Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Mai 1987

Die Tugend der Friedfertigkeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Friedfertig ist, wer um des Friedens willen Opfer bringt, um den Frieden zu erhalten oder ihn wiederherzustellen. Der Friede ist ein großes Gut, nicht nur der Friede in der großen, sondern auch der Friede in der kleinen Welt. Vom Frieden haben schon die Engel auf den Fluren von Bethlehem gesungen: „Friede den Menschen seiner Gnade!“ Wahrhaftig, wer in der Gnade Gottes ist, der ist auch, wenn er sich von der Gnade Gottes führen läßt, ein friedfertiger Mensch, also ein Mensch, der gern Opfer bringt, um den Frieden zu erhalten oder wiederherzustellen.

Als der Heiland geboren wurde, war der Janustempel in Rom geschlossen. Der Janustempel war jenes Heiligtum, das immer geöffnet wurde, wenn Krieg war, und zur Zeit, als Jesus geboren wurde, war kein Krieg, und so war dieser Tempel geschlossen. Christus wird ja als der Friedensfürst bezeichnet, also der Herr des Friedens, der den Frieden bringt und der ihn anderen vermittelt. Deswegen hören wir so oft im Evangelium das Wort: „Der Friede sei mit euch!“ Nach seiner Auferstehung wünscht der Herr den Aposteln den Frieden, und er hat ihnen bei der Aussendung den Auftrag gegeben, wohin sie kommen, Frieden zu bringen, Frieden zu halten und Frieden zu künden. „Friede sei mit euch!“

Wer sich um Frieden bemüht, wer ein friedfertiger Mensch ist, der erfährt einen besonderen Schutz Gottes und erhält hundertfältigen Lohn für alles, was er um des Friedens willen leidet. Wer friedfertig ist, der wird vom Herrn gepriesen. „Selig die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“ Man kann sogar das Wort aus dem Griechischen übersetzen mit Friedensmacher, Friedensstifter, das ist noch mehr als nur friedfertig sein, das heißt doch, sich um den Frieden bei anderen bemühen.

Die Heilige Schrift bewahrt uns ein wunderbares Beispiel eines solchen friedensstiftenden Mannes auf. Es ist das der Vater des Glaubens, Abraham. Er war ein Nomade mit großen Herden, und auch sein Neffe Lot war ein Nomade mit großen Herden, und wie das so geht, das Land war abgeweidet, jeder suchte den besten Weidegrund zu finden, und so kam es zum Streit zwischen den Hirten des Abraham und den Hirten des Lot. Aber Abraham war kein streitsüchtiger Mensch, sondern er war bereit, Um des Friedens willen dem anderen nachzugeben. Er sagte zu Lot: „Gehst du zur Rechten, dann gehe ich zur Linken; gehst du zur Linken, dann gehe ich zur Rechten.“ Auf diese Weise hat er den Frieden zwischen sich und dem Lot wiederhergestellt. Er hat deswegen auch einen besonderen Schutz Gottes empfangen, denn als dann der Überfall der Räuber kam, da wurde Lot von ihm betroffen und Abraham wurde von Gott wunderbarerweise beschützt.

Der Schutz des Friedfertigen hat sich im Leben der Heiligen noch so manches Mal erwiesen. Der heilige Ignatius von Loyola war einmal im heiligen Land, in Palästina. Er wollte zurück nach Europa und bestieg ein Schiff, aber die Mannschaft jagte ihn mit rohen Worten von Bord. Er ist dann mit einem anderen Schiff gereist und erfuhr nach der Rückkehr, daß das Schiff, von dem man ihn verwiesen hatte, unterwegs gestrandet war.

Ähnlich ist es dem heiligen Franz von Sales ergangen. Er war in Rom in einer Herberge und wurde aus ihr ausgewiesen. In der Nacht kam ein furchtbarer Wolkenbruch, der Tiber trat über die Ufer, die Herberge wurde dahingerissen, aber der heilige Franz von Sales ging schadlos aus. So hat sich der Schutz Gottes über den Friedfertigen bewährt. Sie erlangen auch von Gott einen besonderen, einen hundertfältigen Lohn. Ihn hat Gott denen verheißen, die um seinetwillen etwas verlassen. Alle, die um seinetwillen, um des Friedens willen auf Erden etwas preisgeben, werden im Himmel einen hundertfältigen Lohn empfangen.

So müssen wir also, meine lieben Freunde, uns friedfertig verhalten. Dazu sind vor allem zwei Dinge notwendig: Erstens, daß man sich etwas gefallen läßt. Die meisten Menschen mögen sich nichts gefallen lassen. Wenn sie beschimpft werden, schimpfen sie wieder, wenn sie geschlagen werden, schlagen sie wieder. Sie haben immer noch das überholte Gesetz im Kopfe: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Aber das ist kein christliches Gebot, das ist ein vorchristliches Gesetz. Der Christ verzeiht und vergibt, er läßt sich etwas gefallen.

Im Gymnasium hatte ich einen barbarischen Direktor. Er behandelte uns mit äußerster Härte. Aber dieser harte Mann hat eine Absicht damit gehabt. Einmal sprach er ein Wort, das ich nie vergessen habe, es lautet: „Ihr müßt lernen, ungerechte Kritik zu ertragen!“ Jawohl, das muß man lernen. Man darf nicht, man soll nicht sich immer wehren, man muß sich auch etwas gefallen lassen, man muß auch Unrecht ertragen können. Das ist notwendig, um den Frieden zu erhalten, nicht aus Feigheit, nicht aus Schwäche, sondern aus innerer Kraft, aus innerer Stärke, weil man mächtiger ist als das Unrecht, das einem zugefügt wird.

Während der Glaubenskriege in Frankreich schlich sich einmal ein Hugenotte in das Lager des katholischen Feldherrn ein und wollte ihn ermorden. Er wurde gefangen. Der Herzog fragte ihn: „Was habe ich dir zuleide getan?“ „Nichts,“ sagte der Hugenotte, „aber ich hasse dich, weil du ein Feind meines Glaubens bist, und deswegen wollte ich dich umbringen.“ Da gab der Herzog die schöne Antwort: „Wenn dein Glaube dir befiehlt, mich zu hassen, so befiehlt mein Glaube mir, dir zu verzeihen.“ Und er vergab ihm. Das war ein friedfertiger Mensch.

Das zweite, was man als Friedensstifter, als friedfertiger Mensch tun muß, das bedeutet; Niemandem Anlaß zum Streit geben! Streit vermeiden! Das tut man vor allen Dingen, indem man die Zunge zügelt, indem man die Zunge beherrscht. Nicht mit Worten streiten. Ob etwas so oder anderes gemacht wird, das ist in vielen Fällen nicht schlimm, denn das ist häufig gleichgültig. Und so soll man den Streit vermeiden, indem man nachgibt, indem man es nur bei wirklich wichtigen Dingen auf einen Wortstreit ankommen läßt. In vielen Dingen wird zuviel sinnlos gestritten und verletzend gesprochen. Streit vermeiden, indem man in unwichtigen Dingen nachgibt!

Diese Streitvermeidung macht uns zu Friedensstiftern. Es gibt, meine lieben Freunde, freilich Punkte, in denen man den Streit nicht vermeiden kann. Wenn die Wahrheit in Gefahr ist, wenn die Gerechtigkeit auf dem Spiel steht, wenn es um hohe Werte geht, dann muß man sich an das Wort des Heilandes erinnern: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert!“ Das bezieht sich nicht auf die Lappalien des Alltags, sondern das geht auf die großen und heiligen Güter, die Gott uns anvertraut hat. Wo der Glaube auf dem Spiele steht, wo das Recht verletzt zu werden droht, wo die Ordnung untergraben wird, da darf man den Kampf und den Streit nicht fürchten. Mit bösen Menschen kann man auch gewöhnlich nur dann Frieden haben, wenn man ihrem bösen Tun zustimmt, und das darf man nicht.

So wollen wir also, meine lieben Freunde, Frieden halten, soweit es an uns ist, wollen Frieden stiften, wo immer es uns möglich ist, wollen die Friedfertigkeit beweisen, d.h. Opfer bringen, um den Frieden in unserer Umgebung zu erhalten oder wiederherzustellen. „Selig die Friedensstifter, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden!“

Amen.

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