Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 1997

Licht in der Nacht

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Weihnachtsfreude Versammelte!

Das Geheimnis der geweihten Nacht läßt sich in das Wort zusammenfassen, das beim Propheten Isaias steht: „Ein Licht ist denen aufgegangen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen.“ Licht in der Nacht, das ist, kurz zusammengefaßt, das Geheimnis der Weihnacht. Wir feiern eine freudenvolle Geburt in einem armen Stall; wir feiern ein göttliches Kind in einer dürftigen Krippe; wir feiern eine frohe Botschaft, die an Hirtenknechte ergangen ist. Wir wollen deswegen in dieser heiligen Stunde das Licht betrachten, die Nacht und daß da ein Licht in der Nacht steht.

Der erste Gegenstand unserer Überlegung ist das Licht. Es war doch schon ein Licht, meine lieben Freunde, wenn wir in den vergangenen Wochen sahen, wie ein jeder überlegte, wie er anderen Freude machen könne, wie alle besorgt waren, die Wünsche der Ihren zu erraten und sie zu erfüllen. Das Schenken war doch schon etwas vom Licht, das von der Weihnacht in unsere Häuser und in unsere Herzen strahlt. Und wenn es auch nur auf einen Tag, auf einen Abend beschränkt ist, es ist doch schon ein Licht, das vorhanden ist. Auch wenn es nur ein Symbol ist für das, was wir schenken möchten und nicht schenken können, nämlich das ganze und volle Lebensglück, so ist doch diese Geste des Schenkens schon etwas, was uns selbst besser macht; denn sie wirkt auf uns zurück, sie verbessert unsere Beziehungen, und sie ist insofern ein Licht in der Nacht.

Dabei wissen wir, daß das Schenken, dieses Symbol der Weihnacht, nur der ferne Abglanz eines viel größeren Lichtes ist, das in der Nacht scheint, nämlich des Liebeswillens, den das Kind von Bethlehem in den Menschen der Gnade zu erwecken sucht. Dieses Kind braucht man nur anzuschauen, um es liebzugewinnen, und wenn man es sieht, dann steht in einem gütigen Menschen die Sehnsucht auf, diesem Kind zu helfen, dieses Kind lächeln zu machen. Und wie anders kann man es lächeln machen, als indem man die Menschenliebe, in der es auf Erden erschienen ist, weiterträgt. Erschienen ist die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes. Ja, wahrhaftig, in diesem Kind ist sie erschienen, und sie ist erschienen, um die Menschenliebe in uns und in allen aufzuwecken. Das Schenken an Weihnachten ist also nur ein ferner Schein jenes Lichtes, das in unseren Herzen stehen soll, weil dieses Krippenkind die Liebe in uns aufweckt. Und das ist ihm doch vielfach gelungen. Es hat doch in zahllosen Menschen seit zweitausend Jahren ein Licht widergeleuchtet von dem Krippenkind, dem Jungfrauensohn; es haben doch zahllose Menschen sich von diesem Licht anstecken lassen. Es ist nicht wahr, wenn immer wieder gesagt wird, das Christentum hat versagt. Das Christentum hat nicht versagt! Versagt haben diejenigen, die sich nicht von seinem Licht anstecken ließen. Aber es hat zahllose Menschen gegeben, die in der Kraft dieses Lichtes geleuchtet haben, ihre Habe und ihre Heimat aufgegeben haben. Das sind keine Weihnachtsmärchen, das ist Wahrheit.

Das wahre Licht an Weihnachten liegt in unserer Krippe. Es ist das Gotteskind. Es ist das Geschenk des Vaters. Es ist der personhafte Liebesbeweis Gottes, der da in unserer Krippe liegt. Ein Licht ist denen aufgegangen, die in Finsternis und Todesschatten sitzen. Und dieses Licht ist das Krippenkind, der Jungfrauensohn. Daß Gott die Welt liebt, das wird uns in diesem Kind offenbar. Das Kind ist die Botschaft, daß Gott nicht nur als Lenker über der Welt steht, sondern daß er auch als ein Wesen in der Welt uns gegenwärtig ist. Es ist schon etwas Großes, wenn wir wissen, daß Gott in seiner Güte die Welt lenkt, daß nicht Zorn und Willkür über dieser Welt stehen, sondern das gütige Vaterauge des himmlischen Vaters. Aber jetzt wissen wir noch mehr. Wir wissen, daß Gott die Welt so geliebt hat, daß er seinen Sohn in die Welt sandte, um die Welt zu erlösen. Das ist viel mehr als nur das Wissen darum, daß seine Vatergüte über der Welt wacht. Jetzt ist er ein Geschöpf geworden, ein Mensch, ein Knecht, ein Pilger, ein Leidender, ein Gekreuzigter. Jetzt wissen wir, wie sehr Gott die Welt liebt. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn hingab, damit alle, die an ihn glauben, durch ihn das Leben haben.“ So sehr hat Gott die Welt geliebt! Das also ist das Licht, das in der Weihnachtsnacht steht: der persönliche Liebesbeweis Gottes in seinem Sohne, der gekommen ist und der bei uns geblieben ist.

Aber freilich, dieses Licht leuchtet in der Nacht. Der Lichtschein, der auf den Fluren von Bethlehem den Hirten erschien, war nur kurze Zeit sichtbar, dann verschwand er wieder, dann wurde es wieder dunkel.  Den Hirten ward als Zeichen ein Kindlein gegeben, ein Kindlein, das in der Krippe liegt, und das ist kein Zeichen der Herrlichkeit. Was ist ärmer als ein Kind, und was ist ärmer als ein Kind der Armut? Der Lichtschein, der den Hirten leuchtete, ist bald vergangen. Es wurde wieder dunkel. Das Dunkel, in dem dieses Kind zur Welt kam, wurde im Laufe seines Lebens immer tiefer. Er hat ein schweres und dunkles Leben vor sich gehabt, und als er auf der Höhe seines Leben stand, da, wo, wenn etwas aus einem Menschen werden soll, es jetzt geschehen muß, da hängt er an einem Kreuze, verfemt, ausgestoßen, vernichtet. Die Nacht ist immer tiefer geworden. Da hat selbst die Sonne ihren Schein nicht mehr gegeben, als er am Kreuze verblich.

Die Erlösung ist gekommen, aber immer noch wirkt die Welt wie unerlöst. Die Fülle der Zeit ist da, und noch immer stehen wir wie im Advent. Aus der frohen Erwartung ist ein banges Warten geworden. Gott ist als ein Kind erschienen, und ein Kind redet nicht, ein Kind schweigt. Gott schweigt immer noch. Wir sind Kinder Gottes geworden, und noch ist nicht offenbar, was wir eigentlich sein können. Die Nacht ist immer noch über uns und hält an, so daß wir mit Isaias die bange Frage stellen: „Wächter, wie weit ist es in der Nacht?“ Wie lange wird das leibliche Elend, die sittliche Not, der geistige Zerfall noch andauern? Wie lange wird unsere Kirche noch ihren Niedergang erleben? Wie lange werden noch immer Priester aus unserem Abendmahlssaal flüchten? Wie lange wird es noch dauern, daß die Priesterseminare leer sind, weil sich keine hochgemuten jungen Männer einfinden, die das Priestertum anstreben? Wie lange noch werden Bischöfe und Laienpräsidenten gegen den Heiligen Vater aufbegehren und ihm den Gehorsam verweigern? Wie lange noch werden sie zum Widerstand aufrufen gegen seine berechtigten Weisungen? Wie lange noch wird diese Nacht andauern? Wann endlich werden wir sagen können: Jetzt ist der Tiefpunkt erreicht, jetzt ist das Licht ein wachsendes Licht?

Wir müssen begreifen, meine lieben Freunde, es ist Nacht, aber es steht ein Licht in der Nacht. Daß beides zusammengehört, das Licht und die Nacht, das müssen wir verstehen lernen, das ist die Botschaft von Weihnachten. Es ist doch nirgends so, daß das Licht allsogleich die Dunkelheit vertreibt. Wenn unsere Sonne sich erhebt über den Horizont, dann wird es bei uns hell. Aber auf einen anderen Erdteil senkt sich die Nacht herab. Es wird nicht gleichzeitig und überall hell. Und so ist es auch im seelischen, im gesellschaftlichen Leben. Wenn wir den Aufstieg eines Menschen aus dem Schlamm seiner Sünde beobachten, so ist es ein mühsames Sich-Emporringen. Er ist nicht gleich auf einmal fertig mit der Anhänglichkeit an die Sünde, sondern es braucht viele Anstrengungen und neue Ansätze, um damit fertig zu werden, und es gibt Rückfälle. Aber es ist immerhin schon ein Licht in seinem guten Willen, in seinem Vorsatz vorhanden. Jetzt soll es anders werden; jetzt darf es nicht so bleiben; jetzt muß einmal dieses Wühlen im Schlamme aufhören.

Licht in der Nacht. Das Licht siegt schon dadurch, daß es da ist. Wenn es nur nicht ausgelöscht wird, dann siegt es schon. Es behauptet sich; es bleibt da, und das ist sein Sieg. Und so ist es auch mit dem Licht von Bethlehem. Es ist nicht ausgelöscht worden, es ist weiter am Scheinen, das Licht von Bethlehem. So viele haben es gesehen: seine Mutter, die Hirten, die Jünger und die Heiligen. Sie haben dieses Licht gesehen, und sie haben es aufgenommen. Sie haben es in den Händen getragen wie Simeon und seine Mutter. Sie haben es weitergetragen. In alle Erdteile, in alle Winkel, in alle Höhlen haben sie es getragen. Und auch wir können dieses Licht aufnehmen, den Glauben, den heiligen Glauben, den unversehrten Glauben. Wir können ihn überallhin tragen, in alle Winkel, in alle Katen, in alle Herzen.

Licht in der Nacht. Das ist das Geheimnis der Weihnacht. Daß in aller Weltnacht ein Weltlicht steht, das ist die Botschaft, die das Krippenkind uns bringt. Jede Treue, die verraten wurde, jede Liebe, die geschändet wurde, jeder hohe Mut, der zertreten wurde, das ist ein Licht, das leuchtet, das nicht ausgelöscht werden kann. Wir sagen oft: Da ist Finsternis, da ist Nacht. Ja, es ist wahr. Aber seht, da ist auch Licht, da ist die Mutter, da ist das Kind, da sind die Hirten – da ist Gott! Jede Liebe, die am Kreuze hängt, ist ein Licht. Das Kind in der Krippe, in der Armut und in der Dürftigkeit ist ein Licht. Jeder gute Wille, der gefaßt wurde und der nicht untergeht, das ist ein Licht. Im Leid wächst die Seligkeit, in den Tränen wächst und reift die Liebe. Gegenwärtig ist und bleibt der unendliche, allmächtige und getreue Gott.

Amen.

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