Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
7. Januar 1990

Gottesbeweise

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Eines Tages erklärte der französische Naturwissenschaftler Laplace dem Kaiser Napoleon seine Theorie der Weltentstehung. Als er damit fertig war, fragte ihn der Kaiser: „Und wo haben Sie Gott?“ Darauf entgegnete Laplace: „Diese Hypothese brauche ich nicht.“ Laplace meinte, die Welt und ihre Entstehung ohne die Annahme Gottes erklären zu können. Eine solche Haltung nennt man Atheismus, Gottesleugnung, Ablehnung der Wirklichkeit und des Daseins Gottes.

Es hat im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder Gedankensysteme, Weltanschauungen gegeben, die das Dasein Gottes leugnen. Der Materialismus, der nur das materielle Sein als wirklich bezeichnet, ist ein solcher Versuch, Gottes Dasein zu bestreiten. Nicht weit davon entfernt ist der Pantheismus, für den die ganze sichtbare Wirklichkeit mit Gott identisch ist. Das ist natürlich ein Widerspruch in sich selbst, aber auch er hat Anhänger gefunden. Im Gegensatz zu diesen falschen Systemen lehrt unsere heilige Kirche: Gott, unser Herr und Schöpfer, kann mit dem natürlichen Lichte der Vernunft aus dem, was geschaffen ist, mit Sicherheit erkannt werden. 

Wer ist der Gegenstand der Erkenntnis? Gott, unser Herr und Schöpfer, also ein außerweltlicher, ein überweltlicher, persönlicher Gott, nicht ein mit der irdischen oder mit der Gesamtwirklichkeit identisches Gebilde. Welches ist das Mittel, mit dem dieser Gott erkannt werden kann? Das natürliche Licht der Vernunft, also unser Verstand. Auch ohne die Offenbarung, auch abgesehen von der Offenbarung, allein mit dem Nachdenken kann man Gott erkennen. Welches ist das Erkenntnissurrogat, aus dem man Gott erkennen kann? Es sind die geschaffenen Werke. Das, was uns umgibt, was wir fassen, greifen, sehen, messen können, das ist die Grundlage dafür, daß wir zu Gott, zu seiner Wirklichkeit, zu seiner Existenz aufsteigen können. Die Erkenntnis, die wir dadurch gewinnen, ist eine sichere. „Mit Gewißheit“, sagt das I. Vatikanische Konzil, kann Gott aus den geschaffenen Werken erkannt werden.

Nicht nur die Möglichkeit der Erkenntnis, sondern sogar die Möglichkeit des Beweises Gottes hat Papst Pius X., der große Heilige, in seinem Antimodernisteneid die Theologen und Priester beschwören lassen. Gott kann nicht nur aus der geschaffenen Welt erkannt werden, er kann auch aus ihr bewiesen werden. Es gibt Gottesbeweise. Gottesbeweise wurden schon aufgestellt, als das Christentum noch gar nicht existierte. Die griechische Philosophie hat Gottesbeweise gebildet, die heute noch gültig sind. Beispielsweise Aristoteles mit seinem ersten „unbewegten Beweger“. Er geht davon aus, daß alles, was bewegt wird, von einem anderen bewegt wird. Und wenn man jetzt die Reihe der Beweger zurückgeht, muß jemand sein, der selbst nicht mehr angestoßen wird, sondern der bloß noch anstößt. Man kommt also zu einem unbewegten Beweger. Das ist das, was wir Christen Gott, unseren Schöpfer und Herrn, nennen. Die großen Philosophen und Theologen des Christentums haben diesen Naturbeweis ausgebaut, vor allem der heilige Thomas von Aquin: „Omne, quod movetur, ab alio movetur“ – Alles, was bewegt wird, wird von einem anderen bewegt. Das ist das Uraxiom, und von diesem Kausalitätsprinzip, also von dem Grundsatz, daß jede Wirkung eine Ursache haben muß, ausgehende, hat er seine wunderbaren Gottesbeweise aufgestellt, die fünf verschiedenen Weisen, wie man aus der Wirklichkeit der Welt, aus ihrer Schönheit, aus ihrer Ordnung, aus ihrer Bewegung, aus ihrer Zielstrebigkeit auf Gott schließen kann.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, diese Gottesbeweise zu entkräften. Der Königsberger Philosoph Kant gilt als ein besonders wirksamer Bekämpfer der Gottesbeweise. Er hat es sich einfach gemacht, er hat nämlich die absolute Geltung des Kausalitätsprinzips geleugnet. Er behauptete, die Kausalität gebe es nur in der Welt der Erscheinungen und der Erfahrung, darüberhinaus könne man zumindest nichts sagen über die Geltung des Kausalitätsprinzips. Diese Behauptung Kants ist von der christlichen Philosophie entschieden zurückgewiesen worden. Das Kausalitätsprinzip ist zusammen mit dem Satz vom Widerspruch so allgemein geltend, daß es auch jenseits aller Erfahrung Gültigkeit haben muß.

Es sind vor allem – nach der Heiligen Schrift – drei Wege, wie man zu Gott aufsteigen kann, meine lieben Freunde. Der erste Weg ist der aus der Schöpfung. Im Brief an die Römer schreibt der Apostel Paulus: „Gott hat sich den Menschen geoffenbart. Sein unsichtbares Wesen, seine ewige Macht und Göttlichkeit sind seit Erschaffung der Welt durch das Licht der Vernunft an seinen Werken zu erkennen.“ Er führt also genau den Beweis, den schon Aristoteles geführt hat. In der Welt zeigen sich wunderbare Werke. Diese Werke sieht der Mensch, nimmt er zur Kenntnis, und er schließt von den Werken auf den Werkmeister. Er sieht, daß nichts aus sich selbst entsteht, sondern von einem anderen gemacht werden muß, und mit der Anwendung dieses Prinzips sollte man vor der Welt haltmachen? Davon sollte man die Welt ausnehmen? Nein, „sein unsichtbares Wesen, seine ewige Macht und Göttlichkeit sind seit Erschaffung der Welt durch das Licht der Vernunft an seinen Werken zu erkennen.“ Wenn schon die Werke so schön, so gewaltig, so zweckmäßig sind, wie muß dann erst der Werkmeister schön, gewaltig und von höchster Sinnhaftigkeit erfüllt sein! Dem Menschen, der nicht verbildet ist, drängt sich elementar diese Erkenntnis auf.

Vor einiger Zeit war ein ungläubiger französischer Forscher in der Sahara mit mehreren arabischen Begleitern unterwegs, um dort Forschungen anzustellen. Am Abend, beim Sonnenuntergang, breitete ein Araber seinen Gebetsteppich aus und betete. Der Forscher fragte ihn: „Was tust du da?“ „Ich bete.“ „Zu wem betest du?“ „Zu Gott.“ „Hast du Gott schon gesehen?“ „Nein.“ „Nun, dann bist du ein Tor, wenn du zu etwas betest, was du noch nicht gesehen hast.“ Der Araber sagte nichts. Als der nächste Morgen heraufzog, machte der französische Gelehrte einen Morgenritt. Er kam zurück ins Lager und sagte: „Es muß ein Kameltreiber vorbeigekommen sein.“ „Wieso,“ sagte der Araber, „hast du ihn gesehen?“ „Nein, aber ich habe seine Fußspuren im Sande geschaut.“ In diesem Augenblick stieg die Sonne herauf, strahlend und herrlich. Da sprach der Araber zu dem Gelehrten: „Sieh da, die Fußspur Gottes!“ Sieh da, die Fußspur Gottes!

Die Heilige Schrift kennt noch eine andere Weise, Gott, seine Existenz und seine Wirklichkeit zu beweisen, nämlich aus dem Gewissen. Der Mensch erkennt in sich ein Gesetz, dem er folgen muß. Er spürt in sich eine Verbindlichkeit, die ihm aufgegeben ist. Er hat Kenntnis von einem Sollen, das nicht von ihm selbst stammt. Dieses Sollen kann nur von einem Gesetzgeber stammen, der ihm überlegen ist. In diesem Sinne schreibt wiederum im Römerbrief der Apostel Paulus: „Wenn nämlich die Heiden, die das mosaische Gesetz (die zehn Gebote) nicht haben, von Natur aus die Vorschriften des Gesetzes erfüllen, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, daß der Inhalt des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben ist, indem ihnen ihr Gewissen Zeugnis gibt und untereinander die Gedanken sich anklagen oder verteidigen.“ Den Heiden fehlt das mosaische Gesetz. Sie haben die Offenbarung vom Berge Sinai weder bekommen noch angenommen. Aber sie sind nicht gesetzlos; sie spüren in sich ein geheimnisvolles Gesetz, dem sie gehorchen sollen. Und dieses geheimnisvolle Gesetz kann nur von einem Gesetzgeber stammen, der es in ihr Herz geschrieben hat. So mögen wir also auch aus dem Gewissen, aus dem Spruch des Gewissens, aus den Vorwürfen, die das Gewissen uns macht, wenn wir gegenteilig handeln, aus dem Lob, das es uns spendet, wenn wir ihm folgen, schließen auf den überweltlichen Gott, der sich, wenn das Gewissen nicht verbildet ist, in unserem Herzen meldet. Auch wenn der Mensch das Gewissen zum Schweigen zu bringen sucht oder wenn er sich nach falschen Lehren richtet, wie es heute ja gang und gäbe ist, selbst in unserer Kirche, selbst dann, meine lieben Freunde, löscht er das Gewissen nicht aus. Und auch das falsch gebildete Gewissen kann sich melden in Unruhe und Neurosen, die dann entstehen, wenn der Mensch entgegen dem Willen Gottes diese Verbildung herbeigeführt hat.

Und schließlich kennt die Heilige Schrift noch eine dritte Weise, das Dasein Gottes zu beweisen, nicht nur aus den Werken, nicht nur aus dem Gewissen, sondern auch aus der Geschichte. In der Apostelgeschichte ist wiederum von Paulus bezeugt, wie er den Beweis aus der Geschichte führt. In Lystra wurden die beiden Apostel Paulus und Barnabas von den Leuten als Götter gefeiert, und man wollte ihnen Opfer bringen. Da wurde Paulus rasend; er zerriß die Kleider, sprang unter das Volk und rief: „Leute, was tut ihr da? Wir sind doch sterbliche Menschen wie ihr. Wir verkünden euch die Heilsbotschaft, daß ihr euch von diesen nichtigen Götzen zum lebendigen Gott bekehren sollt, der Himmel und Erde und das Meer gemacht hat und alles, was darin ist. Er ließ in den vergangenen Zeiten alle Völker ihre eigenen Wege gehen, und doch hat er sich nicht unbezeugt gelassen als Wohltäter, weil er vom Himmel her Regen spendet und fruchtbare Zeiten, und euere Herzen mit Speise und Wonne erfüllt.“ Paulus sagt hier: Gott spricht auch in der Geschichte. Es ist nicht wahr, daß Gott schweigt, es gibt nur die Möglichkeit, seine Sprache zu überhören, aber Gott spricht auch in den Ereignissen der Geschichte. Das sind äußere Gnaden, die die Menschen, wenn sie wollen, hören können und verstehen können.

Ähnliches lehrt Paulus in Athen. Auch hier wpricht er von Gottes Wirken in der Geschichte. „Er hat bewirkt, daß von einem einzigen her alle Völker der Menschen über die gesamte Oberfläche der Erde hin wohnen. Er hat bestimmte Zeiten und Grenzen ihres Aufenthaltes festgelegt. Sie sollten Gott suchen, ob sie ihn herausfühlen, weil er nämlich nicht fern ist einem jeden von uns. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Was immer wir tun, ist von Gott gelenkt und von Gott geordnet.

Manchmal glaubt man – ohne letzte metaphysische Gewißheit – den Fußtritt Gottes in der Geschichte zu hören. Etwa, wenn Völker, die sich in sittlicher Verderbnis von Gottes Wegen abgewandt haben, zugrunde gehen. Ist das nicht Strafe Gottes, wenn ein Volk, das seine Kinder im Mutterleib tötet, wenn ein Volk, das den massenhaften Tod seiner Ungeborenen betreibt, wenn ein solches Volk allmählich zugrundegeht? Ist das nicht Gottes Strafe? Und haben wir nicht im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder den Finger Gottes gespürt? Die Kirche lag schon manchmal darnieder, meine lieben Freunde. Im 4. Jahrhundert, als die meisten Bischöfe dem Arianismus anhingen, also einer gefährlichen und eingängigen Irrlehre; im 16. Jahrhundert, als der Wittenberger die Brandfackel in das Heiligtum warf! Und doch hat Gott immer wieder Männer und Frauen erweckt, die in diesen düsteren Zeiten das Blatt gewendet haben. Als der heilige Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, im 16. Jahrhundert dem Papst seine Idee eines neu zu schaffenden Ordens unterbreitete, da rief der Papst aus: „Das ist der Finger Gottes!“ Dieser Mann war von Gott gesandt, um die Kirche im 16. Jahrhundert zu retten. Wahrlich, auch in der Geschichte bezeugt sich Gott.

So wollen wir also, meine lieben Freunde, nicht zagen und nicht verzweifeln ob der heutigen Lage unserer Kirche. Wir wollen uns erinnern, was die Heilige Schrift sagt: „Nur der Tor spricht in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott!“

Wahrhaftig, wir sehen, daß Gott in seinen Werken sicher erkannt werden kann, daß er in der Stimme des Gewissens zu uns spricht und daß wir seinen Tritt auch in der Geschichte vernehmen.

Amen.

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