Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. Dezember 2002

Das Dogma von der Kirche Christi

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im Glaubensbekenntnis bekennen wir: „Ich glaube an die eine, heilige, katholische Kirche.“ Es gibt also ein Dogma von der Kirche und einen Glauben, der sich auf die Kirche richtet. Wie wir von Jesus bekennen, anbetend bekennen: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“, so bekennen wir von der Kirche: Du bist das Volk Gottes, du bist die Stadt Gottes, du bist die kleine Herde, denn das hat dein Herr zu dir gesagt.

Die Kirche ist ein geheimnisvolles Wesen. Sie kommt einerseits daher wie eine geschichtliche Erscheinung und ist doch von einem Geheimnis erfüllt, das niemand auszuloten vermag. An der Kirche scheiden sich die Meinungen. Die einen sind ihr mit glühender Liebe ergeben, die anderen verfolgen sie mit einem erbitterten Haß. Das Dogma von der Kirche ist deswegen ein Dogma des Lebens, weil es tief in unser Leben eingreift. An der Stellung zur Kirche entscheidet sich unser persönliches, unser privates und unser religiöses Leben. So wollen wir heute drei Fragen an die Kirche richten. Wir wollen sie fragen: Wer bist du? Und wir wollen auch drei Fragen von der Kirche vernehmen, nämlich: Was haltet ihr von mir? Also drei Fragen, die wir selbst an die Kirche stellen: Wer bist du, katholische Kirche? und drei Fragen, die sie an uns richtet: Was haltet ihr von mir?

Wenn wir die Kirche fragen: Wer bist du?, dann antwortet sie: Ich bin das Volk Gottes; ich bin die Stadt auf dem Berge; ich bin die kleine Herde.

Die Kirche ist das Volk Gottes. Gott hat sie gesammelt, Gott hat sie zusammengeführt, Gott lebt in ihrer Mitte. Wenn wir bedenken, was wir am vergangenen Sonntag von der Erlösung gesagt haben, dann wissen wir auch, was die Kirche ist. Die Kirche ist die Gemeinschaft der Erlösten. In der Kirche finden sich die zusammen, die Christus aus dem Dunkel herausgerufen und in sein wunderbares Licht geführt hat. Zur Kirche gehören alle, die sich von Christus an der Hand nehmen und zum Vater führen lassen, Alle, die mit ihm in die Armut von Bethlehem, in die Arbeit von Nazareth, auf die Gebetsstätte des Tabor, in den Ölgarten der Angst, auf den Kalvarienberg der Leiden, in das offene Grab und auf den Berg der Auferstehung gehen, alle die gehören zu Christus, gehören zur Kirche, sind durch Christus mit der Kirche verbunden. Es gibt da gewiß Abstufungen. Wer durch die Taufe mit Christus gleichgestaltet worden ist und den Glauben bekennt, der gehört im vollen und ganzen Sinne zur Kirche. In ihm lebt das Leben des dreifaltigen Gottes, wenn er in der Gnade steht. Andere haben nur von seinem Wort gehört und die Taufe noch nicht empfangen, sie bekennen ihn aber, und sie lieben ihn schon, wie die Katechumenen, auch sie gehören in diesem Sinne zur Kirche. Und all die zahllosen Menschen, die von Christus nicht gehört haben, die aber in ihrem Gewissen Gott suchen, die glauben, daß Gott lebt und daß er ein Vergelter ist, die das Gute zu tun suchen und es vollbringen, alle die gehören in einem gewissen Sinne zur Kirche. Die Kirche ist die Gemeinschaft der Christusgläubigen; die Kirche ist die Gemeinschaft der Erlösten.

Die Kirche ist aber auch die Stadt auf dem Berge, denn diese Gemeinschaft der Erlösten ist keine ungegliederte Masse. Sie ist organisiert. In der Mitte steht Christus. Von ihm geht alle Kraft und alle Vollmacht aus. Alle Erkenntnisse, alle Gnaden, alle Führung strömen aus Christus, aber sie strömen zu den Menschen zumeist durch andere Menschen. Christus bedient sich der Vollmachtsträger. Er hat Menschen auserwählt, Beauftragte, Gesandte, die seine Botschaft hinaustragen, die seine Gnaden spenden, die die Menschen zu den Taufbrunnen führen und ihnen den Tabernakel weisen. Diese Kirche ist also eine gegliederte Gemeinschaft, und deswegen wird sie treffend verglichen mit einer Stadt; denn auch eine Stadt ist eine organisierte Gemeinschaft, ein Zweckverband. Ähnlich ist die Kirche ein Zweckverband, eine gegliederte Organisation. Weil man aber wissen muß, wer die Vollmachtsträger sind, deswegen ist die Stadt auch sichtbar, deswegen liegt sie auf einem Berge; man kann sie sehen. Wir müssen nicht wissen, wer von allen Menschen zu dieser Kirche gehört, aber wir müssen wissen, wer die Vollmachtsträger sind. Wir müssen wissen, wer die Gnaden Christi, wer die Erkenntnisse Christi, wer die Unfehlbarkeit Christi trägt. Denn ihre Pflicht, Christus zu verkünden, ist auch unsere Pflicht, sie zu hören. „Wer euch hört, hört mich. Wer euch verachtet, verachtet mich.“ Deswegen ist die Kirche eine Stadt, eine Stadt, die auf einem Berge liegt, eine sichtbare Organisation, sichtbar in ihrer Ordnung, sichtbar in ihrem Glauben, sichtbar in ihren Sakramenten, sichtbar in ihren Amtsträgern, sichtbar in denen, die die Schlüssel des Himmelreiches tragen. Die Kirche ist das Volk Gottes und die Stadt auf dem Berge.

Sie ist aber auch die kleine Herde. Das heißt, sie ist auch etwas Unansehnliches, etwas Unbekanntes. Sie ist so unansehnlich, daß Christus ihr Mut zusprechen mußte. „Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“ Es ist also zu fürchten, wenn man in dieser kleinen Herde sich befindet, daß sie übersehen werden könnte, daß sie verunglimpft werden könnte, daß sie verachtet werden könnte. Klein ist die Herde nicht wegen der Zahl ihrer Anhänger, sondern klein ist sie wegen der Armseligkeit der Menschen, die in ihr sind, weil in ihr zu viel Menschliches und allzu Menschliches ist; deswegen ist sie die kleine Herde.

Christus war schon ein Gott und ein Mensch im Elend. Aber die Kirche ist eine Menschheit im Elend,eine Masse im Elend. Christus war der Gequälte und Verachtete der Menschen, so daß man ihn nicht anschauen möchte. Und doch ist sein Bild unser Gnadenbild geworden. So ist es auch mit der Kirche. Sie ist verachtet und gequält. Man hat gemeint, die Kirche sei zu beklagen wegen ihrer Verfolgungen, und ihre Verfolgungen seien ihre betrübten Zeiten. O mitnichten, meine Freunde, mitnichten! Die Zeiten der Verfolgung sind ihre Hochzeiten, das sind die Zeiten, in denen man das Göttliche sieht. Die Verfolgungen sind die Zeiten, wo der Herr seine Kirche heimsucht. Aber was an der Kirche zu beklagen ist, das ist die Bosheit ihrer ungeratenen Kinder, das ist der Verrat ihrer Judasse, das ist die Verleugnung ihrer Petrusse, das ist die Treulosigkeit ihrer Priester, das ist die Unzucht in ihren Gemeinden – das ist zu beklagen! Das sind die Zeichen der Verwerfung an den Menschen der Kirche.

„Fürchte dich nicht, du kleine Herde“, hat der Herr zur Kirche gesagt, und aufgrund dieses Wortes der Kraft wollen wir der Kirche auch die Namen nicht vorenthalten, die ihr zukommen, nämlich Volk Gottes zu sein und Stadt auf dem Berge.

Wir wollen aber auch hören, was die Kirche uns selbst fragt. Sie fragt uns: Was haltet ihr von mir? Die Antwort, die wir unter Tränen und auch mit Jauchzen geben, lautet: Du bist die Herrin, du bist die Mutter, du bist die Magd. Die Kirche ist die Herrin, weil Christus in ihr lebt, weil er ihr seine Erkenntnisse vermacht, weil er ihr seine Wahrheit zuspricht, weil er ihr seine Gnaden mitteilt, weil er ihr seine Führung vermittelt. Deswegen ist die Kirche eine Herrin. Man muß sich ihr beugen, man muß ihr gehorchen, man muß mit ihr gehen, man muß ihr folgen. Einmal sprach ein Mann zu Jesus: „Ich will dir folgen, wohin immer du gehst.“ Ähnlich müssen wir zur Kirche sagen: Ich will auch dir folgen, katholische Kirche, wohin immer du gehst, denn dein Herr hat gesagt: Ich gehe mit dir. Und weil er mit dir geht, müssen auch wir mit dir gehen, dürfen nicht von dir weichen, müssen bei dir ausharren.

Es kann durchaus sein, daß uns manches an der Kirche mißfällt, an den Hirtenschreiben ihrer Bischöfe, an den Maßregeln ihrer Päpste, an dem Treiben ihres Klerus. Das mag durchaus sein. Dennoch, auch heute wird man in der Kirche einen Priester treffen, der für diese Kirche glüht, wird man Menschen treffen, die ihr Kreuz tapfer tragen, wird man ein Kommunionkind erleben, aus dessen Augen die Glut des Heilands leuchtet. Auch heute bleibt die Kirche unsere Herrin, und auch wenn uns manches an ihr mißfällt, so dürfen wir doch nicht unsere Einfälle, unsere Meinungen, unsere Launen über ihre Weisungen setzen. Die Kirche ist und bleibt unsere Herrin.

Die Kirche ist aber auch unsere Mutter. Sie schenkt uns das Licht, sie gibt uns das Leben, sie führt uns zu den Altären des Schenkens, sie öffnet uns den Taufbrunnen, sie vermittelt uns die Wahrheit. Das ist ja das Große an der Kirche, daß sie uns die Wahrheit weiterträgt. Wenn die Kirche nicht wäre, wäre die Botschaft von Jesus längst vergessen. Wenn die Kirche nicht wäre, hätten die Menschen längst die Wahrheit nach ihrem Sinn gemodelt. Wenn die Kirche nicht wäre, wüßten wir schon lange nicht mehr, was recht und was unrecht ist. Wir verdanken der Kirche als unserer Mutter die Wahrheit und das Leben. Die Kirche geht mit uns, sie betreut uns. Es hat gewiß Menschen in der Kirche gegeben, die Böses getan haben, Geistliche und Laien, ohne Frage. Aber aufs Ganze gesehen hat die Kirche doch in 2000 Jahren unendlich viel Segen über diese Welt gebracht, hat den Menschen Betreuung geschenkt, hat ihnen Führung gegeben, hat sie getröstet und aufgerichtet. Das ist doch die Wahrheit. Sie hat sich in 2000 Jahren doch als Mutter erwiesen. Und unsere Mutter bleibt sie, die Mutter der Entzweiten, die Mutter der Getrennten, die Mutter der Zerrissenen.

Sie ist aber auch unsere Magd. Ihr Herr war der Knecht Gottes, und sie ist die Magd Gottes. Er war ein Knecht, der unansehnlich war, an dem nicht Gestalt noch Schönheit war, und doch ist sein Bild zu unserem Gnadenbild geworden. So ist auch die Kirche unsere Magd, der wir mitleidig, erbarmend und helfend gegenübertreten müssen. Wir müssen Mitleid haben mit ihrer Ohnmacht, mit ihrer Schwäche. Es darf keine gehässige Anklage, kein bitteres Wort, keine schlimme Schmähung über unsere Lippen kommen gegenüber dieser Kirche. Wir müssen Mitleid haben mit ihr, so wie wir Mitleid haben mit unserem Herrn und Heiland. Und wir müssen ihr helfen. Wir helfen ihr nicht durch lieblose Kritik und schon gar nicht durch papierene Programme. Wir helfen ihr, indem wir unser Leben zu einer Offenbarung der Kraft und Gnade Gottes machen. Jeder Heilige, der in ihr lebt, jeder Bekenner, der in ihr schafft, jeder Martyrer, der in ihr leidet, schmücken die Kirche, verteidigen die Kirche, sind Sendboten der Kirche.

Bei einem alten Propheten steht eine Frage, und man weiß gar nicht recht, wer diese Frage ausspricht: „Was sind denn das für Wunden an deinen Händen?“ Da kommt die Antwort: „Mit diesen Wunden bin ich geschlagen worden von den liebsten meiner Menschen.“ Wir wollen die Kirche fragen: Was ist denn das für ein Glanz um dein Haupt, katholische Kirche? Wie kommt es denn, daß du noch lebst, du uralter Baum? Wie kommt es denn, daß du noch blühst, du göttlicher Strauch? Wie kommt es denn, daß du das Leben noch in dir trägst? Und da hören wir die Antwort: Der Glanz um mein Haupt ist der Glanz der Liebe. Mit diesem Glanz hat mich die Liebe meines Heilandes, hat mich die Liebe meiner Kinder geschmückt. Und solange diese Liebe lebt, wird die Kirche leben.

Eine ewige Liebe, das ist das Leben und das Licht der Kirche. Sie wird leben und nicht sterben. Sie wird blühen und wirken, solange die Liebe ihrer Kinder sie umgibt.

Amen.

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