Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. Februar 2018

Jesu Stellung zum Leiden

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im Evangelium der heutigen Messe haben wir eben gehört, wie Jesus dem Zwölferkreis der Jünger sein Leiden ankündigt. Er selbst hat es angenommen, weil es der Wille des Vaters war. Durch sein Leiden hat er die ganze Welt erlöst. Das Leiden Jesu lässt uns die Frage stellen, wie Jesus sich überhaupt zum Leiden gestellt hat, zum Leiden, dieser uralten Frage und dieser uralten Not der Menschheit. Die grundsätzliche Antwort lautet: Jesus hat das Leiden weder geleugnet noch weggedeutet. Seine Wunderheilungen waren ja ein Kampf gegen das Leiden. Aber es war nicht seine Sendung, das Elend überhaupt zu beseitigen. Die soziale Frage, eine Hauptquelle der Leiden in dieser Welt, hat er gar nicht berührt. Auch die politischen Leiden ließ er beiseite. Er war nicht gekommen, sein Volk vom Joch der römischen Herrschaft zu befreien. Als eine Ursache von Leiden nennt Jesus die Macht Satans, des Fürsten dieser Welt. Die Besessenheit und die mit ihr verbundenen Zustände, aber auch die Krankheit einer gekrümmten, verkrümmten Frau sind vom Satan verursacht. Als Jesus diese verkrümmte Frau sah, sagte er zu ihr: „Frau, du sollst von deiner Krankheit erlöst sein.“ Dann legte er ihr die Hände auf, und sie richtete sich auf und war befreit. Man machte ihm Vorwürfe, denn er hatte am Sabbat geheilt. Der Sabbat sollte nicht, nach der Meinung der Pharisäer, zum Heilen gebraucht werden. Jesus antwortete: „Jeder von euch bindet am Sabbat seinen Esel oder seinen Ochsen los und führt ihn an die Tränke. Und diese Tochter Abrahams, die der Satan achtzehn Jahre lang gebunden hatte, sollte nicht am Sabbat von ihrer Fessel befreit werden können?“ Der zweite Grund für die Leiden sind die Gerechtigkeit und die Allmacht Gottes. Jesus leugnet nicht, dass Leiden von Gott verordnete Strafe sein kann. Das furchtbare Schicksal Jerusalems, das er voraussagt, ist ein göttliches Strafgericht dafür, dass die Juden ihn als ihren Messias ablehnen. Als Jesus zum letzten Mal in die jüdische Hauptstadt kam, weinte er über die Stadt. Er sagte ihr Einschließung, Erstürmung und Zerstörung voraus, weil sie die Stunde der Heimsuchung nicht erkannte. Auch das Heiligtum wird nicht verschont werden. Als Jesus aus dem Tempel hinausging, da machte ihn einer seiner Jünger aufmerksam: „Meister, sieh, was für Steinblöcke und was für Bauten!“ Jesus entgegnete ihm: „Siehst du diese mächtigen Bauten? Kein Stein wird auf dem anderen bleiben, der nicht niedergerissen wird.“ Die Zeit der Verwüstung Jerusalems sind nach Jesus die Tage der Vergeltung, da alles erfüllt wird, was geschrieben steht: „Es wird ein Zorngericht über dieses Volk kommen.“ Auch an anderen Orten, die Jesus nicht angenommen haben, wird sich dieses Gericht, wird sich diese Bestrafung vollziehen. „Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Bethsaida! Wenn in Tyrus und Sidon, diesen Lasterstädten, die Wunder geschehen wären, die bei euch geschehen sind, sie hätten längst in Sack und Asche Buße getan. Es wird am Tage des Gerichtes Tyrus und Sidon erträglicher ergehen als euch. Und du, Karpharnaum, bist du nicht bis zum Himmel erhoben worden? Bis zur Hölle sollst du hinabgestoßen werden.“ Das ist die Strafe Gottes.

Aber eines lehnt Jesus ab. Er lehnt die herrschende pharisäische Meinung ab, dass alles Leiden Vergeltung für Schuld sei. Im Vorübergehen sah Jesus einen Mann, der von Geburt an blind war. Seine Jünger fragten ihn: „Wer hat gesündigt, er oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde?“ Jesus weist diese Meinung ab: „Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das ist geschehen, damit Gottes Werk an ihm offenbar werde.“ Einige brachten ihm die Kunde, dass Galiläer in Jerusalem an der Opferstätte getötet worden seien. Pilatus hat das Blut der Galiläer mit dem Blut der Tiere vermischt. Jesus entgegnete ihnen: „Meint ihr, dass diese Galiläer, weil sie dieses erlitten haben, größere Sünder waren als alle anderen Galiläer? Keineswegs. Sondern wenn ihr euch nicht bekehrt, wird es euch gleichfalls gehen. Oder meint ihr, die achtzehn Menschen, die erschlagen wurden, als der Turm in Siloe zu Boden stürzte, seien schuldiger gewesen als die anderen Bewohner Jerusalems? Keineswegs, sage ich euch. Wenn ihr euch nicht bekehrt, werdet ihr alle umkommen.“ Es gibt nach Jesu Lehre Leiden, das nicht verdient ist, das keine Vergeltung für Sünden und Verbrechen ist. Aber es kann nach Gottes Absicht dazu dienen, jene, die es erleben, aufzurütteln aus Trägheit und Gottvergessenheit. Leiden können äußere Gnaden Gottes sein.

Um Jesu Lehre vom Leiden zu verstehen, muss man von der Tatsache seines eigenen Leidens ausgehen. Sein ganzes messianisches Wirken war ja Leiden in vielfältiger Gestalt. Er hat weder Heimat noch Familie. Einmal kam einer zu ihm, der sagte: „Ich will dir folgen, wohin du gehst.“ Da antwortete ihm Jesus: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels haben Nester, aber der Menschensohn hat nicht, wohin er sein Haupt legen kann.“ Er durchzieht in aufreibender Wandertätigkeit die Dörfer und Städte Galiläas. Die Evangelisten berichten, dass er manchmal nicht mehr Zeit hatte, einen Bissen Brot zu essen, weil der Andrang an ihn so stark war. Er findet kein Verständnis beim Volk und selbst nicht bei seinen Jüngern. Er stößt auf den erbitterten Widerstand bei den Führern der Judenschaft. Das Ergebnis seiner messianischen Tätigkeit ist ein fast vollständiger Misserfolg. Das war sein tiefstes Leid, der heilige Schmerz, den ihm der steigende Widerspruch gegen seine einzigartige Autorität als der vom Vater gesandte Sohn und gegen sein Heilandswirken bereitete. „Jerusalem, Jerusalem, du mordest die Propheten und steinigst die zu dir gesandt sind. Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln, wie eine Henne ihre Küchlein sammelt unter ihre Flügel, aber ihr habt nicht gewollt.“ Das Ziel seines Lebens bildete sein Todesleiden. „An mir muss das Schriftwort erfüllt werden: ‚Er ist unter die Übeltäter gezählt worden‘. Denn was von mir handelt, muss sich jetzt vollenden.“ Jesus hat den stellvertretenden Sühnewert und die Gottgewolltheit seines Leidens wiederholt ausgesprochen. Er hat es in vollkommenem Gehorsam gegen den Willen des Vaters auf sich genommen, denn er ist der leidende Gottesknecht, wie ihn der Prophet Isaias vorausgesagt hatte.

Das Leiden gehört auch notwendig zum Leben der Jünger Jesu. Jüngerschaft ist Leidensnachfolge. Jüngerschaft verlangt, sich von den liebsten Menschen loszureißen. Einen forderte Jesus auf, ihm zu folgen. Der entgegnete: „Herr, gestatte mir erst, dass ich meinen Vater beerdige.“ Jesus entgegnete: „Folge mir nach. Lass die Toten ihre Toten begraben.“ Jesus ist gekommen, Unfrieden auf die Erde zu bringen, selbst die Familien zu zerreißen, weil er die Menschen zur Entscheidung für sich oder gegen sich aufruft und zwingt. Jüngerschaft heißt Verzicht auf Lebensgenuss, Ansehen und Geltung. „Wer groß sein will unter euch, der sei euer Diener. Und wer unter euch der Erste sein will, der sei der Knecht aller.“ Jüngerschaft fordert Selbstverleugnung im strengsten Sinne des Wortes. „Wenn einer mir nachfolgen will, dann verleugne er sich selbst.“ Selbstverleugnung heißt: das vermeiden, was man gern tun möchte, und das tun, was man gern meidet; das ist Selbstverleugnung. Um des Heiles willen muss man Auge, Hand und Fuß zu opfern bereit sein. Jüngerschaft hat Schmähung, Hass und Verfolgung, ja selbst den Tod im Gefolge. Wer Christus folgen will, der wird zu einem Zeichen, dem man widerspricht. „Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen.“ „Habt acht auf euch selbst, denn man wird euch dem Gericht überliefern, in den Synagogen auspeitschen, vor Statthalter und Könige stellen um meinetwillen zum Zeugnis für sie. Ihr werdet gehasst werden von allen um meines Namens willen.“ Nur wer sein Leben um Jesu willen verliert, wird es retten.

Der Grund für dieses Leiden der Jünger liegt zutiefst im Zustand dieser Welt. Ihr ist das Evangelium ein Ärgernis und eine Torheit. Die Menschen dieser Welt wollen das Leben nicht um Jesu willen verlieren, sie wollen es nutzen und behalten und genießen. Die meisten Menschen leben nach dem Grundsatz: Mach dir’s auf der Erde schön, kein Jenseits gibt’s, kein Wiedersehn. Sie halten sich die Ohren zu, wenn das Evangelium von der Entsagung und vom Kampf, vom Bekenntnis und von der Nachfolge verkündet, ja, sie wollen die Verkündiger dieser Wahrheit zum Schweigen bringen. Die Welt hasst Jesus und um seinetwillen auch seine Jünger und Anhänger, denn der Fürst dieser Welt ist ja der Satan. Die Welt hat Gott nicht erkannt. Deswegen hat sie kein Verständnis für die Verehrung Gottes und für den Dienst Gottes. Die Welt ist Finsternis. Sie hasst das Licht, weil das Licht ihre bösen Werke offenbar macht. Sie bringt die Träger des Lichtes um. Der Grund für dieses Leiden der Jünger liegt dann zutiefst auch im Willen Gottes. Das Kreuz, das die Jünger Jesus nachtragen müssen, ist nicht zufällig. Es ist notwendiges, zum Begriff der Jüngerschaft gehörendes Leiden. Die Nachfolge Christi, die Zugehörigkeit zu seiner Gemeinde bringt unweigerlich Leiden mit sich: einmal durch die erforderliche Selbstverleugnung und die Überwindung, sodann durch die Feindseligkeit der Welt. Aber das nicht durch eigene Schwäche und Unzulänglichkeit erzeugte Leiden bestätigt dem Christen seine Zugehörigkeit zu Christus. Es ist sogar Grund zur Freude, denn es ist das Zeichen der Erwählung. Diejenigen angeblichen Verkündiger des Evangeliums, die die Welt in Ruhe lässt, das sind jene, die sich nicht in die Gliedschaft der Kreuzträger einreihen wollen. Die Feindschaft gegen Christus zeigt sich in der Leidensfülle, welche den Anhängern Jesu zugefügt wird.

Das Leiden, das mit der Zugehörigkeit zu Christus verbunden ist, ist Grund zur Freude, denn es ist das Zeichen der Auserwählung. Darum preist Jesus die Verfolgten selig, und umgekehrt ruft er den Reichen, den Glücklichen und den Mächtigen ein „Wehe“ zu. Die Jünger Jesu haben diese Botschaft verstanden. Nach der Himmelfahrt Jesu wurden ja die Apostel verhaftet, vor den Hohen Rat geführt und es wurde ihnen verboten, im Namen Jesu zu sprechen, und dann wurden sie noch ausgepeitscht. Die Apostel gingen freudig, so heißt es in der Apostelgeschichte, sie gingen freudig vom Hohen Rate fort, weil sie gewürdigt worden waren, für den Namen Jesu Schmach zu leiden. Die Leiden, die für Jesus und um Jesu willen getragen werden, kommen der Kirche zugute. Sie erfüllen das Leidensmaß Christi und sie haben Nutzen für alle Anhänger des Herrn. Irdische Leiden zählen auch nicht gegenüber der künftigen Herrlichkeit. „Wir müssen mit Christus leiden“, sagt Paulus, „um mit ihm verherrlicht zu werden.“ Und Petrus sagt dasselbe. In seinem 1. Briefe schreibt er: „Freut euch, dass ihr an Christi Leiden teilhabt, damit ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit euch freuen und frohlocken könnt.“

Leiden sind oft ein Rätsel und ein Geheimnis. Die Menschen fragen: Warum trifft mich ein Leid? Sie fürchten das Leid und fliehen vor ihm, wenn es irgendwie möglich ist. Sie ersehnen ein leidfreies Leben. Aber das Leiden macht, nach der Lehre Jesu, das Leben nicht zu einem Übel und nicht wertlos. Das meinen die Buddhisten, aber nicht wir Christen. Das tiefste Unglück für den Menschen ist nicht das Leiden, sondern die Sünde. Sie ist es, die den Menschen wahrhaft unglücklich macht, weil sie von Gott trennt und ihm die ewige Seligkeit raubt. Gottes Wille hat das Leiden zum Mittel der Erlösung und zur Bedingung für das Eingehen in das ewige Leben gemacht; dadurch hat er ihm einen positiven Wert gegeben. Der Jünger hat nicht zu fragen, warum dies so ist. Es ist so, weil es der Wille des himmlischen Vaters ist. Eine Rechtfertigung Gottes wegen der Leiden, die die Jünger treffen, kennt das Evangelium nicht. Mit der Lehre vom gütigen und fürsorgenden Vater ist ohne weiteres gegeben, dass alles Leiden, das den Menschen trifft, sinnvoll und gut ist, d.h. das Leiden hat aufgehört, ein Übel im eigentlichen Sinne zu sein. Der Christ hat die Möglichkeit, dem zu seinem Leben gehörenden Leiden einen Sinn zu geben, indem er es annimmt, teils als Sühne für die eigenen Fehler und Sünden, teils als Prüfung seines Glaubens, teils als Anteil am erlösenden Leiden Christi. Diesen Zusammenhang haben die Heiligen begriffen, meine lieben Freunde. Theresia von Lisieux, die ja jahrelang an Tuberkulose gelitten hat, sagte: „Das Reich Gottes in den Seelen wird weit mehr durch Leiden befestigt als durch die glänzendsten Predigten.“ Das Leiden ist ein Christusmal an der christlichen Seele, ein Segen über Auserwählte, nicht ein Fluch für Verstoßene. Das Leiden ist selig geworden, weil es geliebt wurde. Gott ist nicht gekommen, das Leid zu beseitigen. Er ist auch nicht gekommen, es zu erklären. Er ist gekommen, um das Leid mit seiner Gegenwart zu erfüllen.

Amen.

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