Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Natur und Übernatur (Teil 5)

30. März 2003

Das äußere und das innere religiöse Leben

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Religiöse Menschen haben gewöhnlich eine Scheu, von ihren religiösen Erlebnissen zu sprechen. Sie meinen, daß das Allerheiligste auch das Allerheimlichste sein müsse. Nun ist aber die Außenwelt da, und sie bedarf der Religion, sie bedarf des höchsten Lebens, das es überhaupt gibt, nämlich des religiösen Lebens. Sie ist auf die Religion angewiesen. Deswegen darf die Religion nicht im Inneren verschlossen bleiben. Die Religion muß nach außen dringen, weil sie nämlich das Äußere durchdringen soll. Und so hat ja auch unser Herr und Heiland uns angewiesen. Er sagt auf der einen Seite: „Wenn du beten willst, dann geh in dein Kämmerlein, schließe die Tür und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen sieht!“ Andererseits aber sagt er, daß wir unser Licht leuchten lassen sollen vor den Menschen: „Die Leute sollen eure guten Werke sehen, damit sie den Vater im Himmel preisen.“ Der Herr betont einerseits die Innerlichkeit des Reiches Gottes: Das Reich Gottes ist in gewisser Hinsicht in euch; aber zugleich ist die Kirche, das Organ des Reiches Gottes, etwas Äußeres, eine Stadt auf dem Berge, die man sehen soll. Man zündet ja kein Licht an, um es unter den Scheffel zu stellen, sondern auf den Leuchter, damit es allen leuchte, die in dem Hause sind. „So soll euer Licht leuchten vor den Menschen.“

Wir müssen also Innerlichkeit des Religiösen und Nach-außen-Dringen vereinen. Das Äußere muß vom Inneren geprägt sein, und das Innere muß das Äußere gestalten. Wir können deswegen das Thema unserer Überlegungen in zwei Sätze fassen, nämlich erstens: Das Äußere und Sichtbare muß aus dem Inneren strömen, und zweitens: Das Äußere und Sichtbare muß zum Inneren hinführen. Äußerlichkeit und Innerlichkeit gehören zusammen. Sie lassen sich nicht auseinanderreißen.

In der Tat, meine lieben Freunde, alles, was uns innerlich bewegt, das will auch nach außen dringen. Wenn wir eine Empfindung haben, dann wird sie sich in unserem Gesicht, in unseren Zügen abzeichnen Unser Wille will sich in der Tat bewähren; unsere Liebe will sich in dem Liebeserweis zeigen. So ist es auch mit dem Religiösen. Wenn wir beten, dann muß sich die Gebetsinnerlichkeit auch im Äußeren kundtun. Auch wenn man im Kämmerlein betet, wird man eine Gebetshaltung einnehmen, man wird die Hände falten, man wird die Knie beugen, man wird nach oben schauen. Irgend eine Äußerung wird sich aus der religiösen Innerlichkeit fast notwendig ergeben. Das Innere muß sich im Äußeren ausdrücken. Man kann nicht bei Gott sein, wenn nicht dieses Bei-Gott-Sein im Äußeren sich zeigt. Wenn jemand seine Gebetsstunde gehalten hat, dann kann er nicht wieder wie ein profaner Mensch herumlaufen, dann muß etwas von dem gewaltigen Ernst, von der Ehrfurcht, von der heimlichen Freude, die er im Gebet empfunden hat, nach außen dringen. Oder denken wir an den Empfang der heiligen Kommunion. Das ist ja das Innerlichste und Tiefste und Geheimnisvollste, was der Menschenseele widerfahren kann. Ein Mensch, der wirklich Kommunionandacht gehalten hat, der sich wirklich mit seinem Gott und Heiland vereinigt hat, der kann nicht wieder hingehen und ein eifersüchtiger und eigensüchtiger, ein boshafter und launischer Mensch sein, sondern er muß zeigen, daß er auf einem heiligen Berge gewesen ist und daß etwas vom Glanz dieser Begegnung mit Gott in seinem Leben weiterwirkt. Das Äußere und Sichtbare muß tatsächlich aus dem Inneren und Innerlichen strömen.

Da ist natürlich ganz notwendig auch, daß die innere Welt sich im äußeren Tun und Handeln ausdrückt, daß man keine Ruhe findet, bis nicht unser äußeres Tun vom Inneren durchdrungen ist. Der heilige Paulus sagt: „Alles, was ihr tut, ob ihr eßt oder trinkt, soll alles zur Ehre Gottes geschehen.“ Wenn schon so profane Dinge wie Essen und Trinken sich zur Ehre Gottes vollziehen sollen, dann erst viel mehr unsere Kultur, unsere Wirtschaft, unsere Politik; sie muß aus dem Inneren strömen. Die Werke der Menschen, die diese Gebiete betreiben, müssen aus dem Inneren strömen, damit wirklich die Gebiete der Kultur, der Wirtschaft und der Politik durchdrungen werden von der einen Absicht, zur größeren Ehre Gottes zu wirken. Der Mensch lebt eben nicht vom Brote allein, er lebt von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt. Darum kann der Mensch auch keine Ruhe finden, bis er nicht das äußere Leben vom Inneren durchdrungen hat. Er muß die Welt gestalten, wie es ihm seine Verbundenheit mit Gott eingibt. Er muß das Leben führen, wie es sich aus den Geboten, die Gott ihm zuspricht, mit Notwendigkeit ergibt. Wir haben es gar nicht in unserer Freiheit, ob wir religiös leben wollen oder nicht: wir müssen religiös leben, denn die Menschheit kann nicht menschlich leben, wenn sie nicht übermenschlich durchwirkt ist. Sie kann die Erde nicht behaupten, wenn sie nicht zum Himmel aufschaut. Sie kann die Zeit nicht erfüllen, wenn sie nicht die Ewigkeit vor sich hat.

Dann muß natürlich auch die äußere Welt sich von dem Inneren erfüllen lassen. Das Äußere, die profane Außenwelt, ist wertlos, ist sinnlos, wenn sie nicht von der Innerlichkeit erfüllt ist. Was wir äußerlich tun, das muß aus einer inneren Welt strömen, die Gott in uns aufgebaut hat, auch im religiösen Leben. Alle Seelsorge, alle Vereinsarbeit, alle Verbände, alle Prozessionen, alle Wallfahrten haben nur soviel Zweck und Sinn, als sie aus dem Inneren strömen. Das Äußere nützt nichts, wenn es nicht von der Innerlichkeit durchwirkt ist.

Nun wissen wir ja, daß Christus mit seiner Gnade die Kirche und ihre Veranstaltungen, vor allem ihre Sakramente und ihren Wortdienst, mit seiner Kraft erhält und stärkt. Aber das genügt nicht. Auch wir müssen mit unserer Innerlichkeit das erfüllen, was wir äußerlich tun. Ich habe es einmal erlebt, wie das Gespräch auf das Gebet in der Familie kam und ein Kind sagte: „Unser Vater tut ja bloß so, als ob er beten würde, er tut ja bloß so.“ Das heißt, er ist innerlich nicht dabei. Wie ist das erschreckend, wenn ein Kind das von seinem Vater sagen muß! Er tut ja bloß so! Nein, meine lieben Freunde, unser ganzer Kirchendienst, unsere Caritas, unser Beten, unser Opfern muß durchwirkt sein von der Innerlichkeit, muß eine Offenbarung unseres Gottsuchens, unseres Gottliebens, unseres Kampfes mit Gott und um Gott sein. Nur so ist es wahrhaft Ausdruck des Inneren.

Das Äußere und Sichtbare muß aus dem Inneren, aus der Innerlichkeit strömen. Das Äußere und Sichtbare muß aber auch zur Innerlichkeit führen und den Weg zur Innerlichkeit weisen. Wir wissen aus der Erfahrung, daß ein schöpferischer Mensch erst dann seine volle Befriedigung findet, wenn die inneren Gesichte, die er hat, sich äußerlich niederschlagen. Ein Forscher, der ein Buch schreibt, ist erst dann von seiner inneren Bedrängnis, nämlich etwas auf die Welt zu bringen, befreit, wenn das Werk geschaffen ist. Ein Künstler, der etwas formt, hat erst dann seine volle Erfüllung, wenn er das Werk mit seinen Händen geschaffen hat. Ein Komponist ist erst dann zufrieden, wenn die Klänge, die im Inneren seiner Seele rauschen, nach außen zu Papier gebracht sind und durch die Aufführung ihm hörbar werden. So ist es auch mit der Religion; auch die Religion, auch die religiösen Äußerungen wirken zurück auf das Innere. Sie stärken das Innere, sie stärken die Innerlichkeit. Jedenfalls sind sie dazu geeignet und auch dazu berufen. Im Händefalten, im Kniebeugen, in der äußeren Haltung unseres Körpers drücken wir die Ehrfurcht aus, und diese äußere Ehrfurcht wirkt wieder zurück auf die innere Ehrfurcht. Die Ehrfurcht, die wir äußerlich zeigen, baut die innere Ehrfurcht zu ihrem Teile auf. Das ist auch der Grund, warum Ehrfurcht und Glaube so tief verbunden sind. Meine lieben Freunde, wo die Ehrfurcht fällt, da fällt bald der Glaube hinterher. Wo die äußeren Zeichen der Ehrfurcht unterlassen werden, da ist der Glaube in großer Gefahr. Deswegen, wir hängen nicht an Äußerlichkeiten, wenn wir eine bestimmte Form des Kommunionempfanges vorziehen, wir hängen nicht an Äußerlichkeiten, sondern wir wissen um den unlösbaren Zusammenhang zwischen dem äußeren Verhalten und der inneren Gesinnung.

Wir sehen, wenn wir den Zusammenhang zwischen Äußerem und Innerem nicht wahren, dann leidet das Innere Schaden. Das Äußere muß zum Inneren hinführen. Die äußere Praxis ist geeignet, das Innere zu befruchten, zu stärken und zu erhalten. Es ist überhaupt ein Grundsatz: Der sicherste Weg zum religiösen Glauben ist die religiöse Praxis. Der sicherste Weg zur religiösen Überzeugung ist das religiöse Leben. Der Martyrer wird erst im Martyrium voll seiner Glaubensgewißheit sicher, und derjenige, der aus dem Glauben lebt, der empfindet auch den Glaubenstrost und die Glaubensfreude und die Glaubensgewißheit.

So ist es also bedeutsam, daß das Äußere ein Wegweiser zum Inneren ist. Wenn wir am Karfreitag erleben, wie wir vor dem Kreuze, vor dem sich enthüllenden Kreuze niederfallen, dann wissen wir, daß das Kreuz das Zeichen ist, in dem unser Herr und Heiland die Welt erlöst hat. Wir fallen nieder schuldbewußt, denn um unseretwillen ist er am Kreuz gehangen. Wir fallen nieder dankbar, weil er durch sein heiliges Kreuz uns erlöst hat. Wir fallen nieder voll Anbetung, weil der, der am Kreuze hängt, der leibhaftige, der leibhaftig gewordene Gottessohn ist. Diese Zeichen, diese äußeren Zeichen führen uns zum Inneren. Und ähnlich ist es bei der heiligen Kommunion. Wenn wir da die Gestalten von Brot und Wein sehen, dann wissen wir, daß Jesus unsere Nahrung sein will, daß er uns kräftigen will, daß er uns heilen will. Diese äußeren Gestalten erinnern uns daran, daß er das Brot des Lebens ist, das Brot des ewigen Lebens, das jetzt schon beginnt und das sich einmal vollenden wird, wenn die Hüllen fallen.

Wir sehen also, meine lieben Freunde, wir haben eine große Verantwortlichkeit für das, was wir mit unserer Religion auch äußerlich machen. Das religiöse Leben, das wir führen, soll nach außen dringen, nicht reklamehaft, daß man sich an die Ecken stellt und sich seiner Frömmigkeit rühmt. Aber ein wirklich religiöser, ein wirklich überzeugter Mensch wird ohne jede Bemühung auch sein religiöses Leben nach außen dringen lassen. Man wird es ihm ansehen, daß er ein religiöser Mensch ist, man wird es ihm anspüren, denn er wird wärmend, erhellend und begeisternd auf seine Umwelt wirken. Und ebenso: Ein ungläubiger, ein haltloser, ein gleichgültiger und gottfremder Mensch, der wird zerstörend auf die Umwelt wirken. Da sehen wir also, welche Aufgabe wir haben. Wir sollen auf unsere Umwelt aufbauend und erhellend wirken, nicht zerstörend und nicht verdunkelnd. Es soll Licht von uns ausstrahlen und nicht Finsternis. Wir sollen Menschen sein, die mit ihrem Wandel Gott Ehre eintragen. Die Ehre Gottes, die Ehre der Kirche ist in unsere Hand gelegt. Von uns hängt es ab, ob die Menschen durch uns hindurch zu Christus finden, oder ober sie ihn nicht finden. Von uns hängt es ab, ob sie die Kirche schätzen oder ob sie sie verachten. Von uns hängt es ab, ob sie das ewige Leben durch uns gewiesen bekommen oder nicht.

Diese ungeheure Verantwortung liegt auch auf der Kirche. Auch die Kirche soll erhebend, tröstend, stärkend auf die Menschen einwirken, sonst haben alle ihre Gotteshäuser, ihre Farben und Gewänder, ihre Prälaten und Bischöfe und Kardinäle keinen Sinn, wenn sie nicht Wegweiser sind zu Gott, wenn sie nicht durch ihr Leben und durch ihr Wort und vor allem durch ihr Beispiel zeigen, welches der Weg ist, den Gott uns weisen will. All das, was wir eben überlegt haben, läßt sich zusammenfassen in dem einen Wort: „Ihr sollt meine Zeugen sein!“ Ja, das ist es: Zeugen sollen wir sein. Wir sollen für etwas aussagen, wir sollen für etwas stehen, man soll es an uns ablesen können, wie Gott ist, wie seine Kirche ist, wie seine Religion ist. Ein Hall soll von uns ausgehen und ein Licht, und dieser Hall und dieses Licht sollen sein für Jesus, für das Heil der Seelen, für den Heiligen Geist, für das ewige Leben.

Amen.

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