruch.“ Im Hebräerbrief wird gesagt: „Das Blut Christi, der kraft ewigen Geistes sich selbst makellos Gott dargebracht hat, wird unser Gewissen reinigen von toten Werken, damit wir dienen dem lebendigen Gott.“ Und an einer anderen Stelle: „Christus ward einmal geopfert, um die Sünden vieler auf sich zu nehmen.“

Das Opfer, das Christus am Kreuze dargebracht hat, weist ihn als Priester aus, denn es ist die Aufgabe von Priestern, Opfer darzubringen. Christus war also Priester, auch wenn Josef Blank und andere das immer wieder bestreiten. Christus war Priester, weil er ein Opfer dargebracht hat, und zwar das Opfer seiner selbst. Der Vater im Himmel hat dieses Opfer angenommen, indem er seinen Sohn nicht im Tode ließ, sondern aus dem Grab erweckte, ihn erhöhte und sich zur Rechten niedersetzen ließ. Das war die Annahme des Opfers. Auferstehung, Himmelfahrt und Geistsendung sind das Zeugnis dafür, daß Gott dieses Opfer angenommen hat.

Christus hat sich einmal geopfert. Das unterscheidet sein Opfer von den Opfern in den mythischen Religionen. Der Anhänger eines Mythos opfert fortwährend, weil er sich dem Kreislauf der Natur anpaßt. So wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter sich folgen, so ähnlich ist es bei den Opfern der Mythen. Christi Opfer unterscheidet sich auch von denen des Alten Bundes, denn diese mußten ständig wiederholt werden. Sie waren der unaufhörlich unternommene Versuch, Versöhnung zu gewinnen. Und deswegen mußte der Hohepriester jedes Jahr mit fremdem Blut in das Allerheiligste eintreten, weil das Opferblut eben nur für ein Jahr reichte. Christus hat einmal für immer sein Opfer dargebracht, ein einmaliges Opfer, das aber für alle Generationen, für alle Zeiten, für alle Menschen, für jede Epoche der Geschichte ausreicht. Es ist ein Opfer, das in seiner Vollkommenheit von keinem anderen Opfer erreicht wird. Als Opferpriester ist er eingegangen in die Welt Gottes, die wir den Himmel nennen, und dort bringt er fortwährend seine Opfergesinnung dem Vater dar, dort tritt er für uns ein, dort leistet er für uns Fürsprache, dort zeigt er dem Vater seine Wunden, die er für uns erlitten hat, dort verweist er auf sein Opfer, und so kommt das Lob- und Dankopfer in der himmlischen Liturgie niemals zu Ende.

Das Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn war unsere Erlösung. Um daran Anteil zu gewinnen, müssen wir mit diesen Geschehnissen in Verbindung treten. Wir müssen sie uns zu eigen machen. Es muß gleichsam das Schicksal Jesu auf uns übergehen. Das geschieht nicht in einem naturhaften Vorgang so, wie die Sonne aufgeht und der Regen fällt. Nein, dieses Eingehen in die heilswirksame Tätigkeit Jesu, in sein heilswirksames Sterben, in sein heilswirksames Auferstehen, geschieht durch Glaube und Liebe. Eben haben wir im Römerbrief gehört von dem Sühnopfer, das „angeeignet wird durch Glauben“. Ohne Glauben, ohne Glauben an das Opferlamm Jesus Christus, ohne Glauben an sein Erlösungsopfer, ohne Glauben an sein Priestertum geht die Wirkung dieses Opfers nicht auf uns über. Wir müssen durch Glaube und Liebe uns mit ihm verbinden. Und dieser Glaube und diese Liebe müssen sich verleiblichen, grundlegend und anfanghaft in der Taufe. Wenn der Mensch getauft wird, dann geht die Macht des Leidens und des Sterbens und des Auferstehens Jesu auf den Menschen über, tilgt die Erbsünde, begabt ihn mit der Gnade, macht ihn zum Gotteskind und Anwärter des Himmels und führt der Kirche ein neues Glied zu. Die Taufe ist also der Beginn des Übergehens des Heilswerkes Christi auf den Menschen. Da wird die objektive Erlösung zur subjektiven Erlösung. Da wird das, was Christus gewirkt hat, appliziert auf den einzelnen Menschen, der sich ihm übereignet in Glaube und Liebe im Vollzug des Taufsakramentes.

Nun ist aber die Taufe kein Opfer. Die Taufe gibt Anteil am Sterben Christi, aber unter einem bestimmten Aspekt, nämlich insofern das Sterben Christi Sieg über Tod und Sünde war. Das ist der Sinn des Taufsakramentes; wir gewinnen Anteil am Leiden und Sterben Christi, insofern davon die Sünde und der Tod überwunden wurden. Aber wir müssen auch in Verbindung kommen mit seinem heilbringenden Sterben, insofern es ein Opfer war, insofern es die Selbsthingabe seines Lebens an den Vater war. Zu diesem Zweck hat unser Herr und Heiland das eucharistische Opfersakrament eingesetzt. Das Opfer Christi, das er in seinem Tode vollbracht hat, wird im eucharistischen Opfersakrament auf die Menschheit appliziert. Das ist der Sinn dieses Sakramentes. daß es den heilsbedürftigen und heilswilligen Menschen Anteil gibt am Tode Christi, insofern er ein Opfer war.

Da sieht man, daß die Frage, ob das oft wiederholte eucharistische Opfer dem Kreuzesopfer zu nahe tritt, wie von den Neuerern des 16. Jahrhunderts behauptet wurde, mit einem klaren Nein zu beantworten ist. Das Kreuzesopfer und das Meßopfer Christi vertragen sich deswegen so gut, weil sie wesentlich miteinander identisch sind. Was am Kreuze geschah, das wird in der heiligen Messe lebendig. Die Kirchenversammlung von Trient hat die Vorwürfe der sogenannten Reformatoren entscheidend damit zurückgewiesen, daß sie sagte: „Kreuzesopfer und Meßopfer sind dasselbe“, sind von derselben Wesenheit. Denn die Opfergabe ist im Kreuzesopfer und im Meßopfer dieselbe, und auch der Opferpriester ist im Kreuzesopfer und im Meßopfer derselbe, beidemale Christus victima et sacerdos – Opfer und Priester. Eine gewisse Verschiedenheit zwischen Kreuzesopfer und Meßopfer besteht in der Opferweise. Am Kreuze brachte sich Christus in geschichtlicher Einmaligkeit dar im blutigen Opfer. Im Meßopfer, das unendlich viele Male gefeiert werden kann, opfert sich Christus in unblutiger Weise. Die Opferweise unterscheidet das Meßopfer vom Kreuzesopfer. Aber noch einmal: Das Meßopfer ist das Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt. Das Meßopfer ist nichts anderes als das Kreuzesopfer „in mysterio“, wie das Konzil von Trient erklärt hat. Ich will Ihnen einmal die entscheidenden Passagen aus diesem Konzil vorlesen. Da heißt es in einem Lehrsatz: „Wer sagt, in der Messe werde Gott nicht ein wirkliches und eigentliches Opfer dargebracht, oder die Opferhandlung bestehe in nichts anderem als daß uns Christus zur Speise gereicht werde, der sei ausgeschlossen.“ Dann heißt es weiter: „Wer sagt, durch jene Worte 'Tut dies zu meinem Andenken' habe Christus seine Apostel nicht zu Priestern bestellt oder nicht angeordnet, daß sie selbst und die anderen Priester seinen Leib und sein Blut opferten, der sei ausgeschlossen.“ Und an einer anderen Stelle: „Weil in diesem göttlichen Opfer, das in der Messe gefeiert wird, derselbe Christus enthalten ist und unblutig geopfert wird, der sich selbst am Kreuzaltar einmal blutig dargebracht hat, so lehrt die heilige Kirchenversammlung: Dieses Opfer ist ein wirkliches Sühneopfer, und es bewirkt, daß wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe, wenn wir mit geradem Herzen, mit rechtem Glauben, mit Scheu und Ehrfurcht, zerknirscht und bußfertig vor Gott hintreten. Es ist ein und dieselbe Opfergabe, und es ist derselbe, der jetzt durch den Dienst der Priester opfert und der sich selbst damals am Kreuze darbrachte, nur die Art der Darbringung ist verschieden. Die Früchte jenes Opfers, des blutigen nämlich, werden durch dieses unblutige überreich erlangt. So wird durch dieses unblutige Opfer jenes blutige in keiner Weise verkleinert.“

Diese Aussagen der Kirchenversammlung von Trient machen uns gewiß: Das Meßopfer tritt der Einmaligkeit, Unwiederholbarkeit, Vollkommenheit des Kreuzesopfers in keiner Weise zu nahe. Das Meßopfer ist nichts anderes als das Kreuzesopfer in sakramentaler Gestalt. Die nähere Weise, wie das Meßopfer einen Opfercharakter besitzt, hat das Konzil von Trient nicht entschieden. Es hat keine eingehenden Aussagen darüer, wie das Meßopfer ein Opfer sein und das Kreuzesopfer sakramental darstellen kann. Es hat wichtige Ausdrücke geliefert, memoria, repraesentatio – Gedächtnis, Wiederherstellung, Wiederhinstellung, Vergegenwärtigung – so könnte man das Wort auch übersetzen. Aber diese Ausdrücke werden vom Konzil nicht erklärt. Es muß die Theologie aus anderen Quellen, aus dem Wesensinhalt des Opfersakramentes, aus den Schriften der Kirchenväter, aus der vom Geist erleuchteten Vernunft, entnehmen, wie das Meßopfer eine repraesentatio des Kreuzesopfers sein kann.

Diese Frage, meine lieben Christen, wird uns am nächsten Sonntag beschäftigen.

Amen.

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