Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
31. Januar 2016

Der Apostel Paulus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Sonntag Sexagesima ist der Sonntag des Apostels Paulus. Wir haben eben die ausgiebige Epistel gehört aus dem 1. Korintherbrief, wo er seinen Apostolat gegen Anwürfe verteidigt. Paulus, mit seinem jüdischen Namen Saul – nach dem König Saul genannt – ist etwa 10 n. Chr. als Diasporajude in Tarsus – das liegt in der heutigen Türkei – geboren worden. Vom Vater erbte er das tarsische Bürgerrecht und das römische Reichsbürgerrecht. Paulus war römischer Bürger mit allen Vorteilen und Nachteilen, die das mit sich brachte. Vom Vater erbte er auch die Abstammung aus dem Stamm Benjamin und die Treue gegenüber der palästinensischen Heimat und gegenüber dem jüdischen Religionsgesetz. Schon im Elternhaus lernte er drei Sprachen: die griechische Weltsprache, die aramäische Volkssprache und die hebräische Bibelsprache. Nach gründlicher Unterweisung in Bibel, Tradition und Überlieferung bezog er spätestens mit 20 Jahren die Tempelakademie in Jerusalem. Dort wurde er ausgebildet als Rabbi, also als Bibeltheologe und Bibeljurist. Er wurde ein pharisäischer Gesetzesfanatiker, ein Todfeind der jungen Christengemeinde. Als angehender Rabbi hatte er auch einen Brotberuf erlernt; er war Zeltmacher. Zelte wurden aus Leder hergestellt. Als christlicher Missionar konnte er sich so später seinen Lebensunterhalt selbst verdienen, war nicht auf die Gemeinden angewiesen. Er war unabhängig, materiell und finanziell unabhängig, und außerdem konnte er durch sein Beispiel die Gemeinden zur Arbeitsamkeit aneifern. Die äußere Erscheinung, das persönliche und rednerische Auftreten des Paulus waren nicht über jede Kritik erhaben. Einmal hat man ihm den Namen einer Saatkrähe gegeben, was nicht gerade schmeichelhaft ist. Er war ein kranker Mann. Die Gelehrten haben versucht, die Krankheit zu ermitteln. Manche sprachen von Epilepsie, andere von Hysterie, wieder andere – das ist das Neuste – von Trigeminusneuralgie. Wir wissen es nicht. Aber schlimmer als die Krankheiten haben ihm die schweren Züchtigungen, die Misshandlungen, die Verfolgungen zugesetzt, von denen wir eben in der Epistel gehört haben: dreimal mit Ruten gestrichen, dreimal Schiffbruch gelitten, einmal gesteinigt.

Als er unterwegs war, um die Christen zu verfolgen, vor Damaskus erlebte er ein außerordentliches Gnadenwunder Gottes. Gott selbst offenbarte ihm vom Himmel her seinen messianischen Sohn. Er ließ ihn sichtbar aus der Verborgenheit hervortreten: „Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?“ Im Lichte dieser überwältigenden Erscheinung und dieser himmlischen Verherrlichung des Gekreuzigten durch Gott selbst sieht sich Paulus als Verfolger aufs Schärfste ins Unrecht gesetzt. Er erkennt sein pharisäisches Eifern, das ihn zum hasserfüllten Feind des Sohnes Gottes werden ließ, als unselige Verirrung. Er begreift, dass das Heilsmonopol des Gesetzes radikal in Frage gestellt ist. Er begreift: Der Gekreuzigte, und kein anderer, ist der Messias. In ihm, und in ihm allein, ist das Heil. Die Wirkung dieser Gottestat war grundstürzend. Alter und neuer Mensch, einst und jetzt stehen sich fortan gegenüber wie Nacht und Tag, wie Kot und überschwänglicher Gewinn, Versetzung aus der Christusferne in die persönlichste Christusgemeinschaft, Abkehr vom verkehrten Heilsweg des Gesetzes zu dem allein gültigen Heilsweg des Kreuzes. Außer der Christwerdung bedeutet der Tag von Damaskus auch die Berufung des Paulus zum Apostel, zum Heidenapostel, zum Völkerapostel. Seitdem liegt es wie ein heiliger Zwang auf ihm, das Evangelium zu verkünden. „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündete“, schreibt er an die Korinther.

In Damaskus wurde Paulus von Ananias getauft. Er verbrachte eine Zeit der Zurückgezogenheit in der arabischen Wüste – das ist die Gegend südlich von Damaskus, Syrien – danach unternimmt er seine ersten missionarischen Versuche, zuerst in Damaskus, dann in Jerusalem. Aber die Christen begegnen ihm, ihrem bisherigen Verfolger, mit schärfstem Misstrauen. Die Juden hassen ihn als Apostaten, als Abgefallenen. Deswegen zieht er von Judäa nach Syrien und Kleinasien. Von Tarsus holt ihn im Jahre 44 sein Gönner Barnabas in die aufblühende Metropole Antiochien, in diese Großstadt am Mittelmeer. Hier absolviert Paulus seine missionarischen Lehrjahre, hier lernt er das Evangelium inmitten einer heidnischen Umgebung in griechischem Sprachgewand und griechischer Prägung kennen. Hier reift er zum entschlossenen Herold des Evangeliums heran. Von Antiochien aus unternimmt er drei große Missionsreisen: nach Zypern, an die Südküste Kleinasiens (der Türkei heute), auch in das Innere von Kleinasien, dann nach Makedonien, also auf dem europäischen Kontinent, Achaia, Griechenland, endlich nach Ephesus, der damaligen Metropole der Provinz Asia. Seine letzten Pläne gelten Italien (Rom) und Spanien. Der im Flug durch die Lande stürmende Welteroberer ist nicht sein Ideal; er geht anders vor. Er ist ein genialer Organisator, und als solcher sucht er an wenigen, aber wichtigen Plätzen das Evangelium einzupflanzen und möglichst lange zu wirken: anderthalb Jahre in Korinth, fast drei Jahre in Ephesus. Die Erschließung des Binnenlandes überlässt er dann den Hauptstädten.

Aus der Fülle der Feinde, die das Werk des Apostels oft bis zur Vernichtung bedrohten, ragt hervor, erstens, das Judentum. Die Juden sehen in ihm einen Verräter, aber auch einen gefährlichen Wettbewerber, denn die Juden treiben auch Mission, jüdische Mission. Die zweiten Feinde sind die Christen, die aus dem Judentum kommen. Sie trauen ihm nicht, sie bezweifeln seinen Apostolat. Sie wollen auch an den jüdischen Satzungen festhalten, und dagegen kämpft er erbittert. Die dritten Feinde sind die Überbleibsel heidnischen Wesens, die götzendienerische und lasterhafte Vergangenheit. „Einst ward ihr Finsternis“, sagt er den Heidenchristen, „jetzt seid ihr Licht.“ Die leichte Verführbarkeit dieser Menschen, die Unfähigkeit, sich aus eigenen Kräften der Irrlehren zu erwehren, das führt zu katastrophalen Krisen. Paulus ist der Gefahr noch jedes Mal Herr geworden. Der Sieg ist zu verdanken der Schärfe seiner Dialektik; er kann disputieren und die Gegner überwinden. Der Sieg ist zuzurechnen seinem seelsorglichen Takt, seiner feinen pädagogischen Kunst, seinem großen Herzen und seiner weisen Mäßigung. Er weiß, dass man den Bogen nicht überspannen darf.

Im Jahre 57 oder 58 reist Paulus über Troas, Korinth, Milet nach Jerusalem. Er überbringt der dortigen Gemeinde eine reiche Geldspende. Aber da passiert etwas. Jüdische Wallfahrer, Pfingstwallfahrer aus Ephesus, machen einen Volksaufstand gegen Paulus. Er wird verhaftet, er wird in Schutzhaft genommen. Zur größeren Sicherheit bringt ihn der Prokurator Felix nach Caesarea am Meere. Dort wird er in Erwartung eines Lösegeldes zwei Jahre in Haft gehalten, allerdings in leichter Haft; die Seinen können ihn besuchen. Der folgende Prokurator Festus war noch bestechlicher als sein Vorgänger, und in Erwartung eines Lösegeldes hätte er ihn beinahe den Juden in die Mörderhände ausgeliefert. Paulus ist der Bestechlichkeit und der dauernden Willfährigkeit der Prokuratoren gegenüber den Juden überdrüssig. Was macht er? Er appelliert als römischer Bürger an den Kaiser und wird deswegen nach Rom gebracht. Dort ist er wieder 2 Jahre in leichter Haft. Dass die Haft leicht war, wissen wir aus dem Brief an Timotheus, ihm schreibt er: „Ich leide für das Evangelium Verfolgung, ja Fesseln, aber das Evangelium ist nicht gebunden“, d.h. er konnte in seiner Haft auch weiter predigen und Leute empfangen und zum Glauben führen. Wie es dann weitergegangen ist, können wir der Heiligen Schrift nicht entnehmen. Wir müssen uns da auf die altkirchliche Überlieferung verlassen, und die sagt uns: Er ist aus der Gefangenschaft freigekommen. Er hat in Spanien und dann im Osten missioniert, ist aber erneut verhaftet worden und hat den Tod des Blutzeugen durch das Schwert, wie es einem römischen Bürger zustand, erlitten, nach gewöhnlicher Annahme im Jahre 67, in jedem Falle unter Kaiser Nero.

Was für ein Mann, meine lieben Freunde, war Paulus? Paulus ist ein heroischer Tatmensch. Er versagt sich keiner Pflicht, er ist allen Lagen gewachsen als Missionar und Seelsorger. Er glüht für die Sache Christi, er führt sie gegen Freund und Feind mit unbeirrbarer Konsequenz, mit trotziger Energie und mit herber Rücksichtslosigkeit zum Siege. Neben dem Tatmenschen steht aber der Leidensheld, der alles opfert und die Fülle des Christusleidens mit unbezwingbarer Christuskraft überwindet. Neben heiliger Kampfbereitschaft tritt auch dauernde Geneigtheit zu Frieden und Versöhnung hinzu. Er ist kompromisslos prinzipientreu und doch zeigt er auch eine großzügige Anpassungsfähigkeit. So hat er – eigentlich gegen seine sonstigen Prinzipien – den Timotheus nach jüdischer Weise beschnitten. Paulus zeigt zürnende Heftigkeit gegen Falschmünzer und Hetzer, Unduldsamkeit gegen die Prediger des Rückfalles ins Judentum, Strenge gegen Schwarmgeister, Unzüchtige und Verleumder, andererseits Weitherzigkeit gegenüber dem Wirken anderer. „Es kommt nicht darauf an“, sagt er, „wer das Evangelium verkündet, wenn nur das Evangelium verkündet wird, ob es Apollo ist, oder ob ich es bin, das spielt keine Rolle.“ Er ist auch nachsichtig gegen Verführte, er ist zärtlich im Verkehr mit seinen Lieblingsgemeinden und zeigt ein hohes Taktgefühl in allem Persönlichen. Paulus ist ausgestattet mit einem Herzen, dass seines Gottes und seines Christus voll ist. Er ist ausgerüstet mit der ganzen Bildung und wissenschaftlichen Methode des damaligen rabbinisch-palästinensischen Judentums. Er hat ein offenes Auge auch für die heidnische Umwelt mit ihren dunklen Schatten, aber auch mit ihrer Kultur, mit ihrer Ethik (Stoa), mit ihrer Mystik; da findet er brauchbare Ansatzpunkte. Er ist ein Pneumatiker, also ein Geistmensch, der über alle Charismen verfügt. Er ist aber auch ein Denker von schöpferischer Kraft und hoher spekulativer Begabung. Er setzt sich mit allem, was an ihn oder an seine Gemeinden herantritt, was auf ihm oder anderen lastet, mit tiefem Ernst, heiliger Kraft und königlicher Freiheit auseinander. Als einer, der in Christus alles gefunden hat, ist er in allem christozentrisch begründet. Seine Christusliebe und seine Christusbegeisterung erfüllt seine Seele und trägt ihn hinweg über die Abgründe der Not und der Leiden, gibt ihm Kraft zu unerhörten Leistungen und Opfern, lässt ihn nicht wankend werden gegen seinen Herrn, der ihn geliebt und sich für ihn hingegeben hat. Sie schenkt ihm jene selige Freude, die über alles, was wider ihn ist, ihm zum Triumphe verhilft. Er hat das Geheimnis seiner Persönlichkeit und seiner Wirksamkeit selbst enthüllt in denkwürdigen Selbstbekenntnissen: „Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Nicht ich habe mehr gearbeitet als sie alle, sondern Christus im Bunde mit mir. Ich vermag alles in dem, der mich stärkt.“

Amen.

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