Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Oktober 2014

Jesus, König der Wunder

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir begehen heute das Königsfest Christi. Jesus von Nazareth, der Sohn Mariens ist König. Er ist König, weil er der menschgewordene Gottessohn ist. In seiner großen Enzyklika vom Jahre 1925 hat Papst Pius XI. das Königtum Christi zutiefst und zuletzt damit begründet, dass er in der hypostatischen Union lebt, d.h. dass er eine göttliche und eine menschliche Natur in einer göttlichen Person vereinigt. Als Sohn Gottes ist ihm das All, die ganze Welt, die Natur unterworfen. Am Ende der heiligen Messe wird immer der Prolog des Johannesevangeliums gebetet, und da heißt es: „Alles ist durch ihn geschaffen, und nichts, was geschaffen ist, ist nicht durch ihn geschaffen.“ Er ist der Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, wie wir im Glaubensbekenntnis aussagen. Er ist auch der Erhalter. Alles ist in seine allmächtige Hand gegeben. Ein besonderer Ausdruck seiner Herrschaft sind seine Machttaten, die wir Wunder nennen. Sie zeigen, dass er der souveräne Herr der Welt ist. Um es gleich zu sagen: Wer Christus die Wunder abspricht, der zerrt ihm den Königsmantel von den Schultern! Wunder sind von Gott außerhalb der Naturordnung gewirkte empirisch erkennbare Vorgänge – außerhalb der Naturordnung gewirkte empirisch (erfahrungsmäßig) erkennbare Vorgänge. Damit Wunder empirisch erkennbar sind, müssen sie der natürlichen Erfahrung angehören, also entweder dem Geistesleben oder dem Naturleben. Und so unterscheidet man Geisteswunder, z.B. Weissagungen, und Naturwunder. Das Wunder liegt außerhalb der natürlichen Seinsordnung. Und zwar kann das auf dreifacher Weise geschehen: Einmal, indem Gott etwas wirkt, was Naturkräfte überhaupt nicht bewirken können. Sodann, dass er eine an sich natürliche Wirkung hervorbringt unter Benützung seiner Allmacht ohne Benützung der Naturkräfte. Schließlich, indem er eine Wirkung hemmt, welche die Naturkräfte in einem bestimmten Falle haben müssen.

Nun sind Begriff und Sache des Wunders angefochten. Wenn Sie Bücher evangelischer Theologen und – sei es geklagt – auch mancher katholischer Theologen von heute lesen, da finden sie die Wunder wegerklärt. Begriff und Sache des Wunders sind aber für den katholischen Christen unaufgebbar. „Wer sagt, Wunder könnten nicht geschehen, und deswegen seien alle Wunderberichte unter die Legenden und Mythen zu verweisen, der sei ausgeschlossen“, so das Erste Vatikanische Konzil von 1870. Die Überzeugung von der Möglichkeit und Wirklichkeit von Wundern stützt sich auf die Existenz und das Wesen Gottes. Gott ist der absolute unendliche Geist. Ein Geist von unendlicher Kraft, ein Geist von unermesslicher Macht. Er steht über der Natur. Mit seinem bloßen Willen hat er die Welt erschaffen. „Gott sprach, und es geschah.“ Damit soll ausgedrückt werden: Er hat keine Anstrengung gebraucht, hat nicht auf eine Materie zurückgegriffen, die schon da gewesen wäre. Er hat die Welt aus nichts erschaffen. Willkür scheidet vom Wunderbegriff aus. Wunder sind keine Willkür Gottes. Sie sind in den überlegten Weltplan Gottes eingebaut. Wunder sind auch keine Notbehelfe, als ob Gott gewissermaßen als Reparaturmacher eingreifen müsste in den Weltlauf. Nein, Wunder begleiten das Offenbarungswort Gottes und bestätigen es. Das ist ihre Funktion: Sie bestätigen, sie bekräftigen das Offenbarungswort Gottes.

Die Welt ist offen für Wunder, denn die Welt ist bedingt. Bedingt heißt: Sie besteht nicht kraft ihres Wesens, sondern sie könnte auch nicht bestehen. Alles innerweltliche Sein ist kontingent, wie der Fachausdruck heißt, ist nicht aus seinem Wesen heraus notwendig. Und diese Bedingtheit kommt auch den Naturgesetzen zu. Auch die Naturgesetze sind nur von bedingter Notwendigkeit. Bedingte Notwendigkeit ist eine Notwendigkeit, die von einer Voraussetzung abhängt. Bezieht sich diese Abhängigkeit auf eine von Natur aus eindeutig bestimmte Ursache, dann sprechen wir von naturgesetzlicher oder physischer Notwendigkeit. Und solche Notwendigkeit kommt den Naturgesetzen zu. Naturgesetze sind erfahrungsgemäß sich immer wieder bestätigende, aus dem Naturgeschehen ableitbare und abgeleitete Regeln. Sie gestatten bei Vorlegen gewisser experimentell prüfbarer Bedingungen Voraussagen über das Eintreten anderer Erscheinungen. Naturgesetze im heutigen Sinne sind eigentlich erst von Johannes Kepler formuliert worden mit seinen drei Keplerschen Gesetzen über die Umlaufbahn der Gestirne. Isaac Newton hat dann die erste umfassende Theorie der Naturgesetze im Sinne der heutigen Physik entwickelt. Naturgesetze zu erkennen, ist das Ziel der Wissenschaft von Anfang bis heute. Naturgesetze haben eine unersetzbare Rolle für die technische Anwendung der Erkenntnisse. Ein Ereignis ist dann erklärt, wenn wir es als Konsequenz eines Naturgesetzes erklären können. Ein Naturgesetz besteht aus einer mathematischen Formel zusammen mit der empirischen Interpretation der verknüpften Symbole. Eine notwendige Bedingung für ein Naturgesetz ist seine zeitlich und räumlich unumschränkte Geltung. Ursache und Wirkung sind in einem Naturgesetz notwendig verbunden, und deswegen spricht man auch von Kausalgesetz. Eine Ausnahme von dem naturgesetzlichen Geschehen ist der Natur nicht möglich. Die Natur und die Naturkräfte können Wundertaten aus eigenen Kräften nicht hervorbringen. Insofern gilt das Gesetz vom geschlossenen System.

Aber die Kraft, der wir die Wundertaten zuschreiben, diese Kraft gehört nicht in den Naturkreislauf. Sie steht vielmehr außerhalb desselben; wir nennen sie Gott. Das ist die Erklärung, die wir für die Wunder haben. Im Wunder kommt eine außerhalb der Naturordnung stehende Kraft zur Auswirkung. Was den Naturkräften unmöglich ist, das ist dem Schöpfer der Natur möglich. Die Natur ist ja auch nicht nur abhängig von Gott, sie ist auch hingeordnet auf Gott und aufgeschlossen für Gott. Die Naturgesetze werden durch Wunder nicht eigentlich aufgehoben, sondern Gott verhindert in einem bestimmten Fall ihre Auswirkung und ruft kraft seiner Allmacht die an kein Naturgesetz gebundenen Wirkungen hervor, zu denen die vorhandenen Naturkräfte nicht ausreichend sind. Ich fasse zusammen: Die Möglichkeit des Wunders ergibt sich aus der Allmacht Gottes, aus der Kontingenz der Dinge und aus der bloß physischen Notwendigkeit der Gesetze. Die Wunder sind sinnenfällige, außergewöhnliche Begebenheiten, welche die natürlichen Kräfte übersteigen und nur in Gott ihren unmittelbaren oder mittelbaren Urheber haben können.

Es scheint, dass gewisse Erkenntnisse der modernen Physik die Möglichkeit von Wundern nahelegen. Die Wissenschaft ist überzeugt, Naturgesetze haben hypothetischen Charakter. Was heißt das? Das besagt, dass die Gültigkeit der naturwissenschaftlichen Theorien nie endgültig gesichert ist, sondern nur besser oder weniger gut empirisch gestützt werden kann. Deswegen kann es wissenschaftlich keine von vorneherein bestehende Unmöglichkeit des Wunders geben – wie Immanuel Kant behauptete. Naturwissenschaftlich sind Wunder nicht erklärbare, aber empirisch feststellbare Phänomene. Auf einem anderen Wege kommt Werner Heisenberg zu der Offenheit der Welt für Wunder. Er hat ja bekanntlich die Unschärferelation formuliert – die Unschärferelation. Danach ist ein Messprozess nicht imstande, Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens mit beliebiger Genauigkeit zu bestimmen, sodass dessen zukünftiger Weg unter dem Einfluss einer Kraft eindeutig vorherzusagen wäre. Das heißt: Die Quantentheorie zwingt zur Annahme eines Indeterminismus, der den Determinismus aufhebt, welcher das All als ein Urwerk mit eindeutig vorhersehbarer Zukunft betrachtet hat. Schließlich lässt auch der statistische Charakter der Naturgesetze Wunder als möglich erscheinen. Statistischer Charakter besagt, dass Naturgesetze immer nur eine sehr hohe und für uns praktisch zur Gewissheit werdende Wahrscheinlichkeit haben. Ein Ziegel fällt auf die Erde, wenn man ihn fallen lässt. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass er einmal in die Höhe fällt. Das ist der Sinn statistischer Naturgesetze. Der statistische Charakter der Naturgesetze bringt Wunder nicht hervor, aber er lässt Raum für sie.

Der Zweck weist die Wunder der Wirkmacht Gottes zu. Der Zweck der Wunder ist immer ein religiöser. Auch wenn Heilungen vorgenommen werden, auch wenn Naturkräfte in Dienst gestellt werden, der letzte Zweck ist immer ein religiöser. Das Wunder wird nicht konstituiert durch den Glauben, wie Goethe meinte: „Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind“. Nein, nein, nein, Wunder sind durch die Vernunft feststellbar, nicht durch den Glauben. Was da geschieht, ist empirisch, also erfahrbar. Wunder können deswegen auch nicht nur durch den Glauben erkannt werden, sondern durch die reine Vernunft. Die Naturwissenschaft ist imstande, die Außerordentlichkeit eines Ereignisses festzustellen. Das Ärztebüro in Lourdes tut das bei in Lourdes geschehenen Wundern. Ob dieses Geschehen freilich auf Gott zurückgeführt wird, das ist dem Glauben überlassen. Aber das Faktum selbst, die Tatsache ist empirisch, vernünftig feststellbar. Man muss nur die entsprechenden Methoden der Wissenschaft getreulich anwenden. Der ungläubige Schriftsteller Renan sagte einmal: „Wenn diese Wunder in Lourdes wirklich geschehen sind, dann kann ich meine ganze Schreiberei in den Ofen werfen.“ Das könnte er.

Der Unglaube geht so vor: Zuerst behauptet er die Unmöglichkeit von Wundern. Wenn man ihm aber dann Wunder nachweist, dann sagt er: „Die Berichte sind unglaubwürdig, erfunden.“ Dagegen sagen wir: Gegen Tatsachen helfen keine Argumente. Der einfachste Beweis der Möglichkeit der Wunder ist ihre Wirklichkeit. Steht die Tatsächlichkeit der Wunder fest, dann müssen sich die Theorien nach den Tatsachen richten. Wir Gläubigen wissen, dass Gott der Herr der Natur und Herr der Wunder ist. Als er seinen Sohn in die Welt sandte, da strahlten in seinen Leben die Wunder auf. Vom Stern von Bethlehem bis zur Sonnenfinsternis am Karfreitag reiht sich Wunder an Wunder in diesem wunderbaren Leben unseres Heilandes. Sie bezeugen seine Würde, die Würde des Messias, die Würde des Christkönigs, die wir heute feiern.

Amen.

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