Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. Oktober 1989

Gott, der alleinige und freie Schöpfer der Welt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im Stufengebet, dem Antritts- und Vorbereitungsgebet der heiligen Messe, spricht der Priester die Worte: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn.“ Und der Ministrant antwortet: „Der Himmel und Erde erschaffen hat.“ Dieses schöne Gebet, das auch bei anderen Segnungen, wie beim Wettersegen, Verwendung findet, erinnert uns daran, daß die Hilfe, die wir von Gott erwarten, gut begründet ist. Wir erwarten die Hilfe nicht von Rossen und Reitern, nicht von irdischer Macht und Gewalt, sondern von dem Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, also von dem Gott, der eine ungeheuere Kraft sein eigen nennt, die das Nichtseiende ins Seiende ruft. Wir erwarten unsere Hilfe von Gott, der der allmächtige Schöpfer ist.

Wir hatten begonnen, uns mit dem Schöpfer und seiner Schöpfung zu befassen. Wir hatten gesehen, daß Gott die Welt aus nichts erschaffen hat. Wir wollen heute diesen Gott und seine Schöpfung näher ins Auge fassen und vier Sätze aufstellen, nämlich

1. Gott hat die Welt allein erschaffen,

2. der dreifaltige Gott ist ein Prinzip der Schöpfung,

3. Gott hat die Welt frei erschaffen,

4. Gott hat die Welt als endliche, als zeitlich begrenzte erschaffen.

Der erste Satz lautet: Gott hat die Welt allein erschaffen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn es sind Irrlehrer aufgetreten und Theologen noch des vorigen Jahrhunderts, die gelehrt haben, die Welt sei von einem Demiurgen geschaffen worden. Was ist ein Demiurg? Ein Demiurg ist ein Zwischending, ein Mittelwesen zwischen Gott und Welt. Und dieser Demiurg, dieses Mittelwesen, habe die Welt aus einem Urstoff, aus der ewigen Materie, hervorgebracht. In die Nähe dieser Auffassung gerät die Meinung der Arianer, nach der der Logos, der aber als Geschöpf gedacht wird – als Geschöpf! –, die Welt geschaffen hat. Demgegenüber lehrt der christliche Glaube, wie ihn die Kirche vorträgt: Gott hat die Welt allein erschaffen. Er ist das alleinige und einzige Prinzip der Schöpfung. Neben ihm hat keine andere Ursache Platz.

Im Buch des Propheten Isaias heißt es: „Ich bin Jahwe, ich bin Gott, der alles erschuf, der die Himmel ausspannte ganz allein, der die Erde festigte aus eigener Kraft.“ Gott hat sich keines Gehilfen bedient. Er bedurfte keines Gehilfen, sondern in ihm war die Kraft, die Welt zu schaffen. Das muß ja so sein, denn zwischen Sein und Nichtsein besteht eine unendliche Kluft. Um diese unendliche Kluft zu überwinden, bedarf es einer unendlichen Kraft. Der Mensch aber hat nur eine endliche, begrenzte Kraft. Also ist jeder, der keine unendliche Kraft besitzt – wie Gott allein –, unfähig, eine Schöpfung ins Leben zu rufen. Gott allein hat die Welt erschaffen; Gott hat die Welt allein erschaffen. Das ist der erste Satz.

Der zweite lautet: Die drei göttlichen Personen sind ein Prinzip bei der Erschaffung. Da werden Sie vielleicht verdutzt sagen: Ja, beten wir nicht im Glaubensbekenntnis: Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde? Hier wird doch die Schöpfung dem Vater zugeschrieben. Jawohl, sie wird dem Vater zugeschrieben. Aber es gibt ebensogut andere Stellen der Lehrverkündigung und des Evangeliums, die die Schöpfung dem Sohne oder dem Heiligen Geiste zuschreiben. Im Prolog des Johannesevangeliums heißt es: „Alles ist durch ihn“ – nämlich durch den Logos, also durch Christus, die zweite Person in Gott – „geworden, und ohne ihn ist nichts geworden.“ Also hier wird die Schöpfung dem Logos zugeschrieben. Und in der Litanei von den Muttergottes rufen wir die heilige Maria an als „Du Mutter des Schöpfers“. Ja, wer ist denn dieser Schöpfer? Nun, Christus, selbstverständlich Christus. Er ist der Schöpfer. „Du Mutter des Schöpfers!“

Also, die göttlichen Personen sind ein Prinzip bei der Erschaffung der Welt, weil sie die eine Natur gemeinsam haben. Das göttliche Wesen ist allen drei Personen gleich, es gibt nur ein göttliches Wesen, und dieses göttliche Wesen, diese göttliche Natur ist die Kraftquelle für die Schöpfung. Und diese Kraftquelle wird gleichsam von allen drei göttlichen Personen in gleicher Weise genutzt. Aber warum schreiben wir dann im Glaubensbekenntnis die Schöpfung dem Vater zu? Das hat darin seinen Grund, daß in den innertrinitarischen Vorgängen der Vater der Ursprung des Sohnes ist. „Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott“ heißt es im Glaubensbekenntnis. Christus, der Sohn, geht aus dem Vater hervor, der Heilige Geist geht aus dem Vater und dem Sohne hervor. Und weil das so in Gott ist und die Schöpfung in gewisser Hinsicht mit dem innergöttlichen Leben verglichen werden kann, deswegen ist es berechtigt, das, was außer Gott geschaffen wird, dem Vater zuzuschreiben, in besonderer Weise ihm zuzuschreiben. Aber noch einmal: Alle Werke des dreifaltigen Gottes nach außen sind gemeinsam.

Der dritte Satz lautet: Gott hat die Welt in Freiheit geschaffen. Gott konnte schaffen, Gott konnte auch nicht schaffen. Er war nicht gezwungen. Es bestand keine Notwendigkeit, daß Gott etwas Außergöttliches schuf, er war selig in sich selber. Wenn man fragt: Ja, was hat denn Gott gemacht, bevor die Welt geschaffen wurde, so ist das eine törichte Frage. Bevor die Welt geschaffen wurde, hat Gott sein innergöttliches Leben geführt. Vater, Sohn und Heiliger Geist haben sich in unendlicher Liebe geliebt und ausgetauscht. Aber Gott hat eben mit freiem Entschluß den Plan gefaßt, eine Schöpfung ins Leben zu rufen. Es war das ein Ausfluß seiner Güte. Aber auch die Güte nötigte ihn nicht, die Schöpfung ins Leben zu rufen. Sie veranlaßte ihn, aber sie zwang ihn nicht. Ein Zwang läßt sich auf Gott nicht ausüben, denn er ist der absolute Herr. Er ist sich selbst genügsam, und er ist völlig unabhängig. Man kann ihn nicht zwingen. Deswegen: Gott konnte schaffen, Gott konnte auch nicht schaffen. Und was er geschaffen hat, das ist nicht, wie meinetwegen Leibniz erklärt hat, die beste aller möglichen Welten, sondern nur eine gute Welt. Die Kirche hat die Meinung abgelehnt, daß die Welt, so wie sie geschaffen ist, die beste aller möglichen Welten ist. Nein, sie ist relativ gesehen gut, aber sie ist nicht die beste Welt. Die Kirche vertritt nicht einen absoluten Optimismus – wie Leibniz –, sondern einen relativen Optimismus. Die Welt ist ihrem Ziele angemessen. Sie besitzt Vollkommenheiten, aber sie ist nicht die vollkommenste Welt. Sie ist natürlich auch nicht eine schlechte Welt, wie meinetwegen Schopenhauer oder Eduard von Hartmann im vorigen Jahrhundert gelehrt haben. Gott kann nichts Schlechtes schaffen. Er ist nicht der Urheber des Bösen, er ist der absolut Heilige, und deswegen kann das, was aus seiner Hand hervorgeht, nur gut sein, wie es ja in der Heiligen Schrift bezeugt ist: „Gott sah alles, was er geschaffen hatte, und es war sehr gut.“

Der vierte Satz lautet: Gott hat die Welt als endliche, zeitlich begrenzte geschaffen. Es ist nun eigenartig, meine lieben Freunde, daß uns die Naturwissenschaft der Gegenwart hilft, diese Eigenschaft der Schöpfung zu verstehen. Im vorigen Jahrhundert vertrat die Masse der Naturwissenschaftler die Ansicht, die Welt sei ewig, habe also keinen Anfang bzw. man dürfe nach dem Anfang nicht fragen. Heute vertritt die große Mehrheit der Naturwissenschaftler die Überzeugung, die Welt habe einen Anfang genommen. Wie kommt es zu diesem Umschwung in der Naturwissenschaft, der ja nur bestätigt, was wir glauben, nämlich daß die Welt endlich ist, auch in der Zeit endlich, also nicht von Ewigkeit besteht? Gewisse Elemente haben die Eigenschaft, zu zerfallen. Die Atome zerfallen. Dazu gehören z.B. Radium und Uran. Und wir kennen die Zeiten, in denen diese Elemente zerfallen. Das Uran zerfällt in viereinhalb Milliarden Jahren um die Hälfte; das ist die sogenannte Halbwertzeit. Wenn wir also ein uranhaltiges Gestein finden, und es läßt sich darin nachweisen, daß das Uran umgewandelt worden ist in Helium und Uranblei, dann läßt sich daraus das Alter dieses Gesteins bestimmen. Und so ist man bei der Berechnung des äußeren Mantels der Erde auf ein Alter von zwei Milliarden Jahren gekommen. Das Alter der Erde selbst wird mit drei Milliarden Jahren angegeben, eine hohe Zahl, aber dennoch eine endliche Zahl. Was wir mit Zahlen ausdrücken können, ist nicht unendlich, auch wenn es für uns unfaßlich und unvorstellbar ist.

So ist es auch mit den Sternen. Die Sterne stehen nicht seit Ewigkeit am Himmel. Die Sterne sind einmal entstanden. Wir wissen das und können es berechnen aus der Energie, welche von den Sternen ausgeht. Die Kraft der Sterne, ihre Leuchtkraft, stammt nämlich daher, daß Wasserstoff in Helium umgewandelt wird, und je nachdem, wie weit dieser Prozeß gediehen ist, diese Umwandlung von Wasserstoff in Helium, können wir berechnen, wie alt ein Stern ist. So kommt man für die Sonne, die unsere Erde erleuchtet, auf ein Alter von vier Milliarden Jahren. Ähnliche Berechnungen lassen sich anstellen für die Milchstraße. Dieses Heer von fünfzig Milliarden Sonnen, die Milchstraße, rotiert, dreht sich um einen Mittelpunkt, und diese Rotation, diese Drehung, die etwa 220 Millionen Jahre dauert, kann noch nicht sehr oft vor sich gegangen sein, weil nämlich die Massenverteilung in der Milchstraße ungleich ist. Sie wäre aber gleichmäßiger, wenn die Rotation schon öfter vor sich gegangen wäre. Man kommt also auch für die Milchstraße auf ein Alter von mehreren Milliarden Jahren.

Das gilt schließlich auch für das ganze Weltall. Die Astronomen haben berechnet, daß das Weltall sich ausdehnt, fortwährend ausdehnt; und wenn man jetzt von sechs Milliarden Jahren ausgeht, dann hat das darin seinen Grund, daß der Radius des Weltalls sechs Milliarden Lichtjahre umfaßt. Die Astronomen sind also mehrheitlich überzeugt, daß vor sechs Milliarden Jahren, undeutlich gesprochen, die ganze Schöpfung nur in einem Punkt vorhanden war. Dieser Punkt hat sich dann ähnlich, wie eine Granate explodiert, ausgedehnt und entfaltet und ist bis zu der heutigen Fülle der Sterne und der Spiralnebel gediehen. Die Naturwissenschaft liefert uns heute, so scheint es, einen Erfahrungsbeweis für das, was wir glauben, daß nämlich Gott die Welt geschaffen hat, daß die Welt einen Anfang genommen hat.

Diese Überlegungen, meine lieben Freunde, sind nicht theoretischer Art. Sie sind von eminent praktischer Bedeutung. Wenn wir beten: „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Schöpfer,“ wenn wir rufen: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde erschaffen hat,“ dann wissen wir, daß wir nicht in ein augenloses Fatum hineinrufen, sondern dann wissen wir, daß wir zu dem allmächtigen Vater unsere Stimme erheben, der helfen kann, wenn er helfen will, und der eine unendliche Macht hat, zu helfen, viel mächtiger als alle Gewalten dieser Erde, eine Macht, die das Nichtseiende ins Seiende gerufen hat, die die Schöpfung hervorgebracht hat, eine Macht, die auch bereitsteht, denen zu helfen, die Gott fürchten.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt