Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Erlösung (Teil 3)

5. Mai 2016

Die Himmelfahrt Christi als Ereignis und Zustand

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Himmelfahrt unseres Herrn Versammelte!

Die Himmelfahrt Christi wird in der Heiligen Schrift in mannigfacher Weise bezeugt. Sie ist auch Gegenstand der kirchlichen Glaubensaussage, und zwar in allen Glaubensbekenntnissen. Die Glaubensaussage von der Himmelfahrt bekennt ein Doppeltes: Einmal das Ereignis und dann den Zustand, bzw. das Leben des erhöhten Herrn in der Teilnahme an der Macht und Herrlichkeit Gottes. Die Himmelfahrt Jesu ist ein geschichtlicher Vorgang in Raum und Zeit. Sie ist die lokale Versetzung der verklärten menschlichen Natur Christi an einen ihrem verklärten und seligen Zustand entsprechenden Ort innerhalb der Schöpfung. Die äußere Erhebung Jesu versinnbildet den Übergang in den jenseitigen Glückseligkeitszustand, versinnbildet ihn, aber sie bewirkt ihn nicht. Die Ursache für diesen Übergang liegt in der empfangenen Verklärung, nicht in der äußeren Elevation. Seiner göttlichen Natur nach hat Christus, der als Gott Himmel und Erde erfüllt, den Himmel nie verlassen. Seiner Menschheit nach, die nicht allgegenwärtig ist, war er vor der Auffahrt nicht im Himmel. Diese Bewegung ist nur von seiner Menschheit auszusagen. Seiner menschlichen Natur nach verließ er die Erde und begab sich an den Ort der gemeinsamen Seligkeit der Engel und Menschen, wo immer dieser sein mag. Dass die menschliche Natur an irgendeinen Ort versetzt wurde, ergibt sich aus ihrem stofflichen Charakter; er ist durch die in der Auferstehung vollzogene Verwandlung nicht aufgehoben worden. Wenn die verklärte Natur an Raum und Zeit gebunden bleibt, muss sie irgendwo existieren. Wo sie sich freilich befindet, können wir in keiner Weise bestimmen. Es gibt keinen uns bekannten Ort im Weltall, von dem wir sagen könnten, dass er der verklärten Natur Christi mehr angepasst wäre als ein anderer, unserer Erfahrung zugänglicher. Christus, der Auferstandene, muss sich irgendwo befinden. Er ist weder unörtlich noch überörtlich, aber wir wissen es nicht, wo dieser Ort ist. Und wenn wir es wüssten, könnten wir ihn doch nicht erreichen, denn seine Wirklichkeit ist der menschlichen Erfahrung und allen menschlichen Mitteln entzogen. So war es schon mit dem Auferstandenen. Er kam, wann und wo er wollte, und er ging, wenn es an der Zeit war. Kein Mensch konnte ihn herbeizwingen, aber auch kein Mensch konnte ihn festhalten. So hätte es auch bei der letzten Auferstehung Jesu geschehen können. Er hätte einfach verschwinden können so wie damals in Emmaus. Aber nein, er vollzog den Abschied anders und dafür muss er seine Gründe gehabt haben.

Die Gestik bzw. die Aussage des Emporschwebens ist eine Aussage aus dem antiken Weltbild, aber sie ist mit dem antiken Weltbild nicht so verbunden, dass sie nicht von ihm ablösbar wäre. Wir müssen die Vorstellung und den Kern der Aussage unterscheiden. Der Abschied Jesu von seinen Jüngern vollzog sich räumlich gesehen nach oben. Für die Vorstellung der Menschen seiner Zeit – und wahrscheinlich auch für uns – ist „oben“ ein Sinnbild für das Helle, Lichte, Himmlische, Erhabene. Durch das Erheben nach oben wurde angezeigt, angezeigt!, dass der verklärte Jesus in die Welt des Hellen, Lichten, Himmlischen, Erhabenen geht, dass er zu Gott geht. Wäre er in die Erde versunken – was auch möglich gewesen wäre–, hätte es den Anschein gehabt, er sei in die Unterwelt, in das Dunkle, in das Finstere, in das Höllische gegangen. Wir haben hier eine Anpassung des Offenbarungsgeschehens, eine Adaption der Erfahrung der Menschen gegenüber vor uns, eine Anpassung an die zeitgenössische Vorstellung. Was verkündet wird, ist die Tatsache der Existenzerhöhung, der neuen Existenzweise Jesu. Und das zeigt sich auch darin, dass in den übrigen Schriften des Neuen Testamentes durch zahlreiche Texte verbürgt ist, dass Jesus zum Vater gegangen ist, ohne dass von der Geste des Emporhebens die Rede ist. Christus wird von Paulus als der Erhöhte bezeugt, der in Macht und Herrlichkeit herrscht und zur Rechten des Vaters thront, d.h. an der Herrschergewalt und an der Herrlichkeit Gottes teilnimmt.

Die Himmelfahrt Jesu geschah in eigener Kraft. Sie war ähnlich wie die Auferstehung ein selbstmächtiges, aktives Emporsteigen. Elias und Habakuk wurden hinaufgetragen, und von Maria wird gesagt, sie ist in den Himmel aufgenommen, nicht in den Himmel aufgefahren; es geschah nicht durch eigene Kraft. Die Auffahrt hat Jesus durch eigene Kraft bewirkt, und zwar zunächst indem er Gott ist; aber auch als Mensch vollzog er sie, weil die Verklärung seiner Seele die Kraft verlieh, den Leib frei überall hin zu bewegen. Es ist ein Dogma katholischen Glaubens, dass Christus als Mensch glorreich in den Himmel aufgefahren ist und zur Rechten Gottes sitzt. Das Sitzen, dieser biblische Ausdruck des Sitzens zur Rechten Gottes ist keiner buchstäblichen Deutung fähig, denn Gott ist ein körperloser, einfacher Geist, er hat kein rechts und kein links. Es ist dies eine bildliche Redensart. Das Sitzen zur Rechten des Vaters ist nicht örtlich, lokal zu verstehen, sondern symbolisch, gleichnishaft. Es bedeutet die Dauer und den unverlierbaren Besitz seiner Herrlichkeit sowie die Teilnahme an der Weltherrschaft des Vaters. Dadurch, dass die menschliche Natur Jesu jetzt endgültig in den Zustand der göttlichen Herrlichkeit erhoben ist, hat der Erniedrigungszustand des Erlösers in der Knechtsgestalt sein absolutes Ende gefunden und dem himmlischen Königtum Platz gemacht.

Man kann fragen, wo der Auferstandene weilt. Es wäre eine naive Vorstellung anzunehmen, dass in der Welt, im Kosmos, also im Sternenhimmel irgendein Raum ausgespart wäre, an den sich Christus begeben hätte, weil er etwa für seine verklärte Existenzweise besonders günstige Bedingungen böte. Hier würde das Ereignis der Auferstehung und der Himmelfahrt völlig missverstanden. Die Erhöhung Jesu führt in eine Existenzweise, die von der irdischen Erfahrungsexistenz wesenhaft unterschieden ist. Der in den Himmel aufgefahrene Jesus ist in die Gott vorbehaltene Wirklichkeit eingegangen; diese ist jeder möglichen Erfahrung entzogen; sie kann also durch die Raumfahrt nicht erreicht werden. Vielleicht denken manche: Wir sind halt nicht weit genug gekommen mit den Raumschiffen. O, meine lieben Freunde, die Raumschiffe mögen so weit fahren, wie sie wollen, wie sie können, sie werden Christus, den Auferstandenen und in den Himmel Aufgefahrenen nicht erreichen, denn er ist der Erfahrung entzogen, er ist ein transzendentes Wesen. Und die Transzendenz überschreitet nicht nur die Erde, sondern das ganze Weltall. Die Wirklichkeit des Himmels kann mit irdischen Mitteln nicht erreicht werden. Gottes absolute Überlegenheit schließt jeden menschlichen Zugang aus. Gott allein kann die Tür zum Paradies öffnen, wie er es dem rechten Schächer getan hat. Die Nichterfahrbarkeit Gottes von Seiten des Menschen, die Nichterzwingbarkeit seiner Gegenwart durch uns Menschen ist geradezu ein Attribut der Göttlichkeit, selbstverständlich mit der Einschränkung, dass Gott sich erfahren lassen kann, wenn er will. Achten Sie bitte darauf, dass der Apostel in seinem Schreiben an die Gemeinde in Ephesus von Christus erklärt: „Er stieg hinauf über alle Himmel“, nicht in den Himmel, in den Wolkenhimmel, sondern über alle Himmel. Das könnte ein Hinweis sein, ein Zeichen, dass die Vorstellung vom Aufstieg in den Wolkenhimmel ungenügend ist. Wolkenhimmel und Gotteshimmel sind total verschieden.

Was das Verhältnis von Auferweckung und Himmelfahrt angeht, so ist zu beachten, dass die Heilige Schrift nur einen einzigen Erlösungsvorgang kennt und den nennt sie Erhöhung. Erhöhung ist das Zusammen von Auferweckung und Himmelfahrt. Wenn Jesus zu dem rechten Schächer sagt: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“, dann sieht man, dass die Aufnahme und der Eingang in den Himmel nicht daran gebunden ist, dass man irgendeine Zeitlang noch wartet, sondern dass eben, wenn Christus will, dieser Eingang sofort geschafft wird. Auferstehung und Himmelfahrt bilden zusammen die Erhöhung Jesu. Wenn der Evangelist Lukas – wie wir morgen hören werden – von einer Himmelfahrt Jesu am Auferstehungstage und einer anderen vierzig Tage nachher berichtet, so ist dies dahin zu verstehen, dass der Auferstandene jeweils, bei jeder Erscheinung, aus seiner himmlischen Herrlichkeit kommt und sich den Jüngern zeigt und nach der Beendigung der Erscheinung wieder in den Himmel zurückkehrt. Die Himmelfahrt Jesu, die wir heute feiern, ist also kein völlig neues Element im Leben oder in der Existenzweise des Auferstandenen, sie ist nur der Abbruch bzw. das Ende der Erscheinungen. Vierzig Tage hindurch sprach Jesus mit den Seinigen über das Reich Gottes, dann hörten diese Erscheinungen auf. Jesus wird sich als der Verklärte erst wieder zeigen bei seiner Wiederkunft am Ende der Welt. Die Himmelfahrt, vierzig Tage nach Ostern, ist jener Akt, durch den das Ende der Erscheinungen des Auferstandenen gesetzt wird.

Alles im Leben Jesu, meine lieben Freunde, geschah für uns. „Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen.“ Seine Ankunft, sein Bleiben, aber auch sein Gehen dient unserem Heil. Das Gehen Jesu ist der Tod, die Auferweckung und die Himmelfahrt. Christus hat in seiner Auferweckung und Himmelfahrt die himmlische Existenzweise für sich und für alle seine Brüder geschaffen. Der Himmel ist das Leben der Herrlichkeit Gottes in der Teilnahme des leibhaftigen Menschen und des Kosmos an dem dreipersönlichen Lebensaustausch Gottes. In soteriologischer Hinsicht, also was die Erlösung angeht, ist die Himmelfahrt Jesu der krönende Abschluss seines Erlösungswerkes. Die Erlösung ist jetzt tatsächlich objektiv vollendet, aber sie muss subjektiv zugewandt werden. Und deswegen geht das Heilswirken Jesu weiter; es ist nur eine andere Wirkweise eingetreten. „Ich aber, wenn ich erhöht sein werde, werde alle zu mir ziehen“, da spricht Jesus davon, dass er weiter tätig ist: „Ich aber, wenn ich erhöht sein werde, werde alle zu mir ziehen.“ Er steht zu seinem Wort, er hat es erfüllt, zuerst an den Gerechten des Alten Bundes, die auf die Erlösung warteten. Jetzt ist sie da und jetzt werden sie heimgeführt vom auferstandenen, vom erhöhten Jesus. Mit ihm zogen die Seelen der Gerechten des Alten Bundes in die Herrlichkeit des Himmelreiches ein. Christus bereitet auch den Seinigen dort eine Stätte: „Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Wäre es nicht so, hätte ich es euch gesagt. Denn ich gehe hin, euch ein Heim zu bereiten. Wenn ich hingegangen bin und euch ein Heim bereitet habe, komme ich wieder und will euch zu mir nehmen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.“ Der Apostel Paulus hat dieses Wort begriffen. Er hat in diesem Worte seine Hoffnung und seinen Trost gefunden. Als er in Gefangenschaft war, da schrieb er einen Brief an die Gemeinde in Philippi. Und in diesem Briefe schreibt er, er habe Sehnsucht zu sterben. Warum? Denn dann wird er bei Christus sein. Er weiß, dort ist eine Wohnung für ihn bereitet. Christus in seiner himmlischen Herrlichkeit legt unablässlich Fürbitte für uns ein. Er hat ja ein unvergängliches Priestertum, nicht ein vergängliches wie wir. Er hat ein unvergängliches Priestertum, deshalb kann er immerdar jene erretten, die durch ihn Gott sich nahen. Er lebt allezeit, um Fürbitte für uns einzulegen. Das ist der Grund, meine lieben Freunde, warum wir unsere Gebete und Bitten durch Christus an den Vater richten, durch Christus; er ist der Mittler. Er nimmt sie an, er nimmt sie auf und trägt sie empor, er legt sie gleichsam in seine Hände, auf dass er sie dem Vater vortrage. Der an Gottes Herrschermacht teilnehmende Sohn tritt beim Vater für uns ein und rettet uns vor dem drohenden Zorngericht Gottes. Das erhabenste Geschenk des in den Himmel aufgefahrenen Herrn ist der Heilige Geist. Er sendet als Frucht seiner Erlöserbitte den Aposteln den Heiligen Geist und teilt den Seinen allezeit die Gaben des Geistes mit. „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der ewig bei euch bleiben soll, den Geist der Wahrheit.“

Diesem Herrn gehören alle Menschen. Er ist das Haupt des Alls, in ihm erhält alles im Himmel und auf Erden ein neues Haupt, sodass durch ihn alles im Himmel und auf Erden versöhnt wird. Diese universelle Stellung als Haupt wirkt sich am heilsmächtigsten dadurch aus, dass er auch das Haupt der Kirche ist. Nicht der Papst ist das Haupt der Kirche, er vertritt das Haupt der Kirche, aber das Haupt der Kirche ist Christus. So setzt der himmlische Christus selbst im Erhöhungszustand sein Erlösungswerk fort, indem er es den Gläubigen zuwendet. Die Wirklichkeit des Himmels, meine lieben Freunde, ist für uns unvorstellbar, aber sie ist deswegen nicht weniger wirklich wie die Gegenstände, die wir auf Erden betrachten. Der Himmel entspricht eben der Seinsweise Gottes. Und wie ist die Seinsweise Gottes? Von ihm sagt Paulus im 1. Brief an Timotheus: „Gott wohnt in unzugänglichem Lichte, den kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann.“ Was Paulus ausführt, bestätigt der Apostel Johannes: „Gott hat nie jemand geschaut.“ Er hat ihn nicht geschaut, weil er verbrannt würde vom Glanz der Herrlichkeit Gottes. Der Unerschaffene kann für keine geschaffene Natur sichtbar werden. Und noch einmal Paulus im 1. Brief an die Korinther: „Das aber versichere ich, Brüder: Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben.“ Also man muss erst umgewandelt werden, bevor man das Reich Gottes erben kann. Es ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der himmlischen und der irdischen Wirklichkeit. Erst muss die Erdhaftigkeit abgestreift werden, bevor der Eingang in Gottes Wirklichkeit erfolgen kann. Die Seligen des Himmels allerdings schauen Gott. Sie schauen Gott, wie er ist. Es ist ein Schauen von Angesicht zu Angesicht, von Person zu Person. Der Auferstandene und in den Himmel Aufgefahrene, meine lieben Freunde, hat uns nicht aus den Augen verloren. Er kennt uns und wirkt in uns mit seiner Gnade. Er wartet auf uns. Wenn unsere Seele vom Körper gelöst sein wird, ist sein Warten zu Ende. Dann richtet er uns. Wir hoffen, dass sein Gericht gut für uns ausgehen wird. Dann werden wir zu ihm kommen und immer bei ihm bleiben.

Amen.

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