Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. Mai 2009

Kennzeichen des Geistes Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Weltgeschichte, wie Jesus sie sieht und wie er sie erschafft, ist vom Walten des Heiligen Geistes erfüllt. Sie ist der Raum, in dem die große Kampfes- und Aufbauarbeit des Geistes vor sich geht. Im heutigen Evangelium schildert unser Heiland die Eigenart dieses Geistes und seiner Wirkens so deutlich und anschaulich, dass wir die Merkmale des echten, des Heiligen Geistes erkennen können. Es wird nämlich in dieser dunklen Welt nicht immer leicht sein, den Heiligen Geist vom bösen Geist zu unterscheiden. Es wird nicht immer leicht sein, die Unterscheidung der Geister zu treffen. Man wird nicht leicht den Engel des Lichtes vom Engel der Finsternis unterscheiden können. Aber in diesen Worten, die wir soeben vorgetragen bekommen haben, gibt uns Jesus eindeutige und allgemeingültige Merkmale, um die Menschen, die Dinge und die Ereignisse zu unterscheiden, welche die Zeichen des wahren Geistes, des Heiligen Geistes an sich tragen.

Der Geist, den Jesus vom Vater her senden wird, wird der Geist der Wahrheit sein. Welch ein unermeßliches Vertrauen spricht aus diesem Wort! Es wird einen Geist der Wahrheit geben. Wahrheit ist die Übereinstimmung der Erkenntnis mit der Wirklichkeit. Eine Aussage ist wahr, wenn sie die Wirklichkeit treffend wiedergibt. Die Wahrheit zu wissen ist wichtig für uns, schon für die irdischen Dinge. Es ist noch wichtiger, die Wahrheit von den ewigen Dingen zu kennen, damit wir nicht in die Irre gehen. Man möchte oft meinen, dass nichts so wenig Aussicht hat auf dieser Welt wie die Wahrheit, dass niemand so wenig helfe wie die Wahrheit. Die meisten Menschen sind gleichgültig gegenüber der Wahrheit. Was sie interessiert, ist das Leben, das Genießen, das Vorankommen, aber nicht der Besitz der Wahrheit. Ja, man muss sogar noch hinzufügen: Die Wahrheit wird vielfältig unterdrückt, vergessen, hintangehalten. Es gibt Kreise und Bevölkerungsschichten und ganze Gruppen, die alles daran setzen, dass die Wahrheit nicht ans Licht kommt. Es gibt Staaten und Staatenbünde, die zielbewußt die Unwahrheit verbreiten. Im Jahre 1915/16 wurden 1.850.000 christliche Armenier von den Türken ermordet – 1.850.000. Um Munition zu sparen, stürzte man sie in Schluchten oder trieb sie in die Wüsten. 100.000 christliche Frauen verschwanden in den türkischen Harems. Aber die Türkei leugnet bis heute den Genozid. Sie will die Wahrheit nicht wissen und nicht einräumen.

Gott denkt anders über die Wahrheit als die meisten Menschen. Er sorgt dafür, dass die Wahrheit nicht untergeht, und deswegen schickt er den Geist der Wahrheit. Es wird einen Geist der Wahrheit geben, dem ehrlich und aufrichtig und treu an der Wahrheit etwas liegt, der die Wahrheit zum Siege führen will. Es wird eine Kraft in der Welt sein, die der Wahrheit dient, nicht bloß dem Nutzen, nicht bloß dem Gewinn, nicht bloß dem Genuß, nicht bloß dem Gelde, nicht bloß dem Sich-Durchsetzen, nicht bloß der Behauptung. Nein, es wird eine Kraft geben, die der Wahrheit dient. Und diese Wahrheit wird nicht verschwinden. Man wird sie niemals ganz knebeln, ganz blenden, ganz zersetzen und zertreten können. Es wird auch immer Menschen geben, die sich als Diener der Wahrheit wissen, Zeugen der Wahrheit, die die Wahrheit vertreten, gelegen oder ungelegen, ja, die ihr Leben für die Wahrheit in die Schanze schlagen. Das sind Menschen, in denen der Geist der Wahrheit wirksam ist. Man kann somit auch sagen, dass, wer der Wahrheit dient und sie liebt, vom Heiligen Geiste erfüllt ist. Er hat den Heiligen Geist, den Geist Gottes in sich. Das ist das erste Zeichen, woran wir die Geister unterscheiden können: Wo die Wahrheit ist, da ist der Geist Gottes. Die Wahrheit und den Geist Gottes kann keine Macht dieser Erde trennen. Wo der Geist ist, da ist die Wahrheit, und wo die Wahrheit ist, da ist der Geist.

Darum ist auch die Wahrhaftigkeit, also die Liebe zur Wahrheit, der Wille zur Wahrheit, darum ist auch die Wahrhaftigkeit, die unbedingte Ehrlichkeit gegen sich und gegen Gott die eigentliche Grundtugend. Die Wahrhaftigkeit ist die Voraussetzung alles höheren, gottähnlichen Lebens und die Vorbedingung aller wahren Kultur. Auf der Wahrhaftigkeit beruht die Stimme des Gewissens und die Folgsamkeit gegenüber dieser Stimme. Auf ihr beruht alle Demut und Bescheidenheit, aber auch alle Größe, aller Großmut und alles Heldentum. Denn auf ihr beruht das Verantwortungsbewußtsein. Der Mensch, der sich wirklich verantwortlich fühlt, der Verantwortung trägt, der will und muss unbedingt ehrlich sein vor sich selbst, der darf sich nichts vormachen, der darf die Dinge nicht schönen, der darf die Augen nicht verschließen vor den Wirklichkeiten und der darf die Weltdinge nicht künstlich anstreichen, um ihnen die gewünschte Farbe zu geben. Der Geist erweckt darum in den Menschen die Wahrhaftigkeit. Wer wahrhaftig ist, der ist geeignet, der Wahrheit zu folgen, der ist geeignet, ein Zeuge der Wahrheit zu sein. Der Heilige Geist ist der Geist der Wahrheit, und wer die Wahrheit über alles liebt, der hat den Heiligen Geist.

Dieser Geist aber gibt Zeugnis für Christus, denn Christus ist die Wahrheit schlechthin. „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, voll der Gnade und Wahrheit.“ So beten wir in jeder heiligen Messe am Ende. Das Zeugnis für Christus wird also nie mehr verstummen. Die Frage nach Christus wird die weltbewegende Frage der Zukunft sein. Man wird niemals mehr Christus zu den bloß historischen Größen rechnen können. Christus wird niemals ein Ehemaliger, ein Vergangener, ein Gestriger sein. Immerfort wird eine Stimme da sein, die für ihn redet und die einen Chor von Stimmen, einen Weltchor erweckt, einen umfassenden Sprechchor aufruft. So unsterblich ist der Geist und so unsterblich ist das Zeugnis für Jesus Christus. So unzerstörbar, wie der Geist ist, so unzerstörbar wird das Zeugnis für Christus sein. Die Welt möchte dieses Zeugnis ersticken, zum Verstummen bringen. Deswegen Abschaffung des Religionsunterrichtes oder Nichtgenehmigung des Religionsunterrichtes, wie in Berlin. Aber der Geist wird dafür Sorge tragen, dass das Zeugnis für Christus nicht untergeht. Der Geist Gottes ist mächtiger als der böse Feind.

Getrieben vom Geiste, inspiriert vom Geiste, getragen vom Geiste legen auch die Jünger Zeugnis ab für Christus. „Ihr werdet Zeugnis von mir geben, weil ihr von Anfang an bei mir waret.“ Wie vielsagend ist diese Begründung! Weil sie bei ihm sind von Anfang an, also in vollkommener Lebensgemeinschaft mit ihm stehen, deswegen legen sie Zeugnis von ihm ab. Diese Lebensgemeinschaft ist ihre Lebensform, ihr inwendiges Muss, ihre Bestimmung und ihr Schicksal geworden. Christus ist ihr Lebensinhalt und ihre seelische Erfüllung. Randvoll sind sie von ihm, so dass sie nichts anderes mehr kennen und nennen wollen als Jesus, und wäre es ihn als den Gekreuzigten. Ihre ganze Persönlichkeit schwingt und kreist um Christus. Sie sind von ihm geformt, er ist ihr inneres Maß, und deswegen auch ihr inneres Müssen geworden. Das heißt, sie müssen Christus verkünden aus innerer Lebensnotwendigkeit. Erfüllt von Christus, fließen sie von ihm über, strahlen sie ihn aus, geben sie Zeugnis von ihm. Das ist, meine lieben Freunde, kein bloßes Reden und vor allem nicht ein bloß amtliches, berufliches, vorgeschriebenes Reden. Nein, das ist ein Überquellen von innen her, das aus allen Ritzen und Spalten ihres Wesens hervorbricht. Es ist eben ein Zeugnis, also etwas, was nicht angelernt ist, sondern was gewachsen ist, ein Zeugnis, das sie mit ihrem ganzen Dasein und Sosein ablegen, also unvermeidlich und notwendig, und doch von wundersamer Freiheit erfüllt. Von Freiheit erfüllt, weil es aus Liebe hervorgeht, aus der liebenden Gemeinschaft mit Christus. Liebe hat ja immer das Wunder an sich, dass sie das Müssen und das Dürfen verbindet, den unwiderstehlichen Drang und den freiesten Willen.

So legen die Jünger Jesu Zeugnis für ihn ab, weil der Geist der Wahrheit, der Geist Jesu Christi, in ihnen ist. Denn wer die Wahrheit liebt, der muss auch Jesus lieben um der Wahrheit willen. Man kann auch umgekehrt sagen: Wer für Jesus Christus Zeugnis ablegt mit seinem ganzen Wesen und Sein, der ist es, der den Heiligen Geist in sich hat. Das ist das zweite Zeichen des Heiligen Geistes. Die Menschen, die so sind, dass man sie nur anzusehen braucht, um Jesu Christi inne zu werden, die so sind, dass man den Heiland, den Erbarmer, den Allerreinsten, den Gottverbundensten. den opfernden und geopferten Heiland zu sehen vermeint, die sind voll des Heiligen Geistes. Man braucht nichts anderes von ihnen zu wissen, welchen Beruf, welches Ansehen, welches Glück, welches Unglück, welches Reden, welches Schweigen sie haben. Wenn das Bild Jesu aus ihren Augen, aus ihrem Wesen strahlt, aus ihrem Schweigen und aus ihrem Leiden, dann sind sie Kinder des Heiligen Geistes. Vielleicht wissen die Zeugnisgebenden nicht einmal viel von Jesus zu sagen. Auch hier gilt das Wort des Herrn: „Nicht wer zu mir sagt: ,Herr, Herr!’ wird in das Himmelreich eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der im Himmel ist.“

Nur die, die von Anfang an bei ihm sind, die mit ihm verbunden sind, die mit ihm eins sind, die eines Herzens und eines Sinnes mit ihm sind, die bei ihm sind bei ihrem Beten und auch bei ihrem Nichtbeten, bei ihrer Weltlichkeit, bei ihrem Beruf, in ihrer Alltäglichkeit, die bei ihm sind mit ihren geheimsten Gesinnungen und ihren letzten Absichten, die bei ihm sind aus innerer Verwandtschaft, nicht aus Blutsverwandtschaft, sondern aus Geistesverwandtschaft, diese da, „die den Willen meines Vaters tun, die sind mir Mutter, Bruder und Schwester“. Die bei ihm sind, wenn er am Ölberg liegt und zu seinem Vater ruft: „Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine.“ Die bei ihm sind, wenn er den Kelch nimmt, den Todeskelch: „Soll ich den Kelch nicht trinken, den der Vater mir reicht?“ Die bei ihm sind, wenn er hinausgeht vor das Tor als ein Geächteter, als ein Ausgestoßener, die so bei ihm sind, die geben Zeugnis von ihm. Die sind es also, die den Heiligen Geist haben.

Aber da liegt nun eine merkwürdige Tragik, ein seltsames Geheimnis über diesem Zeugnisgeben. Obwohl es von so stiller, so feiner, so gütiger Art sein soll, weckt es doch ein endloses Leid auf, körperliches und seelisches Leid, ein Leid, das immer über der Gemeinschaft der Christen liegt. „Sie werden euch ausstoßen aus den Synagogen. Sie werden euch töten“, sagt Jesus. Das ist der unbegreifliche Widerstand, der von Anfang an die Jünger Jesu bedrängt hat und bis heute bedrängt, auch dann und gerade dann, wenn sie niemandem etwas zuleide getan haben, bloß weil sie anders sind als die anderen, weil sie eines anderen Geistes sind. Sie mögen die besten, die gütigsten, die hilfreichsten, die sanftmütigsten Menschen sein, die besten Menschenfreunde, liebenswürdig und wohltuend wie jener heilige Bischof Polykarp von Smyrna oder wie jene gütige Fürsten auf der Wartburg oder wie der sanfte Bruder Franziskus. Warum konnte man sie nicht in Ruhe lassen? Warum ließ man sie nicht ihren stillen Weg gehen, nicht so beten, so denken, so Gutes tun, wie sie wollten und wie sie mußten aus innerer Notwendigkeit heraus? Dieses seltsame Geheimnis wird noch unbegreiflicher, wenn man die Verfolger betrachtet. Gewiß, das sind oft Bösewichter, ausgemachte Bösewichter, haßerfüllte Menschen, die Jesus und alle, die sich zu Jesus bekennen, verfolgen. Aber nicht immer. Auch die Verfolger sind manchmal gutmeinende Menschen, die sogar Gott noch einen Dienst zu tun meinen, wenn sie die Zeugen des Geistes überfallen, morden und hinter Schloß und Riegel bringen. Das ist ein wirklich erschütterndes Geheimnis, an dem man irrewerden könnte, irre an dem Geist Jesu Christi selbst. Ist er vielleicht selbst etwas Unmögliches, Weltfeindliches, Lebensfeindliches, das schon durch sein bloßes Dasein verderblich wirkt und darum aufreizt? Jesus hat diese verzagten Gedanken im voraus empfunden, und er hat diese Versuchung zum Ärgernisnehmen gefühlt. Deswegen verkündet er auch im Voraus seinen Jüngern: „Das habe ich euch sagt, damit ihr nicht irre werdet, damit ihr nicht, wenn es geschieht, den Glauben verliert, damit ihr daran denkt, dass ich es euch gesagt habe, wenn es einmal soweit ist. Laßt euch nicht irremachen“, sagt er, „denkt daran, laßt euch nicht abdrängen von eurem Wege. Es ist der Weg des Heiligen Geistes.“

Damit ist das dritte Kennzeichen des Geistes gegeben, eines der leichtesten und eines der wichtigsten, an dem man mit unfehlbarer Sicherheit die Geister unterscheiden kann, die in uns und in der Welt walten. Dort, wo Zwang, Drohung, Haß, Vernichtungswille herrscht, dort ist nicht der Geist Gottes. Da, wo man in einer geheimnisvollen Tragik um Gottes willen, um des Guten willen, um des Gewissens willen leiden muss und zu leiden bereit ist, dort ist der Geist Christi, dort ist er auf der Seite der Geopferten.

Darum kann auch das Zeugnisgeben der Jünger nicht auf irgendeiner Gewalt, einem Zwang, einer Furchterregung beruhen. Das alles wäre nicht vom Heiligen Geist. Das haben die beiden Söhne des Zebedäus erfahren. Als die Städte in Samaria Jesus nicht aufnahmen, da fragten sie den Herrn; „Sollen wir Feuer vom Himmel rufen, dass es diese Städte vernichte?“ Der Herr gab ihnen zur Antwort: „Ihr wißt nicht, welchen Geistes ihr seid.“ Er lehnt es ab. Er lehnt es ab, Feuer auf die Städte, auf die ungläubigen Städte herabzurufen.

Ich weiß nicht, meine lieben Freunde, ob Sie schon manchmal – wie ich – die Versuchung gespürt haben, zu wünschen oder gar zu erbitten, dass Gott seine Feinde und die Feinde der Kirche zerschmettere. Mit ohnmächtiger Wut sehen wir, wie böse Menschen die heilige Religion unterdrücken, behindern, ihre Lehre unterbinden, wie sie das Laster fördern. Da kann der Wunsch in uns hochkommen: Ach, wenn doch Gott eingreifen und die Bösewichter ausrotten möchte! Aber nein, nicht um das Verderben, nicht um das Verderben unserer Feinde dürfen wir und wollen wir bitten, sondern um ihre Bekehrung. Gott wird mehr verherrlicht durch die Umkehr des Saulus als durch den Selbstmord des Judas.

Eigentlich ist dieses schuldlose Leiden selbstverständlich; denn der Geist ist eben nicht Körper und nicht den Gesetzen der Körperwelt unterworfen. Körper können ja nur durch Stoß und Druck sich widereinander behaupten, sie müssen einander den Platz streitig machen. Im Physikunterricht habe ich gelernt: Wo ein Körper ist, kann ein anderer nicht sein. Der Geist aber will nichts verdrängen, sondern will umgekehrt ins Dasein einführen. Er will schaffen, er will aufbauen. Er kann also nur durch Bejahung und durch Geltenlassen etwas ausrichten, nur durch Vertrauen und Liebe.

Das ist also das Kennzeichen des Geistes, wo man Gutes tut denen, die da hassen, wo man betet für die Verfolger und Verleumder. Dort kennt man Gott, der ein Vater ist, und den Sohn, der ein Kind geworden ist, und den Gott, der ein Heiliger Geist ist, lebendigmachender und schöpferischer Geist. So ist es, und so bleibt es für und für bis in alle Ewigkeit.

Amen.

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