Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. Juni 2007

Johannes, der Wegbereiter des Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wer in diesen Tagen, meine lieben Freunde, Mainz besucht und in die Innenstadt geht, der findet dort Karusselle, zahlreiche Stände, wo Nahrung und Trank angeboten wird, lärmende Musik, Volksmassen, die sich in den Straßen drängen. Es wird, so heißt es, das Johannisfest gefeiert. Aber was da gefeiert wird, hat mit dem Johannes, wie ihn die Kirche kennt und wie die Evangelien ihn darstellen, nichts zu tun. Denn Johannes der Täufer war ein ganz anderer als es dieses lärmende Treiben in Mainz vermuten lässt. „Anfang der Frohbotschaft von Jesus Christus, dem Sohne Gottes. Wie beim Propheten Isaias geschrieben steht: Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der dir den Weg bereiten soll. Horch, es ruft einer in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, machet gerade seine Pfade. So trat Johannes in der Wüste auf, indem er eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden predigte.“ So lautet das einhellige Zeugnis der Evangelien und der Apostelgeschichte. Das öffentliche Auftreten Jesu nahm seinen Ausgangspunkt von dem heiligen Johannes, von der Bußbewegung Johannes des Täufers.

Lukas, dessen Evangelium wir eben gehört haben, gibt uns die einzige im ganzen Evangelium erhaltene präzise Zeitangabe für dieses Auftreten. Es war nämlich „im fünfzehnten Jahre der Regierung des Kaisers Tiberius“. Dieses fünfzehnte Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius liegt fest; es war nämlich zwischen Oktober 27 und September 28 unserer Zeitrechnung – zwischen Oktober 27 und September 28 unserer Zeitrechnung.

Taufbewegungen und Täufergestalten gab es im alten Israel mehrere. Das war nichts Besonderes. Aber nur einer erhielt schon von den Zeitgenossen, nicht erst von den Christen, den Beinamen „der Täufer“. Die Täufer, die neben und vor Johannes wirkten, waren auch wie er in der Wüste tätig. Warum in der Wüste? Die Wüste wurde als der Ort der Reinheit angesehen gegenüber dem Treiben in den Städten. In der Wüste war man Gott nahe. In der Wüste war man fern von den Stätten des sündhaften weltlichen Treibens und bereit für die letzte Offenbarung Gottes. Aber der Täufer Johannes hat nichts an sich von den damals in großer Zahl auftretenden Messiasprätendenten, also Männern, die sich als die prophetischen Messiasse ausgaben und versprachen, die Wundertätigkeit des Elias wieder aufleben zu lassen. Von Johannes wird kein einziges Wunder berichtet. Er war kein Wundertäter, sondern ein Bußprediger. Seine Predigt war hart und unbequem. Er sprach nämlich von der Bekehrung und vom Gericht. Er warnte seine Zeitgenossen davor, vom Messias die Wiederherstellung der irdischen Herrlichkeit zu erwarten. Nein, nein. Er wird nicht den Glanz des Weltreiches wiederherstellen, sondern er hat die Wurfschaufel in der Hand und wird die Tenne fegen und den Weizen in die Scheuer sammeln, die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen. Er wird mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen. Das heißt, mit Heiligem Geist wird er die Erwählten retten, und mit Feuer wird er die Bösen vernichten. Keiner darf sich berufen auf seine Zugehörigkeit zum auserwählten Volke oder auch auf die Abkunft von Abraham. „Ihr Otterngezücht, wer hat euch gelehrt, dem kommenden Gericht zu entgehen? Bringt rechtschaffene Früchte der Umkehr und meint nicht, ihr könntet denken: Wir haben Abraham zum Vater. Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken, wenn ihr euch nicht bekehrt.“ Die andrängende Nähe des Gerichtes und des kommenden Messias ist das Besondere der prophetischen Verkündigung des Johannes. Er spendet eine Taufe, eine einmalige Taufe; es ist die Taufe der Umkehr. Sie besiegelt die Anwartschaft auf das Reich Gottes und die Zugehörigkeit zum Messias.

Von dieser Bekehrungstaufe wollte freilich der Landesherr des Johannes, nämlich Herodes Antipas, nichts wissen. Er war ganz in der Nähe, wo Johannes wirkte, in Jericho, da hatte sich sein Vater ja einen Palast bauen lassen. Er hörte von Johannes, und er vernahm, was er über seine vermeintliche Ehe sagte: „Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben!“ Johannes schonte seinen Landesherrn nicht; er warf ihm Ehebruch und Unzucht vor. Der alte Sünder im Königspalast, aufgestachelt von seiner Frau, von seiner Scheinfrau Herodias, ließ Johannes gefangen setzen. Auf der Burg Machairos wurde Johannes gefangen gehalten. Und Herodias wartete nur eine gelegene Stunde ab, um sich dieses lästigen Bußpredigers zu entledigen. Und die Stunde kam. Johannes wurde beim Geburtstag des Königs Herodes Antipas getötet. Denn in seiner Weinlaune hatte er seiner tanzenden Stieftochter Salome versprochen: „Erbitte dir, was du willst, und wenn es die Hälfte meines Reiches wäre, es soll dir gegeben werden.“ Aber Herodias belehrte ihre Tochter, nicht die Hälfte seines Reiches zu begehren, sondern den Kopf des Johannes. Er schickte einen Henker in die Gefängniszelle des Johannes und ließ ihn enthaupten. Auf einer Schüssel brachte Salome ihrer Mutter das Haupt des Johannes. Das ist der Preis für die Wahrheit! Das ist der Preis für den Bußruf! Mit Blut muss er bezahlt werden.

Freilich, nicht alle haben gehandelt wie Herodes Antipas. Viele aus dem Volke haben sich die erschütternde Botschaft des Täufers bekehrt, sind zum Jordan geeilt und haben sich taufen lassen. Die Pharisäer und die Oberen des Volkes freilich verdächtigten den Johannes wegen seiner düsteren Lebensweise. Er trug ein Kamelhaargewand und nährte sich von der kärglichen Speise der Wüste. Sie fragten ihn deswegen an, ob er der Prophet sei, der nach dem vierten Buch Moses kommen solle. Johannes lehnte es ab, sich als Messiasprätendent auszugeben. Er wies darauf hin, dass er nur die Stimme eines Rufers in der Wüste sei und dass nach ihm einer komme, dem die Schuhriemen zu lösen er nicht würdig sei. Bei der Masse des Volkes war Johannes der große Prophet, der kommen sollte, um das Volk zu bereiten. Sie hatten eine so hohe Meinung von ihm, dass sie sogar Jesus mit ihm verwechselten. Als Johannes enthauptet war, meinten sie, dass er Auferstehung erlebt hatte und in Jesus wiedergekommen sei.

Diese hohe Meinung des Volkes führte auch zu Verirrungen. Denn es gab Jünger des Johannes, die nicht Jesus, sondern ihn, Johannes, als den Messias ansahen. Schon als Jesus neben dem Johannes wirkte, wurden einige Jünger des Johannes eifersüchtig. Sie gingen zu Johannes und sagten: „Rabbi, der bei dir war jenseits des Jordans, für den du Zeugnis abgelegt hast, siehe, der tauft, und alle laufen ihm zu.“ Sie waren also konsterniert über den Erfolg, den Jesus hatte. Und manche hielten dem Johannes die Treue über seinen Tod hinaus. Es gab eine Johannes-Sekte. In Ephesus, in Kleinasien, traf der Apostel Paulus diese Johannes-Sekte, deren Mitglieder nicht einmal wussten, dass es einen Heiligen Geist gibt. Gegen diese Überbewertung des Johannes musste sich die junge Kirche zur Wehr setzen. Schon in den synoptischen Evangelien haben wir den Widerhall dieser Abwehr: Das Gesetz und die Propheten reichen bis zu Johannes. Seitdem wird die Botschaft vom Reiche Gottes verkündet. Also: Johannes steht im Advent. Er ist nicht im Reiche Gottes angekommen. „Der Kleinste im Himmelreich ist größer als er“, so heißt es bei Matthäus. Und bei Johannes: „Er war nicht das Licht, sondern er sollte nur Zeugnis geben von dem Licht.“ Er selber sagt: „Ich bin nicht der Christus, sondern nur der Vorläufer, der vor jenem hergesandt ist.“ Und deswegen erklärt er: „Ich müsste von dir getauft werden, und nicht du von mir.“

Die Verirrungen, die sich an die Person des Johannes knüpften, ändern nichts an seiner heilsgeschichtlich einzigartigen Bedeutung. Kein geringerer als Jesus hat diese Bedeutung wiederholt ausgesprochen. Er bestätigt seine prophetische Größe und seine göttliche Sendung. Er fragt seine Zuhörer, wozu sie denn hinausgegangen seien in die Wüste. „Was wolltet ihr da sehen? Ein Schilf, das vom Winde hin und her getrieben wird? Das Bild eines weichlichen Menschen, mit weichen Kleidern angetan? Menschen mit weichen Kleidern sind in den Palästen der Könige. Was seid ihr hinausgegangen? Einen Propheten zu sehen? Ja, mehr als einen Propheten.“ Unser Johannes ist unter allen vom Weibe Geborenen der Größte. Kein größerer Prophet ist je erstanden als Johannes, der letzte Prophet, der unmittelbare Wegbereiter des Herrn, der Vorläufer des Messias an der Schwelle des Gottesreiches. Und tatsächlich der wiedergekommene Elias. Das war ja die Überzeugung des Volkes, dass vor der Ankunft des Gottesreiches Elias wiederkommen werde, und Johannes ist der wiedergekommene Elias. In der Kraft und im Geist des Elias geht er vor dem Messias her.

Freilich weiß Jesus auch um die Verdächtigungen, die Johannes und ihn getroffen haben. Johannes kam, er aß nicht und trank nicht; da sagte man: Er hat einen Dämon. Der Messias kam, er aß und trank; da sagte man: Seht da, den Weinsäufer und Fresser, den Freund der Zöllner und Sünder. Also nicht nur im göttlichen Auftrag, sondern auch in der Verdächtigung sind Jesus und Johannes gleich geworden. Aber Johannes hat eine Offenbarung und weiß, wer der Kommende ist. „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!“ Die Sünde in der Einzahl. „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!“ Hier hat Johannes das vorweggenommen, was im Leben des Heilandes das Entscheidende sein sollte, nämlich dass er das Schlachtopfer Gottes sein würde, das durch seinen Sühnetod die ganze Welt von Schuld und Sünde befreit. „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!“ Was wir jeden Tag vor der heiligen Kommunion beten, das hat Johannes uns überliefert: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!“

Johannes war der größte und letzte der Propheten. Und doch scheint ihn in einer bestimmten Stunde ein Zweifel angefallen zu haben. Er hatte ja den Messias als den großen Richter angekündigt, aber als jetzt Jesus auftrat, vermochte er von dem Gericht, das er angekündigt hatte, nichts zu erkennen. Und so schickte er zwei seiner Jünger zu Jesus und fragte ihn, ob er der Kommende sei, oder ob man auf einen anderen warten müsse. Jesus gibt zur Antwort: „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird Heilsbotschaft verkündet, und wohl dem, der an mir keinen Anstoß nimmt!“ Er verweist also auf seine Taten. Und dieses Taten sind messianische Taten. Er ist nicht nur der Richter, er ist auch der Erlöser, der heilt. Und so müsste er den aufsteigenden Zweifel des Johannes beseitigt haben. „Selig, der an mir keinen Anstoß nimmt!“

Johannes verliert nichts von seiner Größe, wenn er im Unterschied zu Jesus selbst nicht mehr war als ein Prophet und sich gerade mit seiner verkürzten Perspektive als Prophet erweist. Was ist das, eine verkürzte Perspektive? Sie besteht darin, dass das erste und zweite Kommen des Messias nicht unterschieden wird, das erste Kommen in scheinbarer Ohnmacht und das zweite Kommen in verklärter Herrlichkeit. Er schaut die endzeitliche Geistausgießung und das Gericht zusammen, obwohl das verschiedene Vorgänge sind, die Geistausgießung an Pfingsten und das Gericht, das noch immer aussteht. Er wusste noch nicht, dass der Messias erst die Gnadenstunde Gottes ausrufen muss und erst später machtvoll zum Gericht erscheinen wird. Das nennt man die prophetische Perspektive. Er sieht in einer Richtung und das alles hintereinander, ohne die Abstände zwischen den einzelnen Ereignissen zu erkennen. Damit erweist sich Johannes als ein bis zum Tode getreuer Prophet. Er muss sich damit abfinden, dass der Gekommene anders ist, als er es sich gedacht hat, dass er sein Erlösungswerk anders beginnt, als er es erwartete. Auch für den prophetischen Vorläufer Jesu gibt es nur einen einzigen Weg zum Heil, und das ist der Anschluß an Jesus, den Christus, den Herrn und Heiland der Welt.

Amen.

 

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