Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Versuch der Selbsterlösung und der wahre Erlöser (Teil 4)

10. März 2019

Die Vorbereitung der Menschwerdung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das ganze Alte Testament ist ein zusammenhängendes Zeugnis dafür, dass Gott allein die Rettung des verlorenen Menschen zu vollbringen vermag. Und dass er in seinem unbegreiflichen Erbarmen beschlossen hat, ihn tatsächlich zu retten. Gott wirkt die Rettung des Menschen, indem er seine Herrschaft über ihn aufrichtet. Die alttestamentliche Heilserwartung zielt auf Gott selbst, der als Retterkönig kommen wird. Gott ist es, der die Erlösung von Ewigkeit her beschlossen, am Anfang der menschlichen Geschichte verheißen, in zahlreichen Veranstaltungen vorbereitet und zur bestimmten Stunde vollzogen hat. Die Ausführung des Rettungswerkes geschieht durch Jesus Christus. Sie wurde durch viele Jahrhunderte vorbereitet. Die Vorbereitung war eine zweifache: für das auserwählte Volk auf übernatürliche Weise, für die übrigen Völker auf natürliche Weise. Was Gott vor Christus an Heilstaten vollbrachte, war Vorgeschichte Christi, hatte vorläuferische Bedeutung. Und diese Entwicklung geschieht über die Urverheißung, das Protevangelium in der Genesis, über die Bundesschließungen und die Schaffung eines Gottesvolkes und die Berufung der Propheten hin zu Christus. Welchen Zweck hat diese Vorbereitung gehabt? Die Vorbereitung diente der Erziehung des Menschengeschlechtes. Die Menschen sollten sich an Gott gewöhnen, an sein Denken und an sein Handeln und an sein Wollen. Sie sollten schrittweise vorbereitet werden, Gott selbst aufzunehmen.

„Als die Zeit reif war, hat Gott seinen Sohn gesandt, als die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, der von der Frau geboren wurde.“ Christus ist das Ziel der Zeiten. Alle vorausgehenden Offenbarungen haben ihn gemeint und auf ihn hingewiesen. Er fasst alle vorausgehenden Offenbarungen zusammen und offenbart ihren letzten Sinn. Der Brief an die Hebräer schreibt richtig: „Vielfältig und vielfach hat Gott vormals zu den Vätern durch die Propheten geredet, jetzt aber, am Ende der Tage, hat er geredet durch seinen Sohn.“ Christus ist der durch das ganze Alte Testament hindurch Erwartete. Im Alten Testament ist von ihm die Rede wie von einem Kommenden. Das Alte Testament ist die Vorgeschichte Christi, in der sich die Züge seines Lebens schon abzeichnen. Es ist ein prophetisches Buch. Im Neuen Testament wird wiederholt auf die Vorbereitung durch das Alte Testament hingewiesen. Nach Markus musste geschehen, was an Christus geschah, damit die Schrift erfüllt werde, die von ihm gesprochen hatte. In Christus ist erschienen, was viele Propheten und Könige zu sehen gewünscht haben und nicht gesehen haben. Den Emmausjüngern weist Jesus nach, dass Christus nach den Worten der Propheten solches leiden musste, um in seine Herrlichkeit einzugehen. Und Paulus verteidigte sich vor dem König Agrippa, vor den er geführt wurde, mit dem Hinweis, dass er nichts anderes gesagt habe, als was die Propheten vor ihm verkündet haben. Die Jünger erkennen in Jesus den Messias, von dem Moses und die Propheten gesprochen haben. Nach Paulus ist Christus das Ziel des Gesetzes. Das Gesetz ist der Erzieher, ja, der Zuchtmeister auf Jesus hin. Das Alte Testament kann daher nur von Christus her richtig verstanden werden. Wer es anders auslegt, missversteht es. Der Kirchenschriftsteller Lactanz, aus dem 4. Jahrhundert, hat damals schon geschrieben: Es gibt eigentlich nicht zwei Testamente, es gibt nur eines, das eine ist nämlich die Erfüllung des anderen – das Neue Testament die Erfüllung des Alten. Die Gestalten des Alten Testamentes bilden ebenfalls Christus vor, also das Priestertum, das Königtum, das Prophetentum. Sie alle sind Vorentwürfe von Christus: Er ist Priester, er ist König, er ist Prophet. König David gilt als Urbild und als Idealbild des irdischen Königs. Die Propheten haben den Erlöser als einen Sprossen Davids verkündet. Der Prophet Isaias sieht in seiner prophetischen Vision ein Reis aus der Wurzel Jesse – Jesse ist der Vater von David –, aus der Wurzel Jesse aufsteigen. „Siehe, die Jungfrau wird empfangen“, gibt Gott dem König Achaz ein Zeichen, „und einen Sohn gebären, und sein Name wird sein Immanuel“, d.h. Gott mit uns. Denn das Heil kommt nur von Gott, alles Unheil kommt aus der Gottesferne. Das angekündigte Kind wird Freude und Frieden bringen. Das Volk, das in Finsternis wandelt, schaut ein großes Licht. Über denen, die im Todesschatten wohnen, geht ein Licht auf. „Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt; auf seinen Schultern ruht Weltherrschaft. Sein Name wird sein: Wunderrat, Gottheld, Ewigvater, Friedensfürst.“ Und der Prophet Michäas nennt sogar die Geburtsstätte des Messias: „Du, Bethlehem, in Juda, bist keineswegs die kleinste unter den Fürstenstädten, denn aus dir wird hervorgehen der Heiland, der mein Volk erlösen wird.“

Zu dem kommenden Friedensfürsten gehört ein neues Volk und ein neues Reich. Zunächst ist das von ihm gerettete Volk das Haus Jakob, also die Israeliten, mit bestimmten geografischen Grenzen. Aber seine Herrschaft ist Weltherrschaft, sie wird die ganze Menschheit umfassen. Israel ist nur die Ansatzstelle, der Ausgangspunkt für die Universalherrschaft Christi. Die Versöhnung mit Gott hat die Gestalt eines Bundes, eines Bundes Gottes mit den Menschen. Der Messiaskönig stiftet einen neuen Bund. Auf ihn haben die früheren Bundesschließungen hingewiesen, seit Noe, seit Abraham, seit Jakob. An diesen neuen Bund erinnern wir uns in jeder heiligen Messe, wenn wir nämlich beten, das, was wir darbringen, ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes. Welches Glück ist es, meine lieben Freunde, dass wir das Bundesopfer feiern dürfen, in dem der Herr des Neuen Bundes uns annimmt und segnet. Der verheißene Messiaskönig ist auch der Gottesknecht. Was heißt das Wort Gottesknecht? Was bedeutet es? Nun, es besagt einmal die Abhängigkeit von Gott, wie ein Knecht eben von seinem Herrn abhängig ist, es besagt sodann die Beauftragung durch Gott, ein Werk zu verrichten, und es besagt schließlich die Vertrautheit mit Gott, er steht ihm nahe. Als Gottesknecht ist der Messias der Erwählte, der Berufene Gottes, auf den Gott seine Hand gelegt hat, dem er ein schweres Werk aufgetragen hat. Er muss einen bitteren Weg gehen, den Weg der Drangsal und des Leides, den Weg der Tränen und des Blutes. Er muss durch den Abgrund des Leidens und Sterbens hindurchgehen, um die Sünden seines Volkes zu sühnen. Jesus ist der Gottesknecht, im Alten Bund vorhergesagt, im Neuen verwirklicht. So ist das Alte Testament, wo immer man es aufschlägt, eine Vorgeschichte Christi. Die Kirche bezieht sich in der Feier des Opfers Christi – also heute in der heiligen Messe – auf die Gott wohlgefälligen Opfer der Vorbereitungszeit. Gleich werden wir uns erinnern an das Opfer des Abel, das Opfer des Abraham und das Opfer des Melchisedech.

Christus bringt die Fülle der Zeit, die Heilszeit. Er ist der Vollstrecker des göttlichen Heilsplanes. Durch ihn ist die große Wende gekommen. Er ist der Vollstrecker des göttlichen Heilsplanes. Einst war Finsternis, jetzt ist Licht. Einst sind die Menschen Gott fern gestanden, jetzt hat er sie in seine Nähe gezogen. Nun erhebt sich aber die Frage: Ja, was ist denn geschehen mit den Völkern, die außerhalb der alttestamentlichen Offenbarung standen? Wurden die auch auf die Ankunft des Erlösers vorbereitet wie das auserwählte Volk? Nein, nicht so, aber anders, in anderer Weise. Gott ließ die Völker außerhalb des israelitischen Volkes ihre eigenen Wege gehen. Die vorchristliche Menschheit war nicht gesund und wollte es nicht sein, und um es nicht zu werden, rühmte sie sich, sie sei gesund. Wenn Sie eines der alttestamentlichen Bücher aufschlagen, etwa das Buch der Weisheit, da finden Sie ein düsteres Bild der Menschheit außerhalb von Israel. Es war ihnen nicht genug, in der Erkenntnis Gottes zu irren, sondern in ihrer sittlichen Zerrüttung dahinlebend, hielten sie so große Übel für ein Glück. Bei der Feier von Kinderopfern oder verborgenen Geheimkulten und bei den wilden Gelagen, die sie veranstalteten, achteten sie nicht auf die Reinheit des Lebens und der Ehe, vielmehr tötet einer den anderen oder beleidigt ihn durch Ehebruch. Bei allen herrscht ohne Unterschied Blutvergießen und Totschlag, Diebstahl und Betrug, Verführung und Treulosigkeit, Aufruhr und Meineid, Undankbarkeit, Befleckung der Seelen, widernatürliche Unzucht, Zerrüttung des Ehebandes und Ehebruch. Dieses Bild aus dem Alten Bunde wird von Paulus bestätigt im Römerbrief. Er führt all diese schrecklichen Verirrungen der Heiden auf die Unkenntnis Gottes zurück, auf die irrigen Gottesvorstellungen, die sie haben. „Weil sie die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit dem Bild von vergänglichen Menschen und Tieren vertauschten, überließ sie Gott schrecklichen Leidenschaften. Ihre Weiber vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen. Die Männer verließen den natürlichen Umgang mit der Frau und entbrannten in wilder Gier gegeneinander.“ Durch die religiöse und sittliche Entartung ließ Gott die außerisraelitische Menschheit immer stärker zum Bewusstsein von der Unzulänglichkeit aller menschlichen Erlösungsversuche kommen. Zugleich sprach er zu ihnen. Wie denn? Er sprach zu ihnen durch die Vorsehung und durch das Gewissen. Paulus lehrte in Lystra (in der heutigen Türkei): „Gott ließ in den vergangenen Zeiten alle Völker ihre eigenen Wege gehen, und doch hat er sich nicht unbezeugt gelassen, als Wohltäter, da er vom Himmel den Regen sendet und fruchtbare Zeiten und die Herzen mit Speise und Wonne erfüllt“, das ist die Vorsehung, durch die Gott die Völker außerhalb Israels leitete. Und das Gewissen: „In ihm leben wir“, sagt er, „bewegen wir uns und sind wir.“ Gott spricht in unseren Herzen. Es ist eine geheime Stimme in uns; es ist die Stimme Gottes im Gewissen. Tatsächlich kommt die Erlösungssehnsucht der außerbiblischen Völker sowohl in ihren Philosophien als auch in ihren Religionen zum Ausdruck. Wir haben ja an zwei vergangenen Sonntagen uns diese Philosophien und Religionen vor Augen geführt. Und haben erkannt, dass sie ungenügend sind. Sie haben eine vorläuferische Bedeutung, das ist kein Zweifel. Darin liegt die Größe, aber auch die Gefahr der außerbiblischen Religionen. Die Gefahr besteht darin, dass sie sich weigern, die Offenbarung in Christus anzuerkennen und in ihr aufzugehen, dass sie sich vielmehr gegen sie behaupten und so die Gegner dessen werden, dessen Ankunft vorzubereiten, ihre Aufgabe war. Buddha hatte die Aufgabe, Indien für den Erlöser vorzubereiten, aber er ist dessen wirkungsvollster Widersacher geworden. Die Christus nicht anerkennenden heidnischen Religionen sind durch die Ankunft Christi veraltet. An die Stelle des tastenden Suchens nach Erlösung ist die Gewissheit der erfolgten Erlösung getreten. Das Christentum ist das Wort, welches die Rätsel der alten Welt löst, das die Wahrheitsmomente in den außerchristlichen Religionen und Philosophien erkennen lässt, aber auch den letzten Grund ihrer Irrungen enthüllt. Die Finsternis ist durch das Licht erhellt worden.

Man kann die Frage stellen: Warum ist die Erlösung so lange nach der ersten Sünde gekommen? Jahrtausende, vielleicht Jahrmillionen nach der ersten Sünde? Ist das nicht ein drückendes Geheimnis? Für das Zögern und Warten Gottes lassen sich Gründe angeben. Erstens: Die Gerechtigkeit Gottes wurde in ihrem Ernst und in ihrer Strenge gerade durch das Zaudern mit der Erlösung deutlich. Die Vorbereitung machte klar, die Menschen sollen sich intensiv und umfassend für dieses Geschehnis rüsten. Zweitens: Die Würde des Erlösers verlangte eine lange und eingehende Vorbereitung. Hier kommt ja nicht irgendein Weiser wie Buddha, sondern der da kommt, ist der Herr der Welt. Drittens: Die menschliche Sehnsucht nach gottgegebener Erlösung und die Bereitschaft für sie wurden umso lebendiger, je mehr sich alle menschlichen Versuche, dem Unheil zu entrinnen, als aussichtslos erwiesen. Als es offenkundig geworden war, dass die Philosophien und Religionen außerhalb des Christentums die Erlösung nicht zu verschaffen vermögen, da kam der Messias; das war „die Fülle der Zeit“, wie Paulus im Brief an die Galater schreibt. Zwischen der ersten Sünde und dem Erscheinen des Erlösers lagen riesige Zeiten. Aber auch vor der Menschwerdung des Gottessohnes wurde jedem Menschen grundsätzlich die Möglichkeit gewährt, das Heil zu erwerben. Niemand brauchte ohne seine Schuld verloren zu gehen. Die Erlösung durch Christus warf eben ihren Glanz voraus. Die vorchristliche Zeit nahm am Erlösungswerk Christi teil in der Weise der Vorbereitung. Die christliche Theologie hat stets die Heilsmöglichkeit der Heiden gelehrt. Auch in den heidnischen Religionen spricht sich ja das Sündenbewusstsein aus. Auch in den heidnischen Religionen gibt es Keime der Hoffnung auf den Erlöser, auf die Versöhnung. In der Erfahrung der Sündenschwäche und der sittlichen Not tritt dem menschlichen Bewusstsein die Notwendigkeit göttlicher Hilfe entgegen. Und an diese Disposition knüpft die Erlösung an. Die innere Gnade, die Offenbarung Gottes in den Seelen kann bewirkt haben, dass die Menschen vor Christus, wenn sie sich ihrem Gewissen öffneten, wenn sie den Gott der Erlösung suchten, zur Gnade gekommen sind, dass sie den Glauben – ohne den es unmöglich ist, Gott zu gefallen – gefunden haben. Man darf ferner nicht übersehen, dass uns mit dem Kommen Christi eine schwerere Verantwortung gegeben ist; die Verantwortung war in der vorchristlichen Zeit geringer. Was uns ziemt, ist deswegen Dankbarkeit gegen Gott, dass wir in einer Weltzeit leben, die von der Ankunft des LOGOS, von der Menschwerdung des Sohnes Gottes geprägt ist. Wir dürfen wandeln im Licht und in der Kraft, die er uns gebracht hat. Wir sind Menschen der Hoffnung, die Ausschau halten nach der Vollendung der Erlösung. Es wird einmal das Reich aufgerichtet werden, das Reich, meine lieben Freunde, in dem die Sonne nicht untergeht, weil ihre Sonne Gott selber ist.

Amen.

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