Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 2018

Heute ist euch der Heiland geboren

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Menschwerdung unseres Gottes und Heilandes Versammelte!

„Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ In diesem Satz ist alles ausgesagt, was man über Weihnachten aussagen kann. Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren (der Retter, der Erlöser), welcher ist Christus (das ist der Messias), der Herr (das ist Gott). So lautet die Botschaft der Weihnacht, und anders kann sie überhaupt nicht ausgerichtet werden. Gott ist ein Mensch geworden. Er blieb, was er war, denn er ist unwandelbar, aber er nahm an, was er nicht hatte: eine menschliche Natur. Das ist die Botschaft der Weihnacht, und keine andere kann an ihre Stelle treten. Der Gottessohn ist in einer wahren menschlichen Natur erschienen. Mit der Leibhaftigkeit ist die Zeitlichkeit und die Geschichtlichkeit des menschgewordenen LOGOS gegeben. Der Satz: Gott ist ein Mensch geworden, bedeutet: er ist geschichtshaft, er ist zeithaft geworden, er ist eingetreten in unsere vergängliche Welt. Christus ist keine zeitlose Idee. Im Jetzt einer bestimmten Stunde ist der Gottessohn gekommen. Jetzt entscheidet sich alles an ihm. Jetzt ist das Licht gekommen, das Rettung und Gericht bringt. Die Offenbarung Gottes geschieht nicht im zeitlosen Immer, sondern zu der von Ewigkeit her festgesetzten Stunde – nicht vorher und nicht nachher. Wer sie versäumt, verpasst die Heimsuchung Gottes. Über seinem Leben steht das Zu-spät der Verzweiflung.

Das Leben Christi erschöpft sich nicht in seinem geschichtlichen Verlauf. Es kommt aus einem Hintergrund, der angefüllt ist mit Gottes Herrlichkeit. Wer Christus recht verstehen will, muss beides zusammen sehen: die Hinfälligkeit des Menschen und die Herrlichkeit Gottes. Aus Gottes Fülle ist er gekommen; in sie ist er wieder eingegangen. Sie war auch in dem Fleischgewordenen gegenwärtig, wenn auch verborgen. Aber hin und wieder zuckte sie auf wie ein Blitz, und alle erkannten: „Was ist denn das für einer“, so sagten die Menschen bei einer seiner Wundertaten, „dass ihm sogar der Wind und die Wellen gehorchen?“ So geräumig ist dieses Leben, dass darin die Hinfälligkeit der menschlichen Natur und die Lebensfülle Gottes Platz haben. Christus ist nicht ein mythisches himmlisches Lichtwesen. Der jetzt im Zustand der Erhöhung existiert, ist derselbe wie jener, den eine irdische Mutter geboren hat. Die geschichtliche Wirklichkeit Christi erfährt ihre Krönung im Leiden, Sterben und Auferstehen. Auch in den Mythen ist vom Sterben und Auferstehen die Rede. Aber damit ist nichts anderes gemeint als der immerwährende Kreislauf der Natur: Frühling, Herbst, Winter, Sommer. Christi Tod und Auferstehung hat nichts zu tun mit der Symbolisierung von Naturvorgängen, sondern ist ein einmaliges, unwiederholbares Ereignis der Geschichte. Ein geschichtliches Ereignis erhebt den Anspruch, die Mitte der Geschichte zu sein. Christus ist ein Kind wie jedes andere. Er wurde in Windeln gehüllt und in eine Krippe gelegt, weil in der Herberge kein Platz war. Die Erde hat für alles Platz: für Preisboxer und Schönheitsköniginnen, aber für den König des Weltalls hat sie keinen Platz! Die Jahre seiner Jugend verliefen ohne auffallende Begleiterscheinungen wie bei einem anderen Kind, ganz im Gegensatz zu den mythischen und legendären Heilandsgestalten der Antike, die von Menschen erfunden sind. Christus war ein Mensch, der hungerte und dürstete, der ermüdete und schlief, der zürnte und staunte, litt und trauerte, der kämpfte und liebte, dessen Leben sich in den Urweisen jedes menschlichen Lebens vollzog. Er ist hineingespannt in den Ablauf der menschlichen Geschichte. Die Geschichtlichkeit Christi wird noch besonders betont durch die Aufzählung von Namen, die nicht in die Heilsgeschichte hineingehören: Kaiser Augustus, Quirinius (Statthalter von Syrien), Pontius Pilatus (Prokurator von Judäa).

Der Verlauf dieses Lebens hat seinen genauen Stundenschlag; er war ihm vom Vater vorgegeben. Über allen Phasen dieses Lebens waltet das Müssen des göttlichen Willens. Er ist ein Mensch, der in Gottes Heilsplan eingeschlossen ist. Es ist in Gottes Plan beschlossen, dass Jesus einkehren muss im Hause des Zachäus, des Oberzöllners, auch wenn er dadurch Ärgernis erregt. Es ist in Gottes Plan beschlossen, dass er Kapharnaum verlassen muss, denn er ist gesandt, die Freudenbotschaft in allen Städten Galiläas zu verkünden. Als die Pharisäer ihn veranlassen wollen, aus dem Machtbereich des Herodes Antipas wegzuziehen, betont Christus den geschichtshaften Verlauf seines Wirkens: „Geht und sagt diesem Fuchs (dieser Fuchs ist sein Landesherr): Ich treibe Dämonen aus und vollbringe Heilungen heute und morgen, und erst am dritten Tag bin ich fertig. Doch heute noch, morgen und am nächsten Tag muss ich wandern; es geht ja nicht an, dass ein Prophet außerhalb von Jerusalem zugrunde geht.“ Das Leiden kommt über ihn, wenn die von Gott bestimmte Stunde schlägt – nicht vorher und nicht nachher. Bevor diese Stunde kam, konnte ihm trotz des glühenden Hasses, der ihm entgegenschlug, keiner etwas anhaben. Als er aber im Ölgarten zu Jerusalem gefangengenommen wurde, war die Stunde da. Und so sprach er zu seinen Häschern: „Das ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.“

Was von Christus erzählt wird sind nicht Legenden, sondern gottgewirkte Geschehnisse, die sich in einer bestimmten und bestimmt angebbaren Zeit zugetragen haben. Ja, er steht so klar und bedeutungsvoll in der Geschichte, dass die Zeiten vor ihm auf ihn hin geprägt sind und die Zeiten nach seiner Geburt auf ihn zurückblicken. Sie sind immer zur Entscheidung für oder gegen ihn aufgerufen. In ihm hat die Geschichte ihren Mittelpunkt.

Die menschliche Natur Christi ist Voraussetzung für sein Mittlertum. In ihr (in der menschlichen Natur) ist er der Hohepriester, der für uns opfert, der Weg, der uns zum Vater führt. Durch ihn, den Menschgewordenen, haben wir Friede und Versöhnung mit Gott, dem Vater. Durch ihn beten wir, danken wir, loben wir. In ihm ergreift der Gläubige das Leben, das den Tod vernichtet. Wir können es in ihm ergreifen, weil es in der menschlichen Natur gegenwärtig ist. Der Mensch Jesus ist durch die Wesensverbundenheit mit der Gottheit unser Mittler, unser Erlöser, unser Heiland geworden. Nicht der Aufstieg des Menschen zu Gott ist das Wunderbare, sondern das Herabsteigen Gottes zu den Menschen, das ist das Wunder der Weihnacht.

Christus lebte in einem streng umschlossenen Raum und in einer genau begrenzten Zeit. Er ist also in das Dort und Damals eingefangen. Da erhebt sich die Frage: Wie ist dann für die Jahrhunderte und Jahrtausende nach ihm Geborenen jene personale Begegnung möglich, die der lebendige Glaube bedeutet? Wie ist jene Lebensgemeinschaft möglich, ohne die der Glaube zu einem bloßen Erkenntnisvorgang wird? Die Antwort lautet: Es gibt ein Insein in Christus, ein Sein Christi in uns. Der geschichtliche Jesus lebt als erhöhter Herr in himmlischer Daseinsform weiter. Er ist in den sakramentalen Geschehnissen wirksam. Das ist seine heutige Gegenwart: in den sakramentalen Geschehnissen. Darin ist die Möglichkeit einer ständigen Begegnung mit ihm gegeben. Die Sakramente sind die von Christus gestifteten Vorgänge, in denen Tod und Auferstehung Christi wirksam, ja in gewisser Hinsicht gegenwärtig wird. Durch sie wird die Enge des Geschichtlichen gesprengt. Wer die Sakramente empfängt, gerät unter die Wirkmacht des Todes und der Auferstehung des Herrn. Das Leben der Gläubigen ist daher ein Mitsein und Mitleben mit dem verklärten Christus. Die menschliche Natur hat Christus angenommen, damit sie werkzeughaft all das verrichtet, was lediglich Gottes eigene Verrichtungen sind, also etwa Vergebung der Sünden, Erleuchtung der Gemüter, Hinführen zur Vollkommenheit des ewigen Lebens.

Wir stehen heute, meine lieben Freunde, vor der Krippe in Bethlehem und betrachten das eben zur Welt gekommene Kind. Es unterscheidet sich äußerlich in nichts von den anderen neugeborenen Kindern. Darin zeigt sich die Redlichkeit der Berichterstattung der Evangelisten. Sie haben nichts erfunden, um die Einzigartigkeit und Besonderheit dieses Kindes herauszustellen. Aber wartet nur, wartet nur, bis er heranwächst und hört auf das, was er sagt, was er von sich selbst sagt: „Ich bin das Licht“, „Ich bin als Licht in die Welt gekommen“, „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, „Niemand kommt zum Vater als durch mich“, „Ich bin nicht allein, denn mit mir ist der Vater, der mich gesandt hat“, „Wer mich sieht, der sieht den Vater“, „Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen, ich verlasse wieder die Welt und gehe zum Vater.“ Der Mensch Jesus von Nazareth ist Gottes Sohn. Es ist metaphysischer, nicht moralischer Sohn Gottes. Metaphysisch heißt: Er ist der jenseits aller möglichen Erfahrung lebende, der vom Vater ausgegangene und dem Vater wesensgleiches Gottessohn. Er ist der eingeborene, der einziggeborene Sohn des himmlischen Vaters. Wenn Christus sich selbst den Sohn nennt und von seinen Jüngern als Sohn verehrt wird, so ist der Begriff „Sohn“ in analogem Sinne zu verstehen. Er bedeutet nicht, dass es in Gott eine geschlechtliche Differenzierung gäbe. Nein, der von Christus verkündete Gott steht – im Unterschied zu den mythischen Göttern – jenseits aller geschlechtlichen Bestimmtheit. Durch das Wort Sohn wird vielmehr in einer analogen Weise von ihm ausgesagt, dass er sein Gottsein, das göttliche Leben, Erkennen und Wollen Gott verdankt. Er tritt mit jenem herrscherlichen Anspruch auf, mit dem nur Gott selbst auftreten kann. Er spricht von seinem Vater wie sonst niemand. „Wer in den Himmel eingehen will, der muss den Willen meines Vaters tun.“ „Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen.“ „Wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist mir Bruder, Schwester, Mutter.“ Nie fasst er sich und die anderen Menschen Gott gegenüber zu einem einzigen Wir zusammen. Er sagt immer: mein Gott und euer Gott, denn er steht in einer anderen Beziehung zu Gott als die Menschen um ihn herum. Seine Stellung zu Gott ist anders als die aller übrigen. Er ist Gottes einziger geliebter Sohn, er ist der Sohn. Ihm ist Gott, was einem anderen Vater und Mutter ist. Weil er Gottes Sohn ist, ist er der Herr des alttestamentlichen Gesetzes. Er setzt es in eigener Vollmacht außer Kraft. „Den Alten ist gesagt worden…, ich aber sage euch…“ Im feierlichen Gleichmaß dieser Redeweise leuchtet das Bewusstsein auf, dass er nicht nur der von Gott Bevollmächtigte ist, nicht nur sein Sachwalter – wie Hans Küng meint –, sondern dass er der Herr selber ist, der Verfügungsgewalt hat über die von ihm geschaffenen Dinge und Einrichtungen. Er ist mehr als Jonas, mehr als Salomon, mehr als der Tempel, ja, er ist der Herr seines Stammvaters David. Nun wird der tiefste Grund sichtbar, warum er Gewalt hat über den Sabbat, den Gott doch eingesetzt hat. Er hat die Gewalt, Sünden zu vergeben, die Gottesferne im Menschen zu vernichten. In göttlicher Vollmacht sendet er seine Jünger aus. Er kann ihnen verheißen, dass er immer bei ihnen bleiben wird. Die Seinigen können sich auf seine Verheißung verlassen. Seinen Worten kommt ewige Geltung zu. Weil Christus Sohn Gottes ist, darum sind alle seine Verheißungen, Verfügungen und Drohungen rechtmäßig. Er ist zuständig für alle Angelegenheiten des Heiles. Er ist das Ich, an dem sich alle Wege und Zeiten, alle Geister und Schicksale scheiden, um das sich alle Liebhaber Gottes sammeln, gegen den bis zum Ende der Wege Gottes der Satan kämpft, um dessen willen Gutes getan und Gute verfolgt werden, für den gelebt und gestorben wird. Der Geburtstag des Messias, der als Gottmensch die Pfade Palästinas betrat, ist das alles entscheidende Ereignis der Weltgeschichte. Darüber hinaus kann nichts geschehen. Die noch ausstehende Wiederkunft des Herrn ist lediglich die Bestätigung und der Abschluss seines Erscheinens auf dieser Welt. Darum, meine lieben Freunde, meine lieben Christen, freuet Euch! Denn heute ist Euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr. Er liegt im Futtertrog der Tiere, aber Engel preisen sein Kommen. Er wird von einer irdischen Mutter geboren, doch er ist der Erlöser der Welt. Ihm huldigen arme Schafhirten, und doch sind ihm untertan alle Könige der Erde. Möchten wir doch von der Krippe weggehen mit dem Bewusstsein: Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.

Amen.

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