Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 2010

Das Wort ist Fleisch geworden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Geburt unseres Heilandes Versammelte!

Die Mitte der christlichen Botschaft ist Christus selbst. Wenn wir verstehen wollen, was uns die Verkündigung der Frohen Botschaft über den Grund der Dinge und über das rechte Maß des menschlichen Verhaltens sagen will, dann müssen wir auf den Herrn schauen. Wir können seine Lehre und das Wort der Kirche nicht loslösen von seiner Person. In der Geschichte hat man immer wieder versucht, die christliche Religion, die christliche Lehre als ein gedankliches System neben vielen anderen Weisheiten der Welt zu betrachten. Früher oder später sind alle diese Versuche gescheitert. In Christus ist nicht ein Mensch in seinem Denken über sich selbst hinausgewachsen, so dass gewissermaßen sein Denkgebäude sich von ihm unabhängig gemacht hat. Nein, seine Lehre wird nur verständlich im Hinblick auf seine Person. Seine Lehre wird nur begreiflich, wenn sie aus der persönlichen Begegnung mit ihm aufgenommen wird.

Man hat sich darum bemüht, die Gestalt des Herrn zu erkunden, sein Verhalten, wie es uns in den Evangelien überliefert ist. Man hat eine Psychologie Jesu schaffen wollen. Diese Versuche sind gescheitert. Warum? Wer den Herrn verstehen will, der muss zum Urgrunde seines Lebens zurückgehen; er muss auf den Urgrund seines Lebens schauen. Der Urgrund des Lebens und des Wirkens Jesu ist mit dem Satze aus dem 1. Kapitel des Johannes-Evangeliums umschrieben: „Das Wort ist Fleisch geworden.“ Sie sind vielleicht etwas befremdet, dass man das Wort als die entscheidende Bezeichnung und den entscheidenden Ausdruck für Jesus Christus verwendet. Aber das hat einen guten Sinn, denn der deutsche Ausdruck „Wort“ ist die Übersetzung des griechischen Logos. Und Logos bedeutet schon lange vor dem Christentum eine Wirklichkeit, die weit über das Menschenmaß hinausragt. Der Logos ist die Weisheit Gottes, ist das Wort Gottes, in dem er sich selbst erkennt. Wenn wir nach dem Johannes-Evangelium sagen: „Im Anfang war das Wort“, dann müssen wir gleich dazu sagen: „Und das Wort war bei Gott.“ Also es ist ein Zweites in Gott, eine zweite Person, und diese Person ist Gott, denn so geht es gleich weiter im Johannes-Evangelium: „Und das Wort war Gott.“ Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott. Es ist die unbegrenzte Präexistenz der zweiten Person Gottes bei Gott ausgesagt, und die personale Gottverbundenheit: denn Gott ist das Wort. Es besteht eine Beziehung zwischen Gott und dem Worte. Und diese Beziehung wird an anderer Stelle des Evangeliums ausgedrückt mit den Worten Vater und Sohn. Damit wird die wesenhafte Göttlichkeit des Sohnes ohne Identifizierung mit dem Vater ausgesagt.

Dann geht es weiter. Dieses Wort ist kein ohnmächtiges Wort wie unsere Worte. Es ist ein mächtiges, es ist ein allmächtiges Wort, denn durch das Wort ist alles geschaffen worden. Er ist der Schöpfer. In dem einen Wort hat sich Gott geäußert, hat er sich schöpferisch betätigt. Die weiten Räume des Alls nehmen ihren Ausgang von der verschwenderischen Schöpfungstätigkeit, von der verschwenderischen Schöpfungskraft des sich selbst genügenden Gottes. Jetzt löst sich das Rätsel, dass überhaupt etwas ist, dass nicht nichts ist. Das können Weltentstehungtheorien, ob sie von Laplace oder einem anderen herkommen, nicht erklären, sondern dieses Rätsel wird nur gelöst, wenn wir den Ausgang nehmen von dem allmächtigen Wort. Alles ist durch ihn geschaffen, und nichts ist geschaffen ohne ihn.

Man könnte versuchen, sich von diesem Grundgeheimnis aus nach den Maßstäben des menschlichen Denkens weiterzutasten. Dies könnte auf zwei mögliche Vorstellungen hinauslaufen, nämlich einmal: Gott ist in unendlicher Ferne, über die Gesamtheit der Geschöpfe erhaben, die ihren Lauf nach ihren eigenen Gesetzen nehmen. Oder nach der anderen Art des Denkens wäre Gott der innerste Kern der Dinge. Er ginge in der Schöpfung auf. Beides wird abgewiesen durch den Satz im Johannes-Evangelium: „Das Wort ist Fleisch geworden.“ Gott befindet sich nicht in unerreichbarer Ferne, er geht auch nicht in der Schöpfung auf. Gott ist wesentlich von der Schöpfung verschieden, und doch ist er dieser Schöpfung zugleich gegenwärtig, in möglicher Berührung nahe. Gott hat nicht einen Menschen mit besonderen Aufträgen und mit besonderen Kräften in die Welt gesandt. Gott ist auch nicht das Innewerden aus der Schöpfung, das in einem Menschen hervorbricht. Nein. Der transzendente Gott ist immanent geworden. Das ist das Geheimnis von Weihnachten. Der transzendente, der jenseitige Gott ist in der Welt gegenwärtig geworden. Keine Abschwächung, keine Umdeutung ist erlaubt, um die ungeheure Tatsache auf das Menschenmaß zurückzuschneiden.

Diese Tat Gottes konnte kein menschliches Denken ersinnen. Gott ist aus seiner unvorstellbaren Weltüberlegenheit in die Geschichte dieser Welt eingegangen. Das Eintreten Gottes in die Welt in Jesus Christus macht die christliche Religion konkurrenzlos. Die christliche Religion ist die einzige, die von Gott stammt. Alle anderen Religionen sind von Menschen gemacht. In ihnen wirkt sich die Sehnsucht des Menschen nach dem Numinosen, aber natürlich auch die Verirrung des Menschen bei dieser Suche aus. Die christliche Religion stammt von Gott, der ein Mensch geworden ist. Das ist die unerhörte Botschaft der Weihnacht. Einige haben das Unfaßbare begriffen. Sie kennen alle Anton Bruckner, den großen Komponisten. Er war Organist an der Florianskirche in Linz. In der Heiligen Nacht hatte er die Orgel gar wundersam gespielt. Nach der Christmette war er vor der Krippe niedergekniet. Dort fand man ihn am Morgen, immer noch in die Betrachtung des Weihnachtsgeheimnisses vertieft. Da fragte man ihn: „Meister, was habt Ihr hier die ganze Nacht gemacht?“ Da antwortete der fromme Mann: „Ich habe immer nur vor mich hin gesprochen: Er ist ein Mensch geworden. Er ist ein Mensch geworden. Und da bin ich vor Staunen nicht fertig geworden.“ Da bin ich vor Staunen nicht fertig geworden.

Aus dem Geheimnis der Menschwerdung, meine lieben Freunde, ergibt sich die eigenartige Doppelgesichtigkeit des Lebens und Wirkens Jesu auf dieser Erde. Die Armut des Stalles und die Engelserscheinung auf den Fluren, die Zurückgezogenheit im Hause von Nazareth und das gewaltige Wunderwirken, die Verkündigung des Gottesreiches und die Trauer über die Verständnislosigkeit des eigenen Volkes, die klare Voraussicht des Leidens und der Angstschweiß auf dem Ölberg, die Verlassenheit am Kreuz und der Sieg am Ostermorgen. Wer aus diesen Gegensätzen einen Teil weglassen wollte, hätte die christliche Botschaft in ihrer Wurzel mißverstanden. Dann würde aus Jesus irgendwie ein bloßer Mensch, oder aber er hätte einen Scheinleib gehabt, der von Gott getragen wurde. Diese Irrtümer sind alle im Laufe der Kirchengeschichte vorgetragen worden, aber sie werden überwunden durch den einen Satz: „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Die Klärung dieser Doppelgesichtigkeit gibt allein das Dogma: Jesus von Nazareth ist der auf Erden erschienene Gott. Die zweite göttliche Person hat sich eine menschliche Natur angeeignet. Gott ist ein Mensch geworden. Er blieb, was er war, aber er nahm an, was er noch nicht hatte.

Was im Johannes-Evangelium steht, das wird im Hebräerbrief, den wir ja heute als Epistel verlesen haben, in anderer Weise ausgedrückt. Da ist die Rede vom Sohne, der die Äonen geschaffen hat. Er ist das Abbild Gottes d.h. die zweite Person. Er ist über alle Geschöpfe erhaben, auch über die Engel. Er ist zum Herrn des Alls eingesetzt. Er ist der Anführer des Heils. Von ihm geht alle Gnade und Wahrheit aus.

Mir wurde in diesen Tagen dieses Bild zugeschickt. Was ist auf dem Bilde abgebildet? Da sehen Sie Maria, wie sie den Jesusknaben verdrischt vor drei Zeugen. Dieses Bild stammt von dem Maler Max Ernst und hängt in einem Museum in Köln. Und zu diesem Bilde schreibt ein katholischer Priester: „Die heilige Familie, das waren Menschen wie du und ich. Jesus war ein Kind wie jedes andere auch.“ Nein, das stimmt nicht! Das ist nicht wahr! Die heilige Familie waren nicht Menschen wie du und ich, und Jesus war nicht ein Kind wie jedes andere. Er war das Gotteskind. Er war ein Kind in aller Wahrheit und Redlichkeit, aber er war ein Kind, in dem die Gottheit anwesend war. Das macht das Christentum zur konkurrenzlosen Religion. Seit der Menschwerdung des Gottessohnes gibt es eine Religion, die für alle Menschen bestimmt ist und der sich anzuschließen alle Menschen gehalten sind. Der menschgewordene Gott fordert seine Jünger auf, alle Menschen ohne Ausnahme zu seinen Jüngern zu machen.

Dieser Logos ist Lehrer, den wir brauchen. Er ist aber auch zugleich Erlöser, der uns rettet. „Du sollst ihm den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“ Das Christentum ist eine Erlösungsreligion. Der Islam ist ein Gedankengebilde, das Mohammed aus heidnischen, christlichen und jüdischen Bestandteilen zusammengebastelt hat. Der Islam ist keine Erlösungsreligion. Im Islam mag die Sehnsucht nach Gott lebendig sein, aber Gott ist nicht in seiner Mitte. Im Islam mögen sich Splitter der Wahrheit finden, aber die personale Wahrheit ist ihm fern. Deswegen, meine lieben Freunde, keine Vermischung der Religionen! Keine Nebeneinanderstellung von Christus und Mohammed. Das ist ein Attentat gegen die Menschwerdung Gottes. Der Bischof von Osnabrück eröffnet eine Schule für Christen, Muslime und Juden. Ich fürchte, er ist vom guten Geist verlassen. Er verfehlt sich damit gegen die Einzigartigkeit und Absolutheit des Christentums. Die Lehre Jesu duldet keine Kompromisse.

Das Geheimnis der Menschwerdung ist auch das Geheimnis der Kirche. Die Kirche ist eine Gemeinschaft von Menschen, aber eine Gemeinschaft, in der Gott gegenwärtig ist, eine Gemeinschaft, die von göttlicher Kraft durchpulst ist. Auch in der Kirche werden menschliche Worte gesprochen, aber sie besitzen eine göttliche Energie. Soeben haben wir erlebt, wie der Heilige Vater Worte aus seinem Interview-Buch richtiggestellt hat, hat richtigstellen lassen. Und ich bin beglückt darüber. Es ist wieder ein Sieg der Wahrheit gegenüber dem, was die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, nämlich der Papst habe die Empfängnisverhütung freigegeben.

Die Kirche läßt sich nichts abmarkten, auch wenn die Presse und die Fernsehanstalten noch so sehr sich darum bemühen. Und wie mit den Worten, so ist es auch mit den Werken der Kirche. Das Wasser rollt über das Haupt eines Täuflings, aber die Kraft Gottes tilgt aus seiner Seele die Erbsünde. In kleinen, weißen Gestalten wird der Christ gespeist in der eucharistischen Opferhandlung, aber was darin enthalten ist, das ist der lebendige Gott, der menschgewordene Gott, unser Heiland, von dem es heißt: Er ist Fleisch geworden. Das göttliche Wesen hat sich in einem Menschen inkarniert. Und seitdem geht Jesus mit seiner Kirche. In den letzten Stunden seines gottmenschlichen Lebens hat er noch einmal diese Wahrheit hervorgehoben. Er wußte, was ihm bevorstand, aber er wich seinem Geschick nicht aus. Er wollte den Willen des Vaters bis zum Ende tun. In einer dieser letzten Stunden sprach er zu seinen Jüngern: „Steht auf, laßt uns gehen! Wir wollen gehen, Ihr, meine Freunde, und ich mit euch. Steht auf, laßt uns gehen!“ Das heißt: geht mit mir, ich gehe mit euch. Das ist ein Wort der Kraft, das ist ein Wort der Zuversicht. Katholische Kirche, jetzt erkenne ich dein Geheimnis: Du bist eine arme, kleine Schar, verspottet, verhöhnt, geschmäht, verächtlich gemacht. Du bist eine Unzulänglichkeit, du bist ein Anstoß, du bist ein Ärgernis. Aber Jesus hat zu dir gesagt: „Wir wollen gehen! Ich gehe mit euch, und ihr geht mit  mir!“

So wollen auch wir, meine lieben Freunde, unser Weihnachtsgelöbnis ablegen und sagen: O Herr, wir wollen mit dir gehen. Wir wollen dich nicht verlassen. Wir wollen nicht irre werden an dir. Wir wollen deinen Weg, o katholische Kirche, deinen Gott, dein Opfer, deine Leiden, deine Schwächen teilen. Wir wollen gehen, bis wir ihn sehen, an den wir geglaubt haben, den eingeborenen Sohn Gottes, der Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat, voll der Gnade und Wahrheit.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt