Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. Juni 2009

Das Geheimnis des eucharistischen Herrn (Teil 1)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier des Geheimnisses unserer Altäre Versammelte!

Die Feierlichkeiten des Fronleichnamsfestes gelten dem Geheimnis unserer Altäre. Ein Geheimnis ist es, auch wenn es in prunkvoller Prozession nach außen getragen wird. Ein Geheimnis ist es so gut in der Monstranz wie im Tabernakel. Es ist das Geheimnis eines unbegreiflichen Daseins und einer unbegreiflichen Kraft. Eine seltsame Kraft des Geheimnisses und der Tröstung und eine Kraft der Lebensgestaltung geht von diesem eucharistischen Geheimnis aus in allen Morgen- und Abendstunden, in denen es gefeiert wird. Es ist wahrhaftig ein Brot des Lebens, ein Brot der Engel. Wir sollten mit der Redeweise vom Brot vorsichtig umgehen. Brot ist heilig, ist immer heilig, auch das, welches wir in unserem Brotkasten verwahren. Aber das Brot, das wir heute erheben und verehren, ist das Brot des Himmels, ist das Brot der Engel, ist ein Brot ganz anderer Qualität, als wir es zu unserer Sättigung benötigen.

Von diesem Brote wollen wir heute und am kommenden Sonntag uns drei Wahrheiten vor Augen führen, nämlich erstens: Wir wollen sprechen von der leiblichen Gegenwart Jesu Christi, zweitens von der inneren seelischen Bewegung des gegenwärtigen Christus und drittens von den äußerlich sichtbaren Gebärden, mit denen er auf unsere Sinne wirkt.

Heute wollen wir bedenken seine leibliche Gegenwart. Er ist persönlich, nein, er ist leiblich gegenwärtig. Was die Gegenwart eines Menschen bedeutet, das wissen wir alle, das kann man nicht mit Begriffen ausdrücken, das begreift nur die Wissenschaft des Herzens. Alle wirklich miteinander verbundenen Menschen, Eltern, Gatten, Kinder, Freunde, Kameraden wissen, was es um eine Gegenwart ist, um die Gegenwart eines geliebten Menschen, dass es nicht gleichgültig ist, ob diese Person da ist oder in einem fernen Land oder gar auf einem Friedhof oder im Jenseits. „Du bist da!“ Das ist der beglückte Ausdruck und Ausruf aller Verbundenheit, und er soll bedeuten: Du bist da, dein Antlitz, deine Hände, deine Augen, deine Seele, dein Verstehen, deine Freude, deine Hilfe, dein Trost. Das alles ist mir nahe, mich tragend, umfangend, beglückend.

So meinte es auch Christus, als er zu uns sagte: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ Und deswegen hat er dieses Sakrament des „Bei-uns-Bleibens“ eingesetzt. Mit schöpferischer Gegenwart hat er seine Nähe hervorgebracht: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut.“ Damit wollte er sagen: Das bin ich. Und wer mich, mich selbst, mich persönlich in sich aufnimmt, kommunizierend, der wird leben in Ewigkeit. Wir wissen es ja, von der persönlichen Gegenwart lebt alle Liebe, und von der Liebe leben alle Seelen. Wenn also irgendwo seine Gegenwart erlöschen würde, bedeutungslos wäre, dann wäre das der Tod. Und damit das nicht eintritt, will Jesus gegenwärtig bleiben bis ans Ende der Tage und dann erst recht und in alle Ewigkeit.

Und damit wir auch innewerden seiner Gegenwart, seiner wirklichen Gegenwart, damit wir mit einer wahrhaft berauschenden Wahrheit sagen können: Du bist da, betont er ausdrücklich seine leibliche Gegenwart. Gewiß ist die Gegenwart der Seele, der verstehenden, der liebenden Seele die Hauptsache. Aber in der Gegenwart des Leibes erkennen und spüren wir die Gegenwart der Seele. Darum hat der Herr auch am Tage seiner Auferstehung sich den ihm Zugehörigen körperlich gezeigt. Er hat das Nahesein seiner Seele mit dem Körper ausgedrückt. „Seht, das sind meine Hände, das sind meine Füße, damit ihr seht, dass ich es bin.“ In dem gleichen Sinne, um uns von seiner Gegenwart recht herzerquickend zu überzeugen, spricht er, indem er das Sakrament seiner Gegenwart einsetzt: „Das ist mein Leib. Das ist mein Blut. Seht also, dass ich es bin, dass ich bei euch bleibe.“

Und diese Gegenwart, diese leibliche Gegenwart hat eine besondere Eigenart. Jesus nahm Brot in seiner Hände und sprach: „Das ist mein Leib.“ Und er nahm den Kelch, in dem sich Wein befand und sprach: „Das ist mein Blut.“ Diese Worte kann man gar nicht ernst genug nehmen und gar nicht buchstäblich genug. Wenn er ein Wort in der feierlichsten Stunde seines Lebens und für die ganze Weltzeit geltend mit schöpferischer Macht ausspricht, dann darf man auch nicht den winzigsten Bruchteil dieser Wahrheit ihm absprechen. Wenn er das Brot nimmt und sagt: Das bin ich, das ist mein Leib, das bin ich wahrhaftig, dann ist das buchstäblich so. Was er den Jüngern zeigt und gibt, das ist dann sein Leib.

Aber vorher, bevor er es in die Hände nahm, war es unzweifelhaft Brot. Also hat er diese Materie des Brotes in seiner schöpferischen Macht aufgenommen in seinen leiblichen und persönlichen Besitz. Wie wir durch die Nahrungsaufnahme ein Stück Materie unserem Leib einverleiben und zu unserem Leibe machen, so hat er diesen Stoff zu seinem Leib gemacht, hat ihn in seine Hände genommen und ergriffen und gesagt. „Das ist mein Leib.“ Was vorher als Brot in sich ruhte und existierte, das ist nun als sein Leib und sein Blut vorhanden. Christus setzt sich also gegenwärtig in einer ganz besonderen, ich möchte sagen herrischen und schöpferischen Weise, in einer souveränen Weise. Wenn wir uns bei einem Menschen gegenwärtig machen, dann geschieht das im Raum. Wir gehen zu ihm, er kommt zu uns, wir sind beieinander, und das ist etwas Schönes und etwas Ergreifendes. Aber das fand Jesus zu wenig für seine Gegenwart. Er ergreift nicht ein Stück Raum, sondern er ergreift ein Stück Körperwelt, die uns umgibt. Er dringt wirksamer, mächtiger, ich möchte sagen radikaler bei uns ein als durch bloße Inbesitznahme des Raumes.

Ein solches schöpferisches Kommen und Bleiben müßte uns erschrecken, wenn es in seiner eigenen Gestalt und Form geschähe. Und damit dieses Erschrecken uns fern bleibe, nimmt Christus ein Stückchen irdischen Stoffes und wandelt es in seinen Leib. Er läßt die irdische Gestalt, die irdische Erscheinung des Brotes und des Weines bestehen. Für unsere schwachen und schreckhaften Sinne erscheint es nach wie vor wie Brot und Wein. Die Gegenwart des Herrn ist eine verhüllte. Unter dem Schleier von stillen und sanften Erscheinungen, die nichts Erschreckendes und Fremdes an sich haben, wird er uns gegenwärtig. Er kommt mit göttlicher Herrschergewalt, aber er kommt in zutraulichen Erscheinungen und sagt: Ich bin für dich da. Nimm mich hin und nimmt mich auf.

Das Fest Fronleichnam, meine lieben Freunde, duldet keine Verflüchtigung der Gegenwart Christi. Keine bloß geistige Gegenwart, keine bloß erinnernde Gegenwart, sondern eine leibliche Gegenwart unseres Herrn und Heilandes. Wenn Sie einmal ins bayerische Schwaben kommen, dann besuchen Sie das Kloster Ottobeuren. Dort befindet sich noch heute – ich habe es gesehen – noch heute ein Bild von ergreifender Intensität. Da sitzt Jesus mit den Glaubensneuerern zu Tische. Alle haben ein Spruchband unter sich, was sie von der Eucharistie halten. Bei Zwingli liest man: „Das bedeutet meinen Leib.“ Bei Calvin steht: „Das ist Kraft von meinem Leibe.“ Bei Luther ist zu lesen: „Das enthält meinen Leib.“ Jesus aber schaut mit stiller Wehmut auf das Brot, das er in den Händen hält, und spricht: „Das ist mein Leib.“

Amen.

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