Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Dezember 2017

Wer ist Jesus?

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Den Abgesandten, die Johannes den Täufer aufsuchten, wer er sei, gab dieser zu verstehen: „Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt.“ Er selber kannte ihn. „Das ist das Lamm Gottes“, sagte er, „das hinwegnimmt die Sünden der Welt. Das ist der, der mit heiligem Geist tauft.“ Er kannte ihn. Er wusste um seine Hoheit: „Ich bin nicht würdig, ihm die Schuhriemen zu lösen.“ Ich fürchte, dass Johannes, wenn er wiederkäme, zu vielen, die den christlichen Namen tragen, ebenfalls sagen müsste: Unter euch steht einer, den ihr nicht kennt. Viele, allzu viele haben sich von Jesus, dem Messias und LOGOS Gottes, entfernt. Und deswegen, meine lieben Freunde, wollen wir heute fragen: Wer ist Jesus Christus? Wir sagen, erstens, Christus ist der eingeborene, der einzig geborene, dem himmlischen Vater wesensgleiche Gottessohn. Gemeint ist nicht die moralische Gotteskindschaft, die darin besteht, dass man eben ein lebendiges Bewusstsein von Gott hat, nein, gemeint ist die metaphysische Gotteskindschaft, die seinshafte, aufgrund deren Jesus Christus das eine Gotteswesen besitzt, das dem himmlischen Vater eigen ist, durch das er Gott ist. Schon am Ende des 1. Jahrhunderts traten Irrlehrer auf, die Jesu Gottheit leugneten, andere folgten ihnen. Und der heilige Augustinus musste im 4. Jahrhundert klagen: „Wir wollen denen keinen Glauben schenken, die behaupten, Christus sei nichts anderes als ein Mensch, allerdings als ein besonders gerechter, sodass er würdig sei, Sohn Gottes genannt zu werden. Die solches lehren, duldet die katholische Kirche nicht in ihrer Mitte.“ Sie kann sie nicht dulden, weil sie ihrem Herrn und Gründer treu bleiben will. Die Leugnung des göttlichen Wesens Jesu ist weitergegangen bis zu vielen protestantischen Theologen unserer Tage. Sie sagen, die Gottessohnschaft Jesu ist eine Entlehnung aus dem Mythos der heidnischen Umwelt ohne Wahrheitsgehalt. Nicht die Gottheit Christi, so sagen sie, sei der Grund des Glaubens gewesen, sondern der Glaube habe die Ansicht von der Gottheit Christi erzeugt. Ich zitiere den bekanntesten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts, er schreibt: „Die Formel ‚Christus ist Gott‘ ist falsch in jedem Sinne, in dem Gott als eine objektivierbare Größe verstanden wird.“ Jesus ist, nach ihm, zu verstehen als das Ereignis des Handelns Gottes – Jesus also ein Geschehnis, nicht Gott, sondern ein Geschehnis Gottes. Hier wird die Psychologie an die Stelle der Ontologie gesetzt. Der christliche Glaube lautet anders. In Christus ist eine göttliche Person, nämlich die Person des göttlichen Wortes, des LOGOS, und in ihm sind zwei Naturen: eine göttliche und eine menschliche. Dies ist die rechtgläubige Lehre von Jesus Christus. Der katholische Katechismus für das Bistum Mainz vom Jahre 1926 – also unzweifelhaft rechtgläubig – erklärte: „Wer nicht glaubt, dass Jesus Christus wahrer Gott ist, hat keinen Anspruch auf den Namen eines Christen.“ Richtig so. Wer von Christus redet, ohne seine Gottheit und seine Wesensgleichheit mit dem Vater auszusprechen, der hat um ihn herumgeredet. Dass Jesus, der Zimmermann von Nazareth, sich Gott gleichstelle, warfen ihm seine Feinde vor. Er ließ diesen Vorwurf auf sich beruhen; es war der gerechteste, der ihm je gemacht wurde. Das Zeugnis der Heiligen Schrift ist eindeutig. Jesus bekennt von sich: „Ich und der Vater sind eins. Wer mich sieht, der sieht den Vater. Ehe Abraham ward, bin ich.“ Und der Evangelist Johannes beschreibt diese Wirklichkeit Jesu mit den Worten: „Im Anfang (im Anfang aller Anfänge) war das Wort, der LOGOS (das Wort Gottes), und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“ „Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und Gott bleibt in ihm.“ Dass Jesus wahrer Gott ist, zwingt zu Folgerungen. Erstens: Seine Autorität ist göttlicher Art, sie ist die höchste, unbedingte, unüberbietbare. Jesus ist nicht deswegen eine Autorität, weil er Richtiges gesagt hat, sondern weil er mit dem Munde Gottes spricht. Zweitens: Die von ihm gestiftete Religion ist die einzige gottgewollte, von Gott begründete. In ihr sind alle Menschen ohne Ausnahme zu sammeln. Drittens: Das Christentum hat von allen Anfängen an neben dem Glauben an Gott, den Vater, auch die Anbetung Christi als die völlig natürliche Form der christlichen Religion betrachtet. Ich empfehle Ihnen, meine lieben Freunde, in dieser adventlichen Zeit: Beten Sie die Litanei vom heiligsten Namen Jesu – im Gesangbuch Seite 781. In dieser Litanei wird wie in keiner anderen die wahre Natur Christi ausgesprochen. „Jesus, du unser Gott“, heißt es dort.

Wer ist Jesus? Wer ist der Christus? Der Gottessohn ist in einer wahren menschlichen Natur erschienen. Mit der Leibhaftigkeit ist die Zeitlichkeit und die Geschichtshaftigkeit Jesu gegeben. Gott ist zeithaft und geschichtshaft geworden. Die Menschwerdung besagt, dass eine bestimmte menschliche Natur mit dem LOGOS (mit der zweiten Person in Gott) so geeint ist, dass sie selbst nicht mehr einen menschlichen Selbststand hat. Ihr Selbststand ist in der Person des Wortes Gottes. Das sagt der heilige Paulus in dem Briefe an die Philipper, den wir ja heute gehört haben: „Er entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an, wurde dem Menschen gleich und als wahrer Mensch erfunden.“ Er, der allen Nahrung gibt, hungerte, er, der allen Trunk geschaffen hat, dürstete. Auf seiner Erdenwanderung ward müde, der sich selbst als den Weg zum Himmel bezeichnet. Er machte jede Altersstufe durch. Ich habe einmal einen schönen Aufsatz gelesen mit dem Titel: „Gott war ein Junge.“ Tatsächlich, so war es. Er machte jede Altersstufe durch, um für alle die Gemeinschaft mit Gott wiederherzustellen. Christus – und dass ist das entscheidende – hat die Erlösung in menschlicher Natur bewirkt. Die menschliche Natur war das Werkzeug seiner Erlösung. Ohne die menschliche Natur wären wir nicht erlöst worden. Sie ist die Voraussetzung für sein Mittlertum. In ihr ist er der Hohepriester, der für uns opfert. Durch ihn haben wir Friede und Versöhnung mit Gott, dem Vater. Klassisch ist geworden, was der heilige Anselm von Canterbury über die Erlösungstat Jesu geäußert hat: „Eine vollgültige Genugtuung konnte nur Gott leisten. Leisten durfte sie aber nur ein Mensch, so musste sie ein Gottmensch leisten.“ Und dem an die Seite zu stellen ist das, was der heilige Papst Leo der Große geschrieben hat: „Wäre er nicht wahrer Gott, so brächte er keine Erlösung. Wäre er nicht wahrer Mensch, so böte er kein Beispiel.“

Wer ist Jesus Christus? Die Volksscharen bezeichneten ihn als Propheten: „Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden, und Gott hat sein Volk heimgesucht.“ Nicht falsch. Jesus ist ein Prophet, aber er ist nicht bloß ein Prophet, er ist mehr als ein Prophet, er ist der Herr der Propheten. Frühere Zeiten erhielten Propheten, die von Gottes Wort erfüllt waren. Wir dürfen als Propheten das Wort Gottes selbst entgegennehmen. Christus, der Prophet, ist der göttliche Prophet über allen irdischen Propheten.

Wer ist Jesus Christus? Seit seiner Menschwerdung ist er der wahre und einzige Priester des Neuen Bundes. „Christus erschien als Hoherpriester“, schreibt der Hebräerbrief,  „Christus erschien als Hoherpriester der zukünftigen Güter und ging durch das höhere und vollkommenere Zelt, und nicht durch das Blut von Böcken und Stieren, sondern durch sein eigenes Blut ein für allemal ein in das Allerheiligste. Nach seiner Vollendung wurde er für alle, die ihm gehorchen, Urheber ewigen Heiles, bezeichnet von Gott als Hoherpriester nach der Ordnung des Melchisedech.“ Christus war Priester, weil er ein Opfer vollbrachte, das Opfer seiner Gesinnung im Gehorsam und das Opfer seines Leibes im Kreuzestod. Er ist der Priester des Kreuzesopfers. Ein solcher Hoherpriester ziemte uns, meine lieben Freunde, der da heilig, unschuldig, nicht aus der Zahl der Sünder, sondern über die Himmel erhaben ist. Der nicht wie der irdische Hohepriester jeden Tag nötig hat, für seine eigenen Sünden Opfer darzubringen und dann erst für die Sünden des Volkes, nein, das hat er ein für allemal getan, da er sich selbst zum Opfer darbrachte. Christus hat durch die freiwillige Hingabe seines Lebens am Kreuze ein wahres und eigentliches Opfer dargebracht und dadurch die gefallene Menschheit mit Gott ausgesöhnt.

Wer ist Christus? Christus ist der Bevollmächtigte, der Amtsträger Gottes in der Geschichte, er ist der König im Reiche Gottes, kein Schattenkönig, ein wirklicher König. Er ist König in einem wahren und eigentlichen Sinne. Aber sein Königtum ist anders als jedes sonstige Königtum. Es ist ein Königtum der sich opfernden Liebe. In Christus ist tatsächlich die Königsherrschaft Gottes angebrochen. Als ihn die Gegner verleumden, er treibe durch Beelzebul, den obersten der Teufel, die Teufel aus, da entgegnete Jesus: „Ich treibe sie durch den Finger Gottes aus, und wenn das so ist, dann ist ja die Königsherrschaft Gottes zu euch gekommen.“ Er ist der Offenbarer und der Vollstrecker der Königsherrschaft. Durch ihn vollzieht Gott sein Königtum. Christus weiß sich als den Stifter und Träger, als den Vollstrecker und die Erscheinung der Königsherrschaft Gottes. Ihm ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Daraus folgt, dass seine Herrschaft die höchste, unbedingte, unabhängige und umfassendste ist, die nicht ihresgleichen hat. Sie ist ihm gegeben im Himmel und auf Erden, d.h. Himmel und Erde sind ihm zum Gehorsam verpflichtet. Nicht mit dem Schwert, sondern mit dem Kreuz hat sich Christus den Erdkreis untertan gemacht. Alle Könige verlieren bei ihrem Tode ihre Macht, einzig Christus wird seit seinem Tode vom ganzen Erdkreis angebetet.

Wer ist Christus? Er ist der Sieger. Er ist der Sieger, weil er vorher der Kämpfer war. Er hat gekämpft gegen Satan, Sünde und Tod, und er kämpfte siegreich. Er hat sie überwunden, er konnte sie überwinden, weil er selbst von innen heraus lebendig war und heilig. An ihm herrschten keine Sünde und keine Todesverfallenheit. Der Kreuzestod Christi war der Sieg Christi über Satan, Sünde und Tod. Er ging hinein in das todverfallene Schicksal der Sünder, er stieg bis auf den Grund der vom Tod bestimmten menschlichen Gesellschaft hinab, um dieses Schicksal in einem schweren Ringen von der Tiefe her aufzuarbeiten und zu verwandeln. Das Kreuz ist vom Grauen der Sünde umwittert, unter dem die Menschheit litt. Aber Gott hat durch das Kreuz die gottfeindlichen Mächte entwaffnet, er hat seine Herrschaft aufgerichtet, und so ist das Kreuz zum Sieges- und Triumphzeichen geworden. Dass eine neue Zeit herankommt, bekundet sich am eindrucksvollsten in den Teufelsaustreibungen und Totenerweckungen Jesu. Die Zeit der Teufels- und Todesherrschaft geht zu Ende. Die Teufel spüren es, sie toben, wenn sie ihn sehen. „Wir wissen, wer du bist, du bist der Heilige Gottes.“ Aber dem Sohne Gottes muss auch der Fürst dieser Welt gehorchen. So kann er von sich sagen: „Ich sitze mit meinem Vater auf dem Throne.“

Wer ist Jesus Christus, meine lieben Freunde? Er ist der Richter. Ja, er ist das Gericht. Im Glauben an ihn und im Unglauben gegen ihn entscheidet sich Heil und Unheil. Ihm ist alles Gericht vom Vater übertragen. Bei seiner Wiederkunft wird er die Bösen verdammen, die Guten aber einführen in sein Reich. Wir alle müssen einmal vor dem Richterstuhl Christi erscheinen, damit ein jeder seinen Lohn empfange für das, was er in seinem Leben Gutes oder Böses getan hat. Er kam verborgen, um sich richten zulassen, er wird offen kommen, um selbst zu richten. Der Vater hat das ganze Gericht dem Sohn übertragen, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren.

Wer ist Jesus Christus? Meine lieben Freunde, Christus ist der Sieger, der Vollender, der Sinn der Geschichte. Über dem wildbewegten Meer des Hasses, der Lästerung, des Unglaubens wird er sich erheben als der, der da war, der ist und immer sein wird. In dem Sieg und Gericht über das Böse bringt Christus die Geschichte zu ihrer Vollendung. Er führt den neuen Himmel und die neue Erde herauf. Der Vater hat dem Sohne alles in die Hand gegeben. Er hat ihn zum Erben eingesetzt, wie er durch ihn die Welt erschaffen hat. Aus ihm und durch ihn und für ihn ist alles. Christus ist der Vollender auch des Glaubens. Er wird diejenigen, die nur im Schleier geglaubt haben – wir Armen – mit voller Klarheit beglücken und den Schleier von den Augen nehmen. Wir werden ihn sehen, wie er ist. „Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt.“ So sprach Johannes zu seinen Zeitgenossen. Das Wort ist heute genauso aktuell wie damals.

Die liberale Theologie (also die ungläubige Theologie) sieht in Jesus einen Menschen und nichts anderes. Er offenbart Gott, weil er ein gesteigertes Bewusstsein von Gott hat. Ich sage noch einmal: Hier wird Psychologie an die Stelle von Ontologie gesetzt, Bewusstsein an die Stelle von Sein. Dieser Jesus will nach der liberalen (also der ungläubigen) Theologie weder eine Religion begründen noch eine Kirche stiften. Er verkündet das Reich Gottes. Und worauf zielt diese Verkündigung? Auf die Entwicklung und Höherbildung des Menschen. Er ist gewissenmaßen ein Vorläufer des Bürgertums des 19. Jahrhunderts. Sein Kreuzestod ist nach der liberalen (also ungläubigen) Theologie das Ergebnis seines Gottesbewusstseins; nichts von blutiger Erlösung. So sieht Wesen und Leben Jesu aus, wenn Menschen einen Jesus sich zurechtmachen. Der biblische Christus ist von anderer Art. Wir müssen uns entscheiden: Entweder keinen Christus oder den apostolischen. Und das ist der Übermann der Gnade und des Lebens und der Ewigkeit.

Amen.

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