Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das Leiden Jesu Christi (Teil 5)

24. Februar 2013

Jesus vor Herodes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

 "Ich finde keine Schuld an ihm." So beendete der Prokurator Pontius Pilatus das Verhör mit Jesus. Pilatus war von seiner Unschuld überzeugt. Was hätte er als gerechter Richter tun müssen? Er hätte ihn freisprechen müssen! Aber er tat es nicht. Und damit beginnt seine Schuld. Wohl suchte er Jesus freizubekommen, dreimal, wie wir noch hören werden. Aber immer nur auf Umwegen. Er hielt es für unangebracht, angesichts der Entschlossenheit der Juden, Jesus zu töten, sie durch bündige Ablehnung der Anklage vor den Kopf zu stoßen. Er wusste, wie unangenehm einem Manne, wie er es war, der jüdische Fanatismus werden konnte. Die Juden hatten Beziehungen nach Rom. Sie konnten den immer misstrauischen Tiberius, den Kaiser, gegen ihn aufbringen. Und er hatte ja eine Menge von Verfehlungen angesammelt. In jedem Falle fehlten ihm die Eigenschaften, die wir von einem Richter erwarten, nämlich innere Freiheit und Unabhängigkeit, Überzeugungstreue, Festigkeit, Unbeugsamkeit. Er machte drei Versuche, Jesus freizubekommen, aber alle scheiterten. Die Juden ließen nicht nach. Sie wussten, welche Anklage bei Pilatus auf Gehör stoßen könnte, und welche Anklage er nicht würde abweisen können. "Er beunruhigt das Volk, indem er im ganzen Land der Juden als Lehrer auftritt, von Galiläa angefangen bis hierher." Damit war das Stichwort gefallen. Als Pilatus hörte, dass der Mann ein Galiläer sei, da kam ihm ein Gedanke. Er wollte ihn dem Herodes, dem Herrscher über Galiläa, ausliefern. Er schickte ihn zu Herodes, der in diesen Tagen auch in Jerusalem war, also gar nicht weit entfernt. Der erste Rettungsversuch des Pilatus knüpfte daran an, dass Jesus Untertan des Tetrarchen, des Vierfürsten Herodes war. Er war zu diesem Schritt nicht verpflichtet. Als Prokurator konnte er jede öffentliche Störung der Ordnung von sich aus aburteilen, unbehelligt von irgendwelchen anderen Ansprüchen. Pilatus unternimmt es aus freien Stücken, Jesus dem Herodes zu überstellen. Und zwar in der Erwartung, dass er den unbequemen Rechtsfall loswird. Er war dazu berechtigt, denn seine eigene Zuständigkeit konkurrierte mit der des Tetrarchen Herodes. Dieser war ein mit Gerichtshoheit ausgestatteter Klientelfürst. Außerdem war er zuständig für in seinem Gebiet begangene Verfehlungen. Man nennt das juristisch „forum delicti commissi“, die Gerichtshoheit über das begangene Delikt.

Herodes, mit dem wir es hier zu tun haben, ist natürlich nicht der Herodes der Kindheitsgeschichte Jesu, das war sein Vater. Herodes der Große, das war sein Vater. Dieser Herodes hat den Beinamen Antipas oder auch Tetrarch, Vierfürst. Er regierte von 4. v. Chr. bis 39 n. Chr., also 43 Jahre. Er residierte in Tiberias, einer Stadt am See Genezareth. Die hatte er glänzend ausbauen lassen. Er ist uns schon mehrfach begegnet, nämlich wegen seiner ehebrecherischen Verbindung mit der Herodias, der Frau seines Bruders. Und noch mehr hatte er sich schuldig gemacht, als er Johannes den Täufer einkerkern und schließlich hinrichten ließ. Die Juden mochten ihn nicht. Sie wussten, dass er ein schlimmer Kerl war und dass er eine gerechte Strafe verdient hatte, die ihm auch zuteil wurde. Er wurde nämlich abgesetzt und nach Lugdunum, nach Lyon in Frankreich, verbannt. Herodes muss schon vorher vom Auftreten Jesu erfahren haben. Und er geriet in Unruhe. Er sagte: "Johannes der Täufer, den ich habe hinrichten lassen, ist auferstanden!" Das war natürlich nicht der Fall. Und er hat sich wahrscheinlich auch dann beruhigt, aber er schien Jesus gefährlich zu werden. Pharisäer, die Jesus freundlich gesinnt waren, warnten ihn vor Herodes. Und was antwortete Jesus: "Sagt diesem Fuchs", das ist sein Landesherr, "sagt diesem Fuchs, ich treibe Geister aus und vollbringe Heilungen, heute, morgen und erst am dritten Tage werde ich vollendet." Das war aus der Ferne eine Begegnung zwischen Jesus und seinem Landesherrn. Jetzt aber wird er ihm überstellt. Was hat Pilatus von Herodes erwartet? Die Meinungen gehen auseinander. Manche sagen, einen Prozess gegen Jesus. Andere, ein Gutachten für Pilatus. Was ist die Wahrheit? Vermutlich wollte Pilatus den lästigen Rechtsfall loswerden. Die Sache sollte durch Herodes erledigt werden, nicht bloß begutachtet. Entscheidend ist eine Äußerung von Pilatus am Ende der Episode. Als ihm Jesus wieder vorgeführt wurde, erklärte er: „Herodes hat an dem Angeklagten keine Schuld gefunden, denn er hat ihn zurückgeschickt". Pilatus schloss also aus der Zurücksendung Jesu, dass Herodes ihn für unschuldig hielt. So könnte er nicht sprechen, wenn er nur eine gutachtliche Äußerung bei Herodes beantragt hätte, denn in diesem Fall hätte ja Jesus in jedem Falle zurückgeschickt werden müssen. Die Worte des Prokurators haben also den Sinn: Hätte Herodes den Angeklagten für schuldig gehalten, würde er ihn nicht zurückgeschickt, sondern behalten haben, um ihm den Prozeß zu machen. Welches Urteil dürfte Herodes nach der Meinung von Pilatus gefällt haben? Es scheint, dass Pilatus mit einem Freispruch rechnete. Ihn selbst hatten die Beschuldigungen des Hohen Rates nicht überzeugen können. Es war vorauszusehen, dass bei Herodes keine schlagkräftigeren Argumente vorgebracht werden könnten. Außerdem durfte der Prokurator annehmen, dass Herodes schon längst gegen Jesus vorgegangen wäre, wenn er ein Verbrechen begangen hätte. Dass er ihn so lange gewähren ließ, das war ihm ein Zeichen dafür, dass er keine Schuld an ihm fand.

In früher Morgenstunde nun wird Jesus zu Herodes geschickt. Römische Soldaten bewachen ihn, und Mitglieder des Hohen Rates begleiten ihn. Herodes hatte bisher Jesus nicht zu Gesicht bekommen. Das mag daran liegen, dass er oft von Galiläa abwesend war. Er war ein genusssüchtiger Mann und interessierte sich nicht für religiöse Fragen. Nun freute er sich, dass er Jesus sehen sollte. Und jetzt traten sich Landesherr und Untertan gegenüber. Herodes, ein lebenshungriger Despot, religiös gleichgültig, ein Bauherr, ein Freund prachtvoller Bauten, ein Freund üppiger Tafeln und verfeinerten Lebensgenusses. Die Klugheit des Diplomaten besaß er, aber sie verließ ihn, wenn ihn die Sinnlichkeit überwältigte. Denken wir an seine Heirat mit Herodias. Und hier, auf der anderen Seite, der Handwerkersohn, anscheinend ungebildet und weltfremd, ein gewöhnlicher Untertan, von dem allerdings merkwürdige Dinge berichtet werden, die Herodes jetzt auszuforschen versucht. Und es ist bezeichnend für den leichtfertigen Fürsten, dass er sich zunächst nur für den Wundermann Jesus interessiert. Er scheint ganz vergessen zu haben, weswegen ihm Jesus überstellt wird. Mit vielen Worten dringt er in ihn, um Näheres über die geheimnisvollen Kräfte zu erfahren, die in ihm wirken, und womöglich Zeuge eines Wunders zu werden. Er stellt Jesus auf eine Stufe mit den Gauklern und Narren, die an den Höfen der Potentaten zur Unterhaltung dienten. Aber die gute Laune vergeht ihm bald. Sein Wortschwall begegnet tauben Ohren. Er hat gewiss angenommen, dass ein Untertan, der in ein so bedenkliches Verfahren verwickelt ist, seinem Wunsche willfahren werde. Nichts dergleichen! Jesus bleibt kühl und stumm. Sein Schweigen ist das Schweigen des Gottesknechtes, wie es Isaias in seinem Buch vorherverkündet hat. Jetzt erst besinnt sich Herodes auf das zu erledigende Rechtsgeschäft. Er gibt den anwesenden Hohenpriestern und Schriftgelehrten Gelegenheit, ihre Anklagen vorzubringen, und sie tun das mit vielen Worten. Sie standen da und beschuldigten ihn leidenschaftlich. Aber all das macht auf Herodes keinen Eindruck. Nur einen Anklagepunkt findet er bedenkenswert: Jesu Anspruch auf die Königswürde. Er amüsiert sich über diesen Anspruch. Er nimmt ihn nicht ernst, er hält ihn für fantastisch. Und deswegen gibt er Jesus der Verachtung preis und spottet über ihn. Er lacht ihn aus! Seine Umgebung stimmt ein in den Spott. Der Königsanspruch Jesu erscheint ihnen so paradox, dass er sie zur Verspottung reizen muss. Die Szene endet mit einer Karikatur von Jesu Königswürde. Herodes lässt ihm ein Prunkgewand anlegen, ein königliches Symbol, und so, als Spottkönig ausstaffiert, sendet er ihn zu Pilatus zurück. Mit der Rücksendung gibt er zu verstehen, dass er den Mann für lächerlich und ungefährlich hält.

Meine lieben Freunde, zu den schäbigsten Taten, deren Menschen fähig sind, gehört es, einen Wehrlosen und Hilflosen zu verspotten. Man muss schon sehr gefühllos, roh und grausam sein, um dazu die Hand zu bieten. Herodes gehört zu dieser Kategorie von Menschen. Jesus wollte auch diese Schmach erdulden, für uns Menschen und um unseres Heiles willen. Auch durch das Ertragen des Spottes vor Herodes hat Jesus uns erlöst und uns ein Beispiel hinterlassen, wie wir uns verhalten sollen, wenn Spott und Hohn uns treffen. Die Szene endet mit der bezeichnenden Bemerkung: "An diesen Tage", der Rücksendung, „an diesem Tage wurden Pilatus und Herodes Freunde.“ Vorher hatten sie in Feindschaft gelebt.

Das ist ein symbolisches Geschehen. So groß der Streit und der Unfriede in der Welt auch sein mag, die ärgsten Feinde schließen sich zusammen, wenn es gilt, die persongewordene Wahrheit Gottes zu verwerfen. Hier wird in der Leidesgeschichte Jesu ein Grundsatz ausgesprochen, der sich in der Geschichte tausendfach bewahrheitet hat. In der Gegnerschaft gegen Dritte entstehen merkwürdige Koalitionen. In der Rivalität gegen einen Dritten verbünden sich selbst Feinde. Man kann sich kaum eine grimmigere Feindschaft vorstellen als die zwischen Hitler und Stalin. Stalin und der Bolschewismus wurden im Deutschen Reich unter Hitler namenlos verunglimpft. Ich erinnere mich, als Knabe, wie ich im Jahre 1941 überall in der Stadt Plakate gesehen habe, auf denen stand: Der Bolschewismus ist keine Weltanschauung, ist keine Idee. Er ist das organisierte Verbrechertum. Ein Ausspruch von Adolf Hitler. Aber diese beiden grimmigen Feinde fanden sich, als es galt, über Polen herzufallen. Sie schlossen einen Vertrag. Sie wurden zwar keine Freunde, aber sie wurden Vertragspartner. In der gemeinsamen Gegnerschaft hatten sie sich gefunden. Jeder meinte, er könne damit Gewinn machen, und zunächst sah es ja so aus. Der größere Teil von Polen fiel an Deutschland, der andere Teil an Russland. Dieselbe Erfahrung, wie sich Menschen in Gemeinheit verbinden, findet man auch im zwischenmenschlichen Bereich. Sie wissen alle, welche Gegensätze zwischen den Menschen bestehen. Gegensätze der Ideologie, der Stellung, der Wirtschaft, der Macht. Aber im primitiven Genuss, im gemeinen Spaß, in der gemeinsamen Niedertracht, da finden sie sich. Treffend hat das einmal Heinrich Heine ausgedrückt: "Selten habt ihr mich verstanden. Selten auch verstand ich euch. Nur wenn wir im Schmutz uns fanden, da verstanden wir uns gleich."

Jahrhundertelang gab es im Protestantismus zwei Religionsparteien: Lutheraner und Calvinisten – oder Reformierte. Sie bekämpften sich erbittert, aber sie vergaßen ihre Gegnerschaft, wenn es gegen die katholische Kirche ging. Ja, sie schlossen sich trotz bleibender Glaubensgegensätze, im 19. Jahrhundert, zur Konsens-Union zusammen, um vereint den Katholizismus zu bekämpfen. Sie haben alle gehört vom Kulturkampf, den Bismarck gegen die katholische Kirche führte. Die Protestanten spürten, dass hier nicht nur die katholische Kirche getroffen wurde, sondern das Christentum insgesamt. Dennoch meinten sie, Bismarck, den politischen Luther, wie er bezeichnet wurde, nicht im Stiche lassen zu können und machten seinen Kampf mit und unterstützten seine Gesetze. In der Zeit des Nationalsozialismus gab es ein Bündnis von Protestanten und Nationalsozialisten gegen die katholische Kirche. Wenn Sie sich unterrichten wollen, ausführlich darüber unterrichten wollen, verweise ich Sie auf mein Buch "Kirchenkampf oder Katholikenverfolgung". Protestantische Führer nährten das Misstrauen und die Abneigung der Partei und der Regierung gegen die katholische Kirche und die katholischen Christen. Der protestantische Reichsbischof Müller schrieb 1939: „Wer gläubiger Katholik geworden oder geblieben ist, der ist bestimmt ein Gegner des Nationalsozialismus.“ Das traf zwar zu, war aber gesagt, um Stimmung gegen die katholische Bevölkerung zu machen. Viele Protestanten sahen das Wüten des Regimes gegen die katholische Kirche mit Zustimmung. Die strafrechtliche Verfolgung von Priestern und Ordensleuten erfüllte sie mit Genugtuung und Schadenfreude. Der protestantische Landesbischof der Pfalz verkündete: „In fünfzig Jahren gibt es in Deutschland keine katholische Kirche mehr.“

Wir katholischen Christen sind, wie unser Herr und Meister, immer in Gefahr, dass sich unsere Gegner und Feinde gegen uns zusammenschließen, denn unser Glaube und unsere Sittenlehre reizen sie alle, ohne Ausnahme. Die nichtkatholischen Religionsgemeinschaften tragen keine Bedenken, mit dem das Gottesrecht missachtenden Staat zusammenzugehen, um Vorhaben zum Erfolge zu verhelfen, die der christlichen Sittenlehre ins Gesicht schlagen. Denken Sie an die Gesetze über die Homosexuellen. Auf Katholiken wird in unserem Staat keine Rücksicht genommen. Aber in all dem leben wir in der Genugtuung: Es geht uns nicht anders als unserem Herrn. "Haben sie mich verfolgt, werden sie auch euch verfolgen." Der geschundene Herr vor Herodes und Pilatus mahnt uns zu Geduld und Standhaftigkeit. Wer seinen Feinden mit Wohlwollen und Liebe gegenübertritt, ist auch dann Sieger, wenn er unterliegt. Denn noch gilt das Wort des Heilandes: "Wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen."

Amen.

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